32,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Buch mit Leinen-Einband

Mit wenigen Strichen eine Gestalt in ihrer widersprüchlichen persönlichen Wahrheit hervortreten zu lassen, eine Konstellation zweier Menschen wie eingeätzt zu umreißen, herausgelöst aus allen vorgegebenen Mustern: diese Kunst Onettis (1909-1994) ist oft bewundert worden.
Sein Rang erweist sich nicht zuletzt darin, daß seine Prosa im Wiederlesen immer gegenwärtiger ist, weil sie unmittelbar mit der schmerzhaften, unsauberen Erfahrung des Lebens verbunden bleibt; seine Romane und Erzählungen entfalten sich dabei in ihrer Vielschichtigkeit, ohne das Geheimnis ihrer Wirkung ganz…mehr

Produktbeschreibung
Mit wenigen Strichen eine Gestalt in ihrer widersprüchlichen persönlichen Wahrheit hervortreten zu lassen, eine Konstellation zweier Menschen wie eingeätzt zu umreißen, herausgelöst aus allen vorgegebenen Mustern: diese Kunst Onettis (1909-1994) ist oft bewundert worden.

Sein Rang erweist sich nicht zuletzt darin, daß seine Prosa im Wiederlesen immer gegenwärtiger ist, weil sie unmittelbar mit der schmerzhaften, unsauberen Erfahrung des Lebens verbunden bleibt; seine Romane und Erzählungen entfalten sich dabei in ihrer Vielschichtigkeit, ohne das Geheimnis ihrer Wirkung ganz preiszugeben.

In gründlich revidierten Übersetzungen und zum Teil erstmals auf deutsch bietet die Werkausgabe sämtliche vollendeten Romane und Erzählungen Onettis, zusammen mit Anmerkungen und Nachworten der Herausgeber.

Der erste Band mit den beiden Romanen Leichensammler und Die Werft, die das Herzstück des Zyklus von Santa María bilden, erscheint im April 2005. Abgeschlossen wird die Ausgabe 2009, zum 100. Geburtstag von Juan Carlos Onetti.
Autorenporträt
Onetti, Juan CarlosJuan Carlos Onetti (_1909 in Montevideo, Uruguay, 1994 in Madrid, Spanien) ist vielfach und zu Recht als einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller bezeichnet worden. 1932 erschien im Rahmen eines Literaturwettbewerbs eine Erzählung von ihm in der argentinischen Tageszeitung La Prensa. Sein erster Roman, El Pozo (dt. Der Schacht, 1989), folgte 1939 in einer Auflage von 500 Exemplaren. Er veröffentlichte insgesamt elf Romane und zahlreiche Erzählungen sowie zwei Sammlungen von Artikeln, von denen die Mehrzahl ins Deutsche übersetzt wurde.Bis 1975 lebte er abwechselnd in Buenos Aires und Montevideo, arbeitete unter anderem für die Nachrichtenagentur Reuters, war lange Jahre als Direktor der städtischen Bibliotheken in Montevideo tätig und publizierte regelmäßig in verschiedenen uruguayischen Zeitschriften. Erst mit dem Roman La vida breve (1950, dt. Das kurze Leben, 1978) erlangte er einen gewissen Bekanntheitsgrad, blieb aber noch viele Jahre lang eine Art »Geheimtipp« und erst in relativ hohem Alter wurden ihm Ruhm und Achtung zuteil. In La vida breve erschuf er den fiktiven Kosmos um die Stadt Santa María, der in vielen weiteren Romanen und Erzählungen auftauchen sollte.Während der Diktatur, die seit 1973 in Uruguay herrschte, wurde Onetti einige Monate lang in Haft gehalten. 1975 ging er mit seiner vierten Frau, der Geigerin Dorothea Muhr, ins Exil nach Madrid, wo er bis zu seinem Tod blieb und die Romane Dejemos hablar al viento (dt. Lassen wir den Wind sprechen, 1986), Cuando entonces (dt. Magda, 1989) und Cuando ya no importe (dt. Wenn es nicht mehr wichtig ist, 1996) veröffentlichte.Der uruguayische Nationalpreis für Literatur wurde ihm gleich zweimal verliehen: 1962 und nach der Rückkehr der Demokratie noch einmal 1985. Außerdem erhielt er 1980 den wichtigsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt: den Cervantes-Preis.1994 erschien die erste Ausgabe der Cuentos completos (dt. Willkommen, Bob. Gesammelte Erzä

hlungen, 1999) in Buenos Aires. Am 30. Mai desselben Jahres starb Juan Carlos Onetti 84-jährig in Madrid.Fast alle großen Autoren Lateinamerikas erkennen Onettis Einfluss auf ihr eigenes Werk an, und von vielen wird er für den größten lateinamerikanischen Schriftsteller gehalten.Im Frühjahr 2005 erschien bei Suhrkamp der erste Band der Onetti-Werkausgabe mit Leichensammler und Die Werft in einer revidierten Übersetzung. In den nächsten Jahren folgten die vier weiteren Bände der Werkausgabe, zuletzt erschienen 2015 mit Band 5 sämtliche Erzählungen Onettis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2005

Grammatik der Gesichter
Über das Unsinnige: Zwei Romane Juan Carlos Onettis
Kann ein Land ohne Hoffnung sein, weil es keine Geschichte hat? Liest man Juan Carlos Onetti, so glaubt man, dies müsse jedenfalls auf Uruguay zutreffen. Deutschland, so meint er im Jahr 1942, als alles am Zweiten Weltkrieg noch offen war, habe eine Vergangenheit, und gleichgültig wie das gegenwärtige Abenteuer ausgehe, es werde eine Zukunft haben. Aber was sehe der, der sich umwendet und auf Uruguay zurückblickt? „Einen Gaucho? Zwei Gauchos? Dreiunddreißig Gauchos?” Es ist merkwürdig, wie Onetti Europa noch um sein Unheil beneidet, da es ihm ein Schicksal zu sein scheint.
Und auch umgekehrt hat Europa, das von der Kraft Nordamerikas und der Farbenpracht Mexikos oder Brasiliens fasziniert war, an den Ländern des La Plata, als wären sie bloß ein seichtes Abbild seiner selbst, wenig Anteil genommen. Was war sogar Buenos Aires, immerhin eine der großen Metropolen der Erde, anderes als ein Seufzer nach dem fernen Paris! Ohne Glauben daran, dass die Natur unterhalb des Äquators ein Daseinsrecht besäße, spricht Onetti von der Blüte des Jasmin im November und dem dünnen Winterlicht des August. Vollends die Provinz, traurig selbst in Frankreich, im Schoß des alten Europa, muss hier, im matten, spiegelverkehrten Süden des Erdballs, zu einem Reich wunschlosen Unglücks geraten.
So entwirft Onettis Phantasie die Stadt Santa María, in einer Landschaft wie aus Dunst, undeutlich mit Ausnahme des großen Flusses. Es muss sich um den Uruguay oder den Paranà handeln, aber klar wird das nicht, und nicht einmal, ob wir uns auf dem Boden Uruguays oder des nahen Argentiniens befinden. Doch wie wenig macht er selbst daraus - als wäre es nicht erlaubt, durch die Nähe des Stroms, die anderen Werken der Weltliteratur doch oft ein entgrenzendes, entspannendes Moment verleiht, von der unveränderlichen Misere des Personals abzulenken.
Kurz vor dem Verfallsdatum
Dass ein Roman, ja dass Literatur überhaupt von Menschen handelt, scheint sich von selbst zu verstehen; aber nirgends bezeichnet dieser Befund ein Werk so genau und ausschließlich wie das von Onetti. Nur Menschen sind zu sehen, jeder für sich, einzeln, ohne dass die Folie des gemeinsamen Ortes sie zusammenschlösse, miteinander verbunden nur gerade so weit, wie es nötig ist, damit sich in der Geste des Hinüberlangens zu den anderen die Kontur ihrer Einsamkeit offenbart. Die je zentrale Liebesgeschichte - wenn man sie denn so nennen will - hat es darum je mit einer Frau zu tun, die auf ihr männliches Gegenüber nicht angemessen reagieren kann: Die eine ist vom Wahnsinn, die andere vom Schwachsinn geschlagen. Und die Handlung vom Unsinn. Rasch lässt sich mitteilen, was in den beiden Romanen, die Suhrkamp nun als den dritten Band der Werkausgabe vorlegt, vor sich geht, „Leichensammler” und „Die Werft”. Larsen (ohne Vornamen), ein Mann um die fünfzig, macht sich zweimal, im Abstand von Jahren, in das Nest Santa María auf, je mit einem Projekt, das scheitern muss. Einmal will er, ausgerechnet hier, das perfekte Bordell eröffnen - jahrelang wartet er auf die Chance, nach nur hundert Tagen muss er wieder schließen. Das andere Mal nimmt er den Posten des Geschäftsführers einer Werft am Fluss an, die faktisch bankrott ist und nur aus Bergen rostigen Schrotts besteht. Den Namen „Leichensammler” („Juntacadáveres”) hat er sich in der großen Stadt erworben, weil er sich als Zuhälter auf Prostituierte spezialisiert hatte, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen. Daran ist seine spezifische Art von Charme erwachsen, gemischt aus brüderlichem Erbarmen und schmieriger Berechnung und für den Leser nicht ohne leisen Ekel zu ertragen.
Seinen Vorhaben ist die Vergeblichkeit von der ersten Zeile an einbeschrieben. Die Kämpfe, die um sie zu bestehen sind, bieten sich als trübe Farce dar: Gálvez, seit Jahren unbezahlter Angestellter der Werft, trägt Tag und Nacht unter dem Hemd auf der bloßen Haut eine gefälschte Aktie, die, wenn sie auffliegt, den Eigentümer der Werft ins Gefängnis und die Werft selbst vors Insolvenzgericht bringen muss; und gegen das Bordell mobilisiert der Pfarrer einen Club junger Mädchen, die sich zweimal pro Woche treffen, um nach seinem Diktat mit himmelblauer Tinte anonyme Droh- und Schmähbriefe zu schreiben.
Warum tun sie das? Dem alten Argument, höhere Töchter und Gattinnen hätten sich schon immer gegen die unanständig billige Schmutzkonkurrenz der Huren verwahrt, weiß Onetti eine eigenartige Wendung zu geben: „Sie wollten keine Promiskuität, sie konnten den Gedanken nicht ertragen, dass Promiskuität möglich war, leicht zu bewerkstelligen war, von dem Haus an der Küste her winkte. Sie wollten nicht auf diese gewaltsame Weise verglichen werden, wollten nicht zulassen, dass sich die Männer in die Lage versetzt fühlten, sie, die Mädchen, zu enträtseln, selbst wenn sie sich täuschten.”
Tausch der Köpfe
Die gewaltsame Vergleichung von Menschen zu unterbinden, das ist auch das Ziel von Onettis Schreiben; es macht dessen Reiz und Schwierigkeit aus. Den naheliegenden Rat, Gesichter und Mienen nicht als solche zu schildern, sondern in der Wirkung, die sie auf andere tun, schlägt Onetti in den Wind. Er sieht in jedes Gesicht, als wäre noch nie ein menschliches Gesicht genau besehen worden, und ringt darum, einen Anfang zu machen; er quält sich damit, wie ein native speaker, der sich noch nie Gedanken über seine Sprache gemacht hat, sich damit quält, deren Gesetze einem Ausländer zu erklären. Von einem Siebzehnjährigen, der in eine peinigende Liebesgeschichte mit einer älteren Frau gerät, heißt es beispielsweise: „Den Kopf erhoben in jenem Winkel, der Verzweiflung und den Willen, sie anzunehmen, signalisiert, diesen übertriebenen, schmerzlichen Neigungswinkel, der die abfallenden Linien des Mundes und der Lippe bestimmt.” Das sieht man nicht mit der Geschwindigkeit vor sich auftauchen, wie man zu lesen gewohnt ist, man muss es noch einmal und noch einmal lesen. Der Satz gibt viel zu denken, auf unlusterregende Weise zu viel vielleicht - wie eine Grammatik eben. Ein junger Stutzer bietet sich dem Blick so dar: „Das gelbliche Seidenhemd ohne Schlips, dessen Kragenspitzen auf dem Anzugstoff auflagen, stützte den goldblonden, mit kurzen, harten rebellischen Locken bedeckten, zu Verständigkeit und Indifferenz erzogenen Kopf wie ein aleatorischer Gipssockel.”
Hier bockt der Leser vor dem Wort „aleatorisch”, und aus langer träger Gewohnheit neigt er dazu, die Schuld für sein Befremden aufs Konto des Übersetzers zu buchen. Dieses „aleatorisch” aber mit seinem Anklang an das Würfelspiel enthält präzise den Gedanken, um den es geht: dass der Kopf auf dem Sockel des Hemdes ohne weiteres auszutauschen wäre, so wie die Römer bei Regierungswechseln an ihren Statuen die Köpfe ihrer Kaiser austauschten; das wahllose Nichtverhältnis einer Mode und selbst eines Leibes zur Physiognomie ihres Inhabers erzeugt einen Effekt des Lächerlichen, wie ihn die sich empfehlenden Alternativen, „zufällig” oder „beliebig”, so nicht zustandebrächten. Der Unwille weicht allmählich dem Respekt: Die Übersetzer Anneliese Botond und Curt Meyer-Clason haben es sich und dem Leser nicht leichter gemacht, als es Onettis Text duldet.
Denn hier steckt der Sinn von Onettis Schreiben über das Unsinnige: Allein dieser Grad der Anspannung, die, da sie sich ohne Unterschied auch aufs Beiläufige und Transitorische erstreckt und sich keinerlei Erholung im Allgemeinen gönnt, geradezu schmerzt: erschafft in der schicksallosen Nebelwelt der Südhalbkugel, in dieser vor Schwäche todtraurigen Welt, wirkliche Gebilde.
BURKHARD MÜLLER
JUAN CARLOS ONETTI: Leichensammler. Übersetzt von Anneliese Botond. Die Werft. Übersetzt von Curt Meyer-Clason. Mit einem Nachwort von Gerhard Poppenberg. Zusammen 548 Seiten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 32 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Burkhard Müller hat sich große Mühe gegeben, auf Juan Carlos Onettis "vor Schwäche todtraurige Welt" nicht apathisch, frustriert und verärgert zu reagieren, und fordert die Leser zur gleichen Anstrengung auf. Wenn nicht, schreibt er, kapituliert man leicht vor der "unveränderlichen Misere des Personals", das in einem "Reich wunschlosen Unglücks" seine trostlosen Bahnen zieht, ohne dass irgendetwas Erleichterung oder Auflockerung verschaffen würde. Das gilt insbesondere für die Prosa von Onetti: Er schreibt, als sehe er die Menschen zum ersten Mal, ringt ohne jede Verschnaufpause um die Möglichkeit des Ausdrucks und findet so zu einer Sprache, die so eindringlich eigentlich und deshalb so sperrig ist, dass Müller die Lektüre zuweilen an die Studie einer Grammatik erinnerte. Doch natürlich ist es gerade dieser "Grad der Anspannung", der aus der "schicksallosen Nebelwelt der Südhalbkugel" eine hochliterarische Landschaft formt. Was übrigens, vergisst der Rezensent nicht zu erwähnen, auch in hohem Maße für die beiden Übersetzungen gilt, die der Versuchung nicht erlegen sind, die schwierige Präzision von Onettis Sprache zugunsten besserer Lesbarkeit zu aufzulockern.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Juan Carlos Onetti ... ist einer der bedeutendsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts.« Richard Kämmerlings Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090701