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Einer der Vorsätze Durs Grünbeins für das erste Jahr im neuen Jahrtausend war, diesen historischen Moment des Beginns gespiegelt durch den subjektiven Blick des Dichters festzuhalten; das Resultat liegt jetzt vor: in Form von Arbeitsbuchnotizen vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2000. Sehr Privates wie die Geburt der Tochter, das veränderte Familienleben in den folgenden Monaten, Erinnerungen an die eigene Kindheit in Dresden, an Eltern und Großeltern werden ebenso Thema wie die Arbeit am Gedicht und das Nachdenken über Poetologisches. In der Reflexion neuester Erkenntnisse der Hirnforschung…mehr

Produktbeschreibung
Einer der Vorsätze Durs Grünbeins für das erste Jahr im neuen Jahrtausend war, diesen historischen Moment des Beginns gespiegelt durch den subjektiven Blick des Dichters festzuhalten; das Resultat liegt jetzt vor: in Form von Arbeitsbuchnotizen vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2000. Sehr Privates wie die Geburt der Tochter, das veränderte Familienleben in den folgenden Monaten, Erinnerungen an die eigene Kindheit in Dresden, an Eltern und Großeltern werden ebenso Thema wie die Arbeit am Gedicht und das Nachdenken über Poetologisches. In der Reflexion neuester Erkenntnisse der Hirnforschung und der Genetik mißt der Autor das Kreatürliche zwischen Geburt und Tod aus. Und gleichzeitig setzt er sich bewußt in Beziehung zu seiner unmittelbaren Gegenwart, beobachtet die Veränderungen in Berlin und im größer gewordenen Deutschland, notiert, was er auf Reisen nach Washington, Philadelphia, New York, Krakau, Salzburg, Venedig sieht, erlebt, durchdenkt. Immer sind diese unmittelbaren Eindrü cke gespiegelt und gemessen an Geschichtlichem, weil der Wahrnehmungsapparat des Autors geschärft ist durch Beschäftigung und Zwiegespräch mit den Gedanken und Werken der großen Toten wie Baudelaire und Mandelstam, Augustinus und Seneca, Cezanne und Darwin.

Autorenporträt
Grünbein, Durs
Durs Grünbein wurde am 9. Oktober 1962 in Dresden geboren. Er lebt und arbeitet als Dichter, Übersetzer und Essayist in Berlin und Rom. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs führten ihn Reisen durch Europa, nach Südostasien und in die Vereinigten Staaten. Er war Gast des German Department der New York University und der Villa Aurora in Los Angeles. Für sein Werk erhielt er mehrere Preise, darunter den Peter-Huchel-Preis, den Georg-Büchner-Preis, den Literaturpreis der Osterfestspiele Salzburg 2000, den Friedrich Nietzsche-Preis des Landes Sachsen-Anhalt 2004 und den Berliner Literaturpreis der Preußischen Seehandlung verbunden mit der Heiner-Müller-Professur 2006. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Reflexion im gesteigerten Aggregatzustand
Poeta romanus: Durs Grünbein schafft den Sprung vom Detail zum Ganzen / Von Peter von Matt

Er schaut uns an mit dem reglosen Blick einer Galapagos-Echse, deren Alter niemand kennt. Das Gesicht auf dem vom Verlag verbreiteten Bild ist nicht zornig, nicht verbittert, nicht betrübt, es ist in einer gesteigerten Art ernst. Als hätte der Mann sich eines Tages zum Ernst entschlossen. Er will nicht zu den Lustigen gehören, und man soll es wissen. Das ist riskant. Die Lustigen wirken ungefährlich. Ihre zwinkernden Augen fordern keine Rechenschaft; niemand muß sich durchschaut fühlen.

Auf hundert Theorien des Humors kommt kaum eine des Ernstes. Zwar hat schon Schopenhauer erklärt, der Gegensatz zum Lachen sei nicht das Weinen, sondern der Ernst, aber es hat nichts genützt. Die klügsten Köpfe operieren weiterhin mit der anthropologischen Paarung von Lachen und Weinen und verpassen dabei das Nachdenken über den Ernst, der doch so viel vertrackter ist als das Weinen. Durs Grünbein will den Ernst als Gestus, auf dem Bild wie im Schreiben, und er nimmt wissentlich die Gefahr des Sympathieverlustes auf sich, der heute allen droht, welche nicht gleich deutlich machen, wie lustig sie sind. Der Ernst stellt Ansprüche. Bin ich ihnen nicht gewachsen, kann das ein Versagen sein. Also ist der Ernst eine Zumutung.

Wie sehr dies alles dem Autor bewußt ist, zeigt eine Stelle in seinem neuen Buch, wo er sich darüber ausläßt, daß das Wort "humorlos" gegenwärtig zu den schlimmsten Attributen gehöre, die man überhaupt austeilen könne: "Es trifft tiefer als ,spießig' oder ,verklemmt'." Und in einer für das ganze Buch bezeichnenden Weise führt diese Überlegung sogleich zur Frage nach dem Warum: "Woher das Ressentiment gegen jeden, dem das Lustigsein nicht ins Gesicht geschrieben steht?" Die Antwort ist es wert, studiert zu werden. Zunächst bleibt sie noch einigermaßen konventionell. Der Zwang zum Lustigsein werde von den Medien gesteuert: "Die kollektive Selbstkontrolle hat sich der Lachmuskeln bemächtigt. [...] Ganze Bataillone von Pointenschreibern brüten nun rund um die Uhr über ihren Kalauern. Täglich wächst der Bedarf an flotten Sprüchen, mit denen das Fernsehn allabendlich die Seinen erfreut. Der Comedy-Star rückt auf die Titelblätter, die Ulknudel ist das Idol der Nation." Das ist Medienkritik, wie man sie auch schon gehört hat. Spannend und beklemmend aber wird es, wenn Grünbein anschließend den Vergleich zieht zum Stalinismus, dessen Aura er selbst noch erlebt hat. Der Stalinismus habe gezielt Angst erzeugt, eine einzige, geschlossene Atmosphäre der Angst, "flächendeckend, über sämtliche Klimazonen hinweg". Ihr gegenüber habe es nur die Rettung in die Stalin-Witze gegeben, "die bekannte sardonische Heiterkeit, mit der sich der ohnmächtige Sowjetmensch über Wasser hielt". Und Grünbein vermutet nun im Zwanghaften der heutigen Heiterkeit eine unterschwellige Parallele zu jener andern: "Auch im Zeitalter der verschwundenen Ideologien sind die Gemüter durchwachsen, überzogen vom Schatten der allgegenwärtigen Versagensangst. Wenn das letzte Gekicher verebbt ist, zeigt sich: der Mensch lebt nicht allein von der Parodie."

So geht er immer wieder vor. Er setzt an bei einer eigenen Erfahrung und weitet sie aus zur umfassenden Reflexion, oder er wirft Fragen auf von einer Allgemeinheit, die man für kaum mehr möglich hält - "Was ist der Mensch?", "Leben, was ist das?". An den stärksten Stellen allerdings, und es gibt viele davon in diesen Aufzeichnungen, verwandelt sich das Nachdenken in ein verdichtetes, bilderzeugendes Reden. Hier wird zum Ereignis, was diesen Autor überhaupt ausmacht, daß sein Essay das Gedicht sucht und sein Gedicht den Essay. Er ist ein leidenschaftlicher Denker, aber im Prozeß des Denkens und Argumentierens verwandelt sich ihm die Überlegung in Metaphern, in ganze Metaphernkaskaden, ohne daß die Genauigkeit abnimmt. Dann denkt er klar und folgerichtig in den Bildern fort. Sie sind nicht Illustration des Vorgedachten. Sie sind der gesteigerte Aggregatzustand der Reflexion selbst.

Das könnte man umgekehrt auch an seinen Gedichten zeigen. Sie streben zum langen Vers, zur großen Strophe, in der sich die auffahrende Vision mit der umständlicheren Arbeit des Argumentierens verknüpfen kann, wo die schwierigen Gedanken schön werden und die schönen Spiele Resultate erbringen. Dabei weiß er genau, daß diese Verbindung des Intellekts mit der poetischen Form in Deutschland in Verruf geraten ist. Seitdem das Volkslied einst in einem absurden theoretischen Akt zum Urlaut aller Dichtung erklärt wurde, stehen die denkenden Poeten im Verdacht des Unnatürlichen. Goethe hat nie einen verheerenderen Satz geschrieben als die Zeile: "Ich singe, wie der Vogel singt." Erstens hat er selbst nie so gesungen, und zweitens singen die Vögel gar nicht, sondern schreien gegen ihre Feinde und Konkurrenten an. Jene Zeile aber hat der alten Selbstverständlichkeit, daß starke Dichtung auch mit energischer Reflexion zu tun habe, den Garaus gemacht. Einer, der heute noch darunter zu leiden hat, ist Durs Grünbein.

Sein neues Buch heißt "Das erste Jahr". Damit ist das erste Jahr des neuen Millenniums gemeint, also 2000. Aber auch die Geburt von Grünbeins Tochter Vera fällt in diese Zeit, und so richtet sich der Titel auch auf deren erstes Lebensjahr. Alle Aufzeichnungen sind datiert, die erste auf den 1. Januar, die letzte auf den 31. Dezember. Das erweckt den Eindruck eines Tagebuchs, soll ihn auch erwecken, aber dies täuscht. Die Tagebuchstruktur ist eine geschickt gewählte Organisationsform für Grünbeins eigentümliche Kunst der kurzen Betrachtungen. In diesen verdichtet sich viel mehr als der Einfall eines Tages. Erfahrungen und Überlegungen, die weit zurückreichen müssen, finden hier ihre endgültige Gestalt. Obwohl Tagesereignisse da und dort zur Sprache kommen, bewegt sich das Buch doch fern von dem Durcheinander aus Banalitäten und Weisheiten, bedeutenden und gleichgültigen Dingen, das ein reales Tagebuch kennzeichnet. Diese Aufzeichnungen entsprechen eher der kalkulierten Kunstgestalt von Max Frischs "Tagebüchern": Sie sind vielfach gefiltert. Küchendunst, Nachbarärger und Fußballeifer des Alltags haben keinen Zutritt. Die Fiktion eines spontanen Notierens erspart dem Autor Übergänge, Begründungen und Resümees. Er kann einen Gedanken hinstellen und stehenlassen, ob es nun ein aphoristischer Blitz oder ein abgeschlossener Essay ist. Dennoch ist das Ganze komponiert. Die Hauptthemen werden variiert und entwickelt. Sie verschwinden und kehren zurück in angenehmem Wechsel, durchdringen sich gelegentlich, schwingen dann wieder frei. Das scheinbar lockere Arrangement erweist sich als kunstreiche Fügung.

Ein Thema ist der Sozialismus, der einst real existierende. Grünbein bringt mehrfach zur Sprache, was dieser ihm angetan hat. Er benennt den Schock jenes Tages, als er erkennen mußte, wie viele Jahre seiner Jugend man ihm gestohlen hatte. Keine einzige sentimentale Sekunde findet sich in seinen Erinnerungen an die Stallwärme der DDR. Haß und Verachtung des wurmstichigen Regimes, dessen Ende er mit 27 Jahren erlebte, wurzeln alterslos in seiner Seele. Und wenn er am 9. November 2000 auf die Revolution von 1989 zu sprechen kommt, findet er dafür eine Metapher, die so bös und anstößig ist, daß man sie nicht zu zitieren wagt. Seit dem fäkalischen Finale von Heines "Wintermärchen" hat selten ein Autor so drastisch über ein Hauptereignis deutscher Geschichte geschrieben.

Die weiteren, das Ganze prägende Themen sind die Vorgänge in der aktuellen Naturwissenschaft, insbesondere der Mikrobiologie, die Erfahrung des Körpers und der Körperlichkeit, die Stadt Berlin und andere Großstädte der Welt. Die Liebe zu seiner Frau Eva zieht sich als ein förmlich leuchtender Strang durch die Textur, und damit verbinden sich die oft dramatischen Berichte über die Geburt und die ersten Entwicklungsschritte, die ersten schweren Gefährdungen der winzigen Tochter. Ihr gilt ein Strauß rührender Gedichte.

Den breitesten Raum aber nehmen die Überlegungen zum Schreiben, zum Gedicht, zur literarischen Ästhetik ein. Sie machen das Buch zum unabdingbaren Begleittext für alle kritische Arbeit an Grünbeins Lyrik. Er verliert sich auch hier nicht in ätherischen Reflexionen, sosehr er diese gelegentlich sucht und liebt. Er will die Bodenhaftung. Das führt dann zu so eindringlichen Passagen wie der Beschreibung seines Dichterzimmers, der "Giftküche": "Hier destilliere ich meinen ganz besonderen Alkohol aus zwölf Prozent Weltschmerz, achtzig Prozent Rebellion gegen die Zeit und einem winzigen Rest von Stolz, den ich in Verse verwandle." Man kann an den zwei Seiten studieren, wie Grünbein die scheinbar sachliche Deskription ganz unmerklich metaphorisch auflädt, bis alle Einzelheiten gelesen werden können wie eine verkörperlichte Theorie. So hat er die Konterfeis der politischen Täter des grausamen zwanzigsten Jahrhunderts in winzigen Fundstücken - Abzeichen, Stoffetzen, Zeitungsausrissen - überall an die Wände oder zwischen Buchrücken gesteckt: "Es sind Warnschilder, den Anschlagszetteln gleich, wie man sie in den Kellergängen der Mietshäuser findet zum Hinweis auf das verstreute Rattengift." Das Eingangsbild von der Giftküche wird weitergeführt, bis sich die Vorstellung eines alchimistischen Labors mit dem wüsten Graus einer Hexenküche verbindet.

Den Schluß auf Grünbeins Werk, der sich daraus ergibt, muß der Leser selbst ziehen. Meine Lyrik, könnte das bedeuten, verarbeitet in ihren heißen Kolben und rauchenden Phiolen die Schrecken der Geschichte, die Verheerungen der Ideologien und das blutige Treiben der Täter. Meine Lyrik übersetzt nicht das Weh und Ach eines Autors in Verse, sondern antwortet auf das Ganze der geschichtlichen Wirklichkeit, deren Teil der Autor ist, sei es als Opfer, sei es als mitentscheidender Demokrat.

Dieses Verfahren des genauen Erfassens eines Stücks Umgebungswirklichkeit, das sich zuletzt als allegorische Aussage von übergreifender Bedeutung erweist, hat Grünbein bei Walter Benjamin gelernt. Die kurzen Texte der "Einbahnstraße" und der "Berliner Kindheit", die es fertigbringen, in einem unbedeutenden Vorgang die steilsten Thesen der Geschichtsphilosophie zu spiegeln, sind das am deutlichsten spürbare Vorbild hinter diesem Buch.

Die Anklänge wirken aber nie epigonal. Auch Benjamin selbst stand schließlich in Traditionen, die ihm bewußt waren und mit deren Echo er operierte. Er fand seine Muster im Typus der Textstöße Nietzsches, die ihrerseits ebenso wissentlich beim Modell der französischen Moralisten angeknüpft hatten. Wie nah Grünbein dem im Erzählen philosophierenden Benjamin kommen kann und wie eigenständig er auch dann noch bleibt, würde sich am deutlichsten aus einem Vergleich zwischen Benjamins Texten zum Berliner Tiergarten und Grünbeins Beschreibung des nächtlichen Gangs durch den Park am Friedrichshain erschließen. Städtische Natur wird hier durchsichtig auf die Geschichte hin, die dieses Berlin so tausendfach illuminiert und geschändet hat, die es unablässig mit der Glorie und dem Ramsch aller nur denkbaren Denkmäler bestückte, welche dann ihrerseits wieder den Prozessen der Verrottung, der Vergammelung und der Wiederaufpolierung auf groteske Weise ausgesetzt sind.

Der Sprung vom Detail zum Ganzen ist Grünbeins denkerische Leidenschaft. Die Verknappung des Komplexen zum frappanten Satz ist seine Leidenschaft als Poet. Wo solche Komprimierung geschieht, wo die Lapidarität im ursprünglichen Sinn - die Kürze und Prägnanz in den Stein (lapis) gehauener Sätze - erreicht wird, hat das neue Buch seine herrlichsten Momente. Da sucht nicht mehr der Essay den Vers, da sucht der Vers nicht mehr den Essay, da ist der Gedanke wie selbstverständlich Form und Klang geworden.

Dieses Prinzip der Lapidarität, die nie spontan aus der Seele bricht, sondern erarbeitet sein will, steht bei Grünbein in Verbindung mit seinem vielleicht höchsten Faszinosum, dem antiken Römischen. So wie die Lapidarität im erwähnten Sinn zur römischen Kultur gehört, führt Grünbeins Verbundenheit mit dem Römischen ihn zur lapidaren Form. Auch im großen, weit ausgreifenden Gedicht steht der einzelne Vers, die einzelne Strophe unter diesem Gesetz. Poeta romanus - er würde wohl wenig gegen die Bezeichnung einzuwenden haben. Pompeji ist ihm ein mythischer Ort auch im ganz persönlichen Sinn. Wie dort das verschüttete Römische handgreiflich wieder aus der Erde steigt, so sucht er hinter den Bewegungen der Geschichte und der Literatur überall das römische Urbild. Seine satirische Kompetenz, die groß ist und äußerst subtil sein kann, hat sich längst der römischen Satirendichtung als eines gegebenen Maßes versichert. In der Aufzeichnung vom 30. September listet er auf, was vom alten Rom her unsere Zivilisation organisiert. Und gelegentlich verfällt er der Faszination so sehr, daß er seinen deutschen Begriffen das lateinische Wort beifügt. Wobei er allerdings auch mal über das Wörterbuch stolpern kann, wenn er etwa das Wort "Schock" im Sinne der seelischen Erschütterung mit sexaginta übersetzt. Sexaginta meint aber im Lateinischen keine Erschütterung, sondern die Zahl Sechzig und figuriert daher in den Wörterbüchern gelegentlich noch als Übersetzung für jenes altertümliche deutsche Mengenmaß, das man da und dort für die Eier braucht: Ein Schock Eier sind sechzig Stück.

Das ist ein Buch, mit dem man lange Zeit leben kann. Es ist ernst und fordert einem einiges ab. Man arbeitet, wenn man es liest. Aber es enthält auch eine Fülle von berührenden Szenen und Porträts. Und es kann zwischendurch von einer mächtigen Komik sein, so etwa am 18. Oktober in der hinreißenden Klage über den Untergang der Bauchrednerei. Überdies enthält es das kürzeste Liebesgedicht der deutschen Literatur, eine Zeile nur: "All die Orte, an denen ich sie nicht sah ..."

Durs Grünbein: "Das erste Jahr". Berliner Aufzeichnungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 328 S., geb., 39,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In einer sehr langen Rezension bespricht Katharina Döbler die zwei jüngsten Werke von Durs Grünbein: "Erklärte Nacht" (Suhrkamp 2002) und "Das erste Jahr" (Suhrkamp 2001). Für die Rezensentin ist er der "derzeit tauglichste Anwärter auf das Amt des Nationaldichters", weil er der "talentierte und glückliche Erbe einer langen Tradition" ist, der als bildungsbürgerlich "repräsentativ" erscheint und dies, obwohl er es reflektiert, nicht durch allzu starke Skepsis trübt. Über das Hauptstadttagebuch "Das erste Jahr" mit seinen teilweise "höchst privaten Mitteilungen" hält sich Döbler ein wenig bedeckt. Der rührige Kitsch des jungen Vaterdaseins steht da neben bildungsbürgerlichen Zitaten, und die Rezensentin weiß sich nur noch mit Lichtenberg zu helfen: "Er las immer Agamemnon statt 'angenommen', so sehr hatte er seinen Homer gelesen." Grünbein rettet sich laut Rezensentin durch seine Fähigkeit zur Reflexion, doch man möchte fast meinen, dass sie ihm da sehr entgegenkommt.

© Perlentaucher Medien GmbH