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Produktdetails
  • Verlag: Suhrkamp
  • 2000.
  • Seitenzahl: 120
  • Erscheinungstermin: 27. Juni 2001
  • Deutsch
  • Abmessung: 204mm x 128mm x 14mm
  • Gewicht: 218g
  • ISBN-13: 9783518410820
  • ISBN-10: 3518410822
  • Artikelnr.: 08549294
Autorenporträt
Anna Andrejewna Achmatowa, am 23. Juni 1889 bei Odessa als Anna Gorenko geboren, nahm mit 17 Jahren den Namen ihrer tatarischen Großmutter an. Bereits 1912 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband Abend, ihr Hauptwerk Poem ohne Held erschien 1960, sie starb am 5. März 1966 in Domodedowo bei Moskau. Alexander Nitzberg, geboren 1969 in Moskau, lebt als freier Schriftsteller und Übersetzer aus dem Russischen (u. a. Charms, Majakowski und Puschkin) in Wien. Für seine Arbeiten wurde er vielfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2000

Das Geheule der Eule im Garten
Warten, Hoffnung, Entsagung, Enttäuschung: Liebesgedichte von Anna Achmatowa · Von Ulla Hahn

Aus der Interjektion "Ach" erwuchs schließlich alle Lyrik, schreibt Wolfgang Kayser in "Das sprachliche Kunstwerk". Ein Satz, der die Auffassung, was Lyrik sei, nachhaltig geprägt hat. Vor allem Liebesgedichte sind Ach-Gedichte. Auch die von Anna Achmatowa. Abschiede, Sehnsucht, Briefe, die nicht kommen, Schwüre, die gebrochen werden, Warten, Hoffnung, Enttäuschung, Entsagung, das ganze Repertoire von erster bis verschmähter Liebe wird aufgeboten, mit allen dazugehörigen Requisiten von Sonne, Mond und Sterne bis zu Friedhof, Grab und Telefon.

In der Mehrzahl versammelt der Band Gedichte einer knapp Zwanzigjährigen, die noch wenig mit der Welt zu schaffen hat. Zu der Achmatowa reift die Dichterin erst Jahrzehnte später, wenn zu Empfindungs- und Sprachmächtigkeit das Gedankliche als Nerv und Rückhalt ihres Werks hinzukommt.

Dem heiligen Hieronymus wird der Satz zugeschrieben, Übersetzer schleppten ihre Bedeutung nach Hause wie Eroberer ihre Gefangenen. Je zarter ihre Beute, je größer die Gefahr, dass sie den Transport nicht übersteht. Immer wird der Urtext durch Übersetzung verletzt. Nur selten gewinnt ein Original, etwa die braven Sonette der Louise Labbe in der berauschenden Übertragung Rilkes. Meist geht der Weg in umgekehrter Richtung. Das Neuartige, Überraschende, Vorrangige wird aufgegeben zu Gunsten des Gewohnten, Herkömmlichen. So auch in diesen Übertragungen. Ein Grund liegt sicher darin, dass der Übersetzer sich entschieden hat, den Reim aufrechtzuerhalten. Dies zwingt dann häufig zu einer Wortwahl und zu Umstellungen, die altbacken wirken, bisweilen lächerlich. "Sonne" reimt sich auf "Liebesbronne", "Arroganz" auf "Engelskranz", ". . . am Tore schallte das Gepoch; wie eine Eule / erhob der Garten ein Geheule." Der Lyriker Heinz Czechowski übersetzt diese Zeilen: ". . . Und vor der Türe heulte das Verderben / Wie Eulenruf der Garten, schwarz."

Der Reim fordert seinen Tribut in so neckischen Sentenzen wie: "Bildet wie in diesen Liebesgedichten der Ausdruck von Gemütsbewegungen den Mittelpunkt, kommt alles darauf an, ob es gelingt, dem menschheitsalten Hangen und Bangen noch einmal neue Facetten, neue Töne abzuringen. Die Qualität steht und fällt mit frischer Sprache, unverbrauchten Bildern, originellen Fügungen. Scheinbar wie nebenher gesprochene Verse fordern allerdings den Übersetzer nicht minder, sondern eher stärker heraus als der Transfer komplexer Gedankengänge. Letztere, traditionell als Gedankenlyrik bezeichnet, verlieren zwar in der Übersetzung oft die dem Denken innewohnende Musik, doch bleibt meist wenigstens die Sichtweise, der Weg des Gedankens erhalten.

Wir lassen nur die kurzen Treffen zu / und wahren so die gegenseitge Ruh" oder "Will mein Teuerstes zerstören, / und dein Flehen lässt mich kalt / Wirst du mir nicht ganz gehören, / dann erschlage ich dich halt." So etwas sollte "die größte russische Dichterin unseres Jahrhunderts" (Klappentext) geschrieben haben? Rainer Kirsch übersetzt: "Er flüstert': Keine Schonung, nichts, / Für das, was ich liebe - du / Wirst bei mir sein, liebst nur mich, / Oder ich: der dich erschlug.'"

Ob ein Gedicht gut oder schlecht übersetzt - und damit in der fremden Sprache in gutes oder schlechtes Gedicht - ist, entscheidet, wieweit die Originalität sprachlicher Erfindungen erkannt und gewahrt wird. Dass es letztlich das Unübersetzbare ist, was eine Sprache am Leben hält, muss dabei immer in Kauf genommen werden. Doch sollte sich ein Übersetzer bemühen, in seiner Sprache der fremden das Stück Leben neu einzuhauchen, das sie im Übertragungsprozess notwendig verloren hat. In den Übersetzungen dieser Auswahl wird allzu oft einer konventionellen "poetischen" Sprache das Wort erteilt, wird geglättet und schöngeschrieben.

Dennoch lösen auch diese Übertragungen die Gedichte aus ihrer Fixierung in Ort und Zeit ihres Erscheinens, schaffen ihnen einen neuen Raum, stellen sie in eine neue Zeit. Das bleibt verdienstvoll. Sicher wäre Alexander Nitzberg Besseres gelungen, hätte er sich nicht an das Prokrustesbett des Reimzwangs gefesselt.

Anna Achmatowa: "Ich lebe aus dem Mond, du aus der Sonne". Liebesgedichte. Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Olaf Irlenkäuser. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 117 S., geb., 32,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Insgesamt scheint der Rezensent Jürgen Verdovsky ganz angetan von dieser Gedichtsammlung Achmatowas, denn "mit Liebesgedichten schreibt sie sich in die erste Reihe der russischen Moderne". Er rekonstruiert ihre Liebschaften und zitiert aus den Gedichten, mit denen sich Achmatowa an diesen abarbeitete. Trotzdem hat er einiges an der Ausgabe auszusetzen: so etwa, dass nicht die gesamte "Heckenrosen"-Folge - ihrer Liebe zu Isaiah Berlin gewidmet - in dem Band enthalten ist. Auch das Nachwort des Herausgebers Olaf Irlenkäuser gefällt Verdofsky nicht. Er kritisiert die mangelnde Präzision. Überzeugend findet er dagegen die Übersetzung des jungen Lyrikers Alexander Nitzberg.

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