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Es geht um die Rolle der Philosophie in der Welt von heute und um die Antworten, die sie auf aktuelle Herausforderungen etwa der Naturwissenschaften vom Menschen zu geben vermag.

Produktbeschreibung
Es geht um die Rolle der Philosophie in der Welt von heute und um die Antworten, die sie auf aktuelle Herausforderungen etwa der Naturwissenschaften vom Menschen zu geben vermag.
Autorenporträt
Janich, PeterPeter Janich (1942-2016) war Professor emeritus für Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Zuletzt erschien Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung (eu 21).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.06.2006

Mit Rad und Draht
Werden die Naturwissenschaften alles beherrschen? Peter Janichs anti-naturalistische Streitschrift „Kultur und Methode” hält dagegen
Der in Marburg lehrende Philosoph Peter Janich versteht sich als „Kulturalist”. Anders als die Wortwahl suggeriert, bezeichnet der Begriff keine kulturphilosophische, sondern eine wissenschaftstheoretische Position. Grundlegend für den Kulturalismus ist die Überzeugung, dass die menschliche Welt eigenen, von der übrigen Natur abweichenden Regeln folgt und deshalb nicht auf den Horizont naturwissenschaftlicher Darstellungsmodelle reduziert werden darf. Der methodische Kulturalismus ist vor allem eines: ein wissenschaftstheoretisch reflektierter Anti-Naturalismus.
Überhaupt gewinnt Janich seine Begriffe häufig aus der Negation. Gegen die Phänomenologie des Fremden, die sich identitätsphilosophischen Vereinnahmungen entziehen und Beschreibungsformen des Sozialen entwickeln möchte, die für Differenzen empfänglich sind, setzt Janich das Konzept der „Transsubjektivität”. Der Begriff erlaubt es, die Probleme zu unterlaufen und auf einfachste Alltagserfahrungen zurückzugreifen, deren interkulturelle Zustimmungsfähigkeit außer Zweifel steht. Die „Nostrifizierungsphobie” der Xenologen hingegen ist dem methodischen Kulturalismus ebenso ein Gräuel wie die Weltdistanz der akademischen Philosophiegeschichtsschreibung.
Wo Letztere sich über die vergangenen Gestalten des Denkens beugt, um auf dem Umweg über die Geschichte den Raum des Wissens offen zu halten, winkt der Wissenschaftstheoretiker gelangweilt ab. Statt große Namen im Munde zu führen, was Reputation, aber keinen Fortschritt bringe, möchte er das emphatisch zeitgenössische „Projekt einer Philosophie rationalen Handelns” voranbringen. Wie Janich in der Einleitung seines neuen Buches erklärt, soll diese Initiative „kompetent und gelassen . . . zu einer Synthese von Natur-, Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaften im Sinne einer expliziten und gerechtfertigten Arbeitsteilung führen”.
Der Kulturalismus als Präzeptor der Wissenschaften? Janich belässt es bei dieser Andeutung. Sein Hauptaugenmerk gilt der Demontage des Naturalismus, und angesichts der Leitvorstellungen, die derzeit die Wissenschafts- und Forschungspolitik bestimmen, bildet diese streitbare, im übrigen auch überfällige Auseinandersetzung das Prunkstück des vorliegenden Bandes. Aus kulturalistischer Sicht gilt als naturalistisch die verbreitete, das Weltbild der Wissenschaftsgesellschaft prägende Überzeugung, dass die Verfahrensweisen der Naturwissenschaften prinzipiell auf alle Erkenntnisgegenstände gleichermaßen anwendbar seien - auf alle Gegenstände „vom Urknall bis zum Sozialstaat”. Die Konsequenz ist klar und wird inzwischen von Politikern und Medien dankbar aufgegriffen und verstärkt. Nachdem ihre Fächer zu Leitwissenschaften aufgerückt sind, wollen Naturwissenschaftler nun auch in Fragen der Kultur, der Bildung und der sozialen Ordnung ein entscheidendes Wort mitreden.
Zu Recht hebt die kulturalistische Kritik die pseudoreligiösen Züge dieses Erwartungszusammenhangs hervor: die fatale Neigung, Vereinfachungen mit haltlosen Problemlösungsversprechen zu verknüpfen. An den Konditionen des Menschseins aber, so Janich, greife diese Vorstellungswelt vorbei. Neben einem vorschnell verallgemeinernden Kausalitätsmodell sei das unangemessene Handlungskonzept zu monieren: Menschliches Handeln sei eben nicht eine Weise des Verhaltens, wie der Naturalismus in seinen Beschreibungen des Sozialen unterstelle. Anders als Verhalten könne Handeln auch unterlassen werden, und nur beim Handeln sei die Zuschreibung von Verdienst und Schuld, von Gelingen und Misslingen statthaft. Allein der Mensch muss sein Handeln mühsam erlernen und verfügt neben kinetischen (aufrecht gehen, schwimmen, musizieren) auch über anspruchsvolle kommunikative und intellektuelle Fähigkeiten. Wo Menschen handeln, da folgt diese Praxis den Regeln der „Zwecksetzungsautonomie”, der „Mittelwahlrationalität” und der „Folgenverantwortlichkeit”.
Bekannte Mittel, neue Zwecke
Um die kulturalistische Korrektur am Naturalismus nicht im Gegenzug intellektualistisch zu verkürzen, entfaltet Janich eine Reihe illustrativer Beispiele. In der Verwendung des Rades (und in der Folge der Seilrolle, des Zahnkranzes, des Schneckengetriebes . . .) und ebenso des Drahtes (des Geflechts, mit wachsender „Kulturhöhe” auch des Stromleiters) erkennt er konkrete Fälle einer für die gesamte Kulturentwicklung bezeichnenden Praxis, wonach vorhandene Mittel neuen Zwecken zugeführt werden. Das auf diese Weise gewonnene Kriterium der Zweckrationalität ist für die kulturalistische Selbstpositionierung entscheidend. Nach scharfer Polemik gegen die habituelle Weltdistanz der platonistischen Tradition mündet Janichs Darstellung in eine einprägsame, die Dominanz zweckrationalen Handelns pointierende Formel: Technik ist kulturförmig, Kultur ist technikförmig.
Auffällig ist freilich auch, dass die Abgrenzung vom Naturalismus am Ende nicht mehr ganz so spektakulär ausfällt. Auch der Kulturalismus ist entschieden ein Szientismus. Es ist erstaunlich zu sehen, wie selbstverständlich die vorliegenden Einzeluntersuchungen an den kulturphilosophischen Fragestellungen der letzten hundert Jahre vorbeiformulieren. Kein Wort zu Du Bois-Reymond oder Ostwald, die doch ebenfalls auf einen wissenschaftlichen Universalismus gesetzt haben. Kein Wort zu den handlungstheoretischen Konzepten Gehlens oder Plessners, die doch ebenfalls die Praxisverwiesenheit des Menschen herausgestellt haben, kein Wort auch zu den materialreichen, unverkennbar technikinteressierten Anthropologien von Leroi-Gourhan oder Lévi-Strauss - zu schweigen von Cassirer, der doch spätestens in seinem großen Aufsatz über „Form und Technik” von 1930 die Schranke zwischen Technik und Kultur weithin sichtbar geöffnet hat.
Die Forciertheit solcher Ausgrenzungen deutet auf Leerstellen im kulturalistischen Konzept: theoriegeschichtliche Unterbestimmtheit und eingeschränkte Anschlussfähigkeit. Nicht die besten Aussichten für jene „explizite und gerechtfertigte Arbeitsteilung” der Wissenschaften, die der methodische Kulturalismus so gern moderieren würde.
RALF KONERSMANN
PETER JANICH: Kultur und Methode. Philosophie in einer wissenschaftlich geprägten Welt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 460 S., 15 Euro.
Gegen die Ansicht, die Methoden der Naturwissenschaften seien auf alle Gegenstände „vom Urknall bis zum Sozialstaat” anzuwenden, setzt der „Kulturalismus” des Philosophen Peter Janich seine Räder und Zahnkränze - als Beispiele für die Zweckrationalität menschlicher Kulturentwicklung.
Foto: Matthias Kulka
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Erfreut zeigt sich Ralf Konersmann von dieser "anti-naturalistischen Streitschrift", die der Philosoph Peter Janich unter dem Titel "Kultur und Methode" vorgelegt hat. Die Auseinandersetzung des wissenschaftstheoretischen Kulturalisten Janich mit dem wissenschaftlichen Naturalismus der Naturwissenschaften hält Konersmann für "überfällig", haben sich Naturwissenschaften doch längst als Leitwissenschaft etabliert, welche die Vorstellungen der Forschungs- und Wissenschaftspolitik bestimmen. Im Zentrum von Janichs Kritik sieht Konersmann die naturalistische Überzeugung, Verfahrensweisen der Naturwissenschaften seien prinzipiell auf alle Erkenntnisgegenstände gleichermaßen anwendbar - "vom Urknall bis zum Sozialstaat" (Janich). In der Konsequenz wollten Naturwissenschaftler nun auch in Fragen der Kultur, der Bildung und der sozialen Ordnung ein entscheidendes Wort mitreden. Der Kritik, die Janich im einzelnen an dieser Auffassung übt, kann Konersmann nur zustimmen. Er unterstreicht indes, dass Janichs Abgrenzung vom Naturalismus am Ende doch nicht so eindeutig ausfällt. Schließlich sei auch der Kulturalismus ein Szientismus.

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