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Zwanzig Jahre hat der in Somalia geborene Jeebleh in New York im Exil gelebt - jetzt, nach dem Tod seiner Mutter, kehrt er erstmals in seine Heimat zurück. Er möchte die Schulden seiner Mutter begleichen, ihr Grab besuchen und "Frieden mit ihrem Geist schließen". Was er bei seiner Ankunft in Mogadischu vorfindet, ist eine vom Bürgerkrieg zerrüttete und korrumpierte Stadt. Kaum hat er seinen ehemals besten Freund Bile wiedergetroffen, erfährt er, dass dessen kleine Nichte entführt wurde - vermutlich von Biles Halbbruder, der schon immer als grausam und gewalttätig galt und inzwischen einer der…mehr

Produktbeschreibung
Zwanzig Jahre hat der in Somalia geborene Jeebleh in New York im Exil gelebt - jetzt, nach dem Tod seiner Mutter, kehrt er erstmals in seine Heimat zurück. Er möchte die Schulden seiner Mutter begleichen, ihr Grab besuchen und "Frieden mit ihrem Geist schließen". Was er bei seiner Ankunft in Mogadischu vorfindet, ist eine vom Bürgerkrieg zerrüttete und korrumpierte Stadt. Kaum hat er seinen ehemals besten Freund Bile wiedergetroffen, erfährt er, dass dessen kleine Nichte entführt wurde - vermutlich von Biles Halbbruder, der schon immer als grausam und gewalttätig galt und inzwischen einer der führenden Kriegsherren der Stadt ist. Jeebleh ist entschlossen, seinem Freund zu helfen. Er will das Mädchen finden, gegen die Korruption kämpfen, Gerechtigkeit herstellen. Doch schon bald stellt er fest, dass er die Welt, in der er sich nun bewegt, nicht mehr versteht. Sie hat sich verändert - genau wie er selbst. Und auch in den Augen seiner Freunde und seiner Familie ist Jeebleh nicht mehr "einer von ihnen".

Mit "Links" legt Nuruddin Farah, der weltweit als einer der größten und einflussreichsten Gegenwartsautoren Afrikas gilt, den eindrucksvollen Roman eines Exilanten vor, der in seine Heimat zurückkehrt und sich überall im Zwiespalt sieht - zwischen den Kulturen, Sprachen, Religionen. Ein Zwiespalt, der nicht weniger als die Zerrissenheit eines ganzen Landes spiegelt.
Autorenporträt
Farah, Nuruddin
Nuruddin Farah wurde am 24. November 1945 im südsomalischen Baidoa geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller Afrikas und veröffentlichte unter anderem einen Romanzyklus über seine somalische Heimat, den er mit seinem 2013 erschienenen Roman Gekapert abschloss. Heute lebt Farah in Kapstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2005

Im Vorhof der Hölle
Ein neuer Roman des somalischen Schriftstellers Nuruddin Farah

Die abgemagerten Rinder in den Straßen von Mogadischu würgen an Plastiktüten, die in Krisenregionen vor allem als Behälter für Trinkwasser dienen. Nicht selten drohen die Tiere daran zu ersticken. Die Tüten, die halb zerfetzt vom heißen Wind durch die verwüsteten Straßen der einst kosmopolitischen Metropole am Horn von Afrika gefegt werden, sind nur eine Plage von vielen. Sie stammen vermutlich aus Hilfslieferungen westlicher Organisationen. Was mit den leeren Tüten geschieht, wenn keine Müllabfuhr funktioniert, hat im fernen Europa und Amerika niemand bedacht. Mogadischu in den neunziger Jahren: ein Unort, ein Vorhof der Hölle, eine Wüstung, die verläßt, wer sie verlassen kann, die den Geflüchteten jedoch niemals verlassen wird, wo immer das Exil ihn hintreibt.

Blutsbande, Familienbande, Bande der Erinnerung - in seinem jüngsten Roman "Links" kehrt der heute vor sechzig Jahren im somalischen Baidao geborene Nuruddin Farah wie in all seinen Romanen in jenes Land zurück, das er 1974 mit einem Stipendium der Unesco verlassen hatte und in dem er wenig später vom Diktator Siyad Barre in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Mehr als zwei Dutzend Wohnorte finden sich seitdem in Farahs Biographie - darunter London, Rom, Bayreuth, Berlin, Los Angeles und immer wieder Afrika: Khartum, Kampala, Jos in Nigeria. Heute pendelt Farah zwischen den Vereinigten Staaten, Europa und Kapstadt, wo er seit einigen Jahren mit seiner Familie lebt.

Seit dem Erscheinen seines ersten Romans "Aus einer gekrümmten Rippe" 1970 (deutsch 1984) über das Schicksal einer selbstbewußten Nomadin im Krieg um die Ogaden-Provinz sind auf deutsch acht weitere Romane und ein Reportageband erschienen. Mit seiner Familiensaga "Geheimnisse" (deutsch 2000) gelang dem Sohn eines Dolmetschers der britischen Kolonialverwaltung, der sein erstes Geld mit dem Vorlesen und Schreiben von Briefen für seine analphabetischen Nachbarn verdiente, der internationale Durchbruch. Die Liste der Auszeichnungen ist lang, und seit Jahren taucht sein Name immer wieder unter denen der Kandidaten für den Literaturnobelpreis auf.

Farah ist nicht nur ein politischer Schriftsteller, für sein Engagement geehrt mit dem Kurt-Tucholsky-Preis des schwedischen PEN-Clubs. Er ist ebenso ein politischer Aktivist, der gegen die Anwesenheit von Apartheidbefürwortern auf der Frankfurter Buchmesse protestierte oder sich kurzerhand Demonstrationen gegen den Abriß der Altstadt in Amsterdam anschloß. Anfang der neunziger Jahre reiste er in einer Friedensmission nach Ostafrika, um die verfeindeten somalischen Bürgerkriegsparteien an einen Tisch zu bringen.

Wie kaum ein anderer afrikanischer Autor hat Farah eine literarische Anamnese der Konflikte eines bestimmten Landes erstellt, in seinem Fall Somalia, das stellvertretend für so manches schwarzafrikanische Land stehen dürfte. Danach sind überkommene Traditionen der Clangesellschaft - die sich vor allem in patriarchalischen Machtstrukturen, sexuellen Tabus und traditionellen Ritualen wie dem der weiblichen Beschneidung sowie einer massiven sozialen und juristischen Ungleichheit der Geschlechter in der Gesellschaft manifestieren - eine Bluthochzeit eingegangen mit hegemonialen Gelüsten der Großmächte während des Kalten Krieges. Als das mal mit westlichen Geldern, mal von den Sowjets gestützte staatliche Korsett aus Kerkern, Karabinern und Korruption nach dem Ende des Kalten Krieges in sich zusammenfiel, wurde das ganze Elend hinter den Kulissen der Potemkinschen Dörfer afrikanischer Diktatoren sichtbar: nicht viel mehr als von Machtintrigen zerschlissene Clanbande in einer Gesellschaft, die längst keine Gemeinschaft mehr war und deren Mitglieder ums nackte Überleben kämpften.

Jeebleh, der Protagonist seines neuen Romans "Links", vergleicht Somalia mit einem Schiff, das ohne die Hand eines Kapitäns in einen Sturm geraten ist. Ähnlich Farah selbst kehrt er, der in New York Literatur lehrt, Mitte der neunziger Jahre erstmals nach zwei Jahrzehnten wieder für einen Besuch nach Somalia zurück. In Queens hat er seine amerikanische Frau und zwei Töchter zurückgelassen. Bei seiner Ankunft auf dem provisorischen Flughafen von Mogadischu bekommt Jeebleh einen Vorgeschmack auf das, was ihn erwartet. Jugendliche Marodeure ermorden vor den Augen der Ankommenden ein Kind, dessen Leiche sofort abtransportiert wird. Wo von den Lebenden nichts mehr zu holen ist, beraubt man die Toten. Längst blühe in Mogadischu, so wird gemunkelt, der Handel mit menschlichen Organen, die über das Nachbarland Kenia in den Westen verkauft werden. Offiziell möchte Jeebleh das Grab seiner Mutter besuchen. In Wahrheit will er vor allem seinen alten Freund Bile treffen, der als Dissident jahrelang in den Kerkern Siyad Barres gequält wurde und nun als Arzt ein Asyl in Mogadischu leitet. Die Gelder hierfür vermittelt ein anderer Studienfreund, ein Ire, der seinem Trauma, dem Verlust seiner Familie während des Bürgerkrieges in Nordirland, im Elend Mogadischus zu entfliehen sucht. Die drei Männer haben in den sechziger Jahren gemeinsam in Italien studiert, der Exilant, der Dissident, der Altachtundsechziger, der heute statt des Klassenkampfs die humanitäre Hilfe organisiert.

Über Biles mit Schlössern und Eisengittern gesichertem Haus liegt ein düsterer Schleier. Seine Nichte wurde zusammen mit ihrer kleinen Freundin entführt. Bisher fehlt jede Spur. Das Mädchen galt den Menschen in der elenden Stadt als Symbol der Hoffnung. Wie eine Heilige wurde sie verehrt, man sprach ihr schützende Kräfte zu. Bile selbst hatte seine Schwester mitten in den Schießereien des Krieges von dem Kind entbunden. Was für die einen ein Tabubruch ist, eine unschickliche Berührung zwischen den Geschwistern, die vor allem die Frau entehrt, gilt den anderen als Wunder des Überlebens.

Immer stärker wird der anfangs distanzierte Besucher aus New York in den Strudel der Familienfehden und Gewaltorgien hineingezogen. Weil Jeebleh den Clanältesten finanzielle Unterstützung, die vermutlich in Waffen investiert würde, verweigert, muß er mit Vergeltung rechnen. Immer wieder wird er von zwielichtigen Gestalten in Fallen gelockt, nur knapp entkommt er einem Mordanschlag. Der längst im Westen Sozialisierte mißachtet auf Schritt und Tritt die ungeschriebenen Normen der somalischen Gesellschaft. Er streichelt und beschützt eine trächtige Hündin vor einer keifenden Menge - doch wo man mit Menschen kein Mitleid hat, werden Gefühle für Tiere erst recht verachtet.

Am Ende beschließt Jeebleh, Biles Nichte zu suchen und den mutmaßlichen Entführer, Biles Halbbruder Caloosha, zu beseitigen. Die drei waren gemeinsam aufgewachsen, Jeeblehs Mutter hatte sich um Bile und seine Geschwister gekümmert, wenn deren Mutter ihrem Beruf als Hebamme nachging - zwei Frauen, die einer Männerwelt trotzten. Caloosha, schon als Kind ein Monster, diente dem Diktator später als williger Scherge. Mit seiner Hilfe kam Jeebleh für kurze Zeit und Bile für ein halbes Leben hinter Gitter. Nach dem Sturz der Diktatur avancierte Caloosha zu einem der gefürchteten Warlords Mogadischus. Doch kann man Gewalt mit Gewalt rächen? Der Baum der Freiheit müsse hin und wieder mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen gewässert werden, so rechtfertigt sich der Neuamerikaner mit Thomas Jefferson.

Das Finale, die triumphale Rückkehr der beiden Mädchen ins Asyl, das zu einem Ort des zivilgesellschaftlichen Ungehorsams wird, indem es für Menschen aller Clans einen Ruhepol, eine Atempause vom Elend und Morden bieten möchte, droht jedoch von seiner symbolischen Überladung fast erdrückt zu werden. Die überzeugenden Passagen des Romans sind eher jene, in denen die Banalität des Bösen, die Verkrüppelung der menschlichen Seelen im Krieg dokumentiert werden. Während der amerikanischen Intervention wurde ein Kind vom Propeller eines Hubschraubers erfaßt und minutenlang durch die Luft geschleudert; die Mutter erzählt, wie sie sich in ihrer Angst die Kleider vom Leibe riß. Die amerikanischen Ranger reagierten mit höhnischem Gelächter. Es sind diese vermeintlichen Kollateralschäden, die, wenn überhaupt, nur für Minuten über unsere Bildschirme flimmern. Ihnen gibt Farah einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte. "Links" zeigt die Entzivilisierung und Entsolidarisierung einer Gesellschaft, eine Apokalypse, in der Menschen jede Scham verlieren und abstumpfen gegenüber dem Leid und dem Tod.

Die Frage, was bleibt, wenn der Staat verschwindet und die religiösen Gemeinschaften ebenso versagen wie die familiären und zwischenmenschlichen Bande, ist hingegen nicht nur eine afrikanische. Welche Werte halten uns zusammen? Welche Normen gelten jenseits der Justiz? Die westliche Intervention, ob militärischer, humanitärer oder politischer Natur, das macht Farah deutlich, wird Afrika nicht retten. Westliche Beobachter und Hilfsorganisationen, so muß Jeebleh erfahren, zahlen notgedrungen für ihren Begleitschutz an die Banden der Warlords und nähren so die Krake, die sie bekämpfen wollen.

Nuruddin Farahs Vision, so utopisch sie am Ende von "Links" erscheinen mag, ist frei von Romantik. Sie ist die eher bittere Lebensbilanz eines politischen Weltbürgers und Grenzgängers zwischen Kulturen und Kontinenten. Vor fünf Jahren sagte er in einem Interview: "Ich möchte meine europäischen Freunde gern daran erinnern: Ihr habt einen Dreißigjährigen Krieg gehabt, eure Demokratie ist vor langer Zeit entstanden. Demokratie wird nicht wie ein Ei von einer Henne ausgebrütet, Demokratie verlangt, daß jedes Individuum für sie kämpft. Nichts gibt es umsonst."

SABINE BERKING.

Nuruddin Farah: "Links". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von A. Tanner. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 362 S., geb., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2005

Lieber töten, als dasitzen und abwarten
Wenn man nur noch den Blutsverwandten trauen kann: Nurrudin Farahs Somalia-Roman „Links”
Was für eine Literatur entsteht aus einer Wirklichkeit, in der im Innenhof eines heruntergekommenen Vier-Sterne-Hotels die Aasgeier lauern, einer von ihnen so groß wie ein Fiat 500? Wie ist das Verhältnis von Politik und Ästhetik in einem Land, in dem ein ehemaliger UNO-Beamter einen kostenlosen Leichenentsorgungsservice eingerichtet hat, weil er die Organe der toten Körper teuer verkaufen kann? Was für Moralvorstellungen vermittelt ein Roman, der von einer Gesellschaft erzählt, in der niemand einen Mörder verfolgt, weil der Umgebrachte selber ein Mörder war?
In dieser Welt sinniert Jeebleh, der Ich-Erzähler von Nuruddin Farahs neuem Roman „Links”, ein aus den USA nach Mogadischu heimgekehrter Universitätsprofessor: „Was also wollte er lieber sein, einer, der um der Gerechtigkeit willen tötet, oder jemand, der hilflos zusieht, unfähig etwas zu tun?” Und er gibt sich die Antwort gleich selbst: „Er wollte lieber töten, als dasitzen und abwarten, dass andere den Job erledigten.”
Diese Aussage eines Sympathieträgers des Romans setzt westliche Humanitätsvorstellungen einem afrikanischen Bewährungstest aus. Schon früh hat sich Nuruddin Farah, 1945 im südsomalischen Baidoa geboren, als Provokateur der Selbstgefälligen einen Namen gemacht. Der Sohn eines Dolmetschers des britischen Gouverneurs veröffentlichte 1970 seinen ersten Roman „Aus einer gekrümmten Rippe” und ging mit der Geschichte der jungen Ebla, die sich nicht zwecks Heirat verschachern lässt, als Verfasser des ersten feministischen afrikanischen Romans in die Geschichte ein. Danach näherte sich Farah Joyce an. „Wie eine nackte Nadel” folgt dem Muster „ein Tag im Leben eines durchschnittlichen Mannes”. Vor allem die formale Anlage ist dem „Ulysses” verwandt. In den musikalischen Sätzen einer Symphonie führt Koschin, Farahs Leopold Bloom, seine amerikanische Freundin Nancy durch Mogadischu. Woraus ein Großstadtporträt entsteht, eine verrückte Fahrt durch eine chaotische Welt, in der Politik im engeren Sinn kaum eine Rolle spielt. Koschin hält die gerade installierte Regierung immerhin für die „vernünftigste, die Somalia je hatte.”
Mühen und Enttäuschungen
Zwischen Koschin und Jeebleh aus dem aktuellen Roman „Links” liegen drei Jahrzehnte, doch nicht selten wirkt „Links” wie eine Umkehrung und Vertiefung der damaligen Auseinandersetzung Farahs mit seinem Heimatland. War in „Naked Needle” die unterschiedliche kulturelle Herkunft von Liebespaaren ein Problem, und Koschin der hartnäckigen Meinung, „lieber ein Jahrhundert mit Mühen und Enttäuschungen hier in diesem Land als ein langer, glücklicher Tag irgendwo anders”, ist Jeebleh in Amerika glücklich verheiratet und angestellt, aber die einst gepriesene Heimat verfolgt ihn bis in seine Gefühle hinein. Jeebleh will sich nach Jahren über die Todesumstände seiner Mutter informieren, ihr einen Grabstein setzen und auch das Verhältnis zu Bile, einem Halbbruder und Studienkollegen, klären. Beide sind sie vor zwanzig Jahren verhaftet worden, und nur Jeebleh hat man nach kurzer Zeit freigelassen. Wahrscheinlich auf Befehl von Caloosha, dem Dritten im Bund, einem Bruder Biles, der damals wie heute zynisch den Mächtigen dient.
Die Bedeutung von und Gefährdung durch verwandtschaftliche Beziehungen bestimmt den ganzen Roman. Farahs neues Buch heißt nicht zufällig schon im englischen Original „Links”. Gemeint sind die Clanzusammenhänge, die in der unsicheren politischen Lage des nach dem Bürgerkrieg zerstörten und verarmten Landes so wichtig geworden sind. Man kann niemandem mehr vertrauen, mit dem man nicht durch das Blut verbunden ist. Zugleich hat das Wort „Bürgerkrieg” im Somalischen die Bedeutung „Konflikt mit einem Nahestehenden” und ist nur ein anderes Wort für Bruderkrieg. Das heißt: Man hat sich auch vor Verwandten in Acht zu nehmen. Das gilt besonders für die Halbbrüder Caloosha und Jeebleh, der auch deswegen zurückgekommen ist, weil er Caloosha beseitigen möchte, denn er hält ihn für hunderte Leichen verantwortlich, vielleicht auch für den Tod der eigenen Mutter.
Attacke auf den Fatalismus
Thematisch ist „Links” im Vergleich zu früheren Büchern Farahs noch radikaler, es treibt die ästhetisch-moralischen Fragen, denen sich Jeebleh und andere Figuren stellen müssen, auf die Spitze. Beibehalten hat Farah seine ebenso souveräne wie phantasievoll-direkte Sprache bei Stadt-Schilderungen oder Mythen-Erzählungen. Daneben gibt es jedoch auch diesmal Dialoge, die wie Lastesel der Belehrung daherhumpeln.
Doch inwieweit ist diese Kritik berechtigt? Hat Literatur in unfreien Gesellschaften nicht auch eine Informations-Funktion? Kann die literarische Ästhetik vor dem Hintergrund einer anderen Wirklichkeit die gleiche bleiben? Farah interpretiert und attackiert eine Welt, die ansonsten fatalistisch hingenommen wird, und fühlt sich daher zur Deutlichkeit aufgerufen. Sei es in der Steigerung der grotesken Verhältnisse mittels mehr oder weniger magischem Realismus oder in offener Thematisierung und Kritik.
Die „magische” Möglichkeit allein ist für abendländische Leser so bequem wie exotisch, die rein politische eintönig. Farah versucht sich immer wieder in der Verbindung beider Varianten. In „Links” gelingt ihm das am überzeugendsten in Jeeblehs Gesprächen mit Af-Laawe, jenem schillernden Ex-Uno-Mann, der den Heimkehrer am Flughafen mit seinem Leichenwagen abholt. Af-Laawe ist literarisch gesehen der beste Lehrmeister Jeeblehs, denn alle Aussagen des großen, schlanken Mannes mit dem sympathischen Vogelgesicht sind doppel- bis mehrdeutig. Ist auch er ein Mörder? Die Frage nach der Wirklichkeit wird immer wieder deutlich gestellt, die Antwort bleibt lange versteckt.
HANS-PETER KUNISCH
NURUDDIN FARAH: Links. Roman. Aus dem Englischen von A. Tanner. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 364 Seiten, 24,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Schwarzweißmalerei wirft Angela Schader Nuruddin Farah vor " und die betreibe er in seinem neuen Roman "Links" nicht einmal auf hohem Niveau, trotz aller Dante-Anspielungen. Die Enttäuschung der Rezensentin ist aus jedem Halbsatz noch herauszuhören. Dabei konstatiert sie durchaus "ein großes thematisches und literarisches Potenzial", immerhin gehört Farah zum Kreis der Anwärter auf den Nobelpreis. Aus dieser Liga dürfte er sich mit seinem neuen Werk, das eine in "Blutsbanden verhedderte" Familiengeschichte aus Somalia erzählt, jedoch eher herausschreiben, unkt Schader. Im zweiten Teil des Romans verlaufen alle Ansätze einer Story endgültig im Sande. Farah hätte nach Ansicht der Rezensentin doch lieber einen Essay oder eine Reportage verfassen sollen. Denn "einprägsame Momente" aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen somalischen Alltag finden sich in dem Buch. Am Ende traut Schader dem Autor nicht einmal mehr zu, dass die "triefende Ironie" des Schlusses mit seiner "so billigen wie fragwürdigen Moral" wirklich beabsichtigt war.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ohne sich in kruder Realistik zu erschöpfen, gibt das Buch ein lebendiges Bild der somalischen Wirklichkeit. Es zeugt in der formalen Stilisierung von außerordentlicher literarischer Ambitioniertheit. [Aufgrund] des modernen Erzählstils mit ethnografischen Elementen wie Sprichwörtern und Märchen und der bildhaften Sprache gewinnt der Roman zudem eine eigene Note.« Der Bund