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"Im Mund des noch jungen Musikers Anton Windl werden überreste einer prähistorischen Anlage entdeckt. Dr. Berg, sein Vertrauensarzt, nimmt sich des Fundes an. Auf Dauer in der Praxis untergebracht, wird Anton zum begehrten Objekt der Forschung und brilliert als vielseitig einsetzbarer Patient. Doch über aller Entdeckungsfreude liegt der Schatten seiner Unfähigkeit, von sich selbst zu erzählen. Was ist sein wahres Alter, welches seine Herkunft und Vorgeschichte? Mit mannigfachen Methoden versucht Dr. Berg, der Erzählschwäche seines Schützlings Herr zu werden. Die Praxis wird zum Schauplatz…mehr

Produktbeschreibung
"Im Mund des noch jungen Musikers Anton Windl werden überreste einer prähistorischen Anlage entdeckt. Dr. Berg, sein Vertrauensarzt, nimmt sich des Fundes an. Auf Dauer in der Praxis untergebracht, wird Anton zum begehrten Objekt der Forschung und brilliert als vielseitig einsetzbarer Patient. Doch über aller Entdeckungsfreude liegt der Schatten seiner Unfähigkeit, von sich selbst zu erzählen. Was ist sein wahres Alter, welches seine Herkunft und Vorgeschichte?
Mit mannigfachen Methoden versucht Dr. Berg, der Erzählschwäche seines Schützlings Herr zu werden. Die Praxis wird zum Schauplatz breit angelegter Studien. Als weltweit einzigartiger Proband überlebt Anton selbst die riskantesten Experimente, bis sein Arzt mit einer mysteriösen Erfindung den Suchprozeß in neue Bahnen lenkt. Nun schweift die Erzähllust des Patienten in unerahnte Weiten aus, er unternimmt Streifzüge durch die Geschichte und Mythologie und zeichnet das Bild einer Existenz, die wild zwischen Begnadung und Schwachsinn, planetarer und mikrobischer Größe hin und her springt.
Doch von welcher Welt erzählt der Patient - von der unsrigen? Ist sein Mund so groß wie ein Planet oder das All so klein wie sein Mund? Die Erkenntnislage bleibt prekär, bis Anton lernt, seinen orchestralen Redefluß zu kanalisieren. Er nimmt Fühlung mit seinem Vorleben auf und beginnt, von der Musik zu erzählen; er beschreibt sich als Ziel eines Meteoriteneinschlags, schildert aberwitzige Therapien und findet immer wieder zu Szenen seiner Kindheit zurück.
Inzwischen ist Dr. Bergs Entschluß gereift, ein Buch über seinen wichtigsten Patienten zu schreiben: Die Spange. Doch was erzählt man über jemand, der kein Leben außerhalb der Praxis hat? Einen Arztroman, worin man selber vorkommt?"
Autorenporträt
Mettler, MichelMichel Mettler, geboren 1966 in Aarau, lebt als freier Autor und Musiker in Klingnau. Im Suhrkamp und im Insel Verlag sind zuletzt erschienen: Jürg Laederach, Depeschen nach Mailland. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Michel Mettler (2009); Der Blick aus dem Bild (2009) und Die Spange (2006).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2006

Mundhöhlengleichnis
Was Zahnärzte so alles finden: Michel Mettler schürft im Rachenraum

Irgendwann kehrt der Täter immer an den Tatort zurück - dieser Satz gilt auch für die Literatur. Sie mag sich ins Getümmel stürzen, Partygespräche mitschreiben, Markenartikel einsammeln oder vergangene Jahrzehnte wiederbeleben: Spätestens dann, wenn das Erzählen die Welt einmal umrundet hat, kehrt es zurück zu seinem Ursprungsort. So paßt es zur zyklischen Logik der Literaturgeschichte, daß Michel Mettler in seinem Debütroman auf 350 Seiten die Mundhöhle erkundet. Wenn die überstrapazierte Sprache der Dinge ihren Reiz verliert, rücken wie von selbst die Sprechwerkzeuge in den Blick.

Als Literaturliteratur, die weltvergessen um den eigenen Bauchnabel kreist, mag man das erstaunliche Erstlingswerk des 1966 geborenen Schweizers trotzdem nicht bezeichnen. Denn der Mundraum ist bei Mettler kein Ort der Abgeschiedenheit, sondern ein ziemlich wilder Tummelplatz der Weltgeschichte. Tatsächlich ist die Grundidee des Buchs ein echter Hammer: Anton Windls Zahnarzt entdeckt im Gaumen seines Patienten die Überreste einer fünftausend Jahre alten Siedlungsanlage in der Form einer Spange. Tief im Zahnfleisch liegen seltene Bambussorten und Birkenrinde vergraben, ja sogar eine "Sehnenzwinge mit Knieholmschaft".

Bald schon belagern Extremalpinisten, Mundarchäologen, Hubschrauberexpeditionen und Regierungsvertreter die Fundstelle im Mund des nur mäßig überraschten Ich-Erzählers. Selbst ein "Konzeptwettbewerb zur Ausleuchtung meiner Mundhöhle" wird ausgeschrieben. Von der lyrischen Einsamkeit, welche Dichter üblicherweise an den Quellen des Sprechens suchen, herrscht hier keine Spur - der Rachen des Protagonisten verwandelt sich vielmehr in eine öffentliche Quasselbude. Als lebender Ötzi mit am Gaumen angebrachtem Kühlaggregat steht Windl in seinem Stehsarg unter ständiger Beobachtung der Fachwelt.

Dieser aberwitzige Plot wirkt fast so, als habe Kafka eine Zahnersatzzusatzversicherung abgeschlossen. Und wirklich rollt Anton Windl den eigenen Fall im nüchternen, fast bürokratischen Stil eines Sachgutachtens auf. Doch es geht hier nicht einfach um einen Bericht für eine Akademie, sondern darum, im empfindlichen Mundgewebe eine Lebensgeschichte freizulegen. Auch wenn sich anfangs der Verdacht regt, die Praxis schwebe in einem literarischen Niemandsland ohne Außenraum: Im Verlauf der ärztlichen Anamnese, die für die Einordnung des Fundes von Bedeutung ist, steht auch die Persönlichkeitsentwicklung des Patienten auf dem Prüfstand.

Allerdings taucht Anton Windls Vorleben nur in Fetzen auf. So erfährt man von einer Vergangenheit als Student der Musikwissenschaft, Barpianist und Partylöwe. Windls altes Ich führte ein düsteres Science-fiction-Nachtleben mit Bässen, Drogen und "soziologischen Gesprächen". Vage ins Umfeld der Schweizer Hausbesetzerszene der Achtziger eingebettet, erinnert dieses von Paranoia geprägte und mit "pausenlosem Zettelbeschreiben" ausgefüllte Dasein eher an Rainald Goetz als an Kafka: "Ich verkörperte das Reizkostüm des europäischen Partymenschen, ignorant, dreitagebärtig und schwitzend, ratlos aus Überzeugung, Wirrkopf von Beruf."

Auch die menschliche Umwelt, die in diesen Erinnerungspassagen auftaucht, trägt die Stempel der Postmoderne äußerst sichtbar auf dem Handrücken - ob der Erzähler einen Freund auf der Tanzfläche als "wandelnde Enzyklopädie der Machtverhältnisse" beschreibt oder einen rätselhaften Begleiter als "Drahtzieher" der "Wirklichkeitsmaschine" einführt. Solche Huldigungen an die gute alte Suhrkamp-Kultur erwecken manchmal den Eindruck, als wolle Mettler die verlorene Zeit des großen Theorieromans noch einmal heraufbeschwören.

Tatsächlich verliert, und hier liegt eine Schwäche in der Komposition, die prähistorische Ansiedlung im Mund des Helden recht bald an Bedeutung und gerät sogar mit der Zeit fast in Vergessenheit. Offenbar diente die Kultstätte nur als Einstieg in ein psychologisches Schliemann-Projekt, das die Foltermethoden der Gerätemedizin mit ihren klickenden Arretierungen ebenso einsetzt wie den sanften Zwang der Redekur mit ihren Hüpfbällen und Orff-Instrumenten. Zwar rückt Mettler immer wieder kursiv gedruckte Abhandlungen über eine altägyptische Mundreligion ein, deren metaphysische Geheimnisse von Hohenpriestern des Spangenbaus gehütet werden. Doch eigentlich dreht sich die Therapie um die Unfähigkeit des Protagonisten, eine zusammenhängende Erzählung auf die Reihe zu bekommen.

Die vom Arzt gestellte Diagnose der "Dysfabulie" beziehungsweise "Afabulie" weist jedenfalls auch auf den Unwillen des wirklichen Autors hin, einfach eine lässige Erzählung vorzulegen. Und nachdem die literarischen Narrationsmaschinen im letzten Jahrzehnt nur so brummten, erscheint es durchaus legitim, den Apparat wieder einmal zu zerlegen - was Windl, der zur Heilung seiner "manifesten Erzählschwäche" in einen hochtechnischen "Narrator" gesteckt wird, buchstäblich in die Tat umsetzt: "Wer noch nie seinen eigenen Narrator auseinandergenommen hat, hat nicht gelebt." Man braucht sich hier nicht ins narratologische Oberseminar versetzt zu fühlen: Mit denselben Worten redet jeder Motorradliebhaber über seine Maschine.

Auf die Vorführung der Instrumente versteht sich Michel Mettler, der in "Die Spange" eine kühle Poesie des Klickens und Einrastens, der "Feinnuten" und "Arretierungen" entfaltet. Ob es um "Bimetallthermometer" oder um "Zickzackhydraulik" geht - die Seelenklempnerei benutzt hier das Wörterbuch des Ingenieurs. Daß die Bastelei an der Erzählmaschine trotzdem ein etwas zwiespältiger Spaß bleibt, liegt daran, daß Mettler nicht immer weiß, was er mit den ausgebreiteten Einzelteilen anfangen soll. Musiktheorie, Disziplinarwissen, Archäologie, Computertheorie: dieser spannend angelegte Roman aus der Arztpraxis hätte ein Ein-Mann-Zauberberg werden können, doch er verliert sich in zu vielen Themengebieten und läßt das Experiment so aus dem Ruder laufen. Gegen Ende häufen sich endlose Gesprächsprotokolle, bei denen die Fragen des Arztes verteufelt an Alexander Kluges Zwischentitel erinnern: "Du weißt nicht, was eine Philippina ist: Dann siehst du Independent-Filme und liest Adorno." Und haarspalterische Grübeleien darüber, ob ein in der Psychomaschine aufgetauchter Schweif "Lichtfontäne oder Lichtkatarakt" ist, verlieren ihren Reiz ebenso schnell wie Wortspiele über "Tonfolgen und Thronfolgen".

Dabei dreht sich die irre Kopfkirmes des Romanhelden, der sogar Tertiärgestein von einem Kometeneinschlag im Schädel zu tragen vermeint, eigentlich um seine als schlimme Demütigung nachvollziehbare Erfahrung, zum neunten Geburtstag eine entstellende Außenspange bekommen zu haben. Die surrealistischen Bilder des Romans handeln also nicht ein weiteres Mal von der Selbstbezüglichkeit des Sprechens. Vielmehr erscheint die Mundhöhle hier selbst unter dem Blick des literarischen Dentisten als Speicher von Lebenserfahrung.

ANDREAS ROSENFELDER

Michel Mettler: "Die Spange". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 351 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Als "erstaunliches Erstlingswerk" feiert Rezensent Andreas Rosenfelder diesen Roman, dessen Grundidee er als "echten Hammer" preist: Ein Zahnarzt entdeckt im Mundraum eines Patienten "Überreste einer fünftausend Jahre alten Siedlung", und zwar in Form einer Zahnspange. Dieser "aberwitzige Plot" wirkt auf den Rezensenten, je weiter er sich entwickelt, immer stärker als hätte "Kafka eine Zahnersatzzusatzversicherung" abgeschlossen. Gelegentlich klingt für den Rezensenten auch der frühe Rainald Goetz mit an. Mitunter scheint der Autor dem Rezensenten allerdings so stark von seinem Plot besessen, das er dessen Stringenz etwas vernachlässigt und ihn erzählerisch in zu viele Richtungen mäandern lässt. Diese kompositorischen Schwächen beeinträchtigen die Begeisterung dann doch empfindlich, da Rosenfelder in der Zahnarztzpraxis des Protagonisten Dr. Berg und seinem Patienten Anton Windl das Potential für einen "Ein-Mann-Zauberberg" sieht und nicht ausgeschöpft findet.

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