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Zwei Entdeckerteams hetzen sich und ihre Maulesel dem "Entlegensten Punkt der Welt" entgegen, im Wettlauf gegen die Kontrahenten und die Widrigkeiten der spröden Natur. Die wortkargen Männer um die Forscher Johns und Tostig, rauhbeinige Kerle allesamt, erweisen sich im Laufe der Expedition allerdings kaum als heroische Naturbezwinger. Es handelt sich vielmehr um jene verschrobenen bis mimosenhaften Typen des britischen Angestellten- und Arbeiterkosmos, wie sie bereits Mills' ersten Roman Die Herren der Zäune bevölkern. Wen scheren schon glorreiche Missionsziele, wenn Zeltnachbarn schnarchen…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Entdeckerteams hetzen sich und ihre Maulesel dem "Entlegensten Punkt der Welt" entgegen, im Wettlauf gegen die Kontrahenten und die Widrigkeiten der spröden Natur. Die wortkargen Männer um die Forscher Johns und Tostig, rauhbeinige Kerle allesamt, erweisen sich im Laufe der Expedition allerdings kaum als heroische Naturbezwinger. Es handelt sich vielmehr um jene verschrobenen bis mimosenhaften Typen des britischen Angestellten- und Arbeiterkosmos, wie sie bereits Mills' ersten Roman Die Herren der Zäune bevölkern. Wen scheren schon glorreiche Missionsziele, wenn Zeltnachbarn schnarchen und egozentrische Anführer den Feierabend in der Wildnis stören?

Was als handfeste Abenteuer- und Entdeckergeschichte beginnt, entpuppt sich Seite um Seite, spätestens, wenn die Maultiere zu sprechen beginnen, als eine ebenso groteske wie grandiose Überdrehung des Genres.Mit der ganzen Kraft des Lakonischen entfaltet Mills erneut ein tiefschwarzes "Männer unter sich"-Szenario und treibt seine herbe englische Komik ins Absurde. Am Ende lassen die Maultiere selbst die Gesetze der Schwerkraft hinter sich, aller Ballast des Realistischen schwindet, und die untergegangenen Entdeckerwelten des vorletzten Jahrhunderts funkeln im irrwitzigen Licht der Millsschen Erzählkunst.
Autorenporträt
Magnus Mills, 1954 geboren, lebt in London. Er arbeitet in diversen Berufen - u.a. als Busfahrer und als Zaunbauer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2008

Und die Männer trugen die Eselin in einer Sänfte
Magnus Mills schickt eine Expedition ans Ende der Welt

Von Jochen Schimmang

Zuletzt hatte uns Magnus Mills in dem Roman "Ganze Arbeit" ein System der Vollbeschäftigung ausgemalt und anschließend höchst unterhaltsam ad absurdum geführt. Am Ende mussten die Helden der Arbeit begreifen, dass sie nicht mehr gebraucht wurden, eine Mitteilung, die übrigens von einer Frau unterzeichnet wurde. Frauen kommen in Mills' neuem Roman erst auf der vorletzten Seite vor. Man sieht sie kurz durchs Fenster einer Blockhütte, bekleidet nur mit einem Lendenschurz, wie sie sich hinter einem ebenso spärlich bekleideten Mann drängen. Es ist der letzte Moment im Leben dieses Mannes.

So weit zur Geschlechterverteilung. Vorher sind rauhe Männer unterwegs, in zwei Entdeckerteams auf ihrem Weg und Wettlauf zum ÄEP: zum Äußersten Erreichbaren Punkt der Welt. Die größere Gruppe wird von Johns angeführt, der offenbar Brite ist, was auch die Namen seiner Mannschaftsmitglieder belegen, die kleinere von Tostig, der eher aus dem skandinavischen Raum stammt. Es gibt noch ein paar weitere Parallelen zu Scotts und Amundsens Wettlauf zum Südpol. Die Entdecker sind äußerst unwirtlichen Bedingungen ausgesetzt, Teammitglieder gehen verloren oder kommen um, es gibt Verluste an Material und Tieren, in diesem Fall Maulesel (von denen noch zu sprechen sein wird). Doch wenn Magnus Mills einen Abenteuer- und Entdeckerroman schreibt, wird natürlich viel mehr daraus.

Auf jeden Fall, wie schon in den früheren Büchern, eine äußerst differenzierte und amüsante Schilderung zwischenmenschlicher, pardon: zwischenmännlicher Beziehungen. Mills' Männer sind mit ausgeprägten Eigenheiten ausgestattet; über jeden von ihnen ließe sich das englische Diktum prägen: "He's quite a character." Im Team - und zumal unter den Extrembedingungen einer Expedition - reiben sich solche Eigenheiten naturgemäß aneinander. Es geht etwa darum, ob man eine Zipfelmütze tragen darf oder gefälligst wie alle eine Wollmütze aufhaben sollte. Solche Streitpunkte werden aber meist nicht ausgesprochen, sondern ausagiert, indem man um den heißen Brei herumtanzt. Johns mag den Abweichler, ein leicht snobistisch (und misanthropisch) veranlagtes Mitglied des Teams namens Plover, nicht auf seine Zipfelmütze ansprechen, sondern delegiert das an seine rechte Hand Scagg, und Scagg wiederum antwortet auf die Frage, ob er Plover schon angesprochen habe, regelmäßig, er sei noch nicht dazu gekommen.

Um solche und ähnliche Fragen geht es also rein zwischenmännlich. Was aber ist der Zweck der Expedition? Erst nach und nach wird klar, dass es vor allem um die Maultiere geht und um die praktische Probe auf das Buch "Die Theorie der Verschickung" von Professor F. E. Childish. Der Äußerste Erreichbare Punkt wird angestrebt, um zu testen, ob man die Maultiere insgesamt in dieser entlegenen Landschaft ansiedeln kann. Denn Maultiere und Menschen können einfach nicht zusammen leben: Die Ersteren sind einfach anders. Expeditionsführer Johns erklärt es seinem Teammitglied Summerfield so: "Ich wäre der Erste, der die Hand dafür ins Feuer legt, dass der Großteil von ihnen ehrliche und harmlose Geschöpfe sind. Ihre angeborene Schwäche liegt vielmehr in allem, was ihnen fehlt: die Fähigkeit, rationale Urteile zu fällen, die Vorstellung von Eigentum, die Macht der Selbstdisziplin . . . Außerdem tun sie nichts Nützliches. Sie sind nicht für die Industrie zu gebrauchen. Sie machen keine Erfindungen." Da verschlägt es einem schon den Atem, wenn man an die Geschichte und Realität von "Umsiedlungen" in jüngerer Vergangenheit denkt.

Gut fünfzig Seiten später bringt es Summerfield in einer der sich zufällig ergebenden Theoriediskussionen auf den Punkt: "Geben wir es ruhig zu: Die Theorie hält einer genaueren Überprüfung kaum stand. Bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich als eine Reihe von harten Maßnahmen, die von einem wohlmeinenden Professor ideologisch verschleiert worden sind. Ich meine, was erhofft sich die Gesellschaft eigentlich genau davon, alle Maultiere zusammenzutreiben und sie in die wildesten Gebiete der Erde zu verschiffen?" Dazu wird es auch nicht kommen, weil die Maultiere teilweise fliehen oder rebellieren und eines davon, Gribble mit Namen (doch noch eine Frau in diesem Roman!), gegen Ende immer klarere Bedingungen stellt und schließlich von den Entdeckern in einer Sänfte getragen wird. Denn wie bei Kafka ist es bei Mills völlig natürlich und überhaupt nicht albern, dass Tiere sprechen und vernunftbegabt argumentieren.

Magnus Mills glaubt man ohnehin alles, was er erzählt. Der "Daily Telegraph" urteilte einmal, er sei der "raffinierteste Vertreter des schwarzen britischen Humors". Schon recht. Mills ist aber inzwischen viel mehr: eine unverwechselbare Stimme und insofern kein Vertreter von irgendetwas. Das nächste Buch, bitte!

- Magnus Mills: "Die Entdecker des Jahrhunderts". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Böhmer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 195 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2009

Wettkampf und Entartung
Magnus Mills’ komische „Entdecker des Jahrhunderts”
Die Boy-meets-Girl-Situation in der Geschichte aller Reisetagebücher und Entdeckerberichte geht so: Zwei Expeditionsgruppen konkurrieren darum, als erste einen weißen Fleck auf der Landkarte zu erreichen. In Magnus Mills’ Roman über „Die Entdecker des Jahrhunderts” wird dieser geheimnisvolle Ort nur der „Äußerste Erreichbare Punkt”, kurz ÄEP, genannt, und die beiden Gruppen, die sich mit ihren Maultieren durch unwirtliches Gelände kämpfen, müssen sich mit der Dynamik solcher Wettläufe herumschlagen: Die Moral sinkt. Die Tiere sind unruhig. Die Vorräte werden knapper. Ein bisschen soldatischer könnte man auch sagen: Mann gegen Mann, Truppe gegen Truppe. Aber hier geht es um Teamgeist, Höflichkeit und Fairness – also um ein ziviles, britisch anmutendes Spielfeld, auf dem vorlautes Testosterongeblöke nichts zu suchen hat. Denkt man sich so.
Gleich zu Beginn erklärt Johns, der Anführer der ersten Gruppe, dass es nicht um ein Wettrennen gehe, sondern um ein wissenschaftliches Ziel – Erkenntnis und Interesse sollen bitte ordentlich getrennt bleiben, persönlicher Ruhm spiele keine Rolle. Die andere Gruppe mit den nordischen Namen – Tostig, Thorsson, Snaebjorn undsoweiter – hat einen kleinen Vorsprung, weil sie sich durch ein ausgetrocknetes Flussbett voranbewegt, Johns dagegen ist mit seinen Männern und Maultieren auf einer steinigen Hochebene unterwegs. Das klingt nach dem vertrauten Wettkampf um den Südpol, bei dem der Engländer Scott dem Norweger Amundsen unterlag. Aber Ort und Zeit sind bewusst so vernebelt, dass man nichts exakt zuordnen kann.
Schritt für Schritt nimmt der Brite Magnus Mills alles auseinander, was den Entdeckern heilig ist, vom Sportsgeist bis zum wissenschaftlichen Auftrag. Je weiter die Expeditionen voranschreiten, desto stärker fällt der Kontrast aus zwischen der emphatisch hochgehaltenen Fairness und den tatsächlich um sich greifenden Gemeinheiten in beiden Teams. Der höflich-knappe und dabei umwerfend komische Umgangston wird immer stärker von Misstrauen und subtilen Sticheleien zersetzt. Im Tostig-Team wird ein Mitglied der Verschwörung verdächtigt, weshalb der Mann den Stern an seiner Mütze abgeben und im Vorratszelt schlafen muss. Im Johns-Team trifft es vorerst und gewissermaßen ersatzweise die Maultiere: Es gibt eines, das angeblich trödelt und deshalb mit Futterentzug bestraft wird.
Herr und Knecht
Seit seinem Erstlingsroman „Die Herren der Zäune” von 1998 ist Magnus Mills kaum noch ohne die Adjektive schwarzhumorig, staubtrocken und lakonisch zu haben. Und das stimmt auch für sein Entdeckerbuch: Wenn es ein Pathos der Nüchternheit gibt, dann ist Mills genau der Richtige, um sich mit verknappten Dialogen darüber lustig zu machen. Dass er als Zaunbauer und Busfahrer sein Geld verdiente, hat ihm den Ruf eines Arbeiterschriftstellers eingetragen – was den Blick auf seine surrealen Arbeitswelten aber eher verstellt. Mills ist ein Spezialist für Befehlsketten, die sich als etwas anderes ausgeben. „Die Entdecker des Jahrhunderts” ist sein fünfter Roman und eine Variation des Herr-und-Knecht-Spiels, das diesmal auf mehreren Schauplätzen ausgetragen wird: zwischen den um Haltung bemühten und dabei großartig albernen Expeditionsteilnehmern und auf dem Rücken ihrer Lastenträger.
Wie in allen Mills-Romanen passiert dabei nicht viel: Männer und Maultiere stolpern durch eine öde Geröllhalde, und alle zusammen sind in einer gigantischen, irrwitzigen Mühle gefangen. Ein bisschen ist das wie in Monty Pythons „Leben des Brian” – „Jeder nur ein Kreuz!” – und ein bisschen wie in „Warten auf Godot”. Die groteske Monotonie ist durchaus anstrengend, aber sie lenkt den Blick aufs Detail. Tatsächlich schieben sich die Maultiere immer mehr ins Bild, und bald wird klar, dass etwas anderes hinter dem Marsch durch die Steinwüste steckt – ähnlich wie auch der Teamgeist nur notdürftig die Untiefen der Forscherseele überdeckt. Unter den Männern kursiert eine „Theorie der Verschickung”, die besagt, dass die Maultiere möglichst weit von den Menschen entfernt leben sollten – aber was haben die Tiere verbrochen? Der ansonsten so fairnessfixierte Johns scheint in einem Haufen Mischlingen seine Hasskappe gefunden zu haben: „Ihre angeborene Schwäche liegt vielmehr in allem, was ihnen fehlt: die Fähigkeit, rationale Urteile zu fällen, die Vorstellung von Eigentum, die Macht der Selbstdisziplin. Sie verlieren viel zu schnell den Kopf. Außerdem tun sie nichts Nützliches. Sie sind nicht für die Industrie zu gebrauchen.”
Jetzt werden sie zickig
Und dann stehen alle Parabelschleusen offen. Die Maultiere sind abergläubisch, können nur ein bisschen Kunst und haben in der Wissenschaft nichts geleistet. Oder einfacher: Sie sind alles, was nicht Vernunft ist. Als sie auch noch zu sprechen anfangen und sich immer zickiger gegen ihre Abschiebung stemmen, gewinnt der Monty-Python-Humor deutlich an ideologiekritischer Fahrt. In der Geschichte der wild gewordenen Vernunftanhänger gab es immer Bemühungen, das Unvernünftige wahlweise zur Räson, in weit entfernte Territorien oder gleich ganz um die Ecke zu bringen. In genauer Umkehrung zu Jonathan Swifts „Gullivers Reisen”, der am Ende nur noch die vernunftvollen Pferde gelten lässt, machen die Maultiere die Menschen zu Witzfiguren: nicht etwa, weil sie so dumm dastehen wie bei Swift, sondern weil sie das vermeintlich Dumme und Irrationale so umstandslos erledigen wollen.
Über weite Strecken gelingt es Mills mit seinem Roman – dessen trockene Schrulligkeit Katharina Böhmer wunderbar ins Deutsche übersetzt hat –, die Maultieraffäre vieldeutig zu halten, nur gegen Ende lässt er sich zu ein paar ziemlich plakativen Verwandlungen hinreißen; das Andere der Vernunft wird dann in eine ganz bestimmte Form gegossen. Aber als philosophische Versuchsanordnung sind „Die Entdecker des Jahrhunderts” selbst eine Entdeckung. Mills reiht sich in die Tradition der fiktiven Reiseberichte ein, die viel mehr über den Forscher sagen als über das Erforschte. Seine Männer sind Maultier-Exorzisten und Ritter von der traurigen Gestalt, und das macht den Roman so komisch und abgründig zugleich. JUTTA PERSON
MAGNUS MILLS: Die Entdecker des Jahrhunderts. Roman. Aus dem Englischen von Katharina Böhmer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 196 Seiten, 19,80 Euro.
Der Triumph: Roald Amundsen (links) am Südpol Foto: Getty Images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jutta Person ist begeistert von diesem fiktiven Reisebericht des britischen Autors Magnus Mills. Zwei konkurrierende Expeditionsgruppen, so lässt uns die Rezensentin wissen, begeben sich hierin auf die beschwerliche Suche nach dem "äußersten erreichbaren Punkt" der Welt. Die Protagonisten unterhalten sich dabei in einem höflich-lakonischen Umgangston, den Person "umwerfend komisch" findet, das abstruse Umherirren durch unwegsames Gelände erinnert sie derweil an Monty Python oder Beckett. Viel passiert hier nicht, erfahren wir, langsam allerdings rücken die Maultiere der Expediteure in den Fokus des Interesses. Die verkörpern, weiß Person, "alles, was nicht Vernunft ist", das möglichst aus dem Blickfeld der Menschen entfernt werden soll. Ihre menschlichen Mitreisenden, so findet die Rezensentin, degradieren sie damit zu Witzfiguren. Das Ganze findet Person komisch und abgründig zugleich, auch wenn ihr Mills am Ende mit seiner Ideologiekritik etwas zu plakativ wird.

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