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Einen dreiwöchigen Aufenthalt im Paradies - das verspricht das siamesische Dorf, eine Ferienanlage an der Küste Thailands, erholungsbedürftigen Europäern. Die Journalistin Kecki und der Photograph Max sollen über den fernöstlichen Garten Eden berichten, doch statt dessen finden sie sich bald konfrontiert mit höchst befremdlichen Vorkommnissen. Schon Buddha warnte vor dem Begehren als Quelle böser Taten. Der ungeklärte Tod zweier Frauen im Vorjahr wirft einen irritierenden Schatten auf die perfekt inszenierte Touristenidylle. Nichts ist, was es scheint - selbst die zwei Klöster in der Nähe des…mehr

Produktbeschreibung
Einen dreiwöchigen Aufenthalt im Paradies - das verspricht das siamesische Dorf, eine Ferienanlage an der Küste Thailands, erholungsbedürftigen Europäern. Die Journalistin Kecki und der Photograph Max sollen über den fernöstlichen Garten Eden berichten, doch statt dessen finden sie sich bald konfrontiert mit höchst befremdlichen Vorkommnissen.
Schon Buddha warnte vor dem Begehren als Quelle böser Taten. Der ungeklärte Tod zweier Frauen im Vorjahr wirft einen irritierenden Schatten auf die perfekt inszenierte Touristenidylle. Nichts ist, was es scheint - selbst die zwei Klöster in der Nähe des Dorfes sind nicht reine Horte der Erleuchtung, sondern Schauplätze recht unbuddhistischer Machenschaften. Ein zweites Dorf versteckt sich im Dschungel, ganz anders als das der Fremden und doch untrennbar mit diesem verbunden. Den beiden Reportern und Ermittlern wider Willen enthüllt sich hinter den Wundern Asiens mehr und mehr ein bedrohliches Geflecht irdischer Interessen und Begehrlichkeiten. Mit einem ironisch erhellenden Blick auf unsere Gegenwart, unsere Sehnsüchte und Begrenzungen entfaltet Eva Demski souverän und nach allen Regeln des Kriminalromans eine Welt in geheimnisvoller Schwebe, in der der paradiesische Frieden von den Kehrseiten der menschlichen Natur empfindlich gestört wird.

Autorenporträt
Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, 2008 erhielt Eva Demski den Preis der Frankfurter Anthologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Und dann und wann ein blauer Elefant
Buddha bei die Fische: Eva Demski verzettelt sich in Thailand / Von Heinrich Detering

Das Erstaunlichste an diesem Buch ist, daß es so lange gutgeht. Denn es umwirbt ausdauernd ein Genre, mit dem es dann doch lieber nichts zu tun haben will. Eva Demskis neuer Roman ist ein Esoterik-Thriller, der weder dem Thriller traut noch der Esoterik.

Das Unterfangen ist ebenso kokett und strapaziös wie die Heldin selbst, diese alerte, von der midlife crisis geplagte Journalistin, die leider Kecki heißen muß. Zusammen mit dem Fotografen Max, ihrem gelegentlichen Liebhaber, arbeitet sie an einer Reportage über eine thailändische Touristenidylle und über die Siedlung der Einheimischen, die von den Touristen lebt: hier das luxuriöse "Mekka der Geilheit", dort das Elend, und beide sind ohneeinander nicht zu denken. Den beiden Dörfern entsprechen zwei Klöster, das eine ein Hort des sozialen Gewissens, das andere der mit Schaudern und Lust genannte Schauplatz mysteriöser Wunderheilungen. Die Recherchen in diesem buchstäblich "siamesischen Dorf" führen auf die Spuren gespenstischer Mordfälle. Ein Jahr zuvor sind hier zwei Frauen ums Leben gekommen, und sie waren nicht die letzten Opfer eines Komplotts. Wie bei einer makabren Schnitzeljagd tauchen verstümmelte Leichenteile auf, begleitet von kleinen blauen Elefantenfiguren, dem Zeichen der Verschwörer. Ein "Chamäleonmann" gibt sich als Bote dunkler Kapitalinteressen aus; ein bayrischer Tourist wird während eines Ausflugs scheinbar grundlos entführt und kehrt ebenso überraschend als gefolterter Krüppel zurück. Am Ende fällt das Dorf der Armen einem gewaltigen Brandanschlag zum Opfer; auch sonst häufen sich die Todesfälle, und den Helden wird im Laufe dieses turbulenten Geschehens ihre eigene Identität ebenso fragwürdig wie ihr vermeintliches Wissen über Ost und West, über Gott und die Welt. Nicht ohne Grund bekommt es der Fotograf da mit der Angst zu tun, auf seinen Bildern könnten womöglich Dinge auftauchen, die das Auge gar nicht erblickt hat.

Diese Verwirrungen laufen auf eine Initiation in Mysterien hinaus, von denen ungewiß bleibt, wieweit sie dem Seeleninneren entspringen und wieweit einer überirdischen Offenbarung. Europäer, erkennt Max, "sollen sich davor hüten, überall Zeichen zu sehen". Da der Roman sie eben dazu ausdauernd verführt hat, mündet er in seine Selbstaufhebung. Was immer hier auf eine genregemäß knallige Auflösung zuzulaufen scheint, verliert sich am Ende in der Vieldeutigkeit der kulturellen Muster und der uneinholbaren Fremdheit im Reich der Zeichen. Soweit leuchtet auch ein, daß die Kapitel-Motti aus den Reden des Buddha keineswegs ironisch gemeint sind und daß die Lehre des Erhabenen, wonach alles Verderben aus der Begehrlichkeit entstehe, womöglich auch diejenige dieses Romans ist.

Dabei hat der doch ziemlich keß losgelegt, aufgedreht und überkandidelt, ein Brillantfeuerwerk der Selbstironie. Jederzeit kann die Erzählerin Perspektiven, Seiten und Tonlagen wechseln; abwechselnd allwissend und ahnungslos, treibt sie ihr Spiel mit den Lesererwartungen. Und es nützt doch alles nichts. Gewiß, es gibt gegen diesen Roman wenige Bedenken vorzubringen, die er nicht selbst formuliert hätte. Doch erliegt er dem Irrtum, eine Gefahr sei schon dadurch gebannt, daß man sie ausspricht. Spätestens von der Mitte an beginnt deshalb schiefzugehen, was nur schiefgehen kann. Was begonnen hat wie ein nach Thailand umgesiedeltes Fräulein Smilla, sieht am Ende aus wie Siddharta auf Abenteuerurlaub (und dann und wann ein blauer Elefant).

Um überhaupt einen Rest von Zusammenhang zu retten, muß bald immer weniger erzählt und immer aufdringlicher räsoniert werden, in Dialogen, die infolgedessen immer hölzerner und langweiliger sind. Ob es sich um die Verschwörung eines religiösen Geheimbundes handelt, einer ostasiatischen Mafia oder skrupelloser Kapitalisten, ob Kecki überhaupt freiwillig hierhergekommen ist oder dunkle Mächte sich schon in ihre Reiseplanung eingemischt haben: man weiß es nicht, und es ist auch vollkommen gleichgültig. Viel zu viele Fäden sind ausgelegt, als daß sich das Knäuel noch irgendwie plausibel entwirren ließe; und längst hat der Roman den Augenblick verpaßt, in dem er sich zwischen überdrehter Parodie und Ernst hätte entscheiden müssen. Was flapsig war, wird abgeschmackt, und jede neue Albernheit enthüllt nur den Kitsch, den sie überspielen soll. Daß die vermeintliche Starjournalistin mittlerweile bei der "Apothekenrundschau" angekommen ist, mag als Persiflage durchgehen, auch daß es sich bei Mr. Oss, dem ausgewanderten Tourismusmanager, eigentlich um einen verballhornten "Horst" handelt. Selbst die kanadische Zwergin mag man noch hinnehmen, auch den streichholzdünnen Herrn Atropos samt moribunder Geliebter und einen "mutigen kleinen Rumänen", der den Vornamen des verstorbenen Diktators trägt und kindliche Unschuld verkörpert. Aber daß zu alldem ein deutscher Baron namens "Varus Wyandotte-Spielvogel zu Brendelenburg" auftreten muß, daß die ermordete taubstumme Dienerin der schönen Dorfherrin "Kleines Gemüse" heißt und ein abgehalfterter pädophiler Schlagersänger als "Curd Caramel" auftritt: Das ist so krachledern dämlich, daß es noch in der grellen Übertreibung des Klischees das Klischee bedient. Nicht anders die Pointe, daß sich in einem buddhistischen Mönch niemand anderer verbirgt als "Ulf Hagebrecht, das Lämmchenmonster", ein flüchtiger Krimineller und mißverstandener Wohltäter der Armen. Vermutlich soll das alles unerhört grotesk sein. Aber es ergibt doch nur, man muß es leider sagen, einen monströsen Schmarrn.

Vor allem die genierte Relativierung der Heilsbotschaft gerät in ein Handgemenge mit deren faktischem Geltungsanspruch. Ließe dieser Roman seine Helden nur einen mystischen Initiationsweg beschreiten, das Vorhaben wäre vorderhand so unverächtlich wie das Gegenteil. Hier aber soll beides zugleich gelingen, die ironische Abwehr des Wunderbaren und seine feierliche Verkündigung. Das Ergebnis ist ein Kitsch, der sich selber peinlich ist. Nach seinem Initiationsbad im Drachenblut der mystischen Einweihung verliert der sonst so nüchterne Fotograf die Fassung und verlangt, ein Bild dürfe nicht nur den Porträtierten zeigen, sondern auch "alle, die du und ich schon waren. Alle, die wir noch nicht gewesen sind. Und vielleicht die, die wir sein werden."

Mit ebendiesem Prinzip versucht der Roman wenig später selbst Ernst zu machen. Als endlich auch Kecki baden geht, vernimmt sie aus Wasser und Höhle vertraute Stimmen. Da flüstert das Kind, das sie war, da redet die Greisin, die sie einmal sein wird; da erklingt das "wunderbare Lachen ihrer Mutter", und eine unversehens auftauchende Schlange blickt sie gar mit den "graugrünen Augen ihrer Mutter" an. Endlich stellt sich, da wirklich nichts ausgelassen werden darf, auch noch der längst geschlachtete Lieblingsochse vom Bauernhof der Großeltern ein. Wenn sich unterdessen das Wasser des Höhlensees der Reihe nach in "alle Wasser ihres Lebens" verwandelt, dann vereinen sich die Stimmen zum Chor. Seine Botschaft lautet: "Werde!" Als sei das nicht schon übergenug, kommt im Decrescendo der Szene auch noch Rilke hinzu: "Du mußt dein Leben ändern", denkt Kecki ausdrücklich; vorsichtshalber ist der Satz kursiv gedruckt. Die Botschaft wird dem Leser fortan durch Wiederholung eingeprägt. "Lieben. Lernen. Scheitern", lautet sie in der Kurzfassung. Selbst der deutsche Baron sucht (und kein Lektor hat es ihm ausgeredet) "die Leichtigkeit des Seins, ja".

Das siamesische Dorf repräsentiert, man hat es längst verstanden, eine Wirklichkeit, die eins und doppelt ist. Je mehr von Erlösung die Rede ist, desto weniger ist hier zu retten. So zweideutig dies alles anfängt, so eindeutig geht es zu Bruch. Zu den Wundern, die ein Bad im Höhlensee bewirken kann, gehört, daß man danach "nichts Überflüssiges mehr redet". Hätte die Autorin das beherzigt, der Roman wäre zweihundert Seiten kürzer.

Eva Demski: "Das siamesische Dorf". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 382 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2006

Mach, dass sie nicht vom Elefanten fallen
Leider nicht ungestraft unter Palmen: Eva Demski schreibt einen siamesischen Urlaubsroman
Es scheint nicht viel zu sein, wenn man von einem Buch sagt, es sei ein intelligenter Unterhaltungsroman. Dabei sind diese beiden Dinge, Unterhaltung und Intelligenz und gar in Kombination, in der Literatur nicht eben so häufig, dass man es zu loben unterlassen dürfte, wenn es glückt. Ob es glückt, das bleibt zu fragen.
Eva Demskis Buch „Das siamesische Dorf”, Suhrkamps Flaggschiff der Saison, spielt in einem „resort” an der thailändischen Westküste; aber nicht dieses ist das „siamesische Dorf”, sondern das zweite, andere, die Heimstatt der Dienstboten und sonstigen Lieferanten, dem ersten unentbehrlich und doch mit seinen Wellblechhütten und in Pfützen spielenden Kindern vor ihm wie eine Schande verheimlicht. So wird der Zwilling aus Sonnenglück und Schuldgefühl, als der sich der moderne Ferntourismus darstellt, gleich im Titel beim Namen genannt, und man begreift: Dieses Buch soll leicht und schwer zugleich sein; es soll schmecken wie Schweinefleisch süß-sauer beim Stehchinesen.
Das „Andaman Paradise Resort” wird von Mr. Oss gemanagt, eigentlich Horst, aber das können die Einheimischen nicht aussprechen. Er stammt aus Ostwestfalen. „Ostwestfalen, denkt er voll Sehnsucht. Gemäßigt in jeder Beziehung. Fremde sagen dort erstaunt: Ist ja eigentlich ganz schön hier!, als hätten sie das nicht erwartet.” Ostwestfalen, heißt das, hält für den Reisenden etwas bereit, das ihm das tropische Paradies verweigert: eine Überraschung nämlich. Mr. Oss weiß genau, was die Touristen, die glauben, dem Exotischen auf der Spur zu sein, in Wahrheit haben wollen. Sie lieben es, wenn ihr Cocktail mit einer Orchidee verziert ist; diese jedoch muss auf einem Zahnstocher stecken und darf mit dem Getränk keinesfalls in Berührung kommen, denn alles Farbenfrohe weckt den Verdacht, es wäre auch giftig, und da geht der Zauber der Fremde rasch flöten. Sooft eine neue Jetladung aus Deutschland eintrifft, richtet Mr. Oss sein Stoßgebet an einen unbekannten Gott: „Mach, dass kein Infarkt passiert. Kein Tauchunfall, kein Ärger im Bordell, während die Gattin am Strand liegt und einen Krimi liest. Und bitte mach, dass sie freundlich zu Hunden und Zimmermädchen sind und nicht vom Elefanten fallen.”
Damit sind die Konturen der möglichen touristischen Erfahrung umrissen. Selbst wo sie zwiespältig wird und sich selbst reflektiert - diese Leute sind ja keineswegs dumm -, bleibt sie doch auf genau einundzwanzig Tage befristet, dann geht der Flieger wieder heimwärts. Das fremde Land als Bürde, als Rätsel, die unterwürfig-passive und doch feindselige Haltung der Eingeborenen; die Klassen-Verzerrung, wenn jeder weiße Kleinbürger, ob er will oder nicht, sich zum Sahib erhöht findet; der Hochmut, die Angst und die erzwungene, falsche Nähe der Herren-Gemeinde unter sich, mit einem Wort der Schatten im Herzen des bunten Lichts: All dies, was der britischen Literatur, der Literatur einer großen Kolonialmacht, so bedeutsam trauervolle Werke beschert hat, kehrt hier im notwendig verdünnten Aufguss wieder, vergleichbar dem mit Fanta gestreckten Whiskey der Marke Mekong, den die Touristen am Pool schlürfen.
Der falsche Ehrgeiz
Einem Roman, der von deutschen Urlaubern im fernen Süden handelt, bleibt nichts anderes übrig, als es mit dieser Seichtheit aufzunehmen. Eva Demski hat sich entschieden, die Seichtheit nicht als den Stoff des Buchs zu behandeln, sondern als dessen formales Problem, als etwas, worüber sie um jeden Preis hinausgelangen will. Das ist der falsche Ehrgeiz; das Buch erreicht nicht, was es haben möchte, und beschädigt dabei schwer, was es sonst durchaus hat, seinen Unterhaltungswert. Jetzt wird es ernst, und das kann hier nur heißen: hanebüchen. Noch während die lange Exposition auf amüsante Weise die Figuren einführt und die Liegestühle richtet, ahnt man, was sich anbahnt: Denn als Helden des Buchs treten auf die Reporterin Albertine Aulich, genannt „Kecki”, knapp fünfzigjährig und „investigativ bis in die Arschfalte”, und ihr Begleiter, der Fotograf Max. Die einstige Liebe zwischen Kecki und Max ist längst abgekühlt, Kecki würde um keinen Preis mehr mit irgendeinem Lebewesen das Schlafzimmer teilen, nicht einmal mit ihrer Mutter (höchstens einem Hund). Als Team aber funktionieren Max und Kecki, in sehr intimer Entfremdung, prächtig.
Es kommt, wie es kommen muss, die beiden nehmen die Fährte einer kriminellen Verschwörung auf, eines Netzes mit ungeheuer weit gespannten, von der Autorin jedoch recht lässig gehäkelten Maschen. Darin haben Platz: die chinesische Triade vom Blauen Elefanten; skrupellose europäische Immobilienmakler; ein Gastwirt aus dem Bayerischen Wald, der sich in seinem Hotel daheim die Finger mit thailändischem Kindersex schmutzig gemacht hat und nun irgendwie Buße tun will; eine Rebellenarmee, die ihn vom Elefantenrücken weg entführt (ach, es fällt doch immer einer herunter!); zwei geheimnisvolle Klöster, eins, das in einem Höhlensee Krebs heilt, und eins, das sich als Asyl für aidskranke Kinder entpuppt; und zum Schluss eine gigantische Brandstiftung, die das zweite, das heimliche und eigentliche Dorf, bewohnt von störenden Einheimischen, in Schutt und Asche legt. Auf nichts Geringeres ist es abgesehen als, frevelhafterweise, die touristische Erschließung des ganzen Küstenstrichs! (Der Tsunami, der speziell diesen Abschnitt verheert hat, ist auf den Seiten von Demskis Buch noch nicht angekommen.) Dies erachtet der Tourist ja immer als das Empörendste: wenn er seinesgleichen, die „Ferkelmenschen”, sehen und riechen muss. Dass der Gestank, der ihm überall in die Nase steigt, von seiner eigenen Oberlippe herrühren könnte, fällt ihm nicht ein; und so flieht er, stets vergebens, an immer neue Orte, wo er selbst nicht wäre.
Schau, der Gigolo!
Der Plot ist wirklich zu dumm. Aber einen Plot braucht es, denn ohne seinen Vorwand ließe sich ein Roman von fast vierhundert Seiten nicht durchhalten. Ganz die Regie übernimmt er zum Glück erst gegen das Ende des Buchs, das, je mehr passiert, desto traniger wird. Bis dahin aber hat es Raum für schöne Vignetten: Für die sterbende Charlottenburger Witwe mit „Knefstimme”, bis zum Skelett abgemagert aber zäh, die mit ihrem erbschleichenden Gigolo, den sie durchschaut und von dem sie doch nicht lassen mag, anreist und Wunderheilung im Höhlensee erhofft; für den abgehalfterten Elvis-Imitator Curd Caramel, einen fetten Päderasten, ehe er Korsett und Perücke anlegt, dem an diesem unwahrscheinlichen Ort der Auftritt seines Lebens gelingt - und alle, die rosagebrutzelten Riesen aus dem Norden und die kleinen thailändischen Kellner, sind bei „Are you lonesome tonight” auf einmal zu Tränen gerührt; nicht zu vergessen die einheimischen Arbeiterinnen, die kichern, wenn sie für die ausländische Kundschaft Büstenhalter „Russian size” zusammennähen. Das lässt sich, so stelle ich mir vor, sehr gut unter den Palmen lesen, von denen es handelt. BURKHARD MÜLLER
EVA DEMSKI: Das siamesische Dorf. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 382 Seiten, 19,80 Euro.
Klassenverzerrung: Im Thailand-Urlaub wird jeder weiße Kleinbürger zum Herrn.
Foto: Sabine Lubenow/Look
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ein böser Verriss! Was hat bloß den ehrwürdigen Suhrkamp Verlag geritten, fragt Kristina Maidt-Zinke, dieses Buch als Spitzentitel der Frühjahrsproduktion erscheinen zu lassen und "in dessen Programmtradition es, mit Verlaub, hineinpasst wie ein Kondomautomat in einen Klosterhof". Finanznöte? Den Erfolg bezweifelt Maidt-Zinke, denn das Buch tauge höchstens als Unterhaltungslektüre für einen Flug nach Bangkok. Nun spielt das Buch in Thailand, Protagonistin ist eine etwas ältere Reisejournalistin, die sich als Amateurdetektivin nützlich macht und sich nicht vor den Karren von Tourismusbranche und Pharmakonzernen spannen lässt. Jede Menge "klischeehaft überzogener Porträts" macht die Rezensentin aus, eine kriminalistische Konstruktion, die an die gute alte Agatha Christie erinnert, wohl allerdings nicht mehr ganz die zeitgemäße Form ist, wohingegen das jedem Kapitel vorangestellte Buddha-Zitat durchaus dem heutigen Zeitgeist entspricht. Statt nach Thailand würde sie doch lieber auf Hundeschlittentour nach Lappland gehen, bekundet die Rezensentin und vermutet dort keinen solchen Sündenpfuhl wie im "siamesischen Dorf". Und wohl auch keine Suhrkamp-Lektoren.

© Perlentaucher Medien GmbH