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Produktdetails
  • Verlag: Suhrkamp
  • 1999.
  • Seitenzahl: 294
  • Deutsch
  • Abmessung: 28mm x 129mm x 206mm
  • Gewicht: 413g
  • ISBN-13: 9783518410660
  • ISBN-10: 3518410660
  • Artikelnr.: 08196380
Autorenporträt
Peter Weber, geboren 1968 in Wattwil/Toggenburg, lebte nach seiner Schulzeit mehrere Jahre in Zürich und ist seit 1992 mit einem Generalabonnement der Schweizerischen Bundesbahn viel unterwegs. Zahlreiche Zusammenarbeiten und Projekte mit Musikern aus verschiedenen Bereichen, u.a. Bahnhofsprosa live mit Denis Aebli (Schlagzeug, Elektronik, Vox theremin), Singende Eisen, Spangen und Gleise mit den vier dichtenden Maultrommlern (Bodo Hell, Michel Mettler, Anton Bruhin, Peter Weber) und Auftritte mit dem improvisierenden Streichquartett "Die Firma" aus Zürich und Bern. 1993 erschien sein erster Roman, 2004/05 war er Stadtschreiber in Bergen-Enkheim bei Frankfurt. Für seine Romane erhielt er bereits zahlreiche Auszeichnungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Für Katrin Hillgruber ist "Silber und Salbader" der zweite Talentbeweise des Schriftstellers Peter Weber. Dieser "sinnliche Bäderroman" steckt für sie voller Schätze, Weber sieht sie am Urgrund seines Erzählens angelangt. Sie bleibt im Duktus: "Aus Steinen, Metallen, Gewässern und Tönen schöpft er eine Welt, bringt tausend Brünnlein voller Episoden zum Fließen, wird zum Quellenschmecker und Mythenmehrer." Enzyklopädisches Wissen sieht sie mit Fantasie versetzt, bis sich alle Konturen auflösen. "Der Roman, vernarrt ins Spiel mit der Sprache, mit Wortfamilien und Vokalbelschönheiten", schreibt Hillgruber, "entfaltet ungeahnte atmosphärische Variationen". Weber gebührt ihrer Meinung nach daher unbedingt ein Königsquellrecht des Erzählens.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Im Wellnessbereich gilt jeder Kuss schon als ein Heilquellgeschehen
Peter Webers Baderoman liebt das feuchte Nass / Von Friedmar Apel

Am Durchbruch der Limmat durch die Lägernkette liegt Baden. Tacitus hat es schon als Aquae Helveticae erwähnt, und seit dem Spätmittelalter ist die Wirkung seiner radioaktiven Schwefelquellen auf Körper, Geist und Seele bekannt. In Peter Webers balneologischer Romanhybride bildet es den Fluchtpunkt einer mythopoetisch aufgeladenen Topographie, deren Untergrund das Quellgeschehen zwischen Kaltbrunn im Raschtal auf der anderen Seite Zürichs und dem Limmattal bildet. Wo die Quellen zutage treten, wirken mythische Mächte, und es entsteht Sinn- und Erzählbedarf, denn "Baden löst bekanntlich Krisen aus, führt die Seele an den Tiefpunkt, den Atem auf den Grund", bevor sich dann alles löst.

John von Düffel hatte 1998 in "Vom Wasser" die alte Verbindung zwischen dem Fließen des Wassers und dem Erzählstrom virtuos aktualisiert. Zum Wasser zurückzugehen hieß bei ihm, die Quellen menschlicher Schicksale aufzusuchen. Peter Webers Erzähler erschließt sich die Geschichte der Bewohner des Taschtals elementar aus der Erd- und Quellengeschichte. Unter Molassen, Moränen und Geröll "ist die ganze Weltzeit eingelagert". Im Fließen des Wassers werden die verlorenen Stimmen hörbar, im Bade begegnet sich der Erzähler in seinem Herkommen, er kann sein "Kindheitswasser" fühlen. Schon seine Vorfahren mütterlicherseits waren Quellenhüterinnen, sein Großvater väterlicherseits ein "Wasserkünstler". Wendelin Selb, genannt Silber, wechselweise Protagonist und Erzähler, ist vornehmlich Großelternkind, da Sohn eines Hippie-Troubadours und "Anhängers der Wannwasserlehren". Doch auch das steht in einer Kontinuität, denn das Raschtal sei schon früher "Rückzugsgebiet für Fahrende und Verfolgte, auch für Bettelmönche und Sonderlinge" gewesen.

So bildet sich der nicht wenig sonderbare Silber zum Quellwirt, um das Kurhotel Rose in Baden zu übernehmen, da, einem alten Spottlied zufolge, Quellwirt wird, wer nichts wird. Als vornehmlich theoretischer Heilkundiger erfährt er das Quellgeschehen als Sprache, vor allem aber als Musik, auch das ein Erbe. Eine phantastisch verfremdete Erd- und Quellenkunde wird daher in Webers Geschichte von einer esoterischen Musikalienkunde überlagert, die ihren Erfahrungsbereich "quellsüchtig" von der körpereigenen Musik bis auf die "Gleisharfe" des regen Bahnverkehrs im Limmattal ausweitet. Im Klang der Dinge der Natur wie der Zivilisation, ihrer Stimmung im Doppelsinn, will Silber die eigene Befindlichkeit entziffern. Bevor der Leser darüber je Näheres erfahren darf, muss er jedoch eine Fülle von Klassifikationen, geschichtlichen Erzählungen und erdgeschichtlichen und balneologischen Exkursen über sich ergehen lassen. Dabei lernt er die sonderbarsten Dinge über Bäderarten und -reaktionen, Quellfassungen und Wasserqualitäten, über Gewerbetraditionen und Genealogien im Raschtal und über meteorologische und erdgeschichtliche Vorgänge bis hin zur "Entstehung des Mittelmeers".

Das vom Wasser getriebene Erdleben spielt in Webers Buch die Hauptrolle, der menschliche Protagonist ist da nur ein oft verschüchterter reflektierender Chronist der Schicksale: "Er blickte hinunter. Die Rasch schlug gegen die Südwand, drehte nach Westen ab. Das gefräßige Wasser hatte den weichen Sandstein ausgemahlen, einst in Richtung Kaltbrunn einen Tunnel gehöhlt. Lange war eine dicke Nagelfluhschicht als Naturbrücke begeh- und bewohnbar gewesen, darauf hatten die Zollweiler Tosen-Bruggen und Ennertosen gestanden, die 1759 beim Felssturz von Tosen samt Vieh, Zoll- und Bienenhäusern in die Schlucht hinunterdonnerten. Das Tosenereck wurde fortan Kaffeemühle genannt, da nichts übrig blieb von den Häusern als braunes Pulver, das Wochen später in Kaltbrunn die Ebene färbte."

Wie ein ins Fantastische getriebener Herder erklärt Weber die menschliche Organisation und Sprachfähigkeit aus Wasser, Klima und Luft, aus dem Drama des Erdlebens. Zu sich aber und zur Heilung, zur seelisch-leiblichen Einheit kommt der zerrissene Mensch durch das Eintauchen ins Quellgeschehen und durch die Musik. Eine ironisch-symbolische Rolle spielt dabei die Maultrommel, die auch Salbaderzunge genannt wird.

Auf der "Suche nach Körpertönen" trifft der liebeskranke und ungeschickte Protagonist zu seinem Glück auf die im Brustton musikalisch ausgewogene Bratschistin und Quellwärterin Pina Vaser, auf die er sich in der Streichmusik, im Badegeschäft und im Leben gern verlassen würde. Da wird dann ein Kuss zum Heilquellgeschehen und zugleich zur Entzifferung der Zeit: "Die Zurückhaltung, mit der Pina sonst im Warmbereich operierte, fiel. Es war alles geheizt. Die Süßqualle zappelte, als sich die Speichel vermischten. Im Speichel, der getauscht wurde, war alles enthalten, die letzten Tage, die letzten Jahre." Das aber wirft für den Quelltheoretiker schon wieder neue Fragen auf, zum Beispiel: "Wie hatte es Pina fertig gebracht, den Maultrommler zu küssen, ohne die Säure, die unter der Zunge versammelt war, zu trinken?"

Das ist nicht die einzige Stelle in Peter Webers Text, an der einem der wortspielerische und metaphorische Überaufwand und eine eigentümliche Art mythopoetischer Pedanterie einigermaßen auf die Nerven gehen. Weber hat das ironisch einkalkuliert, denn der Schriftsteller weiß natürlich, dass der Salbader nicht nur ein heilkundiger "Vermittlungskünstler", sondern auch ein salbungsvoller Schwätzer ist. Das ändert aber nichts an der Zwiespältigkeit, dass hinter einer geistreichen Konstruktion, die der Beziehung von Erdkruste, Wasser, Musik und menschlicher Organisation subtile Sprachspiele und fantastische Bilder abgewinnt, die Schilderung der menschlichen Schicksale vom Stoff erdrückt wird und streckenweise eigentümlich fade ausfällt. Als ob ihm eine gehörige Dosis "Hirnsäure" verabreicht worden wäre, wie sie Silbers Vater zu konsumieren pflegte, kommt in Wellen der Quellrausch über den Leser wie ein Naturvorgang. Bei aller Bewunderung für die Sprach- und Wasserkunst des Autors bleibt nach Abklingen der Lektüresymptome beim Leser ein Kater zurück. Er sollte gleichwohl nicht bereuen.

Peter Weber: "Silber und Salbader". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 296 S., geb., 39,80 DM.

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»Silber und Salbader steckt voller Schätze. ... Einmal losgelassen, sind die Elemente kaum mehr zu bändigen. Der Roman vernarrt ins Spiel mit der Sprache, mit Wortfamilien und Vokabelschönheiten, entfaltet ungeahnte atmosphärische Variationen. Er birgt mit enzyklopädischem Eifer Geschichte, versetzt sie mit Fantasie, bis sich alle Konturen auflösen. Seinem Autor gebührt dennoch ein Königsquellrecht des Erzählens.« Katrin Hillgruber Frankfurter Rundschau 19991013