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Gäbe es ein Messgerät für die Intensität kollektiver Gefühle, es würde derzeit Spitzenwerte anzeigen: In den politischen Debatten sind vielerorts Wut, Hass und Angst an die Stelle rationaler Argumente und gegenseitiger Rücksichtnahme getreten. Uffa Jensen verfolgt die Ursprünge der Zornpolitik bis ins 19. Jahrhundert zurück und erläutert, wie solche Gefühle der Ablehnung funktionieren. Dabei wird deutlich, dass Emotionen gerade in Auseinandersetzungen über gesellschaftliche Andere wie Flüchtlinge, Muslime oder Juden hochkochen und bewusst instrumentalisiert werden. Aus den historischen…mehr

Produktbeschreibung
Gäbe es ein Messgerät für die Intensität kollektiver Gefühle, es würde derzeit Spitzenwerte anzeigen: In den politischen Debatten sind vielerorts Wut, Hass und Angst an die Stelle rationaler Argumente und gegenseitiger Rücksichtnahme getreten. Uffa Jensen verfolgt die Ursprünge der Zornpolitik bis ins 19. Jahrhundert zurück und erläutert, wie solche Gefühle der Ablehnung funktionieren. Dabei wird deutlich, dass Emotionen gerade in Auseinandersetzungen über gesellschaftliche Andere wie Flüchtlinge, Muslime oder Juden hochkochen und bewusst instrumentalisiert werden. Aus den historischen Zusammenhängen zwischen Vorurteilen und Gefühlen leitet Jensen Strategien ab, mit denen wir der aktuellen Welle des politischen Furors begegnen können.
Autorenporträt
Uffa Jensen, geboren 1969, lehrt Geschichte an der Technischen Universität Berlin und forscht am dortigen Zentrum für Antisemitismusforschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2017

Gefühlt im Recht
Zorn, nicht Wut? Uffa Jensen versucht, politische Emotionen zu klären

Es ist ihm eine Herzensangelegenheit: Der Historiker Uffa Jensen will verstehen, was andere fühlen. Als "politische Intervention eines Zeitgenossen und eines Fachhistorikers" konzipiert er seine Spurensuche nach negativen Gefühlen über "ausgrenzend definierte" andere. Die treibende Kraft solcher Diskriminierungen hat viele Namen: Pegida, AfD, die Neue Rechte. Jensen präzisiert das emotionale Gefüge dieser rechtspopulistischen Strömungen: Ihre Protagonisten seien beherrscht vom Gefühl des Zorns. Dabei geht es ihm nicht nur um ein Gebaren jenseits von Rationalität. Der Terminus "Zornpolitik" zielt auch darauf, die Gegenüberstellung von Verstand und Gefühl zu überwinden. Jensen kritisiert die "verbreitete Definition von Politik als einer möglichst rationalen und emotionslosen Angelegenheit", wie sie in der Gestalt von Angela Merkel verkörpert werde.

Er will den Gefühlen zu ihrem Recht verhelfen. Und er will im Kampf gegen Diskriminierung aufklären, ohne sich über andere zu erheben. "Indem man den Bürgern Zorn und nicht Wut attestiert, entpathologisiert man die Debatte." Davon ist Jensen überzeugt. Ein historischer Vergleich mit dem Antisemitismus des neunzehnten Jahrhunderts soll die "Praxis der Gefühle" erhellen, die bei zornigen Bürgern in der gegenwärtigen Ausländer- und Islamfeindlichkeit zum Ausdruck komme. Das läuft auf zwei Gefühlsdichotomien hinaus: Ekel und Hass früher, Zorn und Angst heute.

Jensen beschreibt Ekel als eine "Abwehrreaktion gegen Nähe", die in den Augen der Antisemiten durch die Assimilation der Juden erzeugt worden sei. Die Juden verkörperten in dieser Logik "die innere Fäulnis, die das Ende ihrer Gesellschaft einzuläuten drohte". So habe sich der Ekel mit Hass verbunden. Heutiger Zorn werde hingegen als etwas begreifbar, "mit dem der Einzelne emotional auf die mangelnden Perspektiven im politischen System reagiert". Zornbürger glaubten sich im Recht. Anders als in der Wut, die eher als "ein individueller Zustand der Besessenheit" zu verstehen sei, verweise Zorn auf ein Gegenüber. Das Gegenüber ist das, was als fremd erlebt wird und die eigene Identität bedroht. Daraus resultiert Angst.

Was insbesondere in der Nacherzählung des deutschen Antisemitismus erhellend ist, hebt das methodische Dilemma nicht auf, das sich in diesem Essay gleich auf zwei Ebenen zeigt: Auf der Ebene des historischen Vergleichs ist sich der Autor seiner Sache selbst nicht sicher. Erst setzt er eine Vergleichbarkeit als methodisches Diktum, dann erklärt er, dass er den Hass gegen Juden für ein "wahrscheinlich einmaliges Phänomen" halte, um anschließend doch ähnliche Strukturen für Feindseligkeit gegenüber dem Islam zu prognostizieren.

Auf der Ebene der Emotionsanalyse werden die methodischen Defizite noch deutlicher. Ein Video, das eine Frau auf einer Pegida-Demonstration zeigt und auf dem Facebook-Account einer Lokalzeitung geteilt wurde, verwendet Jensen als Grundlage, repräsentatives Verhalten in dieser Gruppierung darzustellen. Was schon in einer realen Begegnung schwierig wäre, und selbst dann, wenn man eine Person gut kennt, erhebt er hier zum legitimen wissenschaftlichen Mittel: Er deutet Körperhaltung, Tonfall und Mimik der Frau und leitet daraus Schlüsse über die emotionale Struktur der "Zornbürger" ab - ungeachtet seines Eingeständnisses, dass es immer ein Risiko sei, "anderen Menschen zu unterstellen, bestimmte Emotionen zu haben".

So originell seine Idee für den Essay war, so wenig hilfreich ist sein politisches Plädoyer, Gefühle ernst zu nehmen. Denn das wird das Problem, das sich in den europaweit heraufziehenden rechtsradikalen Bewegungen zeigt, nicht lösen. Wo sieht der Autor den von ihm beklagten Mangel an Emotionen? In der Wissenschaft ebbt das schon seit Jahren virulente Interesse an Emotionsforschung keineswegs ab. Wie jemand sich fühlt, ist Dreh- und Angelpunkt jeder Kommunikation, auch der politischen. Mit welcher Begründung sollte die "Legitimationskrise der Politik", die der Autor zu erkennen glaubt, eine "Krise der politischen Gefühle" sein?

Ausgerechnet bei diesem Thema Angela Merkel als Gewährsfrau für eine emotionslose Politik heranzuziehen ist nicht überzeugend. In der Flüchtlingspolitik warfen Kritiker ihr das genaue Gegenteil vor: zu viel Herz, zu wenig Verstand. Und so geht Jensens Ansatz am Kern des Problems vorbei: Es mangelt uns nicht an politischen Emotionen. Es mangelt uns an Fähigkeiten, sie in all ihren Facetten zu erfassen und auf eine Weise in eine Struktur der Vernunft zu überführen, die sie nicht zu einer politischen Gefahr werden lässt.

HANNAH BETHKE

Uffa Jensen: "Zornpolitik".

Suhrkamp Verlag,

Berlin 2017. 208 S., br., 16.- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.09.2017

Wir sollten unsere Gefühle befragen
In seinem Buch „Zornpolitik“ analysiert Uffa Jensen die sieben Todsünden wider die reine Vernunft, warnt aber vor rationalen Überlegenheitsgefühlen.
Man sollte der Rechten nicht das Monopol auf Gefühlspolitik überlassen. Und darf durchaus lachen über den Herrn Höcke
VON CLAUS LEGGEWIE
Woher kommt dieser Hass, fragte man sich zuletzt anlässlich der Pöbeleien gegen Politiker etablierter Parteien und beschmierter Wahlplakate, auch bei gewöhnlichen Bürgerversammlungen und Demonstrationen. Andererseits: War das politische Geschehen nicht immer von Bauchgefühlen getrieben, tritt nicht beim Bohren harter politischer Bretter zum „Augenmaß“, dem bedächtigen Abwägen von Entscheidungsalternativen, stets auch „Leidenschaft“, wie Max Weber 1919 „Politik als Beruf“ unterteilt hat? Damals, nach Krieg und Revolution, waren die Zeiten gewiss nicht minder aufgewühlt, am Beginn eines veritablen Weltbürgerkriegs, in dem ein kolossales Ressentiment gegen Juden wuchs.
Der Berliner Antisemitismus-Forscher Uffa Jensen, spezialisiert auf die Geschichte der Gefühle, sieht im rationalistischen Ansatz der Politikwissenschaft und im rationalisierenden Duktus politisch-administrativer Praxis die Gefühlsdimension vernachlässigt. Deswegen könnten wir den Erfolg rechter (und linker) Gefühlspolitik nicht verstehen. In seinem Buch geht er die sieben Todsünden wider die reine Vernunft durch: Ressentiment, Ekel, Hass, Angst, Zorn, Scham und Hochmut, und arbeitet die Unterschiede dieser Palette negativer Emotionen heraus. Ihr Vorkommen führt er nicht auf „objektive“ Ursachen zurück (wie Globalisierung, soziale Ungleichheit etc.), sondern behandelt sie als Quellen politischen Handelns sui generis. Nicht den Wutbürgern ruft er zu: Werdet vernünftig!, vielmehr rät er den Kritikern und Gegnern: Interpretieren wir unsere Gefühle besser! Andernfalls „hätten die Antisemiten, Muslimhasser sowie die Ausländer- und Fremdenfeinde in einem elementaren Punkt recht: Unsere Gefühle gegen Andere hätten etwas Unhintergehbares. Wir müssten damit leben, dass wir Andere nicht mögen, sie ablehnen, fürchten oder gar hassen. Doch dem ist nicht so. Unsere Gefühle sind keine reinen Affekte, die uns unbewusst steuern. In diesem Sinne sollten wir als Einzelne und als Gesellschaft lernen, uns zu unseren Gefühlen gegen Andere zu verhalten. Wir sollten mehr über sie herausfinden. Wir sollten sie befragen, mit ihnen umgehen. Kurz: Wir brauchen eine Praxis der Gefühle“.
Von einem Björn Höcke oder einer hysterisch aufdrehenden Pegida-Demonstrantin wendet Jensen sich folglich nicht entsetzt oder angewidert ab, er hört ihnen zu und sucht die Klaviatur der Gefühle zu verstehen, auf der die Rechte spielt. Als derzeit vorherrschendes Gefühl identifiziert Jensen den Zorn. Während „rasende“ Wut beim Einzelnen hängen bleibe, erlaube „gerechter“ Zorn eine Entäußerung und Selbstermächtigung, die für die gefühlte Geringschätzung ein bestimmt-unbestimmtes Gegenüber verantwortlich macht. Zorn aktiviert gegen andere und kann eine kollektive Dimension annehmen: Zornpolitik.
Jensen breitet bekannte Erkenntnisse der neueren Gefühlsforschung aus, wonach Gefühl und Verstand kein Gegensatzpaar sind, sondern auf einem Positiv/Negativ-Kontinuum angesiedelt sind und historisch in unterschiedlichen Graden und Gestalten auftreten. Als geschichtliche Referenz wählt er den Antisemitismus im deutschen Kaiserreich und erinnert an Heinrich von Treitschke. Der wortgewaltige Geschichtsprofessor verkündete 1879 vom Katheder der Reichshauptstadt, die Juden seien „unser Unglück“. Das katastrophale Ende dieses unstillbaren, unaufklärbaren und unzerstörbaren Ressentiments von Deutschen, die mit der Feinderklärung ihre Inferioritätskomplexe abarbeiteten und sich zur Nation aufschwangen, behandelt Jensen nicht, da die Matrix der aktuellen Fremdenfeindlichkeit – und darum geht es dem Autor, weniger um den Hass auf die politischen Eliten – in der Tat eher der Wilhelminismus und die Weimarer Jahre sind als die Vollstreckung des Judenhasses durch die Nationalsozialisten.
Doch im Wissen um diese mögliche Radikalisierung – zornige Wähler der NSDAP um 1930 lasen den Stürmer, hatten aber kaum derartige Ausrottungspläne – fällt der Analogieschluss auf die heutige Judenfeindschaft und vor allem die (anders gelagerte) Islamophobie schwer, und Jensen bekommt den Bogen in die Gegenwart auch nicht ganz hin. Wer gehofft hatte, bei ihm einen Weg zwischen übergroßem Verständnis für „besorgte Bürger“ und ihrer konterproduktiven Dämonisierung gewiesen zu bekommen, bleibt ratlos.
Es gibt ohnehin kein Patentrezept, wie mit dem geballten Zorn im AfD/Pegida-Dunstkreis umzugehen ist, denn in ihm verbinden sich beinharte Faschisten mit Zeitgenossen, die aus ganz disparaten Gründen erzürnt sind, häufig bündeln sich eher private Enttäuschungen zu einer „Schnauze voll – Wir sind das Volk“-Suada. Was soll man dagegen tun? Reden! Der Dialog wird verweigert. Ignorieren! Festigt nur den Märtyrerstatus. Attackieren! Führt womöglich in den Bürgerkrieg. Die rationale (?) Politik der Bundeskanzlerin für den Aufstieg des Ressentiments mitverantwortlich zu machen, greift zu kurz, auch dass es, wie Jensen ebenfalls meint, falsch sei, Gauland, Weiler & Höcke als politische Unternehmer zu decouvrieren, die mit den Gefühlen ihrer Anhänger spekulieren und aus deren subjektiver Hoffnungslosigkeit Kapital schlagen – nun hinein bis in den Deutschen Bundestag. Genau das tun sie mit hochgradigem Zynismus, und dort muss man sie unnachgiebig stellen.
Eine zeitgemäße Massenpsychologie der politischen Enttäuschung und Entfremdung bleibt auch nach diesem gut lesbaren, vor allem in seinen historischen Passagen schlüssigen Versuch eine Herausforderung. Die emotionalen Zustände dieses Landes und anderer Demokratien ergründen zu wollen, kommt der Aufgabe nahe, einen Pudding an die Wand zu nageln, womit sich schon Peter Sloterdijk und Pankaj Mishra (SZ vom 25. Juni 2017) schwergetan haben. Eines lehrt uns Jensen jedenfalls: Wer sich dem Volkszorn rational überlegen fühlt, könnte sich in einer ebensolchen Gefühlsblase aus Häme, Angst und Ressentiment bewegen.
Was bleibt aber, wenn, wie Max Scheler schon in den 1920er-Jahren wusste, aufklärerische Vernunft gegen festsitzende Ressentiments und paranoide Weltbilder nicht hilft? Vor zwei Jahrzehnten, als mit den deutschen „Republikanern“ die letzte rechtsradikale Welle die Republik erreichte, war ich Augenzeuge eines bizarren Chaos-Parteitages der Reps in Rosenheim. Um mich herum fuchtelten Männer überwiegend mittleren Alters mit ihren Stimmkarten, sie schrien sich, da ihnen die Wiedervereinigung den Feind draußen genommen hatte, gegenseitig nieder, sodass selbst der Vorsitzende Franz Schönhuber, der seine Leute eher verachtete, sich die Haare zu raufen begann. Diese von unheiligem Ernst getragene Spannung verursachte mir einen unwiderstehlichen Lachanfall.
Darf man über den bigotten Herrn Höcke lachen, spotten, Satire schreiben? Aber ja. Man denkt an Lubitsch oder Chaplin, und Jensen plädiert dafür, dem Zorn von Höcke & Co. mit Humor zu begegnen. Eine befreiende Form der Bewirtschaftung von Gefühlen oder neudeutsch: des Emotionsmanagements. Aber in das Lachen wird die andere Seite schwerlich einfallen, und es könnte einem womöglich im Halse stecken bleiben.
Uffa Jensen: Zornpolitik. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2017. 208 Seiten, 16,50 Euro.
Die Juden seien „unser Unglück“,
hat Heinrich von Treitschke
1879 vom Katheder verkündet
Björn Höcke als Objekt von
Spott und Satire? Man mag an
Chaplin oder Lubitsch denken
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»Der Berliner Historiker zieht in seinem neuen Buch eine erschreckende Linie von deutschen Antisemiten des 19. Jahrhunderts, wie Richard Wagner oder dem Reichstagsabgeordneten Heinrich von Treitschke, bin hin zu den stärksten islamophoben Protagonisten der heutigen Neuen Rechten in Deutschland ... « Till Knipper Der Tagesspiegel 20170918