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Liebe Sonja«, schreibt David in diesen aufklärerischen und verzweifelten Briefen an eine angebetete Mitschülerin von einst, »zurückzuschauen ist nicht immer die beste Idee: Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war. Und Lots Frau sah hinter sich und ward zur Salzsäule.« Dennoch hält er Rückschau: Damals, in den »klebrigen siebziger Jahren«, wollte Sonja wissen, was ihn an Heavy Metal, an Zombie- und Pornofilmen und Horrorcomics denn…mehr

Produktbeschreibung
Liebe Sonja«, schreibt David in diesen aufklärerischen und verzweifelten Briefen an eine angebetete Mitschülerin von einst, »zurückzuschauen ist nicht immer die beste Idee: Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war. Und Lots Frau sah hinter sich und ward zur Salzsäule.«
Dennoch hält er Rückschau: Damals, in den »klebrigen siebziger Jahren«, wollte Sonja wissen, was ihn an Heavy Metal, an Zombie- und Pornofilmen und Horrorcomics denn fasziniere. Jetzt, in den Briefen, holt er aus, zitiert Gräßliches und definiert theoretisch: Drastik, das ist »die kulturindustrielle Form, die das Selbstwunsch- und -angstbild von modernen Menschen annimmt, wenn die sozialen Versprechen der Moderne nicht eingelöst werden ...« Doch angetrieben wird seine Erklärung von der eigenen Geschichte: einem kaputten Elternhaus, der Sonjafixierung, Drogenerfahrungen, einem Zusammenbruch.
Nein, die Liebe zur Drastik ist kein Spiel, sagt der Briefschreiber, und die zu Sonja, der er Drastik und Deutlichkeit erklären möchte, erst recht nicht. Wie gehören beide zusammen? Dietmar Daths waghalsiger Romanessay gräbt in der Geschichte einer Jugend nach Antwort.
Autorenporträt
Dath, DietmarDietmar Dath, 1970 geboren, ist Autor und Übersetzer. Er war Chefredakteur der Zeitschrift Spex und von 2001 bis 2007 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit September 2011 ist er dort Filmkritiker. Dietmar Dath veröffentlichte fünfzehn Romane, außerdem Bücher und Essays zu wissenschaftlichen, ästhetischen und politischen Themen, darunter die Streitschrift Maschinenwinter (2008) und die BasisBiographie Rosa Luxemburg (2010). Jüngst ist Dietmar Dath auch als Dramatiker und Lyriker in Erscheinung getreten. Er lebt in Freiburg und Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2005

DIETMAR DATH, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat eine Liebesgeschichte geschrieben, die vom Drastischen und Deutlichen handelt. Es geht um Angst, Pornographie, Drogen, Meinungsfreiheit, Vernunft, Nachrichten, schwarzen Humor, Sozialismus, Eitelkeit und Glück. Während der Erzähler einer Frau, die er seit zwei Jahrzehnten nicht vergessen kann und mit der ihn eine erst allmählich freigelegte bittere Geschichte verbindet, in vierzehn Briefen eine Ästhetik des Abscheulichen, Aufreizenden und Verstörenden entwickelt, zwingt ihn die Form der direkten Anrede immer mehr dazu, sich ihr auch selbst zu erklären - mit überraschenden Ergebnissen: "Immer habe ich die Narben gesucht, zum Küssen, um mich zu entschuldigen, was weiß ich, es war albern. Jedesmal, wenn ich mich zu jemandem sagen hörte: Ich liebe dich, hat sich in meinem Kopf ein gutinformierter Irrer ordentlich kaputtgelacht: Na, dann lieb mal schön." (Dietmar Dath: "Die salzweißen Augen". Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit. Romanessay. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 216 S., geb., 19,80 [Euro].)

F.A.Z.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2005

Der Hardcore-Feuilletonist
Schlitzer, Spritzer, Menschenfresser: Dietmar Daths „Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit”
Beängstigend produktiv ist Dietmar Dath in den vergangenen Jahren gewesen, hat in dichter Frequenz Bücher über Mathematik und Computer, Prosatexte und dickleibige Romane veröffentlicht, die kein Thema ausließen, vor allem nicht „Pädophilie, Hillary Clinton, Wölfe, Molelulargenetik, die Nato, die Schulden der Dritten Welt, süddeutsche Provinznester, Schnee, Nazis, Islamismus, Ehebruch, Videokunst, Poststrukturalismus”, um Daths Aufzählung der Sujets seines Opus magnum „Für immer in Honig”(2005) an dieser Stelle abzubrechen.
Daneben oder in der Hauptsache hat sich Dath auch noch seinem Brotberuf als Journalist gewidmet. Zwei Jahre lang war er Chefredakteur von Spex, jetzt schreibt er in der Frankfurter Allgemeinen über Themen wie die oben genannten und einiges mehr. Wer aber Dath in der Nähe von „queer theory” ansiedeln wollte, würde ihm nicht gerecht. Nicht die „cultural studies” sind sein Quellcode, sondern richtige Wissenschaften wie die Mathematik und harte Theorien wie die politische Ökonomie. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Interesse an den heftigen Genres der Populärkultur, an Heavy Metal, Science-Fiction (mit Betonung auf Science) und den diversen Spielarten von „Drastik”. Wer genauer wissen will, was Drastik heißt und welche Rolle sie im Leben und Denken von David, Paul und Sonja spielt, der lese „Die salzweißen Augen”, das allerneueste Dath-Werk, eine Sammlung von „Vierzehn Briefen über Drastik und Deutlichkeit”.
Grüße vom Marquis de Sade
Man könnte bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck gewinnen, hier habe der Autor seine Zeitungs- und Zeitschriftenarbeiten bloß ein bisschen belletristisch nachbehandelt und präsentiere sie nunmehr als Werk der Fiktion. Doch eher verhält es sich andersherum: Daths Artikel sind Bruchstücke eines größeren, im Zeitungsformat nicht darstellbaren Fragezusammenhangs. Während der Zeitungsschreiber gemeinhin davon zu schweigen hat, welche lebensgeschichtlichen Verwicklungen in ihm etwa den Hang zur Drastik haben reifen lassen, darf ein Prosabuch davon erzählen.
Es kann, wie das vorliegende, sowohl theoretisch-essayistisch von seinem Gegenstand handeln als auch literarische Figuren entwerfen, in deren Stimmen die journalistische Meinung als Lebensäußerung wiederkehrt. Tatsächlich schafft es Dath in seinem Brief-Essay-Roman, die körperlosen Ansichten des Feuilletons in glaubhaftes Figurendenken und -reden zu verwandeln - obwohl (oder weil?) der Schreiber dieser Briefe alles daran setzt, das Gegenteil zu praktizieren, nämlich eine unglückliche Liebesgeschichte in ein Feuilleton zu verwandeln.
Nun aber wird es Zeit, erstens die Frage zu beantworten, was hier Drastik und Deutlichkeit bedeuten und zweitens, was das alles eine junge Frau namens Sonja angehen muss. Drastik meint die „Schlitzer und Spritzer, Menschenfresser und Spermaluder der Kulturindustrie”, und Dath oder sein Briefschreiber definieren diese Drastik als den „ästhetischen(n) Rest der Aufklärung nach ihrer politischen Niederlage.” David, der belesene junge Feuilletonist, erklärt Sonja, seiner Angebeteten, in vierzehn Briefen, was Drastik zweihundert Jahre nach de Sade bedeutet: nicht etwa den konsensfähigen Breitenhorror à la „Schweigen der Lämmer”), sondern so etwas wie Lucio Fulcis Film „L’Aldilá”, in dem plötzlich auf der Autobahn an einer Meeresküste (und auf der Titelseite dieses Buches) die Frau mit den salzweißen Augen steht, iris- und pupillenlos, als „Gespenst der toten Hellsichtigkeit, bleicher Schatten der verrückt gewordenen Vernunft”.
Als fortgeschrittener Hardcore-Konsument und -Analytiker schüttet David das gesamte Füllhorn seiner Drastik-Kenntnisse vor Sonja aus, als eine verkappte, rührend komplizierte Liebeserklärung, die er ihr nach dem vierzehnten und letzten Brief als Päckchen aus North Carolina schicken wird, in der Hoffnung, dass Sonja endlich die aus Schultagen datierende Schweigestarre überwinden und Davids „Sonja-Obsession” somit doch noch ein gutes Ende finden wird.
Damals, in den Schultagen, verstand Sonja nämlich nicht ganz, was David an Splatter-, Zombie- und Pornofilmen derart anzog. Jahre später liefert David nun die theoretische Erklärung nach. Drastik, wie er sie versteht und sich genehmigt, ist, zumindest auf der Seite des korrekten Rezipienten, ein Akt der Solidarität. Nicht aus einer aufs Obszöne und Perverse gerichteten Schaulust wird hier jemand zum Drastik-Fan und -Forscher, sondern aus Sympathie für die illegitimen Kinder der Vernunft.
Was man heute als „Horror und Porno, als Krach und komplett amoralisches Erzählkunstwerk” zu konsumieren bekomme, seien „Verwesungsprodukte” der „alten metaphysischen Tröstungen”. Drastik, wie Dath und David sie verteidigen, ist die kulturindustrielle Form, den Dingen ins Auge zu sehen, anders gesagt „der Positivismus von Schrecken, Geilheit, Macht und Ohnmacht.” Daths Plädoyer für Drastik - konkret heißt das: für heftige Musik und mehr oder minder widerliche Filme - überzeugt auch dann, wenn weiterhin die guten Gründe gelten, dem Positivismus von Pornos wie „Rocco&Kelly” nicht allzu oft ins salzweiße Auge zu sehen. Oder wollen David und Sonja ihre gemeinsamen Abende tatsächlich mit Videos der „naturgeilen” Betty verbringen?
Abgehackter Familienstumpf
„Geschöpfe mit kaputten Eltern sollten zusammenhalten”, schreibt David an Sonja und meint damit die Geschöpfe der drastischen Kulturindustrie ebenso wie sich selbst. Die Drastik, von der er Sonja in vierzehn Briefen einen Begriff gegeben hat, haust nämlich nicht nur in Büchern, Platten und DVDs, sondern zugleich und vor allem im Leben des Briefschreibers selbst. Von seinem „abgehackten Familienstumpf” schreibt er und davon, wie es war, „wenn man Verrückte als Eltern hatte”. Der Vater Trinker, die Mutter manisch-depressiv, zudem „die fluchende Oma”. Davids Hang zu „abscheulichen Sachen” hat schon im Elternhaus vielfältige Nahrung gefunden. Und auch Schule, Zivildienst, Studium, die Anfänge als Journalist, rekapituliert David als eine Folge von Ausnahmezuständen und wechselnden Süchten, von denen die „Sonjafixierung” vielleicht noch die harmloseste war.
So liefert Daths in Briefen dargebotene Theorie der pop- und subkulturellen Drastik zugleich die überaus plastische Selbstbeschreibung eines Menschen und eines bestimmten intellektuellen Jugendmilieus in der deutschen Provinz. In den Porträts von Schulfreunden wie dem Computer-Bohemien Paul, der unheimlich-klugen Candela und der nicht minder klugen, geheimnisvollen und ewig unnahbaren Sonja entsteht das Gruppenbild einer mathematisch, politisch, philosophisch und popkulturell rundum informierten Intelligenz, deren Rollenmodell natürlich niemand anderer sein kann als Dietmar Dath selbst, dieses journalistische Aggregat des zeitgenössischen Wissens. Glücklicher hat der Übersprung vom Journalismus zur Literatur in letzter Zeit selten funktioniert.
CHRISTOPH BARTMANN
DIETMAR DATH: Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 216 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Liebesbriefe ohne Liebe habe der Autor zu einem Roman zusammengefügt, schreibt ein ernüchterter Rezensent, wobei die mögliche Perspektive der angeschriebenen Sonja von vornherein ausgespart bleibt. In nahezu "klinischer Manier", so Wolfgang Lange, proklamiere der Briefeschreiber vor der unerreichbaren Geliebten seine Weltanschauung einer Ästhetik der drastischen Lebensäußerungen. In einer Art "Manifest wilden Denkens" fasse der Briefautor die "mentale Grundausstattung" der Pop- und Subkultur zusammen, nach der, so der Rezensent, alles Obszöne und Exzessive zur letzten Möglichkeit nicht nur der Lustgewinnung, sondern auch der Aufklärung erhoben wird. Für den Rezensenten zieht eine solche einseitige "Perspektive des zornigen jungen Mannes" neben der philosophischen auch eine literarische Schwäche mit sich. Zwar werde der dargebotene Theorieverschnitt durchaus "scharfsinnig" und "kenntnisreich" vorgetragen, doch habe das rücksichtslose und "brutale" Denken auch die Sprache infiziert. "Furchtbar deutsch" und kompromisslos, resümiert Rezensent Wolfgang Lange, und wahrscheinlich genau die richtige Lektüre für diejenigen, die auch die Diskurs-Romane eines Thomas Meinecke lieben.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Prächtiges Kanonenfutter für die gerade einmal wieder aufbrandenden Scharmützel innerhalb der Linken in Deutschland.«
DIE ZEIT