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Niederlande, Amsterdam, 1980, 29./30. April, Königinnentag, Juliana dankt ab, Beatrix tritt ihre Nachfolge an. Am 30. April wird nicht nur der Geburtstag von Juliana begangen - an diesem Tag hat auch Albert Egberts Geburtstag. Der wurde jedoch wegen demjenigen des Staatsoberhauptes nie gefeiert. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß er nun ganz unten angelangt ist: Als Heroinsüchtiger verschafft er sich das Geld für die Droge, indem er Autos aufbricht. Doch in dieser Nacht vom 29. auf den 30. April paßt er nicht auf und wird von einem im Auto sitzenden Hund in den Arm gebissen. Dies ist der…mehr

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Produktbeschreibung
Niederlande, Amsterdam, 1980, 29./30. April, Königinnentag, Juliana dankt ab, Beatrix tritt ihre Nachfolge an. Am 30. April wird nicht nur der Geburtstag von Juliana begangen - an diesem Tag hat auch Albert Egberts Geburtstag.
Der wurde jedoch wegen demjenigen des Staatsoberhauptes nie gefeiert. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß er nun ganz unten angelangt ist: Als Heroinsüchtiger verschafft er sich das Geld für die Droge, indem er Autos aufbricht.
Doch in dieser Nacht vom 29. auf den 30. April paßt er nicht auf und wird von einem im Auto sitzenden Hund in den Arm gebissen. Dies ist der Anlaß, über die beiden Seiten des Lebens, Vergangenheit und Zukunft, nachzudenken. Die Gegenwart drängt sich sowieso ungewollt in sein Leben: Albert Egberts gerät an die Spitze des Demonstrationszuges gegen die Krönung und kämpft an vorderster Front bei der Schlacht um die Blaubrücke.
Auch in diesem Roman entfaltet A. F. Th. van der Heijden ein äußerst facettenreiches Kaleidoskop, in dem sich die Ereignisse einer Nacht und eines Tages durch die Perspektive aus der Vergangenheit und in die Zukunft zu einem vielschichtigen Bild des Lebens zusammenfügen.
Autorenporträt
Adrianus Franciscus Theodorus van der Heijden wurde am 15. Oktober 1951 in der Nähe von Eindhoven geboren. Er übersiedelte nach dem Abitur (1969) und einem abgebrochenen Psychologiestudium nach Amsterdam, wo er mit Unterbrechungen bis heute lebt.

1979 debütierte er mit dem Erzählungsband Eine Gondel in der Herrengracht.

Adri van der Heijden ist durch seine weitgespannten, raffiniert konstruierten, spannend-realistischen Romane zum Chronisten der Nachkriegszeit in den Niederlanden geworden. In seiner Literatur wird für alle nachvollziehbar die Zeit von 1945 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts lebendig.

Auch in Deutschland gilt er als überragender Erzähler, als "der wohl sprachmächtigste Dichter, den die Niederlande augenblicklich besitzen, der mit Sicherheit sinnlichste, der nun seit fast zwanzig Jahren stampfend, dampfend den Weg vom Himmel durch die Welt der Kloake ausmistet und ausmißt, ein Saft- und Kraftgenie, wie Holland es seit dem Barock nicht mehr hatte". (Der Tagesspiegel)

Diese Anerkennung verdankt sich den Romanen Die Schlacht um die Blaubrücke (deutsch 2001), Fallende Eltern (deutsch 1997), Der Anwalt der Hähne (deutsch 1995), Das Gefahrendreieck (deutsch 2000), Der Widerborst (deutsch 1993), Der Gerichtshof der Barmherzigkeit (deutsch 2003) sowie Unterm Pflaster der Sumpf (deutsch 2003). Der Autor fasste den Zyklus unter dem Titel Die zahnlose Zeit zusammen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts eröffnete van der Heijden mit Die Movo-Tapes (deutsch 2007) eine neue Romanreihe. "Der lang erwartete Auftakt zu van der Heijdens neuem Zyklus. Völker, macht Platz in den Regalen!" (Elmar Krekeler, Die Welt) 2007 erschien auf deutsch die "transatlantische Tragödie" Das Scherbengericht.

Am Pfingstsonntag 2010 starb das einzige Kind van der Heijdens und seiner Frau Mirjam nach einem Verkehrsunfall. In dem 2011 auf niederländisch und deutsch erschienen "Requiemroman" Tonio setzt er seinem Sohn ein herzzerreißendes Denkmal: Ein Roman, der belegt: angesichts des Todes ist Literatur überlebensnotwendig.

Das Werk A. F. Th. van der Heijdens wurde vielfach ausgezeichnet; genauso wie Helga van Beuningen für ihre überragenden Übersetzungen dieses Werks.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2001

Wider den Uhrzeigersinn
A. F. Th. van der Heijdens wildes Schreiben · Von Martin Ebel

"Sammeln, das ist das systematische Totschlagen von Zeit", sagt eine Nebenfigur in A. F. Th. van der Heijdens Roman "Die Schlacht um die Blaubrücke". Der Hauptfigur, einer verkrachten Existenz mit dem klingenden Namen Albert Egberts, ist das Sammeln schon in der Kindheit aufgenötigt worden - zur Beschäftigung wie zur Disziplinierung: Briefmarken natürlich, aber auch Zigarrenbinden und Zuckertütchen. In Egberts' Familie pflegt man die passive Variante aktiven Sammelns: das Nicht-wegwerfen-Können. "Es gab nichts, das nicht irgendwann mal ,von Nutzen' sein konnte. In Ermangelung von Geld haben wir jahrzehntelang allen möglichen wertlosen Krempel gehortet, und unser Zins war Staub." Die Urgroßmutter hat unzählige Gummiringe über ihre Handgelenke gestreift, die dort seit Jahrzehnten darauf warten, gebraucht zu werden: "Sie haben die Elastizität verloren. Von Zeit zu Zeit reißt einer - einfach so, von selbst, ohne Einwirkung von außen, während ihre Hände unbeweglich im Schoß liegen. Einzig und allein ein geschlossener Kreis zu sein überfordert sie auf die Dauer offenbar schon."

Der erwachsene Albert sammelt Scheren. Haarschneidescheren, Haushaltsscheren, Nähscheren, Nagelscheren, sogar chirurgisches Besteck. In drei alten Exemplaren aus Neapel sind "noch die Keime der Choleraepidemie von 1884 als mikroskopische Fossilien verknöchert". Sein kostbarstes Stück ist eine kleine Plexiglasschere mit einer japanischen Inschrift. "Ich kann es nicht lesen, stelle mir aber vor, daß es ein unendlich zärtliches Wort sein muß." Aber Albert sammelt nicht nur, einige seiner Instrumente benutzt er auch. Mit ihrer Spitze bricht er die Schlösser parkender Autos auf, holt alles Wertvolle heraus und macht es zu Geld: Das braucht er, um Drogen zu kaufen.

Einmal übersieht der Junkie einen auf der Rückbank schlafenden Hund. Der beißt ihn, als Albert sich davonmachen will, in die Schulter. Der Arm schmerzt, die Hand verfällt in ein unkontrollierbares Zittern. Er fixiert sie mit einer zum Kreuz geöffneten Schere, um die sich die Finger krallen. Noch mehr weiß aber der Autor mit dem unscheinbaren Gerät anzufangen. Er kennt den Unterschied zwischen alten Bügelscheren (aus einem Stück) und den zweischenkligen modernen Scharnierscheren, kennt ihre symbolische Ambivalenz (aus zwei wird eins, wenn sich die beiden Klingen schließen; sie teilen, was sie zwischen sich nehmen) und ihre mythologische Aura: Atropos, die dritte Parze, schneidet den Lebensfaden durch. Eine geöffnete Schere ist eine Frau, die die Beine breit macht: "Tastend, jede Kerbe registrierend, glitt meine Fingerkuppe an der Schneide des einen Schenkels herunter. Sie ging tiefer und tiefer . . . bis zu der Niete, wo sie nicht weiterkam. Aus dieser Gabelung war ich hervorgegangen, hier fing mein Leben an." Der Dreh- und Angelpunkt dieses Dingsymbols trägt Leben wie Tod in sich. Und auf seinen beiden Spitzen trägt er das große Thema dieses kleinen Romans: die Zeit.

Zeigermaß und Uhr, so hat Walter Jens in "Statt einer Literaturgeschichte" geschrieben, sind Fixpunkte des klassischen Romans; in der modernen Prosa gibt es nur noch "Uhren ohne Zeiger". Bei van der Heijden gibt es wohl Zeiger - aber man muß sie sich wie die wild umeinander kreisenden Schenkel einer besonders konstruierten Schere vorstellen. Auch der Pfeil - das uns geläufige Zeichen vergehender Zeit - ist eine für diesen Roman unzutreffende Entsprechung. Albert Egberts verfügt über die Fähigkeit, nicht nur "nach vorn", sondern auch "in die Breite" zu leben, ein Leben, "in dem alles schneller verlief, mehr in Bewegung war, keine irdische Zeit verlorenging: in dem sich alle Ereignisse gleichzeitig abspielten, anstatt zeitraubend aufeinanderzufolgen". Früher mußte er diese multiple Erlebnisfähigkeit mit Drogen herbeizwingen, jetzt überfällt sie ihn von allein.

Sprungbrett für dieses Abheben in zeitlich versetzte Paralleluniversen ist immer, ähnlich wie bei Marcel Proust, ein unscheinbarer, aber wirkmächtiger Sinneseindruck, der Lysolgeruch einer Krankenhauskantine oder der Anblick zusätzlicher Hebel an einem Armaturenbrett, die darauf schließen lassen, daß dieses Auto für einen Behinderten umgerüstet wurde. Und schon rast die Erinnerung, weit früher, in einem gestohlenen "Daffodil" am Eindhovener Kanal entlang, springt von dort noch einmal zehn Jahre zurück in die Kindheit, als die Mutter an ebenjenem Kanal, drei Kinder auf dem Fahrrad, dem betrunkenen Vater zu entkommen suchte, "der uns besoffen auf dem Moped verfolgte". Die Mutter hat dann eine Magenblutung, in ihrem Krankenhauszimmer liegt eine Frau, der ihr Mann unentwegt Kinder macht; dieser Mann dringt in den Narkosetraum seiner Mutter ein - und dieser Traum erhält in Alberts Bewußtsein, hier und jetzt, bedrängende Realität.

So funktioniert die "mémoire involontaire" dieses Holländers: wild und zerfahren, hemmungslos und raffgierig. Immer neue Schätze klaubt sie auf diesem "Jahrmarkt der Erinnerung" zusammen, geht die Querwege auch deshalb, weil es in seinem Leben kein "voran", keinen Fortschritt gibt: Jeder Tag ist wie der andere. Und immer wieder taucht das Emblem der Schere auf und treibt sein Spiel, bringt Ordnung in das Ganze und zerschnipselt es wieder. Albert ist fasziniert von Gemälden des "Goldenen Zeitalters", die jenen Moment zeigen, wo Dalila Samson die Haare abschneidet. Die Szene läßt sich unschwer als symbolische Kastration verstehen. Albert kommentiert: "Meine schönsten Jahre impotent gewesen . . . und ich war es wieder. Kein Kind gezeugt, keinen Abzug betätigt . . . nichts." Dafür das Muster des verhaßten Vaters wiederholt: Auch der war ein Säufer und Tunichtgut.

Die Zeit ist der Stille Ozean. Aber an der Oberfläche brodelt und braust es: Wir schreiben die wilden Jahre der Niederlande, als "Kraker" und Punks Schlagzeilen machten. Der historische Moment dieses Romans ist der 30. April 1980, als Königin Juliana abdankt und ihre Tochter Beatrix den Thron besteigt. Der "Königinnentag" dient Studenten und Obdachlosen als willkommener Anlaß, ihre Unzufriedenheit lautstark zur Schau zu stellen. Albert gerät in den Demonstrationszug wie einst Charlie Chaplin in "Moderne Zeiten" und wohnt der titelgebenden Schlacht um die Amsterdamer Blaubrücke bei, als Steine auf Polizisten fliegen und die "Mobile Einheit" Mannschaftswagen und Hubschrauber gegen die "Autonomen" einsetzt. Chaplin landete im Gefängnis, Albert bloß in der Kneipe, wo er die Krönungszeremonie im Fernsehen verfolgt, während draußen weitergekämpft wird: Hier erlebt ein ganzes Land Ungleichzeitigkeit im gleichen Augenblick.

"Die Schlacht um die Blaubrücke" ist bei allem in einer Rezension nur schwer auszulotenden Reichtum an Assoziationen und Verknüpfungen ein bewußt "unordentlich" erzähltes Buch, das zwischen dem kleinkriminellen Kiffermilieu des Helden und dem anachronistischen Ritual des Treueeids der Generalstaaten die ganze Spannung einer an sich selbst irre werdenden Epoche aufzieht. "Unordentlich" ist auch die Plazierung dieses Romans als "Prolog" zu dem großen Zyklus "Die zahnlose Zeit", einem der ambitiösesten Projekte der Gegenwartsliteratur, an dem van der Heijden seit Jahren arbeitet. Denn die (bei uns bereits vorliegenden) Folgebände "Fallende Eltern" und "Das Gefahrendreieck" erzählen, wie Albert zu dem "Leben in die Breite" kam, das er jetzt führt. Tut also nichts, daß diese "falsche" Ouvertüre, die in den Niederlanden bereits 1983 erschien, erst jetzt auf deutsch zu haben ist. Dem Verlag kam es wohl darauf an, den Autor mit dem grandiosen vierten Teil des Zyklus, dem "Anwalt der Hähne", erst einmal bei uns durchzusetzen. Für den Herbst ist der "Gerichtshof der Barmherzigkeit" angekündigt, Teil 3.1. dieser holländischen "Suche nach der verlorenen Zeit". Das verspricht erneut eine wilde Lektüre, eine weitere Portion Erinnerungswut, die man schon mit Freude erwarten darf.

A. F. Th. van der Heijden: "Die Schlacht um die Blaubrücke". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2001. 168 S., geb., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die Geschichte über den heroinabhängigen Albert Egberts ist nicht schnell erzählt und schon gar nicht schnell verstanden. Denn "Die Schlacht um die Blaubrücke" ist nur ein Teil des siebenbändigen, mehr als 3000 Seiten umfassenden Romanzyklus "Die zahnlose Zeit" des 50-jährigen niederländischen Schriftstellers A. F. Th. van der Heijden. Und im Deutschen sind die einzelnen Texte dieses Zyklus noch nicht einmal chronologisch erschienen. Gerrit Bartels findet diese Veröffentlichungspraxis des Verlags kongenial, denn für den Rezensenten entspricht sie dem ungeordneten und ausufernden Erzählen des sprachmächtigen Autors. Für Bartels steht außer Frage, dass van der Heijden ein grandioses Werk über die Erinnerung verfasst hat, dem "Die Schlacht um die Blaubrücke" als Prolog oder Ouvertüre vorangestellt ist. Den Leser erwarten allerdings, warnt der Rezensent, Spots, Bruchstücke und Schnipsel aus dem Leben des Protagonisten. Denjenigen, denen dieses Leben bereits aus den veröffentlichten Zyklus-Teilen bekannt ist, verspricht Bartels viele Déjà-vus. Erstleser von van der Heijden aber müssen sich schon auf etwas Chaos einstellen, wenn auch, ist der Rezensent überzeugt, die Freude auf die Lektüre des gesamten Zyklus dadurch sicher gesteigert wird.

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