14,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

Ein Mann beschäftigt sich mit den Unterschieden der Geschlechter. Doch der Soziologe Pierre Bourdieu tut dies nicht, um den Feminismus unter männliche Dominanz zu bringen, sondern um zu zeigen, daß männliche Herrschaft eine besondere, politisch wie ökonomisch wichtige Form symbolischer Herrschaft darstellt.
Männliche Herrschaft ist das Paradigma aller Herrschaft. Sie hat sich in der sozialen Welt niedergeschlagen und ist in den Einstellungen aller, dem Habitus, präsent: als ein universelles Prinzip des Sehens, ein System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien. Dies erklärt, warum
…mehr

Produktbeschreibung
Ein Mann beschäftigt sich mit den Unterschieden der Geschlechter. Doch der Soziologe Pierre Bourdieu tut dies nicht, um den Feminismus unter männliche Dominanz zu bringen, sondern um zu zeigen, daß männliche Herrschaft eine besondere, politisch wie ökonomisch wichtige Form symbolischer Herrschaft darstellt.

Männliche Herrschaft ist das Paradigma aller Herrschaft. Sie hat sich in der sozialen Welt niedergeschlagen und ist in den Einstellungen aller, dem Habitus, präsent: als ein universelles Prinzip des Sehens, ein System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien. Dies erklärt, warum eine solche Macht akzeptiert wird, denn sie beruht nicht auf einer freiwilligen Entscheidung, sondern auf der unmittelbaren Unterwerfung der sozialisierten Frauen. Für Bourdieu bedarf es daher einer symbolischen Revolution, einer radikalen Umgestaltung jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die die beherrschten Frauen dazu bringen, den Standpunkt der Herrschenden einzunehmen.
Autorenporträt
Pierre Bourdieu, am 1. August 1930 in Denguin (Pyrénées Atlantiques) geboren, besuchte dort das Lycée de Pau und wechselte 1948 an das berühmte Lycée Louis-le-Grand nach Paris. Nachdem er die Eliteschule der École Normale Supérieure durchlaufen hatte, folgte eine außergewöhnliche akademische Karriere. Von 1958 bis 1960 war er Assistent an der Faculté des lettres in Algier, wechselte dann nach Paris und Lille und wurde 1964 Professor an der École Pratique des Hautes Études en Sciences Sociales. Im selben Jahr begann er, die Reihe Le sens commun beim Verlag Éditions de Minuit herauszugeben und erhielt einen Lehrauftrag an der Ècole Normale Supérieure. Es folgten Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte in Princeton und am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Seit 1975 gibt er die Forschungsreihe Actes de la recherche en sciences sociales heraus. 1982 folgte schließlich die Berufung an das Collège de France. 1993 erhielt er die höchste akademische Auszeichnung, die in Frankreich vergeben wird, die Médaille d'or des Centre National de Recherche Scientifique. 1997 wurde ihm der Ernst-Bloch-Preis der Stadt Ludwigshafen verliehen. In seinen ersten ethnologischen Arbeiten untersuchte Bourdieu die Gesellschaft der Kabylen in Algerien. Die in der empirischen ethnologischen Forschung gemachten Erfahrungen bildeten die Grundlage für seine 1972 vorgelegte Esquisse d'une théorie de la pratique (dt. Entwurf einer Theorie der Praxis, 1979). In seinem wohl bekanntesten Buch La distinction (1979, dt. Die feinen Unterschiede, 1982) analysiert Bourdieu wie Gewohnheiten, Freizeitbeschäftigungen, und Schönheitsideale dazu benutzt werden, das Klassenbewußtsein auszudrücken und zu reproduzieren. An zahlreichen Beispielen zeigt Bourdieu, wie sich Gruppen auf subtile Weise durch die feinen Unterschiede in Konsum und Gestus von der jeweils niedrigeren Klasse abgrenzen. Mit Le sens pratique (dt. Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, 1987) folgte 1980 eine ausführliche Reflexion über die konkreten Bedingungen der Wissenschaft, in der Bourdieu das Verhältnis von Theorie und Praxis neu zu denken versucht. Ziel dieser Analysen ist es, die »Objektivierung zu objektivieren« und einen Fortschritt der Erkenntnis in der Sozialwissenschaft dadurch zu ermöglichen, daß sie ihre praktischen Bedingungen kritisch hinterfragt. Seit dem Beginn der 90er Jahre engagiert sich Bourdieu für eine demokratische Kontrolle ökonomischer Prozesse. 1993 rief er zur Gründung einer »Internationalen der Intellektuellen« auf, deren Ziel darin besteht, das Prestige und die Kompetenz im Kampf gegen Globalisierung und die Macht der Finanzmärkte in die Waagschale zu werfen. Die im selben Jahr gegründete Zeitschrift Liber soll dazu ein unabhängiges Forum bieten. Seine politischen Aktivitäten zielen darauf ab, eine Versammlung der "Sozialstände in Europa" einzuberufen, die den europäischen Einigungsprozeß kontrollieren und begleiten soll. Pierre Bourdieu stirbt am 23. Januar 2002 in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Wer wann darüber lacht
Pierre Bourdieus Lanze für die Frau / Von Christine Tauber

Eine Kritik der männlichen Herrschaft durch einen Mann, wo gibt es denn so etwas? Die Hauptthese des Buches, daß die männliche Herrschaft aufgrund ihrer Finte, sich als natürlich-biologische Gegebenheit zu tarnen und sich zugleich eisern in den herrschenden sozialen Strukturen zu verankern, unüberwindlich sei und durch immer neue Reproduktion Männer und Frauen erfolgreich und unausweichlich konditioniere, legt in der Tat die Frage nahe, wie dann männliches Denken je die Distanz einnehme könne, um diese Strukturen realistisch zu beschreiben. Pierre Bourdieus Beteuerung, er habe sich auf dieses "fast gänzlich von Frauen monopolisierte Gebiet gewagt", weil seine Beziehung zum Thema von "Distanz und Sympathie" geprägt sei, überzeugt nicht. Plausibler klingt der Hinweis auf das Grundgesetz aller wissenschaftlichen Beschäftigung, daß das Recht aller auf den Zugang zu allen Gegenständen gewährleistet bleiben müsse.

Der verstorbene Bourdieu bietet in diesem Text von 1998 eine Vielzahl - zum Teil durchaus amüsanter - Beispiele für das Fortleben der androzentrischen Strukturen auch in der heutigen europäischen und amerikanischen Gesellschaft. Besonders schön ist seine Beobachtung, daß Männer Dinge an ihrem Körper als negativ bewerten, die zu klein sind, Frauen hingegen diejenigen, die ihnen zu groß erscheinen. Eine Frau ist fast immer in der Lage, ihren Mann mit detaillierten Beschreibungen zu charakterisieren und im Falle einer polizeilichen Suchanzeige genaueste Angaben über seine Kleidung (die sie ja häufig genug selbst für ihn ausgesucht hat) und über spezifische Merkmale zu machen, während der Mann im umgekehrten Fall meist nur zu allgemeinen Stereotypen greift. In öffentlichen Diskussionen schneiden Männer Frauen oft "das Wort ab, man wendet sich in gutem Glauben an einen Mann, um die kluge Frage zu beantworten, die sie gerade gestellt haben (so, als könne diese per definitionem nicht von einer Frau stammen)". Wehrt sich die Frau gegen ein solches Betragen, legt sie es vielleicht sogar auf einen Eklat an, so läuft sie Gefahr, als hysterisch eingestuft zu werden. Bestenfalls bekommt sie ein besänftigendes Wort oder ein Wangentätscheln zur Beruhigung. Auch Koketterie und Flirt sind keine ernstzunehmenden Alternativen des Aufbegehrens, zeigen sie doch nur erneut das Bedürfnis der Frau, vom Mann wahrgenommen zu werden.

Die Zwangsgewalt, die Männer über Frauen ausüben, ist nach Bourdieu nicht (oder nur sehr selten) die der blanken Faust, sie ist vielmehr eine symbolische Gewalt. Ihre Sublimierung in Denkformen und Sprache steigert noch ihre Wirkung, weil die weiblichen Opfer häufig gar nicht bemerken, daß sie majorisiert werden - in der kabylischen Gesellschaft bezeichnet der Begriff thakbaylith (Kabylität) die Männlichkeit. In einer Art amor fati, einer Liebe zu ihrem sozialen Schicksal, bestätigen Frauen unbewußt die ihnen eingepflanzten männlichen Herrschaftsstrukturen: So ergab eine Umfrage, daß ein Großteil der befragten Frauen es explizit ablehnt, eine Beziehung zu einem kleineren Mann einzugehen. Die Tücke dieser symbolischen männlichen Herrschaft besteht darin, daß sie sich als natürlich ausgibt, obwohl sie kulturell willkürlich entwickelt und dann gesellschaftlich induziert wurde. Nicht die menschliche Anatomie bringt die Differenz hervor, sondern ihre gesellschaftliche Deutung durch den Mann, der augenblicklich danach trachtet, diesem historischen Deutungsakt durch Enthistorisierung Ewigkeitsanspruch zu verleihen. Durch die Konditionierung der Geschlechter bis auf die Körperebene hinab - vereinfacht und archetypisch gesprochen, stehen Männer aufrecht hinter dem Pflug, während Frauen gebückt die Saat auswerfen oder die Kartoffeln aufklauben - prägt sich der Gegensatz so in den Habitus als inkorporiertes soziales Gesetz und ins Unbewußte ein, daß er als schicksalhaft-naturgegeben hingenommen wird. Männliche Macht muß sich nicht rechtfertigen, sie ist einfach da und bestimmt, was das "ewig Weibliche" zu sein hat.

Die Übertragung dieses dualen Systems, bei dem die eine Seite der anderen per se übergeordnet ist, auf kosmologische und mythische Vorstellungen sichert seine Wirkmächtigkeit auch in der Transzendenz ab. Die staatlichen Institutionen, allen voran die Schulen und Kirchen, reproduzieren diese geschlechtlich konditionierenden Strukturen bis in die Familien hinein, weil sie von vornherein von männlichem Denken bestimmt sind: "Die soziale Ordnung funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie gründet." Mädchen wird beispielsweise in der Schule suggeriert, ihre Begabungsstruktur sei "harten" Fächern wie Mathematik und Maschinenbau nicht angemessen. Und nicht von ungefähr geriet der ehemalige Präfekt der vatikanischen Bibliothek in Konflikt mit der gerontrischen Männerwelt des Vatikans, als eine seiner ersten Amthandlungen darin bestand, das Schild abhängen zu lassen, das das Tragen von Miniröcken in der Bibliothek untersagte.

Neu sind diese Einsichten nicht: Jede Frau, die einmal bei der Neubesetzung einer (weiland) C4-Professur mitgearbeitet hat, weiß nur zu gut, wovon Bourdieu spricht. Die Entscheidung, wer wann reden darf, wer wann welchen Witz machen darf und vor allem, wer dann wann darüber lacht, folgt streng männlichen Regeln, die der jeweilige Platzhirsch nicht einmal explizit vorgeben muß, weil sie sich in männlich dominierten Gesellschaften von selbst verstehen. Und auch die Statistiken sind hinlänglich bekannt: Von den hundert hoffnungsvollen Romanistikstudentinnen mit Perlenkettchen, die etwa 96 Prozent der Erstsemester ihres Jahrgangs stellen, sind auf Doktorandenebene noch rund zwanzig übrig, von denen dann schließlich 0,2 bis 0,5 Prozent eine Professur ergattern, wenn sie großes Glück haben und von den richtigen Männern protegiert werden. Neu aber ist der fatalistische Unterton, der Bourdieus Analysen begleitet und der jede Hoffnung darauf, daß sich in den letzten zwanzig Jahren kategorial etwas geändert hätte, zunichte macht. Es sei wie beim Handikap-Rennen, schreibt Bourdieu: Die Struktur der Abstände bliebe immer erhalten, die Kluft zum echten Kampf um die Macht für die Frauen unüberbrückbar.

Der große Entzauberer stellt seine Diagnosen gnadenlos - Therapievorschläge hat er nicht zur Hand, sieht man einmal von den zarten Hinweisen in der einen oder anderen Fußnote ab. Dort steht an versteckter Stelle, daß eine Befreiung der Frauen ohne eine Befreiung der Männer aus den bestehenden Strukturen nicht möglich sei, weil männliche Herrschaft genauso zwanghaft konditioniert sei wie weibliche Unterwerfung. Dem männlichen Zwang zur Herrschaft korrespondiere nämlich eine außerordentliche Verletzlichkeit. Weiterhin gibt er zu bedenken, daß eine mögliche Befreiungsaktion eigentlich nur mit subversiven Mitteln durchgeführt werden könne. Subversion aber bedient sich der List, schleicht auf krummen Nebenwegen, duckt sich unter der männlichen Linie hindurch, greift von hinten an, ironisiert, persifliert und unterminiert bestehende Herrschaftsordnungen, so daß jeder einigermaßen männliche Kabyle sofort wüßte: Hier können nur die Waffen einer Frau am Werke sein!

Pierre Bourdieu: "Die männliche Herrschaft". Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 210 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2005

Zurück zu den alten Fragen
Pierre Bourdieu hat Ratschläge für Feministen
Es ist noch nicht lange her, da stritt die Frauenbewegung leidenschaftlich darüber, ob mit der Klassengesellschaft auch die Unterdrückung der Frau verschwinden würde. Für uns hat die Debatte mittlerweile einen gewissen nostalgischen Charme, und doch fühlt sich an sie erinnert, wer Pierre Bourdieus Studie über „Die männliche Herrschaft” liest. Darin untersucht er, weshalb und auf welche Weise sich die männliche Herrschaft jenseits aller historischen Veränderungen so stabil aufrecht erhalte, weshalb mit anderen Worten auch der gesamte soziale und ökonomische Wandel der vergangenen Jahrzehnte wenig an der Aufteilung der Welt in männliche Herrschaft und weibliche Unterwerfung geändert habe.
Dass die Verhältnisse tatsächlich so unwandelbar sind, ist seit der Veröffentlichung des französischen Originals und der englischen Übersetzung nicht unwidersprochen geblieben. Auch Bourdieu selbst stellt Veränderungen fest. Dennoch vermittelt das Buch den Anschein, als ob ihn die mehr oder minder begrenzten Fortschritte nicht interessierten. Sicher, zwar studieren Frauen - aber dann doch wieder nur die „weichen” und für berufliche Karrieren unattraktiven Fächer. Und wenn sie in Berufsfeldern wie der Medizin vertreten sind, dann doch wieder überproportional in der Gynäkologie oder der Kinderheilkunde, während ihnen die prestigeträchtige Chirurgie verschlossen bleibt. Zum Schluss überwiegt der Eindruck, das alles spiele sich auf der Ebene bloßer Oberflächenphänomene vor dem Hintergrund einer sich seit jeher reproduzierenden Geschlechterdichotomie ab.
Dazu trägt vor allem der methodische Rückgriff auf die Resultate der ethnologischen Forschungen bei, die Bourdieu in den sechziger Jahren unter den Berbern in der Kabylei anstellte. Sie bilden den ersten und umfangreichsten Teil der Studie und erinnern an eine strukturale Analyse eines zeitlosen gesellschaftlichen Unbewussten. Das allerdings sollen sie gerade nicht sein. Das Kapitel hat eher den Status einer erkenntniskritischen Vorrede. Bourdieu sieht den Vorteil einer ethnologischen Beschreibung der sozialen Welt darin, sie damit auf einfachere Weise der Objektivierung zugänglich zu machen. Die sozialen Beziehungen und Herrschaftsverhältnisse liegen nicht offen zutage, und sie sind nicht der willentlichen Kontrolle oder bewussten Entscheidung zugänglich. Sie bestimmen vielmehr alle Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata und damit das, wofür Bourdieu den Begriff des „Habitus” geprägt hat, nämlich ein in die Körper eingeprägtes soziales Gesetz.
Paradoxerweise wird die durch das Gesetz ausgeübte symbolische Gewalt von den Beherrschten nicht nur nicht wahrgenommen, sondern auch noch selbst erzeugt und unterstützt. Den Beherrschten stehen nämlich keine anderen Erkenntnismittel zur Verfügung als die vom Standpunkt der Herrschenden aus konstruierten Kategorien, und so breitet sich die Aura des Natürlichen über eine in Wirklichkeit kulturell und historisch erzeugte Situation. Diese Gewalt reproduziert sich nicht auf der Ebene des bloßen Bewusstseins, etwa einer Ideologie, sondern in genau definierten Instanzen: Familie, Kirche, Staat, Schule, usw. Also, lautet Bourdieus Fazit für den Feminismus: Frauenforschung darf sich nicht auf den Bereich der Familie beschränken, sondern muss die Gesamtheit der gesellschaftlichen Reproduktionsinstanzen in den Blick nehmen.
Dass ein Mann sich auf das Glatteis der feministischen Theorie wagt, ist selbst dem unerschrockenen Bourdieu eine Erklärung wert. Die Logik seiner Forschungen habe ihn veranlasst, sich dem Thema Feminismus zuzuwenden, erläutert er zu Beginn des Buches. Das ist gewiss richtig, insofern er schon in seinen frühen ethnologischen Arbeiten eine nach Geschlechterkategorien geteilte Weltsicht nachweist und, etwa 1980 in „Sozialer Sinn”, als „die bestverankerte der kollektiven und damit objektiven Illusionen” bezeichnet.
Ebenso richtig ist aber, dass er den Feminismus erst zu dem Zeitpunkt als eigenständiges Thema aufgegriffen hat, als er sich zunehmend als öffentlicher Intellektueller begriff und sich an die Spitze sozialer Bewegungen zu setzen versuchte. Diesem Kontext verdankte das Buch 1998 nach seinem Erscheinen in Frankreich Verkaufszahlen im oberen fünfstelligen Bereich, wie sie hierzulande für ein Sachbuch dieser Art schlechthin nicht vorstellbar sind, und es geriet sofort mitten in eine aufgeheizte Diskussion um die Figur Bourdieus.
Ein soziologischer Terrorist?
Fast zur gleichen Zeit nämlich veröffentlichte die Historikerin Jeannine Verdès-Leroux eine Abrechnung mit dem Werk des Soziologen, die den Untertitel trug: „Über den soziologischen Terrorismus Pierre Bourdieus”. Die französische Öffentlichkeit hatte ihren „Fall Bourdieu” und konnte sich über die Frage ereifern, ob der Soziologe sich nur deshalb in militanten politischen Aktionen ergehe, weil er mit seiner theoretischen Arbeit in eine Sackgasse geraten sei. So unredlich es ist, den engagierten Intellektuellen gegen den Wissenschaftler auszuspielen, so zutreffend war es auch, dass Bourdieu beide Rollen gar nicht mehr getrennt wahrnehmen mochte.
Aus diesem Selbstverständnis lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen für die Lektüre ziehen. Sie führt beispielsweise den gelegentlich gegen Bourdieu gerichteten Vorwurf eines gewissen Konservatismus oder sogar Determinismus ad absurdum. In der Tat ratifiziert eine wissenschaftliche Analyse der Herrschaft diese nicht gleich schon. Gleichzeitig mag sich so die fast abfällige Kürze erklären, mit der er über voluntaristische Theorieansätze hinweggeht, etwa wenn er Judith Butler mit der Bemerkung abfertigt, die Geschlechter seien alles andere als bloße „Rollen”, die man „nach Belieben zu spielen vermöchte”.
Wenn der Feminismus eine subversive politische Bewegung werden wolle, so schreibt ihm Bourdieu ins Stammbuch, dann müsse er „alle Herrschaftseffekte berücksichtigen, die über die objektive Komplizenschaft zwischen den inkorporierten Strukturen und den Strukturen der großen Institutionen ausgeübt werden, wo nicht nur die männliche Ordnung, sondern die gesamte gesellschaftliche Ordnung vollendet und reproduziert wird”. Nur eine derart umfassend ausgerichtete Bewegung könne auf lange Sicht „zum allmählichen Untergang der männlichen Herrschaft beitragen”.
Die soziale Revolution werde nicht genügen, um die Probleme der Frauen zu lösen, hatte einst Simone de Beauvoir resigniert festgestellt und den Ausweg in einer Parallelaktion von Feminismus und Klassenkampf gesehen. Mit Bourdieu sind wir, ein halbes Jahrhundert später, um einiges theoretisches Instrumentarium reicher und wieder zurück bei den alten Fragen.
SONJA ASAL
PIERRE BOURDIEU: Die männliche Herrschaft. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2005. 211 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ach, wie fleißig haben Frauen über die Herrschaft der Männer geschrieben, wie wenig hat es die Herren interessiert, seufzt Susanne Mayer. Dass mit Pierre Bourdieu sich nun endlich einmal ein Mann des Themas angenommen hat, freut sie erst einmal, auch wenn sie skeptisch bleibt, ob er wirklich die "Spirale der Erkenntnis" höher treiben kann. Ja doch, er kann, versichert Mayer. Was ihn interessiere, sei, wie sich die männliche Herrschaft scheinbar so mühelos reproduziert. Er legt die Mechanismen dieser Machtmaschine offen: "Die soziale Ordnung funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie gründet", zitiert Mayer Bourdieu. Sehr luzide findet die Rezensentin, wie Bourdieu anschließend beschreibe, wie jeder Einbruch von Frauen in eine Männerdomäne als grundsätzlicher Angriff auf die Männlichkeit empfunden wird, köstlich gar seine Interpretation von Virgina Woolfes "Fahrt zum Leuchtturm". Auch die Komplizenschaft der Frauen, ihr vorauseilender Gehorsam, werden von Bourdieu unter die Lupe genommen, nimmt die Rezensentin anerkennend zur Kenntnis, die nur nicht Bourdieus Glauben an die heilende Kraft der Liebe teilen mag.

© Perlentaucher Medien GmbH