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"'Die Konferenz, der Urlaub, die ganze Reise, alles war nur ein Vorwand für dich, um dorthin zu fahren.' 'Mag sein', gab der Mann zu. 'Einmal muß ich meine Arbeit erledigen', setzte er hinzu, und vielleicht klang seine Stimme ungeduldiger, als er beabsichtigt hatte." Nach Jahrzehnten ist es soweit. An einem heißen Sommertag macht sich der Mann in Begleitung seiner Frau auf, um Buchenwald, die Stätte seiner Erniedrigung und Leiden, zu besuchen. Er schlüpft dazu in die Rolle des überlegenen Fremden. Sie soll ihm erlauben, standzuhalten und abzurechnen, ein für allemal. Aber es kommt anders. Das…mehr

Produktbeschreibung
"'Die Konferenz, der Urlaub, die ganze Reise, alles war nur ein Vorwand für dich, um dorthin zu fahren.' 'Mag sein', gab der Mann zu. 'Einmal muß ich meine Arbeit erledigen', setzte er hinzu, und vielleicht klang seine Stimme ungeduldiger, als er beabsichtigt hatte."
Nach Jahrzehnten ist es soweit. An einem heißen Sommertag macht sich der Mann in Begleitung seiner Frau auf, um Buchenwald, die Stätte seiner Erniedrigung und Leiden, zu besuchen. Er schlüpft dazu in die Rolle des überlegenen Fremden. Sie soll ihm erlauben, standzuhalten und abzurechnen, ein für allemal.
Aber es kommt anders. Das KZ-Tor mit dem bekannten Spruch ist zwar da. Doch was dahinter war, die Vergangenheit, ist abgeräumt worden, fehlt. Ihm ist der Sieg verwehrt. Ganz allein also muß der Spurensucher fertig werden mit seiner Verlorenheit in einer nur allzu "normalen" Gegenwart - die den Erregten für Augenblicke höllisch verzerrt anbleckt.
Autorenporträt
Imre Kertész wurde am 9. November 1929 in Budapest geboren. Er stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde Kertész im Juli 1944 als Fünfzehnjähriger nach Auschwitz deportiert und im April 1945 aus dem KZ Buchenwald befreit. 1948 machte er Abitur und fand eine Anstellung als Journalist bei der Tageszeitung Világosság. Diese wurde alsbald zum Parteiorgan der Kommunisten erklärt und er entlassen. Von 1951 bis 1953 leistete er Militärdienst. 1960 begann er mit der Arbeit an seinem Roman Sorstalanság (dt. Mensch ohne Schicksal, 1990; Roman eines Schicksallosen, 1995). Nach jahrelangen erfolglosen Versuchen konnte das Buch 1975 in Ungarn veröffentlicht werden, erfuhr jedoch erst mit der zweiten Auflage 1985 literarische Beachtung. Seinen Lebensunterhalt verdiente Imre Kertész daher hauptsächlich durch seine Arbeit als Übersetzer. Er übertrug unter anderem Werke von Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal, Elias Canetti, Ludwig Wittgenstein, Joseph Roth, Arthur Schnitzler und Tankred Dorst ins Ungarische. Als Sorstalanság 1995 in einer deutschen Neuübersetzung erschien, wurde es als literarisches Ereignis gefeiert und verhalf Imre Kertész zu seinem internationalen Durchbruch. Im Herbst 2002 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Seit 1953 lebt Kertész als freier Schriftsteller in Budapest.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2003

DAS HÖRBUCH
Alles kommt anders
Walter Kreye liest Kertészs „Der Spurensucher”
Diese von Walter Kreye gelesene Erzählung von Imre Kertész gleicht einer Science-fiction-Geschichte: ein Ereignis in der Vergangenheit an einem unbekannt scheinenden Ort, ein Zeugnis, eine undurchschaubare Gesellschaft aus Opfern und Tätern, die ein Ereignis rechtsstaatlich abgearbeitet haben, eine ausländische Instanz und ein Gesandter, der einst an diesem Ort gequält wurde und nun als freier Mann zurückkehrt.
Diese Erzählung verlässt sich auf unser Wissen, das in späteren Generationen nicht mehr so detailliert gegenwärtig sein wird. Heute kennt noch jeder den Spruch im Tor des KZ Buchenwald: Jedem das Seine. Der Duktus vom Aussprechen des fast Unaussprechlichen, in dem ehemalige KZ-Insassen berichten, ist uns ebenso bekannt. Auch die Art des Ausweichens vor der Frage nach Verantwortung, die Reden von der „Gnade der späten Geburt” sind uns geläufig. Die literarische Bearbeitung dieser Ereignisse könnte eine Langeweile des Grauens erzeugen. Nicht so bei Kertész. Denn er benutzt all jene Wörter nicht, die das Faktische darstellen. Die Begriffe „KZ” und „Nationalsozialismus” kommen nicht vor, auch nicht „Holocaust”.
Vielmehr begibt sich ein situierter Mann, der zu einem Kongress in die Gegend gekommen ist, auf den Weg zu einem Tatort, an dem ein großes Übel geschehen sein muss, welches ihn noch immer belastet. Er kommt im Auftrage einer ungenannten Instanz, ist „der Abgesandte”, der Orte besichtigt und einen Zeugen zu befragen hat. Namen fallen nicht. Walter Kreye übernimmt den Ton der Fiktion. Nie deutet er an, dass wir alle wissen, wovon dieses Stück handelt, das die Wörter nicht nennen will, weil wir sie kennen. Kreye liest das Stück so unauffällig wie ein harmloses Märchen. So entlädt sich die diesem Text innewohnende Wucht.
Der Abgesandte rechnet damit, dass der Zeuge sich windet. Dieser entzieht sich derart geschickt, dass man es ihm nicht vorwerfen kann, ohne gegen einen Dritten ungerecht zu sein. Der Abgesandte begibt sich mit seiner Ehefrau an den Tatort, von dem der Leser weiß, dass es das KZ Buchenwald ist. Die Reise ist beschwerlich, der Abgesandte fühlt sich von seiner Frau gestört, er muss die Erinnerung für sich allein dem jetzigen Zustand der Orte gegenüberstellen. Er lässt seine Frau vor dem Tor zurück. Wie sie dort steht, klein in karger Landschaft, wirkt sie verloren, es zerreißt dem Abgesandten das Herz. Hier spiegelt sich plötzlich das Abschiednehmen der ins Lager verschleppten Millionen.
Alles kommt anders, als der Protagonist es erwartet hat. Es kommt auch anders für den Leser: Das Lager ist eine Sehenswürdigkeit mit Restaurant geworden. Die Verwandlung ins Harmlose trifft den Abgesandten wie ein Tritt. Eine Frau erscheint, die mit wenigen Worten und Blicken den Abgesandten zur Strenge mahnt und sich später mit ihrem Trauerflor erhängt.
Die von Walter Kreye so hervorragend erzählte Geschichte hat etwas von einem Krimi, weil man hinter Geheimnisse kommen möchte. Fast beschämt diese Neugier.
MARTIN Z. SCHRÖDER
IMRE KERTÉSZ: Der Spurensucher. Aus dem Ungarischen von György Buda. Gelesen von Walter Kreye. Hörbuch Verlag, Hamburg 2003. 3 CD, 179 Minuten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2002

Der eiserne Vorhang
Zwei Erzählungen des Nobelpreisträgers Imre Kertész

Am heutigen Samstag wird Imre Kertész in Stockholm seine Nobel Lecture mit dem Titel "Heureka!" halten, die obligatorische Rede, mit der sich der Nobelpreisträger für Literatur bei der Schwedischen Akademie für ihre Wahl bedankt und zugleich ein Forum betritt, das ihm weltweite Aufmerksamkeit garantiert. Kertész war bereits vor der Stockholmer Entscheidung ein Autor von hohem internationalen Renommee, aber nicht alle seine Bücher fanden die Aufmerksamkeit, die sie verdient haben, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie im Schatten von Kertész' Hauptwerk stehen, dem "Roman eines Schicksallosen".

Zu den wenig wahrgenommenen Titeln gehört auch der Band "Die englische Flagge", in dem der Rowohlt Verlag vor drei Jahren einige Erzählungen von Kertész versammelte. Jetzt sind zwei der darin enthaltenen Texte neu erschienen, jedoch in verschiedenen Verlagen: Die titelgebende Erzählung über "Die englische Flagge" im Rowohlt Verlag, der etwas längere, novellistisch anmutende Text "Der Spurensucher" bei Suhrkamp. Die kuriose Situation ist durch Kertesz' Wechsel von Rowohlt zu Suhrkamp entstanden; nun bringen der alte und der neue Verlag zwei Werke des Nobelpreisträgers heraus, die zuvor sinnvoll in einem Band versammelt waren.

Beide Texte sind in einer Zeit nach dem Ende des NS-Regimes angesiedelt, das den Halbwüchsigen ins Konzentrationslager verschleppen ließ, beide Male spielt die Handlung in einem sozialistischen System. "Die englische Flagge" berichtet von den Nachkriegsjahren in Ungarn bis zum Aufstand des Jahres 1956; "Der Spurensucher" spielt in der DDR, genauer in Weimar und Buchenwald, und geht auf das Jahr 1962 zurück, als Kertész zum ersten Mal nach seiner Befreiung aus Auschwitz in ein Konzentrationslager zurückkehrte. Beide Texte zeichnen sich durch eine Sprache aus, der Kertész selbst eine "gewisse stilistische Euphorie" bescheinigt, die er im Nachwort zum "Spurensucher" als Folge jener "rigiden Sprachdisziplin" beschreibt, die er sich während der Arbeit am "Roman eines Schicksallosen" auferlegt hatte.

Tatsächlich tritt uns nun, da die Fesseln gelockert sind, ein anderer Kertész entgegen: parabelhaft und stark an Kafka gemahnend, zur philosophischen Sentenz neigend, immer wieder auch erzähltheoretische Passagen einstreuend. Was im "Spurensucher" untergründig mitschwingt, wird in der "Englischen Flagge" offen thematisiert: das Problem der Inkongruenz und Unvereinbarkeit von Leben und Literatur. Aber darunter, auf einer tieferen Ebene, liegt ein Frage von noch größerem Gewicht: Wie ist nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Stalinismus ein Weiterleben möglich? Und wie entgeht die Literatur dem Vorwurf der Lüge angesichts dessen, was sich nicht erzählen läßt?

"Der Spurensucher" kündet vom Verlust einer vermeintlichen Selbstgewißheit. Die Titelfigur, auch der "Abgesandte" genannt, will nach Buchenwald fahren und führt zuvor ein Gespräch mit dem DDR-Intellektuellen Hermann. Der Auftrag wird ebensowenig erläutert wie die offenkundig übergeordnete Instanz, in deren Namen der Besuch erfolgt. Mit inquisitorischer Härte und Finesse geht der Spurensucher zu Werk, er erhebt keinerlei konkrete Vorwürfe, läßt indes auch keinen Zweifel daran, daß er Hermann, der sich zunächst durch seine staatlich verordnete antifaschistische Gesinnung gepanzert fühlt, durchaus zum Kreis der Verdächtigen zählt.

In Buchenwald schließlich erkennt er die Aussichtslosigkeit seines Unternehmens. Das Lager ist weitgehend verschwunden, die Baracken sind abgetragen, fast alle Spuren, so scheint es ihm, sind absichtsvoll und gründlich getilgt. Erst als er wieder in der Stadt ist, wird ihm bewußt, daß die Veränderung, die ihn zunächst schockiert hatte, bedeutungslos ist, denn die Dinge bewahren nichts, sie "legen über nichts Rechenschaft ab". Am Ende seiner Reise liest der Abgesandte, der Rechenschaft fordern und Zeugnis ablegen wollte, vom Selbstmord jener Frau im Trauerflor, die ihn zuvor in seinem Hotel angesprochen hatte. Auch sie war eine Überlebende des Lagers.

"Die englische Flagge" beschreibt den Werdegang des Ich-Erzählers von seinen Anfängen als junger Journalist in Budapest über den Umweg der Fabrikarbeit zum Schriftsteller, der nach dem "Erzählen des Abenteuers" zum "Abenteuer des Erzählens" vordringt. Geschildert werden Bildungserlebnisse mit Richard Wagner und Thomas Mann und Alltagserfahrungen im stalinistischen Ungarn, eine Kombination, die zu der Erkenntnis führt, "was für ein eiserner Vorhang zwischen Erzählen und Leben steht, zwischen dem Erzähler und seinem Publikum, zwischen Mensch und Mensch und zwischen dem Menschen und sich selbst, dem Menschen und seinem eigenen Leben". Vor allem der letzte Punkt führt zum großen Thema des Imre Kertész, der Dialektik von Selbstfindung und Selbstverleugnung in der literarischen Arbeit. Am Ende der Erzählung steht die Einsicht, "daß in der hiesigen Welt, die einzig schöpferische Leistung die Selbstverleugnung als schöpferische Leistung war".

Imre Kertész: "Der Spurensucher". Erzählung. Aus dem Ungarischen übersetzt von György Buda. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 130 Seiten, geb., 11, 80 [Euro].

Imre Kertész: "Die englische Flagge". Aus dem Ungarischen übersetzt von Kristin Schwamm. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 94 S., geb., 12,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Erzählung gehe auf das Jahr 1962 zurück, schreibt Rezensent Hubert Spiegel, als Kertesz zum ersten Mal nach seiner Befreiung aus Auschwitz ein Konzentrationslager besucht habe, das KZ Buchenwald bei Weimar, damals in der sozialistischen DDR gelegen. Mit inquisitorischer Härte und Finesse sah Spiegel den Protagonisten der Erzählung einen nicht näher definierten Auftrag ausführen, dessen Hintergrund die Suche nach Verantwortlichen für die Nazi-Verbrechen ist. Im Zentrum des Textes sieht der Rezensent die Frage stehen, wie Literatur angesichts dessen, was sich nicht erzählen lasse, dem Vorwurf der Luge entgehen könne. Zu Unrecht habe die Erzählung lange im Schatten des weltberühmten "Roman eines Schicksallosen" gestanden. Die Sprache der Erzählung freilich zeichne eine "gewissen stilistische Euphorie" aus, wie der Rezensent, Kertesz zitierend, schreibt, der dies im Nachwort des Buches selbst als Folge "jener Sprachdisziplin" beschrieben habe, die er sich während der Arbeit am "Roman eines Schicksallosen" selbst auferlegt habe. Doch die gelockerten stilistischen Fesseln haben den Rezensenten einen ganz neuen Kertesz entdecken lassen: "parabelhaft und stark an Kafka gemahnend, zur philosophischen Sentenz neigend, immer wieder erzähltheoretische Passagen einstreuend".

© Perlentaucher Medien GmbH