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»Es kommt nur noch selten vor, daß man in der europäischen Literatur auf einen erratischen Block stößt wie diesen«, schrieb die NZZ anläßlich des Erscheinens von Zygmunt Haupts Prosaband Ein Ring aus Papier, mit dem die Wiederentdeckung des großen polnischen Erzählers begann. Haupts zweiter Prosaband Vorhut, 1989 im Pariser Exilverlag »Kultura« posthum veröffentlicht, enthält Texte, die zwischen 1944 und 1975 in Zeitschriften publiziert wurden.
Sie lesen sich wie Bruchstücke eines ungeschriebenen Romans. Der Liebe zu Nietota, seiner früh- verstorbenen Schwester, sind Texte von schmerzlicher
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Produktbeschreibung
»Es kommt nur noch selten vor, daß man in der europäischen Literatur auf einen erratischen Block stößt wie diesen«, schrieb die NZZ anläßlich des Erscheinens von Zygmunt Haupts Prosaband Ein Ring aus Papier, mit dem die Wiederentdeckung des großen polnischen Erzählers begann. Haupts zweiter Prosaband Vorhut, 1989 im Pariser Exilverlag »Kultura« posthum veröffentlicht, enthält Texte, die zwischen 1944 und 1975 in Zeitschriften publiziert wurden.

Sie lesen sich wie Bruchstücke eines ungeschriebenen Romans. Der Liebe zu Nietota, seiner früh- verstorbenen Schwester, sind Texte von schmerzlicher Intensität gewidmet. Die Landschaften und Städtchen des polnischen Ostens, die Atmosphäre im Lemberg der dreißiger Jahre beschreibt Haupt mit derselben Präzision wie die Wolkenbildungen, die Sommergerüche oder einen »Grashügel, durchwebt mit Blumen, deren unirdische Zartheit ihm die Kehle zuschnürt«.
Autorenporträt
Zygmunt Haupt, 1907 in Ulaszkowce am Seret (heute Ukraine) geboren. Studium der Architektur in Lemberg, seit 1939 Soldat, zunächst in Ungarn, dann in Frankreich und England. 1946 übersiedelte er in die USA und arbeitete ab 1951 für Voice of America. 1963 erschien in Paris sein Erzählband Ein Ring aus Papier, die einzige Publikation zu Lebzeiten. Haupt, der auch Maler war, starb 1975 in Winchester/Virginia.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2007

Pferdestärken
Zum 100. Geburtstag: Zygmunt Haupts „Vorhut” auf deutsch
Wie soll man ein Loblied auf diesen Autor beginnen, dessen Werk so lange geruht hat, gelassen und geduldig, als wüsste es, dass keine Eile haben muss, wer nicht veralten kann? Wie die unbändige Weltneugier und vollkommen unpedantische Genauigkeit beschreiben, die in dieser Prosa wie in einer Phiole brodelnd zusammenschießen?
Vielleicht mit der an dieser Stelle noch etwas rätselhaften Vermutung, dass die Pferde und die Kutschen in der Literatur womöglich ihre Apotheose erst erleben können, wenn es die Lokomotiven und Automobile schon gibt. Oder mit ein paar Zeilen, wie er sie selber schreibt, wenn er wieder einmal von einer scheinbaren Abschweifung zurückkehrt, bei der er eine Landschaft oder eine Kleinstadtkaste mit dem Lasso einer seiner Aufzählungslitaneien eingefangen hat: „Aber ich bin vorausgeeilt, wie jener Schuster Lustig aus dem Märchen, der den Faden mit Pech bestrich, das Leder klopfte und so mit dem Hammer schlug, dass ihm kein Paar Schuhe gelang, weil er sich zu sehr mitreißen ließ, und diese Art zu schreiben nennt sich fleuve, stream of consciousnesss . . . ”.
Erst seit 2003, als der Band „Ein Ring aus Papier” erschien, ist der Name Zygmunt Haupt in Deutschland mehr als ein Gerücht. Nun haben auch hierzulande die Leser die Chance, diesen polnischen Ausgewanderten kennenzulernen, der vor hundert Jahren, am 3. März 1907, an der galizischen Peripherie des Habsburger Reiches in der heutigen Westukraine geboren wurde und 1975 in Winchester, Virginia starb. Wer den „Ring aus Papier” kennt, wird das Buch schon erwartet haben, das es nun zum Geburtstag erstmals auf deutsch gibt: „Vorhut”, den zweiten Band mit Erzählungen und Skizzen von Zygmunt Haupt, erschienen posthum im Pariser Exilverlag „Kultura”.
In diesem Buch, das Esther Kinsky wie schon seinen Vorgänger in ein makelloses Deutsch übertragen und mit so sparsamen wie nützlichen Anmerkungen versehen hat, wird, in dem Text „Die Steppenhexe”, plötzlich greifbar, dass Haupt zu der Generation gehörte, die beide Weltkriege des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Er will gerade eine Mittagsszenerie unter heißer Sonne beschreiben, da fährt ihm eine Kindheitserinnerung aus dem Ersten Weltkrieg dazwischen, und es folgen zwei Seiten Prosa, auf die eine europäische Anthologie über Flucht und Vertreibung nicht verzichten könnte: „Wir flüchteten, denn die Flucht ist für uns alle eine kinetische Verlängerung des Lebens, die letzte Verteidigung, auf der Flucht wollen wir noch mehr von diesem Leben in hastigen Schlucken trinken, zwischen uns und dem Schrecklichen einen heilenden Abstand schaffen, uns davon abgrenzen, dem Ungeheuerlichen den Rücken kehren.”
Über die Güterwaggons des Flüchtlingszuges mit den schmalen Fensterschlitzen lässt Haupt in dieser 1969 publizierten Erzählung den Schatten der künftigen Deportationen fallen. Aber nur so, nur als Schatten, erlaubt er der Zeitgeschichte, in seiner Prosa anwesend zu sein. Sie ist immer da, aber der Autor lässt sich von ihr nicht vorschreiben, was er zu erzählen hat. Er interessiert sich für Landschaften nicht erst, wenn sie zu Schlachtfeldern werden, für die offenen Pferdewagen nicht erst, wenn ihnen die Maschinengewehre aufmontiert werden.
Das tritt in diesem klug komponierten Band auch deshalb hervor, weil hier Texte aus den sechziger Jahren neben Texten stehen, die schon 1944 und 1945 veröffentlicht wurden. So wird deutlich, dass Zygmunt Haupt nicht nur mit allen Wassern der ästhetischen Moderne – wie dem stream of consciousness – gewaschen war, sondern dass er zugleich der alten Quelle halluzinatorischer Genauigkeit im Erfassen der äußeren Welt verbunden war: der Naturgeschichte.
Man lese etwa das Prosastück mit dem seltsamen Titel „Die Entropie tendiert gegen Null”. Es beginnt mit einer Klage über die Standardisierung und Uniformierung der Welt, die selbst etwas standardisiert Kulturkritisches hat. Aber schon nach einer halben Seite ist die Klage zu Ende und es beginnt – die Feier der Unterschiede. In Bildern, die den Leser mit einer Macht in ihren Bann ziehen, wie sie sonst nur einer spannenden Erzählung zu Gebote steht, zeichnet sich die Landschaft der Kindheit ab, mit ihren Flüssen und Schlemmlandtälern, ihrer Fauna und Flora, und das nicht nur in einer Beleuchtung, sondern im Durchgang durch die Jahreszeiten, festgehalten von einem Erzähler der Natur, dessen Schulmeisterin jene „Kunst der Wolkenbetrachtung” ist, die nur im „Zustand des völligen Sichgehenlassens” zur Entfaltung kommt.
In Lemberg, aber auch in Paris hat Zygmunt Haupt Bauplanung und Ingenieurswesen studiert. Von hier muss die technische Genauigkeit kommen, die seine Prosa auszeichnet, wenn sie etwa in das anschwellende Klopfen, Seufzen und Stöhnen, mit dem sich in den Eisenbahnschienen der Heimat der herannahende Schnellzug vier Uhr dreiundzwanzig ankündigt, den Doppler-Effekt als „akustische Kuriosität” einzeichnet. Wie die Umrisse und Metamorphosen der Wolken ist in Haupts Prosa die Zwischenkriegswelt seiner in den zwanziger Jahren tatsächlich polnischen Heimat eingezeichnet, mit ihren Legenden und ihrem Aberglauben, mit ihrer avantgardistischen Bohème, aber auch mit ihren Katasterämtern und Bürokratien. Die Züge und Lokomotiven – und nicht zuletzt ihre Unfälle – sind in dieser Welt die Vorboten der Moderne. Ja, und es scheint wirklich so, als verdankten sich die hinreißend unsentimentalen Miniaturen zur Welt der Ställe und Pferde dem Umstand, dass Zygmunt Haupt als Kind der Moderne schreibt.
Das Überwache, surreal-unruhige Element in Haupts Prosa mag vom Krieg verstärkt worden sein, in den er 1939 als Mitglied der polnischen Reservearmee zog: von der Flucht durch Ungarn, nachdem seine Einheit zerschlagen war, von seiner Zeit bei der polnischen Exilarmee in Frankreich, von der neuerlichen Flucht nach England vor den heranrückenden Deutschen. Der polnischen Sprache wie der Herkunftswelt als seinem Stoff ist Zygmunt Haupt treu geblieben, als er 1947 Europa für immer verließ und nach Amerika ging, zunächst nach New Orleans, dann an die Ostküste, wo er seit den fünfziger Jahren für die Voice of America arbeitete.
Es wäre noch viel zu rühmen: etwa die unaufdringlichen Dialoge mit der Malerei oder das Zauberkunststück, in dem Zygmunt Haupt Emma Bovary in die polnische Provinz entführt. Ganz zu schweigen von den Epitaphen auf die lebensneugierige schwindsüchtige Medizinstudentin Nietota, hinter der sich die früh verstorbene Schwester des Autors verbirgt. Belassen wir es bei zwei Schlussworten: Haupt lesen! LOTHAR MÜLLER
ZYGMUNT HAUPT: Vorhut. Erzählungen, Skizzen, Fragmente. Aus dem Polnischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 233 Seiten, 15,80 Euro.
Nur als Schatten darf die Zeitgeschichte anwesend sein
Mit halluzinatorischer Genauigkeit zieht Haupt den Leser in den Bann
Feier der Unterschiede: Zygmunt Haupt Foto: Suhrkamp
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Seinen hundertsten Geburtstag würde der in Polen geborene, später in die USA ausgewanderte und dort 1975 gestorbene Autor Zygmunt Haupt in diesem Jahr feiern. Darauf, dass er auch hierzulande bekannt wird, hat er lange warten müssen. Der Verlust aber, versichert der Rezensent Lothar Müller, liegt ganz auf unserer Seite, die wir so lange keine Leser Haupts sein durften. Dieser Autor, versichert er, war mit allen Wassern der Moderne gewaschen, er schätzt die Abschweifung und den Bewusstseinsstrom, ohne darüber aber je zum Langweiler zu werden. Versammelt sind in diesem Band Erzählungen aus den vierziger aber auch aus den sechziger Jahren. Von großer Bedeutung ist als Gegenstand die polnische Zwischenkriegszeit. Haupts Beschreibungs- und Detailgenauigkeit kann Müller nur bewundern, die Dialoge nicht weniger. Auch die Übersetzung ist, wie er findet, "makellos" ausgefallen. Bleibt nur eine unmissverständliche Aufforderung: "Haupt lesen!"

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