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In diesem Buch hat Adolf Endler Gedichte aus den letzten 35 Jahren sowie neue Gedichte zusammengestellt. Die Gedichte zeigen Endler als einen singulären, ungemein virtuosen, mit lyrischen Formen raffiniert jonglierenden Dichter, der seine Welt und nicht zuletzt sich selbst einem zugleich amüsiert-ironischen und ernsten Blick aussetzt.

Produktbeschreibung
In diesem Buch hat Adolf Endler Gedichte aus den letzten 35 Jahren sowie neue Gedichte zusammengestellt. Die Gedichte zeigen Endler als einen singulären, ungemein virtuosen, mit lyrischen Formen raffiniert jonglierenden Dichter, der seine Welt und nicht zuletzt sich selbst einem zugleich amüsiert-ironischen und ernsten Blick aussetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.1999

Sticht sternenwärts
Adolf Endlers Gedichte · Von Sabine Brandt

Im nächsten Jahr wird der Lyriker Adolf Endler siebzig, und rechtzeitig erscheint bei Suhrkamp ein Band mit Gedichten und Prosa. Rechtzeitig heißt, dass man sich mit dem Dichter vertraut machen kann, ehe Feiern seine Bedeutung umwölken. Aber kennen wir ihn nicht längst? Manch einer wird das von sich behaupten dürfen, viele Deutsche aber, vor allem in den alten Bundesländern, könnten ratlos gucken. Damit sind wir beim Thema, einem, das dem Poesieverehrer kunstfeindlich klingen mag und doch aus der Dichtung nicht wegzudenken ist: bei der Politik. Auf der Reise durch Endlers Schaffensjahrzehnte in der Suhrkamp-Sammlung wird diese Bindung dem Kenner sofort deutlich. Da wir aber, was Endlers Lebens- und Arbeitsumstände betrifft, keine breite Kennergemeinde voraussetzen, schauen wir uns das Stück Historie genauer an, das ihm zuteil wurde. Der Dichter Endler ist ein Produkt und ein Protokollant deutscher Zeitgeschichte.

Er war um die zwanzig und wohnte im heimischen Düsseldorf, als er seine ersten Verse versuchte. Die wenigsten lässt er heute noch gelten, auch wir müssen uns nicht mit ihnen befassen. Reden aber müssen wir von seiner politischen Haltung: ein blutjunger Nachkriegsdeutscher, sah er mit Abscheu auf das, was die Generation der Eltern angerichtet hatte. Wie viele seiner Altersgefährten, fühlte er sich zum Aufbau einer besseren Welt berufen, und zwar nach dem einzig rechten Rezept, dem strikten Antifaschismus. Also lieh er sein Ohr den Verkündern des strikten Programms, den Kommunisten. In Deutschland herrschte Kalter Krieg, der junge Endler bekam Ärger, als er 1951 für die Ost-Berliner Weltjugendfestspiele warb. Vier Jahre später ging er in die DDR.

1955 konnte es keinen Zweifel mehr geben, welchen Prinzipien der kommunistische deutsche Staat gehorchte, es sei denn, jemandes Horizont war mit Gesinnungskulissen verbaut. Darum mühte sich, auch im Falle Endler, die Partei. Sie verschaffte dem Zuwanderer das Hochgefühl, an Aufbauunternehmen fortschrittlicher Jugend beteiligt zu sein; in Reportagen und Gedichten, gesammelt im 1960 erschienenen Band "Weg in die Wische", berichtete er davon. Sie schickte ihn zum Lernen ins Leipziger Literaturinstitut, eine Gründung des orthodoxen Kulturfunktionärs Alfred Kurella, seit 1958, nachdem der Kulturminister und Kurella-Feind Becher tot war, mit dem Namen "Johannes R. Becher" geschmückt. Die SED ließ nichts aus, schien aber von ihrem pädagogischen Erfolg wenig überzeugt zu sein. Ihr "Deutsches Schriftsteller-Lexikon" verschwieg in seinen ersten Ausgaben von 1960 und 1961 den jungen Nachwuchs aus dem Westen. Erst die Edition von 1967 erwähnte ihn, aber kurz und ohne Zuneigung. Dies, obwohl Endler im Jahr davor, zusammen mit Karl Mickel, eine Lyrik-Anthologie unter dem DDR-marktgerechten Titel "In diesem besseren Land" herausgegeben hatte.

Ihm zeigte sich um diese Zeit die DDR schon nicht mehr als gutes, geschweige besseres Land. 1963 waren Wolf Biermann samt seinem Förderer Stephan Hermlin, Reiner Kunze, Bernd Jentzsch und Rainer Kirsch wegen ihrer "kritischen Lyrik" in Ungnade geraten. Auch Endler bekam als Schilderer "gebrochener Gefühle" sein Fett ab. In seiner Antwort an den "ungebrochenen Rezensenten" motzte er: "Wie ist ein ungebrochenes Gefühl? Mit glatten Rändern? / Meins jubelt heute, morgen schon in Not! / Meins ist gebrochen. Kann ich es denn ändern? / Willst aber du es ändern, schlag mich tot!" Diese Verse, man kann sie im neuen Suhrkamp-Band nachlesen, schrieb Endler 1963, doch veröffentlichen konnte er sie erst zwölf Jahre später. Nach dem Machtantritt Honeckers also, dessen Verheißung kulturpolitischer Toleranz, "wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht", in den Ohren der Kulturschaffenden süß klang. Wie sie alle übersah Endler, dass Honecker der Hauptakteur des 11. ZK-Plenums von 1965 gewesen war, des kulturpolitischen Autodafés für alle nicht total SED-konformen Ideen, kämen sie auch aus den Köpfen aufrichtiger Parteigänger. Doch wer jahrelang für die Schublade dichtet und dann vor offenen Verlagstüren steht, kann politische Zusammenhänge mal vergessen. Sie bringen sich später von alleine wieder zur Geltung.

So geschehen mit dem Gedicht "Das Sandkorn", geschrieben 1967, veröffentlicht 1974 in einem Buch, dem es den Titel gab. Endler meinte mit dem Sandkorn sich selbst, als Sand im parteipolitischen Getriebe; nicht, weil er sich so empfand, sondern weil die SED ihn so sah. "Das Sandkorn" hat dreizehn Jahre nach der Niederschrift, sechs Jahre nach dem Druck Mielkes Staatssicherheit beschäftigt. In seinem Nachwort zum Suhrkamp-Band zitiert Endler aus einem "Gutachten" der Stasi-Hauptabteilung XX: "Hier tauchen faktisch alle gesellschaftlichen Organe, einschließlich der Schutz- und Sicherheitsorgane auf. Das Sandkorn ist Symbol für den Skrupel, Zweifel, Gewissensrest der Verantwortlichen und überhaupt für alle Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft. Der Hauptvorwurf lautet: ,Die hätten auch dem Hitler wie Barzelstrauß gedient.' (Also wieder Vorwurf des latenten Faschismus in der DDR.)"

1980, im Jahr dieser Stasi-Rezension, lebte Endler außerhalb jeder Gnade. Er hatte im Jahr zuvor jenen Brief an Honecker mit unterzeichnet, in dem Schriftsteller der DDR ihrer "wachsenden Sorge" über die kulturpolitische Entwicklung Ausdruck gaben. Anlass waren die Verfolgungsmaßnahmen gegen Stefan Heym und Robert Havemann. Im Juni 1979 verstieß der Schriftstellerverband der DDR, unter dem Kommando seines Präsidenten Hermann Kant, neun Mitglieder, unter ihnen Adolf Endler. Der unkundige Westler mag sagen, dass die Verstoßenen in einem Zwangsverband nichts zu suchen hatten. Gelernte DDR-Deutsche wissen, dass der Schriftstellerverband nicht bloß eine politische Formation war, sondern die unabdingbare existenzielle Basis, Sesam-öffne-dich für Verlage und Voraussetzung für Krankengelder und Altersrenten. Endler war um die fünfzig, als er vogelfrei wurde. Da zeigt die Lebenssonne die ersten abendroten Ränder. Was blieb ihm? Der Prenzlauer Berg mit seinen Dichternestern und mit Möglichkeiten zu kleinen Veröffentlichungen. Endler gedenkt in seinem Nachwort der Westausgabe seines "Sandkorns", ediert 1975 bei Wagenbach, und nennt sie "mein einziger ,richtiger' Gedichtband bis heute". Sein Inhalt sei 1985 in einer Dokumentation in den Vereinigten Staaten "frenetisch" beurteilt worden, er habe das 1990, nach der Wende, "so stolz wie müde" zur Kenntnis nehmen dürfen. "Was wäre gewesen", sinnt er, "wenn mich der ,Zuspruch' 15 Jahre früher erreicht hätte?"

Das hätte ihm vielleicht jene Stimmung erspart, in der die "Hefte des Irren Fürsten" entstanden, nach Endlers Bekundung "Gedichte, in denen mit der Gefahr des Absturzes ins Irre-Sein wohl nicht nur kokettiert wird". Man kann ein poetisches Lebenswerk verdauen, auch wenn es aus Schmerz geboren wurde. Anders, wenn aus dem Poesiefreund der Mitmensch hervortritt. Wir sollten nicht herumlesen, sondern des Schicksals gedenken, das hinter jeder Zeile steht und das eigene hätte sein können.

Seine Suhrkamp-Ausgabe umfasst Arbeiten von 1963 bis 1998. Er hat keine Irrungen weggelassen. Dass er nur aufnahm, was künstlerisch vor ihm Bestand hat, widerspricht dem nicht. Er kommentiert das in seinem Nachwort: "Ursprünglich war es dem jugendlichen Helden Endler darum gegangen, ein sozialistischer, ein kommunistischer Sänger auch im Gefolge Majakowskis zu werden, ein Unterfangen, das dann von Jahr zu Jahr brüchiger wird; endlich kippt das alles kreischend ins Wüste und Kaputte um und sticht zerbeult sternenwärts . . ." Treffender, vor allem schöner hätte das niemand ausdrücken können. Allein die Schlussformulierung - "und sticht zerbeult sternenwärts" - strahlt so viel Magie aus, dass man sich das übrige Sprachwerk in diesem Buch nicht entgehen lassen sollte.

Adolf Endler: "Der Pudding der Apokalypse". Gedichte 1963 bis 1998. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 208 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Was Manfred Papst an diesem Band ganz besonders beeindruckt, ist die Vielfalt der ausgewählten Gedichte. Und obwohl Endler bei der Auswahl auf seine ersten beiden Gedichtbände vollständig verzichtet hat, scheinen Manfred Papst die Höhen und Tiefen in Endlers Leben und Dichten deutlich nachvollziehbar. Zwar dürfe man "Anmut, Innigkeit, Einkehr" nicht erwarten. Dafür aber besteche dieser Band durch Endlers virtuosen Umgang mit den verschiedensten Formen: Von Montagetechniken bis Haiku, strenger Versform bis Erzählgedicht reiche die Palette. Dabei dürften den Andeutungen des Rezensenten zufolge durchaus einige echte Rosinen in diesem "Pudding" zu finden sein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2020

„Neigt zu
Alleingängen“
Adolf Endler war „die verwachsenste Gurke
der neuen Poesie“, der Mentor der „Prenzlauer
Berg Connection“ und ein grimmiger Realist:
Ein Band vereint seine sämtlichen Gedichte
VON JÖRG MAGENAU
Laut Selbstaussage war der 2009 im Alter von 79 Jahren gestorbene Dichter Adolf Endler „die verwachsenste Gurke der neuen Poesie“. Manchmal trat er auch als der „irre Fürst“ auf, dessen Notizen am Rande des Wahnsinns anzusiedeln sind. Seine mit sehr viel schwarzem Humor gespeisten Gedichte ergeben eine Art Höllengelächter, mit dem er auf die Miseren des Daseins im Allgemeinen, unauflösliche historische Widersprüche im Besonderen und ganz konkret auf die Paradoxien der DDR- beziehungsweise der gesamtdeutschen Nachwendewirklichkeit reagierte.
„Das Blut entflammt im Kopf sich zum Gedicht“, hatte Endler einst bemerkt, als er an seinem vierzigsten Geburtstag enthusiastisch durchs regennasse Gras den Berg hinunterrollte, bis sich sein Barthaar im Dorn verfing. An diesem biologischen Grundgesetz der Lyrikproduktion änderte sich auch für den älteren Herren, der nicht mehr zu rollen pflegt, nichts. Die DDR war für ihn so etwas wie eine Nussschale, die die Absurdität der ganzen Welt enthielt. Da fand er den Stoff, den er brauchte und das Material, an dem er seinen Sarkasmus erprobte. Doch als die Nussschale zerbrach, blieb die Absurdität der Welt bestehen und Endler begriff, dass „meine ganze Existenz nicht so sehr auf DDR und Sozialismus zu beziehen ist, sondern auf die Frage, ob das Leben absurd ist, oder nicht.“ Aber das war auch bloß eine rhetorische Frage. Das Knorrige, Knollige, Grotesk-Verdrehte seiner Texte sieht nur so lange komisch aus, bis man begriffen hat, dass Endler weniger als Humorist oder Dadaist, denn als grimmiger Realist verstanden werden muss. Oder eben als die verwachsenste Gurke der neuen Poesie.
All die interessanten Beulen und verwegenen Krümmungen dieser Gurke lassen sich nun überblicken. Mit „Die Gedichte“ liegen erstmals alle von Endler publizierten lyrischen Werke in einem Band gesammelt vor, jedenfalls soweit sie auffindbar sind, wie die Herausgeber Robert Gilett und Astrid Köhler vorsichtig einschränken. Denn die Publikationslage ist durchaus unübersichtlich. Fünf der insgesamt zwölf Gedichtbände Endlers erschienen in der DDR, zwei in der Bundesrepublik und fünf nach der Wiedervereinigung. Darunter sind jedoch auch Sammelbände, in denen er Früheres sichtete, neu zusammenstellte und einzelne Gedichte in überarbeiteter Form präsentierte oder in einer Version, die in der DDR nicht an der Zensur vorbeigekommen wäre. Endlers Lyrik ist das Musterbeispiel eines Work in Progress, er selbst ein Autor, der auch seine gedruckten Texte verbesserbar fand.
Für die Herausgeber ergibt sich dadurch die Schwierigkeit, welcher Fassung sie folgen sollen und wie man all die Veränderungen sichtbar macht. Sie haben sich entschieden, die späten Sammelbände „Der Pudding der Apokalypse“ und „Krähenüberkrächzte Rolltreppe“ als Basis zu nehmen und alles, was Endler da weggelassen hat, in den anschließenden Kapiteln nachzureichen und frühere Versionen in den Anmerkungsapparat zu verbannen. Sie folgen damit dem Blick und den Einschätzungen des alten Dichters, vor dessen Augen vor allem das Frühwerk wenig Gnade fand. Damit verzichten sie bedauerlicherweise jedoch auf die chronologische Abbildung der Werke. Wer nun also die künstlerische Entwicklung Endlers, die auch eine ideologische Befreiung gewesen ist, nachvollziehen will, muss sehr viel herumblättern, sich durch die Anmerkungen arbeiten, um dort dann auch wieder auf durchaus selbständige Gedichte zu stoßen. Das schmälert ein wenig den Genuss und die Brauchbarkeit dieser imponierenden Herausgeberarbeit.
Der 1930 geborenen Adolf Endler übersiedelte 1955 in den Osten. In seiner Heimatstadt Düsseldorf drohte dem jungen Antifaschisten eine Anklage wegen „Staatgefährdung“, weil er für die Weltfestspiele der Jugend geworben hatte. So war das im Kalten Krieg. Im Osten aber, da war er sich sicher, wäre bald das Paradies in Sichtweite. Also studierte er am neu gegründeten Literaturinstitut in Leipzig und versuchte sich als kommunistischer Agitator und poetischer Prediger des Aufbaus. Auf dem Bitterfelder Weg marschierte er singend in die Wische bei Magdeburg, wo ein sumpfiges Gebiet erschlossen wurde und der Dichter zum Spaten griff: „Von Strahlennetzen umgittert / Sonnenpfeile Geschwader spritzen / Wir graben von Dürsten erschüttert / In wogenden weißen Hitzen.“ Lobgesänge auf die FDJ und die Industrialisierung der Landwirtschaft in den LPGs folgten, oberlehrerhafte Gedichte, in denen sich „jugendliche Tat“ auf „Arbeiter- und Bauernrat“ reimte.
Dass Endler derlei Agit-Prop später peinlich war und er die Produkte dieser hymnischen Phase lieber verbarg, ist verständlich. Dass sie nun aber auch in der Gesamtausgabe nach hinten rutschen, ist schade, eben weil sich die Verirrungen und Verwachsungen der Gurke so nur schwer nachvollziehen lassen. Man muss, um Endler zu würdigen, auch nicht so weit gehen wie die Herausgeber, die ihn zu „einem der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts“ erklären und behaupten, dass „dessen Haltbarkeit über Grenzen und Zeitenwenden hinweg“ erwiesen sei. Aber: Gehört er nicht eher zu denen, die fast schon vergessen oder vielmehr zu denen, die immer noch zu entdecken sind und zeitlebens am Rande der Öffentlichkeit standen?
Sein jugendlicher Enthusiasmus hielt nicht lange vor und war wohl nicht viel mehr als die begreifliche Reaktion eines Neuankömmlings, der ganz dazugehören will. Es folgten Phasen der mutigen Differenzierung und lebenslange Lust an der Destruktion. Eine Lyrikanthologie, die Endler 1966 zusammen mit Karl Mickel herausgab, hieß listig-optimistisch „In diesem besseren Land“. Das ist zwar grammatikalisch die Steigerung von gut, tatsächlich aber viel weniger. Doch selbst das „besser“, das erst in der Relation zum Westen seinen Sinn erhielt, war ironisch gebrochen und hatte nicht mehr lange Bestand. Seit den Siebzigerjahren war die DDR für Endler nur noch der Lieferant verrückter Stoffe, die er mit spitzen Worten aufspießte und ausstellte wie ein Schmetterlingsforscher seine Beute. Er veröffentlichte da nur noch in Untergrund-Zeitschriften, die in kleinsten Auflagen zirkulierten.
Im Mai 1989 beschrieb „A.E.“ seine Lage so: „Der Nacken im Joch der Privilegien / Wie der eine der Füße im Giftschrank.“ Von den Privilegien hatte Endler in der DDR allerdings weniger abbekommen als vom Giftschrank, seit er 1976 gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert und 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden war. Im eigenen „Ländchen“ hatte man ihn daraufhin kaum noch gedruckt, und falls doch mal ein Buch erschien, wurde es nicht besprochen. Niemals. Blieb also das Joch. Im Westen kannten ihn nur wenige, denn erstens war es ihm irgendwie peinlich, als Held der antikommunistischen Propaganda zu fungieren, zweitens zog er es vor, unauffällig zu bleiben und begnügte sich mit Auflagen von 300 Exemplaren, die in einer Berliner Handpresse hergestellt wurden, und drittens: Wer außer den Beteiligten selbst wollte damals die unzugänglichen Sprachspiele der Prenzlauer Berg-Connection lesen?
So hatte er sich 1990 damit abgefunden, als Lyriker außerhalb des Freundes- und Kollegenkreises unbemerkt zu bleiben und sich mit der Rolle des Mentors, ja „Vaters“ der sehr viel jüngeren Szene zu begnügen. Das stand ihm ja auch sehr gut, dem freundlichen, spöttischen Mann mit dem silbergrauen, struppigen Bart.
Die Szene wäre ohne ihn, den „Tarzan vom Prenzlauer Berg“, jedenfalls kaum vorstellbar gewesen. In seinen Gedichten haben all die Straßen, Hinterhöfe, Bars, Getränke und Trinker Platz, die das alte Berlin ausmachten. Und wenn Endler 1982 über den damaligen Jungpoeten und nach der Wende als Stasi-IM enttarnten Sascha Anderson kumpelhaft dichtete „Die Geistesfron, der Fron zum Hohn / Schlürft Schnaps selbst aus dem Mikrophon“, setzte er mit einer von heute aus gesehen geradezu unglaublich prophetischen Gabe fort: „Man sehe es kurz und bündig / Sascha wird überall fündig …“
Alles Moralisierende lag Endler – vom verwachsenen Gurkenfrühwerk mal abgesehen – fern. Noch zu DDR-Zeiten nannte er einen seiner Gedichtbände in ironischer Überbietung aller Staatssicherheitsbemühungen „Akte Endler“ und erstattete über sich selbst folgenden Bericht: „Wäscht sich oft nicht Zahnausfall Stinkt stark aus dem Rachen / Auch Schweißfuß Liest die Tageszeitungen auf dem Klo /Ausschließlich Hat niemals einen schwarzen Anzug besessen / Neigt zu Alleingängen einsamer Pilzsucher Säuft / Wäscht sich nur flüchtig wenn überhaupt (…) Zieht (wöchentlich bis zu sieben Mal) und volltrunken dann / Vor ganz hässlichen Worten über unseren Johannes R / Becher zurück und vor allem dessen Sonettkunst“.
Sicher ist, dass man als Leser lieber bei Endler einkehren und von ihm die Becher gereicht bekommen möchte. Denn seine Becher sind voller Überraschungen und noch nicht bis zur Neige getrunken.
Adolf Endler: Die Gedichte. Herausgegeben von Robert Gillet und Astrid Köhler unter Mitarbeit von Brigitte Schreier-Endler. Wallstein Verlag, Göttingen 2019, 894 Seiten, 39 Euro.
In seiner Heimatstadt
Düsseldorf drohte dem jungen
Antifaschisten eine Anklage
„Hat niemals einen
schwarzen Anzug besessen“,
schrieb er über sich
Adolf Endler, 1930 in Düsseldorf geboren, übersiedelte 1955 in die DDR, wo er 1979 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde. Er starb 2009. In seinem Werk ist noch viel zu entdecken.
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