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Was geht in einem Land vor, in dem Sicherheit von so überragender Bedeutung ist, dass sich eine Ärztin bereitwillig an einem Mordkomplott beteiligt, weil sie davon überzeugt ist, damit ihre Heimat zu verteidigen? Würden hochrangige israelische Politiker oder Militärs ein Mitglied einer Minderheit gegen den bloßen Verdacht des Hochverrats in Schutz nehmen? Fragen wie diesen spürt Eva Illouz in ihren Essays über Israel nach. Anhand aktueller politischer Entwicklungen und persönlicher Erfahrungen zeichnet sie ein drastisches Bild der israelischen Gesellschaft: Die zunehmende Identifikation mit…mehr

Produktbeschreibung
Was geht in einem Land vor, in dem Sicherheit von so überragender Bedeutung ist, dass sich eine Ärztin bereitwillig an einem Mordkomplott beteiligt, weil sie davon überzeugt ist, damit ihre Heimat zu verteidigen? Würden hochrangige israelische Politiker oder Militärs ein Mitglied einer Minderheit gegen den bloßen Verdacht des Hochverrats in Schutz nehmen? Fragen wie diesen spürt Eva Illouz in ihren Essays über Israel nach. Anhand aktueller politischer Entwicklungen und persönlicher Erfahrungen zeichnet sie ein drastisches Bild der israelischen Gesellschaft: Die zunehmende Identifikation mit Ethnie und Religion, so ihre These, droht deren liberalen Charakter zu unterwandern. Illouz' in Israel viel beachteten und kontrovers diskutieren Texte kombinieren scharfsinnige Analysen mit einem kompromisslosen Plädoyer für eine offene Gesellschaft - eine dringend benötigte Stimme aus einer von Extremismus gezeichneten Region.
Autorenporträt
Eva Illouz, geboren 1961, ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique, CSE-EHESS in Paris. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Anneliese-Meier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung und den EMET-Preis für Sozialwissenschaften. Ihre Bücher werden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2015

Jenseits der Hypersolidarität
Die Soziologin Eva Illouz verteidigt das Erbe des Zionismus – Ihre gesammelten Essays
sind ein Plädoyer für eine innere Neugründung des Staates Israel
VON LOTHAR MÜLLER
Den Brandanschlag auf das Haus einer palästinensischen Familie in Numa bei Nablus im Westjordanland, bei dem in der vergangenen Woche ein Kleinkind getötet wurde, hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen als „Terrorakt“ verurteilt. Kurz zuvor hatte ein eben erst aus der Haft entlassener Ultraorthodoxer bei einer Messerattacke gegen eine Schwulen- und Lesbenparade in Jerusalem eine 16-Jährige so schwer verwundet, dass sie wenige Tage später ihren Verletzungen erlag. Zwei Gewaltmuster, die seit Jahrzehnten immer neue Opfer fordern, sind damit in ein grelles Licht gerückt. Bei dem einen sind die Täter jüdische Siedler in den besetzten Gebieten, die das Eigentum oder gar Leben von Palästinensern attackieren. Bei dem anderen sind Täter wie Opfer Juden: Radikale Ultraorthodoxe attackieren in Tel Aviv, Jerusalem, Haifa oder andernorts diejenigen, deren Gesinnungen oder Lebensstil dem widersprechen, was sie für das jüdische Gesetz halten.
  Die Soziologin Eva Illouz, die an der Hebräischen Universität von Jerusalem lehrt, ist mit Untersuchungen zum Verhaltensmuster romantischer Liebe bekannt geworden. Sie ist eine Spezialistin für die inneren Komplikationen moderner Individualität und hat auch deren neuesten Wendungen in dem Essay „Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey“ (2013) verfolgt. Jetzt ist ihr Essayband „Israel“ auf Deutsch erschienen, er enthält eine Serie von Artikeln, die zwischen Dezember 2011 und April 2014, also vor dem Ausbruch des jüngsten Gaza-Krieges, in der israelischen Zeitung Haaretz erschienen sind.
  Die Artikel sind ein einziges großes Plädoyer für die innere Neugründung Israels als säkularer Staat, der den Juden das Recht auf Selbstbestimmung garantiert, ohne selbst ein „jüdischer Staat“ zu sein. Und sie sind eine scharfe Anklageschrift dagegen, dass die Siedler und Ultraorthodoxen ihre starke Stellung in Politik und Gesellschaft Israels nicht zuletzt der Unterstützung durch den Staat verdanken – und der Unfähigkeit der israelischen Mehrheitsgesellschaft, ihre eigenen Interessen gegen die Siedler und Ultraorthodoxen zur Geltung zu bringen.
  Die Pointe dieser Kritik an Staat und Gesellschaft Israels aber ist, dass sie ausdrücklich als Verteidigung der Erbschaft des Zionismus formuliert ist. Das unterscheidet Eva Illouz von Israel-Kritikern wie Judith Butler, die aus der Perspektive der Juden in der Diaspora schon die Gründung des Staates Israel als Quelle aller Übel seiner heutigen Politik beargwöhnt.
  Eva Illouz verteidigt vehement die Legitimität des Zionismus und das Recht der Juden, in der Antwort auf Exil und Verfolgung das Recht auf staatliche Selbstbestimmung in Anspruch zu nehmen. Ihr zentrales Argument ist: Der Staat Israel, den es zu Recht gibt, muss ein „israelischer“ Staat erst noch werden, wenn er eine Zukunft haben soll. Als „jüdischer Staat“, der eine einzige religiöse und ethnische Gruppe privilegiert, wird er auf Dauer aus inneren Gründen, unabhängig von der äußeren Bedrohung, nicht lebensfähig sein.
  Illouz entfaltet dieses Argument nicht ideologiekritisch, also durch eine Analyse der Glaubensinhalte der Ultraorthodoxen oder der aus religiösen und politischen Motiven genährten Selbstdeutung der Siedler, sondern soziologisch, als Frage nach dem Verhältnis von jüdischer Mehrheit und Minderheiten in Staat und Gesellschaft.
  Die Staatsgründung erscheint aus dieser Sicht als riskanter Umschlagspunkt in der Geschichte der Juden: Unendlich erfahren in den Überlebensstrategien als verfolgte Minderheit waren sie schlecht vorbereitet darauf, ein Staatswesen aufzubauen, in dem sie die Mehrheit bildeten. Was im Exil sinnvoll war, die Bewahrung der Identität und Würde des Volkes durch den Glauben und die ethnische Zugehörigkeit und die daraus hervorgehende starke Betonung der Differenz von Juden und Nichtjuden, wird in Israel zum Hemmschuh der Entwicklung eines modernen, an universalistischen Denkweisen und Normen orientierten Gemeinwesens und zum Nährboden der Entwicklung der Religion zur Staatsreligion.
  In der nüchternen Diktion der Soziologin klingt dieses Argument so: „Die Instrumente und Strategien, die für das Überleben und die Bewahrung der Identität der am meisten verfolgten Minderheit in der Geschichte geeignet, zweckmäßig und höchst nützlich waren, sind für eine Mehrheit unangemessen, ja sogar schädlich.“ Die soziologische Diagnose ist aber nur die eine Seite dieser Essays. Die andere – sie gibt dem Buch seine Anschaulichkeit und Lebendigkeit – entspringt der Form des Essays selbst: der Lizenz, „ich“ zu sagen. Sie macht, dass in dieser leidenschaftlichen Kritik an der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft Zug um Zug ein Selbstporträt der Autorin entsteht.
  Es ist, schon nach wenigen Seiten, nicht irgendwer, der hier spricht. Es spricht die 1961 in Marokko geborene, seit 1971 in Frankreich aufgewachsene Tochter einer strenggläubigen sephardisch-jüdischen Familie, die ihrem Glauben sowohl in der Welt des französischen Säkularismus treu blieb, wie in den Vereinigten Staaten, wo sie ab Mitte der Achtzigerjahre an ihrer Dissertation arbeitete und ein anderes Verhältnis von Staat und Religion kennenlernte, in dem eine Vielzahl von Glaubensgemeinschaften in der Öffentlichkeit miteinander rivalisierten. Eva Illouz bewunderte die Varianten des amerikanischen liberalen Judentums, blieb aber selber Teil der „modernen Orthodoxie“.
  Es gehört zur Einbettung dieser soziologischen Essays in die Biografie ihrer Autorin, dass diese ihren Glauben verliert, als sie nach Abschluss ihrer Dissertation in den frühen Neunzigerjahren nach Israel geht. Zwei Gründe macht sie dafür geltend. Zum einen die Erfahrung der Religion als Staatsreligion: „Weil sie so eng mit den Interessen eines Staates verknüpft war, hatte die jüdische Religion ihre Heiligkeit verloren.“ Und zum anderen die „säkulare Epiphanie“, die sie am Abend des 4. November 1995 erlebte, „als der damalige Ministerpräsident Jitzchak Rabin von einem religiösen Juden ermordet wurde, der glaubte, das Land Israel im Namen einer Interpretation der Thora und Halacha zu verteidigen, die mir völlig fremd war“. Seit 1995 gehört das Ich dieser Essays zu den säkularen, liberalen Juden, die in Israel für einen israelischen Staat eintreten, in dem die Staatsbürgerschaft von der religiösen Zugehörigkeit getrennt und dadurch zu einer eigenständigen Identitätsquelle wird. Die Erinnerung an Frankreich ist präsent, wenn ein Essay polemisch das Gedankenexperiment einer israelischen Dreyfus-Affäre durchspielt: „Stellen wir uns vor, ein Araber, der in der israelischen Armee dient, werde der Spionage für ein arabisches Land bezichtigt.“ Würde er solche Verteidiger finden, wie sie der jüdische Offizier Dreyfus unter den französischen Antisemiten seiner Zeit fand?
  Die marokkanische Herkunft der Autorin prägt die Essays über die Diskriminierung der „Mizrachim“, der aus Asien, aus arabischen und anderen muslimischen Ländern stammenden Juden Israels gegenüber den aus Europa stammenden Aschkenasen, die Erinnerung an die nordamerikanischen Theorien sozialer Gerechtigkeit, etwa an John Rawls, geht in die Kritik ein, die Illouz an der „seit Langem von den Ultraorthodoxen über die israelische Gesellschaft ausgeübten Tyrannei“ äußert, an deren anein„Kastensystem“ erinnernden Privilegien. Das Kriterium der Essays über den prekären Status der Minderheiten und die Techniken der sozialen Diskriminierung in Israel ist einfach: „Ein egalitäres Land beurteilt man besser mit Blick auf seine Eliten als auf seinen Durchschnitt.“ Nicht, welche Rechte eine Gruppe im Prinzip hat, ist entscheidend, sondern ob es ihr gelingt, Schlüsselpositionen in der Gesellschaft, in den kulturellen, politischen und ökonomischen Eliten zu besetzen.
  Gershom Scholem hat Hannah Arendt in seiner Empörung über deren Buch „Eichmann in Jerusalem“ (1963) einen grundlegenden Mangel an „Ahabath Israel“, an Liebe zu den Juden vorgeworfen. Eva Illouz greift diesen Konflikt auf und begründet ausführlich, warum sie sich der mit dem „Ahabath Israel“ begründeten Pflicht zur „Hypersolidarität“ mit dem Land, in dem sie lebt, entzieht. Ihre Kritik am „Abdriften“ Israels in eine „religiöse Ethnokratie“, ihre Forderung an den jüdischen Staat, „eine nichtreligiöse Antwort auf die Herausforderungen der Moderne und des Universalismus“ zu finden, haben ihr scharfe Erwiderungen eingetragen.
  „Israel“ ist ein streckenweise deprimierendes Buch. Seine Lektüre ist dringend anzuraten.
Eva Illouz: Israel. Soziologische Essays. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 240 Seiten, 18 Euro. E-Book: 17,99 Euro.
Dringend gesucht wird eine
nicht religiöse Antwort auf die
Herausforderungen der Moderne
Jerusalem, Anfang August 2015: Trauer um die sechzehnjährige Schülerin Schira Banki, die am vergangenen Sonntag ihren Verletzungen erlag. Während der Gay Pride Parade hatte ihr ein Fanatiker ein Messer in den Rücken gerammt – grausames Beispiel für fundamentalistische Gewalt in Israel.
Foto: AFP
Eva Illouz, 1961 in Marokko geboren, lehrt Soziologie an der hebräischen Universität in Jerusalem. 2011 erschien ihr Buch „Warum Liebe weh tut“.

Foto:  Susanne Schleyer/ Suhrkamp
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2015

Die Grenzen der Liebe zu Israel

Wie ist Kritik am jüdischen Staat zu üben? Esther Schapira und Georg M. Hafner sondieren deutsche Gefühlslagen. Und die Soziologin Eva Illouz warnt vor der extremen Rechten in der Knesset.

Aus den Warnungen spricht große Sorge. In Israel ist von einem "Tsunami" die Rede. Damit ist keine Sturmflut gemeint, sondern die sich auftürmende Welle internationaler Boykottaufrufe. In der israelischen Regierung glaubt man, dass sich die Boykotteure nicht mit einem Rückzug aus den Palästinensergebieten begnügen werden: Sie wollen, dass nicht nur die Siedler verschwinden, sondern der ganze jüdische Staat - ein "antisemitischer Tsunami", der auch Deutschland erfasst. Diese Befürchtung teilen auch Esther Schapira und Georg M. Hafner. Für sie hängt bei vielen Deutschen die Kritik an Israel und Antisemitismus eng zusammen. "Israel ist an allem schuld" heißt ihr provozierendes Buch, das sie als eine "Streitschrift" verstehen.

Statt die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor fünfzig Jahren zu feiern, halten es die beiden Fernsehjournalisten für dringlicher, "ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie tief die Wurzeln des Antisemitismus noch immer reichen, wie sehr das Jüdische in diesem Land das Fremde geworden ist". "Wenn es um Israel geht, bin ich befangen. Mir ist das Schicksal des jüdischen Staates nicht egal", schreibt Esther Schapira und fordert ihre Leser dazu auf, sich selbst zu prüfen, ob sie das nicht auch sind.

Israel-feindliche Befangenheit machen die Autoren überall in Deutschland aus: Unter voreingenommenen "Nahostexperten", reflexhaft berichtenden Korrespondenten, jungen Muslimen, einer zerrissenen Linken und besonders unter der Generation der Altachtundsechziger. Keinen Vorfall der letzten Jahre lassen sie aus. Weder die Tweet-Botschaft des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, in der er Israel in Hebron "Apartheid" vorwarf, noch den Linken-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi, der vor Antizionisten auf die Bundestagstoilette floh. Für besonders beunruhigend halten sie es, dass der Antisemitismus vor allem in "einkommensstarken, gebildeten" Bevölkerungsgruppen zunimmt, wie eine Untersuchung der Universität Bielefeld ergab: "Menschen also, die sich von den rechten Dumpfbacken angewidert abwenden und doch beim Thema Juden eine emotionale Schnittmenge mit ihnen haben". Auf den Demonstrationen während des Gaza-Kriegs im vergangenen Sommer, als es Angriffe auf Juden und Synagogen gab, wurde für die beiden Autoren "sichtbar, wie tief der Antisemitismus sitzt und wie schnell er abrufbar ist und nach oben drängt. Der Firnis der Scham ist dünn".

Besonders bedrückend lesen sich die Kapitel, in denen jüdische Deutsche schildern, wie unwohl sie sich in ihrem Heimatland mittlerweile fühlen: Sie ziehen sich immer stärker aus der nichtjüdischen Gesellschaft in ihre Gemeinde zurück. Sie haben genug davon, von anderen Deutschen dauernd für die "unmenschliche" Politik der israelischen Regierung in Mithaftung genommen zu werden. Hätte Israel 1967 im Sechs-Tage-Krieg verloren, wäre "ordentlich Tinte geflossen für dieses untergegangene Land, es hätte besser in das Bild der Opferrolle der Juden gepasst. Aber wir sind keine Opfer mehr, und das finde ich gut an Israel. Das aber erträgt die Welt nicht, und schon gar nicht die antisemitische Welt", meint bitter der Rabbiner Andrew Steiman, Seelsorger eines jüdischen Altersheims.

Für Schapira und Hafner ist das die "deutsche Normalität". Den Rest übergehen sie: Bei ihnen kommen linke PLO-Sympathisanten und -Unterstützer vor, aber nicht die jungen Deutschen, die in die Kibbuze pilgerten oder bis heute bei "Aktion Sühnezeichen" ein freiwilliges Jahr leisten. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärte, bleibt ebenso unerwähnt wie die Lieferung deutscher U-Boote. Sie gehen lieber in einer Generalabrechnung mit dem Rest der Welt und besonders den Israel-feindlichen Vereinten Nationen ins Gericht, was das Buch ausfasern lässt.

Die israelische Soziologin Eva Illouz nähert sich ihrem so heftig gescholtenen Heimatland auf ganz andere Weise an. In ihren beiden zuletzt in Deutschland erschienenen Büchern hatte sich die an der Hebräischen Universität lehrende Professorin mit der Liebe zwischen Frauen und Männern befasst. In ihrer Essaysammlung mit dem Titel "Israel" setzt sie sich mit den Grenzen ihrer Liebe zu Israel auseinander. Statt die Kritiker anzugreifen und zu diskreditieren, rät sie zu Distanz und Selbstkritik.

Jüdische Intellektuelle müssten die "Bedingungen klären, unter denen jüdische Solidarität akzeptiert, ihres falschen Scheins entkleidet oder mit offenen Armen begrüßt werden sollte. Angesichts der fortwährenden, unerbittlichen Ungerechtigkeiten gegenüber den in Israel lebenden Palästinensern und Arabern besteht ihre moralische Pflicht darin, jener Solidarität schmerzerfüllt zu entsagen." Illouz klagt darüber, dass Kritik in der jüdischen Welt dauernd "Liebesbeweise erbringen" müsse: Sonst drohe schnell der Vorwurf des Antisemitismus oder Antizionismus, der Ächtung zur Folge haben könnte.

Eva Illouz hat lange in Frankreich und den Vereinigten Staaten gelebt. Sie war religiös und in orthodoxen Gemeinden aktiv. Im Ausland unterstützte sie Israel, an dem sie sich immer stärker rieb, seit sie sich dort niedergelassen hatte. Ihre "säkulare Epiphanie" erlebte sie, als ein religiöser Jude im November 1995 den Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin ermordete. "Was über Jahrzehnte eine mächtige, bedeutungsvolle Erfahrung gewesen war, entleerte sich mit einem Schlag. Weil sie so eng mit den Interessen eines Staates verknüpft war, hatte die jüdische Religion ihre Heiligkeit verloren", erinnert sich die Soziologin. Die Privilegien, die der Staat strenggläubigen Juden gewährt, hält sie für unerträglich. Am liebsten würde sie auch das staatliche Oberrabbinat abschaffen.

Ihr macht Angst, dass jüdischer Messianismus und die extreme Rechte immer stärker an Einfluss gewinnen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werde sich Israel in ein hochgerüstetes und "finsteres ethnokratisches Regime" verwandeln. Dabei hat sie nichts gegen eine jüdische Nationalkultur einzuwenden. Aber sie sollte nach westlichem Vorbild offener und neutraler sein. Wo es nur geht, sollte der Staat Juden und Nichtjuden gleich behandeln. "Keine dieser Maßnahmen würden Israels jüdische Identität zerstören." Doch in Israel wirkten immer noch die Angst und das Misstrauen nach, mit denen Juden Jahrhundertelang auf Anfeindungen und Antisemitismus reagierten. Was früher angemessen und verständlich gewesen war, taugt nach ihrer Ansicht jedoch nicht als Politik des Staates Israels: Diese alten Verhaltensmuster bringen "eine isolationistische und isolierte Nation hervor, die zwischen der Angst vor anderen und prahlerischer Krafthuberei schwankt."

Bis heute enden in Israel alle politischen Debatten, wenn es um die Sicherheit des Landes geht. Für Eva Illouz ist das jedoch kein Ersatz für eine moralisch begründete Politik. Hier bieten die Erfahrungen in der jüdischen Diaspora Orientierung: Israel sollte seinen arabischen Bürgern und den Palästinensern wenigstens die Rechte geben, die Juden in nichtjüdischen Ländern für sich fordern. Statt sich in Abwehrstellung einzuigeln, hält sie es für überlebenswichtig, dass Israel und das Judentum "heute das Erbe aufgeklärter Juden fortführen, indem sie den Universalismus zu Israels moralischem Horizont machen". Seit dem Amtsantritt der neuen rechtsreligiösen Regierung erinnern Stimmen von Intellektuellen wie Eva Illouz noch mehr an einsame Rufer in der Wüste, die im Ausland mehr Aufmerksamkeit finden als in Israel.

HANS-CHRISTIAN RÖSSLER

Georg M. Hafner/ Esther Schapira: "Israel ist an allem schuld". Warum der Judenstaat so gehasst wird.

Eichborn Verlag, Köln 2015. 317 S., geb., 19,99 [Euro].

Eva Illouz: "Israel". Soziologische Essays.

Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 229 S., br., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wenn Kritik an Israel, dann von innen und mit Eva Illouz, findet Carsten Hueck. Das neue Buch der erfolgreichen Soziologin, eine Essaysammlung mit Texten aus 2011-2014, besticht für ihn durch analytische Schärfe und durch den Anspruch, Israel auf den Weg der Menschenrechte, der Liberalität und des Universalismus zu führen. Die zu diesem Zweck verfassten Berichte und Fallgeschichten aus der israelischen Gegenwart dienen Illouz laut Rezensent dazu, die Vermischung von Politik und Religion aufzuzeigen, die laut Illouz zu Ungleichheit und Rassismus in der israelischen Gesellschaft führen. Mit Israel-Bashing hat das nichts zu tun, versichert Hueck. Eher mit dem beherzten Versuch, eine Neudefinition jüdischer Identität anzuregen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Wenn Israel-Kritik, dann bitte so: nicht polemisch, sondern erklärend immer dicht am Gegenstand, klug und mit Herz.« Carsten Hueck Neue Zürcher Zeitung 20151121