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Im ehemaligen Adelssitz von Si?em, einem Städtchen östlich von Prag, kümmern sichNonnen um verlassene Kinder, die es aus verschiedenen Ländern hierher verschlagenhat. Unter ihnen ist auch der zwölfjährige Russe Ilja. Die flüchtenden Eltern haben ihn und seinen behinderten kleinen Bruder zurückgelassen.Der Alltag der Kinder ändert sich jäh, als Soldaten das »Heimdaheim« stürmen unddie katholischen Schwestern deportieren. Unter der Leitung des Kommandanten dominiertein militärischer Drill. Bücher werden verbrannt, die Vergangenheit umgeschriebenund Ilja zum Saboteur ausgebildet. Als Gerüchte…mehr

Produktbeschreibung
Im ehemaligen Adelssitz von Si?em, einem Städtchen östlich von Prag, kümmern sichNonnen um verlassene Kinder, die es aus verschiedenen Ländern hierher verschlagenhat. Unter ihnen ist auch der zwölfjährige Russe Ilja. Die flüchtenden Eltern haben ihn und seinen behinderten kleinen Bruder zurückgelassen.Der Alltag der Kinder ändert sich jäh, als Soldaten das »Heimdaheim« stürmen unddie katholischen Schwestern deportieren. Unter der Leitung des Kommandanten dominiertein militärischer Drill. Bücher werden verbrannt, die Vergangenheit umgeschriebenund Ilja zum Saboteur ausgebildet. Als Gerüchte über eine bevorstehende Invasionder Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten Si?em erreichen, bricht im Heim Chaosaus. Viele Jungen schließen sich den Rebellen in der »Si?emer Autonomen Zone« an.Ilja entdeckt auf einem einrückenden sowjetischen Panzer seinen Vater, HauptmannJegorow. Als Dolmetscher und Kartenleser lotst Ilja die Okkupanten durch die verwüstete Landschaft, in der Zwerge, tote Giraffenund Kamele auftauchen: versprengte Teile eines sozialistischen Musterzirkus aus der DDR. Die Geschichte, wie schließlich tschechische Einheiten nach Bayern eindringen und einen Dritten Weltkrieg heraufbeschwören, der die »Zirkuszone« auslöschen wird, ist weit mehr als Karneval undSatire.
Autorenporträt
Jáchym Topol, 1962 in Prag geboren und Sohn des Dramatikers Josef Topol, war nicht nur der Star des literarischen und musikalischen Underground vor 1989 sondern ist auch heute noch der bekannteste tschechische Autor seiner Generation. Als Sechzehnjähriger unterzeichnete er die Charta 77, 1985 begründete er das Underground-Magazin Revolver Revue, seine Zeit als Wehrpflichtiger verbrachte er mit anderen Intellektuellen in der Irrenanstalt, er arbeitete als Heizer und Lagerarbeiter. In den 90er Jahren studierte er Ethnologie und bereiste zwischen 1989 und 1991 als Journalist für die Wochenzeitung Respekt und Drehbuchautor Osteuropa. 1988 erschien in Samizdat sein erster Gedichtband Ich liebe Dich bis zum Irrsinn, 1992/93 folgten Am Dienstag gibt es Krieg und Ausflug zur Bahnhofshalle. Seinen Durchbruch als Schriftsteller hatter er mit dem Roman Die Schwester; es folgten Engel EXIT, Nachtarbeit, Zirkuszone und Die Teufelswerkstatt. Topol lebt in Prag.

Andreas Tretner wurde am 26. Mai 1959 in Gera geboren. Er absolvierte ein Übersetzerstudium an der Universität Leipzig, das er 1981 mit dem Grad eines Diplom-Übersetzers für Russisch und Bulgarisch abschloss. Seit Mitte der 1980er Jahre übersetzt er russische, bulgarische und tschechische Prosa und Lyrik. Tretner ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland, im Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke und Mitgründer des PEN Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2008

Wo bitte liegt Mitteleuropa?
EZB-Lesung: Topol und Virk in der Romanfabrik

Das war gar nicht böse gemeint. Aber Jáchym Topol musste seinem Moderator eine ähnliche "Geschichtsvergessenheit" attestieren wie den Prager Studenten. Dabei ist Ruthard Stäblein vom Hessischen Rundfunk doch schon eine Generation weiter. Aber er war an diesem Abend nicht der Einzige, der sich über den Roman des Prager Schriftstellers wunderte. So viel heroischen Widerstand hatten die Tschechen den sowjetischen Panzern und einmarschierenden sowjetischen Bruderstaaten 1968 geliefert? Nein, das haben wir nicht gewusst. Panzer auf den Straßen von Prag, ja. Aber brennende Scheunen auf dem Land und erschlagene Dorfbewohner? "Das ist eine seriöse historische Arbeit", sagte Topol und meinte damit sein Buch über die "Zirkuszone", eine absurde Phantasmagorie über den Prager Frühling, die bei Suhrkamp erschienen ist.

Im Rahmen der EZB-Kulturtage stellten sich abermals zwei Schriftsteller unter dem Motto "Kleine Sprachen - Große Literaturen" vor. Neben dem sympathischen Sponti Topol empfahl sich in der Frankfurter Romanfabrik der stillere slowenische Autor Jani Virk mit seinem Roman "Sergijs letzte Versuchung" (Wieser Verlag) . Beide trugen kurze Passagen aus ihren Büchern im Original vor. Dann lasen Eva Profousová aus ihrer eigenen Übersetzung und der Sprecher Jochen Nix aus dem deutschen Text von Fabjan Hafner. Hatte sich Topol auf die bizarren Abenteuer eines tschechischen Waisenknaben kapriziert, der vom Militär zum Kindersoldaten ausgebildet wurde, so widmete sich Virk dem opportunistischen Ränkespiel im Ljubljana des Übergangs vom Tito-Sozialismus zur mitteleuropäischen Demokratie.

Nur: Wo liegt Mitteleuropa? Topol vermutete hinter dem geographischen Topos "eine intellektuelle Konstruktion aus Scham", die eigentlich Osteuropa meine. "Mitteleuropa, das sind die Bücher - von Milosz und Kafka. Das Leben bei uns ist Osteuropa", sagte er. "Die Westeuropäer haben Angst vor den Osteuropäern." Auch für ihn sei Osteuropa brutaler, aber auch spannender. Eigentlich beginne es erst in der Ukraine. Doch die Ukrainer schickten einen nach Weißrussland und die Weißrussen nach Sibirien zu den Überresten des GULag. Irgendwann stehe man dann bei Wladiwostok am Japanischen Meer. "Osteuropa kann man nicht finden", resümierte er. Aber, so Virk, der souverän in deutscher Sprache parlierte: "Das ist Mitteleuropa: dass wir uns kennen in einem kulturellen Horizont."

"Wir sind multikulturell geprägt, allerdings mehr von der germanischen als von der romanischen Kultur", begründete der 1962 geborene Slowene seine mitteleuropäische Nähe. Schon Anfang der Achtziger konnte er nach Österreich, Deutschland und Italien einreisen. Da verbrachte Topol, ebenfalls Jahrgang 1962, seine Wehrdienstzeit gerade im Irrenhaus, bevor er sich als Heizer und Lagerarbeiter durchschlug und das Underground-Magazin "Revolver-Revue" gründete. Heute arbeiten beide Autoren als Redakteure: Virk beim nationalen Fernsehen und Topol bei der Wochenzeitschrift "Respekt". Ihre Bücher beweisen jedenfalls, dass sie mehr vom östlichen und südöstlichen Mitteleuropa wissen als wir. Vielleicht schwindet mit der Lektüre ja die Angst vor dem Unbekannten jenseits der Oder und der Drau.

CLAUDIA SCHÜLKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.07.2007

Das allerletzte Gesocks
„Zirkuszone”: Jáchym Topol bleibt rebellisch – und genial
Als Sechzehnjähriger hat Jáchym Topol die „Charta 77”, die legendäre Petition der tschechischen Bürgerrechtsbewegung, einst mitunterschrieben, und dieser Impetus von jugendlicher Dissidenz und Aufsässigkeit setzt sich in seinem literarischen Werk bis heute fort. Während manche der älteren Mit-Dissidenten später zu Staats- und Akademiepräsidenten aufstiegen und an der Würde ihrer Ämter Gefallen fanden, hat Topol in seinem Schreiben etwas von dem originalen Rebellen- und Rowdytum aufbewahrt, das damals die Staatsgewalt zu drakonischen Maßnahmen greifen ließ. Es wimmelt in seinen Büchern nur so von juvenilen „Elementen”, von „Schädlingen” am Gesellschaftskörper und anderen irrlichternden Minderjährigen, die sich aus purer Abenteuerlust in ein Scharmützel mit der Obrigkeit geworfen haben, für das sie auch den Heldentod riskieren. Nicht etwa im Namen einer besseren Gesellschaftsordnung, sondern ganz allein im Vollzug eines Sozialdarwinismus, wie er auf jedem Schulhof anzutreffen ist. Die Außenseiterbanden, von denen Topol erzählt, kennen kein Gesetz und erkennen folglich auch keines an. Was sie zusammenschweißt, ist der Stolz auf die eigene Infamie. „Ihr seid das allerletzte Gesocks in der ganzen Tschechoslowakei”, herrscht Kommandant Vyzlata die Insassen des Waisenhauses von Širem an. „Ihr seid die Söhne von Syphilitikern, Alkoholikern und Mördern, Huren und Ausländern.” Und das geht den wilden Zöglingen runter wie Honig.
Für seinen jüngsten Roman ist Topol, der mit Abstand interessanteste tschechische Autor dieser Jahre, auf Motive vor allem des Vorgängerromans „Nachtarbeit” zurückgegangen. Eine verwilderte, von der Zivilisation versehrte und von Unkraut überwucherte Landschaft. Kinder, die in ihr herumirren, heimat- und elternlos, aber dafür mit allen Wassern gewaschen. Bruchstücke einer totalitären Ordnung inmitten einer Anarchie, in der selbsternannte Heerführer durch die Gegend ziehen. Topols Geschichts-Apokalypse siedelt im Jahr des Einmarschs der Warschauer-Pakt-Truppen 1968, aber zugleich weckt sie Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg. Sind hier in Böhmen nicht eben erst die Söldnertruppen um den Warlord Wallenstein marodierend durchgezogen? Und auch die Geschichte der Vertreibungen, der ethnischen Entmischung von Deutschen und Tschechen nach 1945 hat in dieser Gewaltlandschaft ihre Spuren hinterlassen. Den Kindern von Širem liegt das historische Gedenken fern. Jede Verwüstung mehr ist nur ein neuer Reiz auf dem Abenteuerspielplatz der Geschichte.
Der Amboss der Geschichte
Wie macht man aus der „heruntergekommensten Rabaukenbande der ganzen Republik” einen schlagkräftigen Trupp von Neo-Junghussiten? Früher, im „Heimdaheim” von Širem, einem verlassenen Schloss in Mittelböhmen, unter der milden Obhut katholischer Ordensschwestern, übten sich Ilja, Bobo und die ganze Internationale der heimatlosen Waisen, in der Kunst des Streichespielens. Bis eines Tages Kommandant Vyzlata im Heim erscheint, die Schwestern in die Flucht schlägt und den Anbruch eines neuen Zeitalters verkündet. „Mich, Freunde, haben die schwersten Feuer des zwanzigsten Jahrhunderts gestählt!”, ruft er aus. „Ich wurde geschmiedet auf dem Amboss des zwanzigsten Jahrhunderts, jawohl! Und jetzt bin ich gerüstet, euch für die neue Zeit zu erziehen.” Ohne Umschweife will der Kommandant die Umerziehung der ungezogenen Knaben zu wehrhaften Kommunisten ins Werk setzen. Also werden Ilja und die anderen Strolche im Handumdrehen zu „Diversanten” ausgebildet, deren Aufgabe es ist, intervenierende Truppen gezielt an der Nase herum zu führen. Als dann die Stunde von „Alex Dubcek” schlägt, eröffnen sich den Diversanten ungeahnte Perspektiven. Von der „Širemer Autonomen Zone” aus dürfen sie beim Widerstand gegen die einmarschierenden Truppen mittun, und deren Kommandant drückt die Erwartung aus, „dass ihr nach Art der Junghussiten mit den Steinschleudern kämpft, bis auf den letzten Mann”, während der Schnaps in Strömen fließt.
Permanentes Trommelfeuer
Für all diese mehr oder minder kruden Vorkommnisse hat Topol ein künstliches Argot erfunden, den die Übersetzer auf bewundernswerte Weise ins Deutsche überführt haben. In dieser Sprache scheint alles pausenlos in Bewegung, es gibt in ihr keine ruhigen oder gar lyrischen Augenblicke, sondern man befindet sich als Leser im permanenten Trommelfeuer der Wahrnehmungen. „Der Himmel”, heißt es etwa, „fällt gerade auf die Erde runter. Riesenstörche fliegen über uns weg, schwingen die Flügel, die wie Feuersegel aussehen, dann donnert es wieder, und die Störche klappern mit den Schnäbeln: tak-tak-tak-tak”, und das klingt dann beinahe schon wie ein Maschinengewehr. Das Unheilvolle und Sprunghafte solcher Bilder wird bei Topol kontrastiert von einem Witz, der nichts, und bestimmt nicht das Unheil, vom Spott ausnimmt. Der Krieg und die Gewalt sind in Topols und seines juvenilen Ich-Erzählers außermoralischer Sichtweise eben immer auch eine Riesenhetz, und wenn es in der Luft heult und „wiijuh” macht, wenn Feuer aufblitzt und danach eine weiße Rauchsäule aufsteigt, dann hat das immer auch Züge einer Geisterbahnfahrt, auf der man seine Angstlust auf die Probe stellt.
Topol ist einmal ein Dissident gewesen, und in gewisser Hinsicht ist er es geblieben. Der Dissidenz treu bleiben, kann auch heißen, den liebgewonnenen Mythen des Widerstands den Verrat entgegenzusetzen. Aus Ilja, dem frisch rekrutierten Diversanten der guten tschechischen Sache, wird jedenfalls im Nu ein Überläufer, der in der sowjetischen Panzerkolonne seine Dienste fortan der Besatzungsmacht zur Verfügung stellt. Irgendwann aber haben in diesem Roman auch die Besatzer ihre Orientierung verloren, und die einstmals autonome Zone von Širem verwandelt sich in die „Zirkuszone”, die dem Roman den Titel gibt – in ein Territorium, durch das die versprengten Tiere, Zwerge und Clowns des „Staatszirkus der DDR” irren und die sowjetische Einheit unter Hauptmann Jegorow Greuel an den Aufständischen verübt. Zum Ende des Romans hin weitet sich Topols jugendlicher Räuberroman zu einer alternativen Geschichtsfiktion. Die tschechoslowakische Volksarmee hat sich gegen die Besatzer erhoben, die Bürgerwehr „Kyrill und Methodius” treibt in Brünn die Invasoren aus der Stadt, ein dritter Weltkrieg steht bevor – das alles steigert sich in rasender Fahrt zu einem vollständig aberwitzigen Geschichts-Narrativ, in dem alle Mythen der tschechischen Nation planmäßig mit Füßen getreten und zugleich neu zusammengebaut werden, während es Ilja zuletzt nur noch nach Hause treibt, ins Kinderheim von Širem, einer Antwort auf die Frage entgegen, wo er Bobo, den kleinen Bruder, findet, und wer seine Eltern sind. „Ich mache mich also gleich auf den Weg, ich gehe nach Hause”, das sind die leisen letzten Worte in Topols sonst so fulminantem Roman, für den das Wort „wichtig” fast schon eine Untertreibung ist.CHRISTOPH BARTMANN
JÁCHYM TOPOL: Zirkuszone. Roman. Aus dem Tschechischen von Milena Oda und Andreas Tretner. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 316 Seiten, 24,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen "kühnen und furchtlosen Text" erblickt Rezensent Peter Demetz in Jachym Topols Roman "Zirkuszone", in dem dieser der Frage nachgeht, wie es gewesen wäre, wenn sich die Tschechen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zur Wehr gesetzt hätten. Er liest das Werk, in dessen Mittelpunkt der heranwachsenden Waisenjunge Ilja steht, der von einer sowjetischen Panzertruppe adoptiert wird, als "Wiederinszenierung eines Traumas". Das Geschichtsdrama mutiert in seinen Augen dabei zum "absurden Theater". Beeindruckt zeigt er sich von der unbändige Fabulierlust des Autors, die Psychologie und konventionelle Plausibilität hinter sich lässt, um mit unglaublichen Begebenheiten und überstürzenden Ereignissen aus den Vollen zu schöpfen. Gelegentlich schießt der Autor für Dementz' Geschmack über das Ziel hinaus. Allerdings sieht er sich dann wieder versöhnt durch Topols virtuose Fähigkeit, literarische Zitate und Parodien einzubringen und zu verbinden. Mit hohem Lob bedenkt er auch Milena Oda und Andreas Tretner für ihre Übersetzungsleistung, eine "philologische Tat ersten Ranges".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Für seinen jüngsten Roman ist Topol, der mit Abstand interessanteste tschechische Autor dieser Jahre, auf Motive vor allem des Vorgängerromans Nachtarbeit zurückgegangen.« Süddeutsche Zeitung