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"Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte?" heißt es am Schluß des neuen Lyrikbandes von Hans-Ulrich Treichel, der Gedichte aus den vergangenen zehn Jahren versammelt.
"Nur wenn ich will / Nur wenn es sein muß / Sonst nie", lautet die Antwort. In den Gedichten, die zwischen Heiterkeit, Selbstironie, Verspieltheit und existentiellem Ernst oszillieren, werden vom Autor eigene Lebensspuren erkundet: Dazu gehört Berlin, wo er, der "alte Berliner / echt aus Westfalen", ganz "antizyklisch" nach Kreuzbergradelt oder uns zuwinkt aus dem "blühenden Lankwitz". Dazu gehört das Leben im "Südraum…mehr

Produktbeschreibung
"Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte?" heißt es am Schluß des neuen Lyrikbandes von Hans-Ulrich Treichel, der Gedichte aus den vergangenen zehn Jahren versammelt.

"Nur wenn ich will / Nur wenn es sein muß / Sonst nie", lautet die Antwort. In den Gedichten, die zwischen Heiterkeit, Selbstironie, Verspieltheit und existentiellem Ernst oszillieren, werden vom Autor eigene Lebensspuren erkundet: Dazu gehört Berlin, wo er, der "alte Berliner / echt aus Westfalen", ganz "antizyklisch" nach Kreuzbergradelt oder uns zuwinkt aus dem "blühenden Lankwitz". Dazu gehört das Leben im "Südraum Leipzig", mit "Schreibaufgaben", der Sommerhitze im Clara-Zetkin-Park, dem "schmerzenden Knie" und der Braunkohleluft in Plagwitz. Dazu gehören Reisen in alle möglichen Weltgegenden und natürlich in die deutsche Provinz: "Irgendwo müßt ihr doch sein / Urahnen ihr / meine Wurzeln." Und keinesfalls zu vergessen: das Glück der Liebe und ihre Paradoxien, diese immerwährende Bewegung "Von dir zu / Auf mich fort", wie es in dem Gedicht "Herzschlag" heißt.
Autorenporträt
Hans-Ulrich Treichel, am 12.8.1952 in Versmold/Westfalen geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Er studierte Germanistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1984 mit einer Arbeit über Wolfgang Koeppen. Er war Lektor für deutsche Sprache an der Universität Salerno und an der Scuola Normale Superiore Pisa. Von 1985-1991 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin und habilitierte sich 1993. Von 1995 bis 2018 war Hans-Ulrich Treichel Professor am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. Seine Werke sind in 28 Sprachen übersetzt.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2007

Und sonntags Grenzverletzung
Wessi in den Passagen: Hans-Ulrich Treichels neue Gedichte

Dichter lügen bekanntlich, und oft tun sie es gut und zu unserm großen Vergnügen. Aber lügen sie wirklich immer? Vielleicht wird in Gedichten doch weniger gelogen als beispielsweise in Romanen? Jedenfalls traut man Gedichten üblicherweise eher persönliche Bekenntnisse, unmittelbaren Gefühlsausdruck, subjektive Sicht- und Schreibweisen zu als anderen literarischen Gattungen und nutzt sie gern als autobiographische Mosaiksteinchen für das Lebensbild des Autors.

Wer Hans-Ulrich Treichels Gedichte so lesen will, kommt mit dem neuen Gedichtband "Südraum Leipzig" voll auf seine Kosten. Hier scheint einfach alles zu stimmen: Tatsächlich wohnt Hans-Ulrich Treichel zeitweise in Leipzig, wo er seit 1995 am Deutschen Literaturinstitut der Universität als Professor angehende Schriftsteller unterrichtet, und es besteht wenig Veranlassung, daran zu zweifeln, dass seine Wohnung in der Stieglitzstraße (darüber gibt es ein Gedicht) im Stadtteil Plagwitz liegt (dem gleich drei Gedichte gelten), dass ihn Ausflüge in das Braunkohlerevier und an den Cospudener See geführt haben und dass er regelmäßig den "Interregio Berlin - Leipzig" benutzt, um zwischen seinem Haupt- und Zweitwohnsitz zu wechseln. Nicht anders sieht es in den anderen Abschnitten des Bandes aus. Ob es um die Berlin-Gedichte geht, die Erinnerungen an die Kindheit und Jugend in Westfalen, die wolhynischen Wurzeln der Familie, die Reisen innerhalb Europas, nach Amerika und nach Fernost - stets sind die biographischen Auskünfte konkret, präzise und offenbar zutreffend. Man erfährt die Namen aller Stadtteile Berlins, in denen Treichel einmal gewohnt hat, und der Hotels und Lokale, die er besucht hat. Es scheint kein Zweifel zu bestehen: Hier wird nicht gelogen. Hier spricht kein künstlich vorgeschobenes "lyrisches Ich". Hier spricht Treichel selbst in höchsteigener Person.

Und doch: Was und wie er von sich selbst spricht, das ist zwar nicht geflunkert, aber doch deutlich stilisiert. Die Selbstdarstellung ist auf Kritik und Selbstkritik aus. Ein Beispiel: Das Gedicht "Dezember in Warschau" führt zunächst, in gewohnter Detailgenauigkeit, die zweifelsfrei zutreffenden Informationen an: Wie die Straße heißt, in der der Reisende dort wohnt, und das Stammlokal, das er besucht. So weit, so gut. Dann aber werden die Defizite deutlich, die dieser Besucher mit nach Warschau gebracht hat: Er kennt sich dort nicht aus, versteht die polnische Sprache nicht und weiß angeblich über die Vergangenheit der Stadt an der Weichsel nicht mehr, als dass da einmal "irgendetwas mit Krieg" war. Im autobiographischen Bild des Ignoranten, das er zeichnet, spiegelt sich, wenn der Leser sich darauf einlässt, dessen eigene mögliche Ignoranz wider.

Ähnlich funktionieren viele andere Gedichte, etwa diejenigen, in denen es um das Verhalten des Wessis, der Treichel ist, im Ossi-Land geht. Je vertrauenswürdiger er als lyrischer Autobiograph von sich selbst spricht, desto glaubwürdiger wird auch seine Selbstkritik als eine Kritik, die sich verallgemeinern lässt. Da geht er zum Beispiel, erfüllt von seiner Rolle als "Mann mit Terminen", an dem bettelnden "Geiger in der Passage" vorüber, ohne ihm etwas anderes zu "spenden" als einen geradezu zynisch banalen Gedanken ("was ist das Leben, / wenn nicht ein Geigen in den Passagen") und einen ebenso zynischen wie selbstgerechten Ratschlag: "Pflege Kontakte und streue Asche auf / deine Akte". Gemeint ist natürlich die Stasi-Akte. "So ist das hier", resümiert der Wessi, der die Grenze immer noch in seinem Kopf mit sich herumträgt.

Es ist kein ungefährliches Spiel, das Treichel hier treibt. Leicht kann als Diffamierung der Ossis verstanden werden, was als ironische Selbstkritik inszeniert ist. Nimmt man die Gedichte beim Wort und identifiziert gutgläubig ihren Wortlaut mit den Meinungen des Autors, dann sieht er sich nicht selten aufs Glatteis geführt. Tut er es nicht, dann verfehlt er den spielerisch-autobiographischen Charakter der Gedichte. Irritationen des Lesers sind also vorprogrammiert. Sie sind offenbar gewollt. Zur Verführung trägt der scheinbar lockere Erzählton viel bei. Er verführt mit Oberflächenreizen, mit Elementen mündlicher Rede, nonchalanten Zwischenbemerkungen, charmanten Wendungen. Schalk und Witz sitzen Treichel immer im Nacken.

Hin und wieder laufen auch Kalauer mit, wenn etwa die Dame vom Arbeitsamt ihm telefonisch "Stellen ins Ohr flüstert". Vage Metaphern dagegen verdunkeln die Texte nicht; keine grammatischen Extravaganzen oder sprachlichen Experimente machen sie schwierig, um keinen Preis soll Pathos oder Gefühligkeit aufkommen. Sogar noch das zärtlichste Liebesgedicht, das mit dem genreüblichen Mond einsetzt, der "sanft und still und klar / irgendwo über den Wolken" lag, endet ernüchternd: "als ich meine Hände auf dich legte / und mich ganz sacht zu dir bewegte / da hast du mir das Herz gebrochen / (ich spür noch immer wie es bricht) / und sanft und klar und ruhig / gesagt: Jetzt nicht." Sehr professoral klingt das nicht. Gewiss: Es gibt auch Bildungswissen, wenn etwa eine Köchin im venezianischen Hotelrestaurant Montin mit Bellinis "Madonna mit Birne" verglichen wird. Und auch die Zitate und Anspielungen auf Wolfgang Koeppen, Büchner, Heine, Else Lasker-Schüler, Trakl, Kafka und Brecht weisen den Literaturprofessor aus. Doch das geschieht nie mit dem Gestus der Belehrung. Vielmehr wird der Schreibunterricht selbst, den Treichel in Leipzig zu geben hat, zugleich erteilt und kritisch aufs Korn genommen: "beschreiben Sie, was Sie sehen", heißt die Lehre und "Nein, streichen Sie das", heißt sie auch. Beschreiben, Streichen und Neuerfinden - das sind die Grundanforderungen an einen Schriftsteller, und sympathischerweise muss sich Treichel selbst, wenn man dem witzigen Gedicht "Kürzlich in Frankfurt" Glauben schenken will, ähnliche Direktiven gefallen lassen von der Lektorin des Frankfurter Suhrkamp Verlages, in dem die erfolgreichen Romane Treichels und sein lyrisches Werk seit dem Bändchen "Liebe Not" (1986) erscheinen.

In diesem Wintersemester wird Hans-Ulrich Treichel in Leipzig die Frage "Was ist Stil?" erörtern, eine zweite Lehrveranstaltung gilt dem autobiographischen Schreiben. Beide Themen haben es, wie Treichels eigene Gedichte zeigen, zentral mit dem Wahrheitsanspruch von Literatur und mit ihren unumgänglichen Lügen zu tun. Lauter offensichtliche Lügen beschließen den "Südraum Leipzig", teils passable, teils witzige Notlügen, erdacht für Autoren, die gefragt werden: "Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte?" Hier der Schluss dieses Gedichts: "Um Himmels willen / Nur wenn ich will / Nur wenn es sein muss / Sonst nie".

WULF SEGEBRECHT

Hans-Ulrich Treichel: "Südraum Leipzig". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 92 S., geb., 14,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2007

Tödliches Wollknäuel
Hans-Ulrich Treichel schafft jede Menge Atmosphäre
Über Hans-Ulrich Treichels Gedichte lässt sich wenig sagen – sie selbst sagen nämlich auch nicht viel. Sie plaudern eher. Plätschern so dahin. Ja, sind so recht von beruhigender Belanglosigkeit, manchmal etwas traurig, manchmal von arg betulicher Ironie. Treichels Gedichte tun keinem was. Sie sind gefällig. Man könnte sich an sie ankuscheln und neben ihnen einschlafen. Die Träume wären süß-verhangen. Vielleicht käme Venedig in ihnen vor, denn Venedig, da war der Dichter, und er fand es durchaus nett.
Der Dichter ist zudem Professor, ein reflektierter Mensch also, bewandert Interpretieren und Bewerten, und darum weiß er durchaus um die Banalität der in seinen Gedichten beschriebenen Begebenheiten. So haftet allem die Eitelkeit des „Ich weiß, das ich nichts weiß” an. Überhaupt könnte man sich darüber ärgern, wie Treichel ständig mit der Schlichtheit seiner Verse kokettiert, hätten diese nicht zugleich einen solch sedierenden Effekt: „Hinter den Sträuchern rauscht/ die Weichsel. Von ihr weiß ich nur/ irgend etwas mit Krieg.”
Ja, Orte werden viele bedichtet in „Südraum Leipzig”, Kreuzberg zum Beispiel, oder die Trattoria Numero Uno, Lankwitz, die Vereinigten Staaten, Warschau, ein „Abend am Müggelsee”, und auch ein Bahn-Gedicht fehlt nicht: „Interregio Berlin-Leipzig”. Diesen Titel hat gewiss schon jeder von Treichels Studenten am Leipziger Literaturinstitut in Erwägung gezogen. Als wäre es die deutsche Übersetzung von „on the road”.
Wie die U-Bahn verglüht
Die Methode von Treichels Gedichten ist ganz einfach, und jeder kann sie lernen: Man schaffe etwas Atmosphäre, am besten beschreibe man die Landschaft mit zwei Worten, setze ein Tier hinein, spiele ein bisschen mit einem philosophischen Gemeinplatz und hänge schließlich ein mehr oder weniger originelles Bild ans Ende, fertig. Das Ganze sollte hin und wieder ein bisschen rhythmisiert sein, hier und da tupfe man ein paar unspektakuläre Reime hin, ansonsten: Zeilenbruch nach Gutdünken. Ins onomatopoetische übersetzt: „bla-bla-bumm”.
Lakonisch kann man Treichels Gedichte nicht nennen, denn ihnen geht jegliche Schärfe ab. Der Dichter, so der Eindruck hat sich ganz gut eingerichtet in seiner Melancholie. Und tatsächlich entstehen manchmal durchaus schöne Bilder. Mit Lyrik haben die allerdings wenig zu tun. In der Prosa, inmitten eines längeren Textes, würde sich etwa die Kreuzberger U-Bahn, die „kurz vor der Oberbaumbrücke verglüht”, ganz gut machen. Am Ende eines Gedichts wirkt das Bild wie eine billige Pointe.
Unangenehm fällt zudem auf, wie Treichel häufig in der vorletzte Zeile noch einen Zeilenbruch macht, allein um ein bisschen Spannung zu erzeugen, den Leser kurz die Luft anhalten zu lassen. So heißt es über die Wachtel, die in einem Pekinger Restaurant ihrem baldigen Verzehr entgegensieht, abschließend: „ein Wollknäuel/ aus Todesangst.”
Genauso wenig wie seine Wachteln, sind Treichels Gedichte gefiedert. Schwerelos ist an ihnen gar nichts. Eher trotten sie dahin und erinnern dabei traurig an das lyrische Alltagsgeschwätz der siebziger Jahre. Sie unterscheiden sich auch nicht von dem, was der Dichter in den achtziger Jahren veröffentlicht hat – denn als Lyriker hatte Treichel einst begonnen. Alles beim alten also, kein Grund zur Beunruhigung, schlafen Sie weiter. TOBIAS LEHMKUHL
Hans-Ulrich Treichel: Südraum Leipzig. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. 92 Seiten, 14,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

" Amüsiert, bewegt und betroffen zeigt sich Rezensentin Susanne Messmer zunächst von diesem Entwicklungsroman, der ihren Informationen zufolge tatsächlich im Wesentlichen in einer Kneipe spielt, die für den vaterlosen Helden des Romans eine Art Ersatzheimat ist, die ihn auf seinem Weg aus den Niederungen in die oberen Etagen der amerikanischen Gesellschaft immer wieder erdet. Doch je weiter sie dann liest, desto ermüdeter zeigt sie sich von der "einsträngigen Erzählweise" des Romans, seinen "abziehbildhaften" Klischees, "allbekannten Trinksprüchen und Tresenweisheiten". Am Ende kehrt sich ihr Lesegefühl völlig um: es ärgert sie, was sie anfangs noch amüsiert und bewegt hat, und sie wünscht, J. R. Moehringer hätte das Genre "Kneipenroman" samt seiner Figuren etwas ernster genommen, als damit nur die Geschichte eines Pulitzer-Preisträgers zu dekorieren, der sich das Trinken abgewöhnt und seiner Läuterung dann einen Bestseller abgewinnt.

© Perlentaucher Medien GmbH"