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Valžyna Mort, 1981 in Minsk in der damaligen Sowjetunion geboren, hat erst als Jugendliche Weißrussisch gelernt. Sie, die eigentlich Sängerin werden wollte, entdeckte die politisch umkämpfte Sprache als Instrument des lyrischen Ausdrucks - und macht sie zum Thema ihrer aggressiven Balladen und militanten Litaneien. Von der Kindheit in einem Land voller Angst bis zu den Reisen nach Berlin und New York folgen die Gedichte den Stationen ihres Lebens. Lakonie wechselt ab mit zornigem Pathos. Mort experimentiert mit den Formen Kinderlied, Oper, Agitprop-Gedicht ('Und wieder liegt in der Jahres- /…mehr

Produktbeschreibung
Valžyna Mort, 1981 in Minsk in der damaligen Sowjetunion geboren, hat erst als Jugendliche Weißrussisch gelernt. Sie, die eigentlich Sängerin werden wollte, entdeckte die politisch umkämpfte Sprache als Instrument des lyrischen Ausdrucks - und macht sie zum Thema ihrer aggressiven Balladen und militanten Litaneien. Von der Kindheit in einem Land voller Angst bis zu den Reisen nach Berlin und New York folgen die Gedichte den Stationen ihres Lebens. Lakonie wechselt ab mit zornigem Pathos. Mort experimentiert mit den Formen Kinderlied, Oper, Agitprop-Gedicht ('Und wieder liegt in der Jahres- / bilanz die Tränenfabrik/ ganz vorn.') und erzielt surrealistische Effekte ('wie ein erstarrter blitz/steht eine tulpe/auf meinem bett'). Sie ist die stärkste lyrische Stimme aus einem verschlossenen Land.
Autorenporträt
Mort, ValzhynaValzhyna Mort, 1981 in Minsk geboren, lebt seit vielen Jahren in Washington, D.C.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.07.2009

Das Akkordeon frisst aus der Hand
Poesie und Hass aus Weißrussland: Valžyna Morts „Tränenfabrik”
Die Tränen bilden nur den Auftakt. Da Valžyna Mort aus Weißrussland stammt, muss man das Titelwort ihres Gedichtbandes „Tränenfabrik” auf „Fabrik” betonen. Es geht um Nachtschichten, „nacht für nacht”, um „neue rekorde der produktion” und die „fotos der jahresbestarbeiter”. Die Tränenfabrik bringt das sowjetische Lebensgefühl auf den Punkt. Mit dem landläufigen Weinen hat das nichts zu tun, es drängt sich keine Gefühligkeit vor. Die Tränen, die hier in einem maschinengestählten Rhythmus beschworen werden, sind hart erarbeitet worden, und sie hinterlassen Spuren.
In den letzten Jahren hörte man häufiger die These, die jungen Schriftsteller in Osteuropa seien eher als diejenigen im Westen mit den alten literarischen Fragen beschäftigt, zum Beispiel mit dem Gegensatz von Ich und Welt. Die 1981 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk geborene Valžyna Mort geht über das gern „postmodern” genannte Spiel mit dem Sprachmaterial tatsächlich weit hinaus, ihre Musikalität trägt verwirrend anachronistische Züge – sie ist am ehesten von den zeitlos schrägen Tönen des Akkordeons geprägt, von Schrammelmusik mit Punk- und Kalinka-Elementen.
Die Gegensätze von Pathos und Ironie, ideologisch aufgerüstete Formeln für die Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West, werden in ihren Texten aufgehoben, sie können nicht mehr isoliert werden. Zwischen den verrottenden Fabrikgeländen von Minsk und seinen grauen und verstopften Durchgangsstraßen hat ein Umbruch stattgefunden, der ständig neue überraschende Bilder und Rhythmen, Breaks und Brüche produziert.
„Die weißrussische Sprache” – diesen Titel tragen gleich zwei Gedichte, es sind zwei Variationen zum selben Thema. Valžyna Mort hat die weißrussische Sprache erst relativ spät gelernt, ihre Muttersprache war zwangsläufig Russisch. In der Zeit der Sowjetunion, in der die russische Sprache hegemonial war, wurde das Weißrussische nicht sonderlich ernst genommen, auch in der Hauptstadt bildete es keineswegs die Schrift- und Kultursprache. Vor allem mündlich überliefert, als Sprache des niederen Volkes, diente es erst nach dem Ende der Sowjetunion als Beglaubigung eines neuen, eigenen Staates.
In diese Zeit ist Valžyna Mort hineingewachsen, und deswegen ist das Weißrussische für sie ein widersprüchliches Konstrukt aus Emanzipation und Einschränkung: „wir wurden groß in einem lande wo / man erst die türen mit kreide markiert / und nachts dann zwei, drei wagen vorfahren / und uns holen aber / in diesen wagen saßen keine männer / mit mgs / und nicht der gevatter tod / aber die liebe kam so zu uns / uns zu holen.”
Aufflüge ins Ungewisse
Weißrussland gilt heute als der letzte offen totalitäre Staat in Europa, Valžyna Mort lebt zur Zeit in Washington DC. In dem vermutlich sehr frühen Prosagedicht „Prolls” (für „Proletarier”), das längst nicht so virtuos durchgearbeitet ist wie die meisten Texte des Bandes, wird der Hass beredt, der einen Hauptquell dieses Schreibens ausmacht – ein Hass, der weniger politisch als existentiell ist. In ihrer Lyrik sucht Valžyna Mort jedoch immer zwingender nach einer Verbindung der harten, realistischen Töne einer Art brut mit abhebenden, sehnsüchtigen Metaphern. Diese Aufflüge ins Ungewisse haben eine erkennbar weibliche Perspektive, und manchmal erscheint diese Dichterin fast wie eine östliche zeitgenössische Wiedergängerin der frühen Ingeborg Bachmann, so, wenn sie einmal das Erlebnis der Oper mit einem Fischmarkt vergleicht: „opera – du verwundetes dunkel / am leib des saales . . . ”.
Die Töne von Valžyna Mort sind allerdings meist viel schroffer. In einem der Gedichte setzt sie den Dichter mit einem Hundezüchter gleich (mit dem Gleichklang zwischen „Dichter” und „Züchter” gelingt der Übersetzerin Katharina Narbutovic auch hier eine kongeniale Wendung), „immer denselben befehl wiederholend / als suchten sie einen rhythmus für ihn”. Der Erfahrungshintergrund aus den Sowjetwelten lässt Konkretes und Abstraktes, Dichtung und Hundedressur, in einem charakteristischen Bild zusammenfließen: „in der einen hand hält er die leine / in der anderen die tüte für exkremente”.
Valžyna Morts Auftritte sind Performances, bei denen die Artikulation, die Rhythmisierung, die Musik der Gedichte die Hauptrolle spielen. Das Weißrussische wird zum Symptom einer globalisierten Einsamkeit: „diese sprache existiert nicht, / sie hat nicht einmal ein system. / ein gespräch mit ihr zu führen ist unmöglich – / sie schlägt einem sofort in die fresse”. Zu einem vielschillernden Symbol wird das Akkordeon, das die Dichterin auch auf der Bühne spielt. In ihrem Nachwort umkreist sie dieses Instrument als Inbegriff des Lyrischen: es weiß „einen Schritt, ein Wort, eine Note im voraus, was ich suche”. Das Akkordeon, so heißt es im Gedicht „Die weißrussische Sprache II”, „frisst aus der Hand, es leckt und wie ein Kind /geht es mir nicht vom schoß, / doch wenn nötig zeigt es sein tralala!” Der Blasebalg des Akkordeons vermittelt zwischen Abstraktion und Sinnlichkeit, er kennt alle Gefühlswelten zwischen Gewalt und Zartheit. Valžyna Mort bespielt den geheimnisvollen Zwischenraum zwischen Sprache und Körper. Sie nähert ihre Lyrik auf eine bisher so noch nicht gehörte Weise dem alten Ideal an, der Musik. HELMUT BÖTTIGER
VALZ YNA MORT: Tränenfabrik. Gedichte. Aus dem Weißrussischen von Katharina Narbutovic. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 86 S., 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2009

Zigarettennebel

In den Gedichten von Valzhyna Mort sind animistische Vorgänge zu beobachten. Ob Wüsten, Meere, Himmelskörper oder tote Gegenstände - was diese 1981 in Minsk geborene Lyrikerin mit ihrer Sprache berührt, wird lebendig. Bei ihr wohnt das Mana im Instrument: "Akkordeon, arroganter Vogel / pickt in die Hände mir / anstatt zu essen aus ihnen. / Ein riesiger Falter, dessen Flügel die Augen blenden / und den ich fangen muss nach Gehör. / Akkordeon, das sich wie eine Metapher öffnet. / Akkordeon, das mir den Rücken zukehrt." Eine Auswahl ihrer besten Gedichte liegt, aus dem Weißrussischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen, nun erstmals auf Deutsch vor. Darin besticht der oft abrupte Wechsel zwischen hypnotisierender Zärtlichkeit und alarmierender Lautstärke. Hungrig greift Mort in die Wirklichkeit, breitet mit großem Gespür für die Ambivalenzen des sexuellen Begehrens die Fragmente einer Sprache der Liebe aus. Jean-Paul Belmondo hat ein Steingesicht, "auf dem wie zwei Robben die lippen liegen / im küstennebel aus zigarettenrauch". Die Lust "kommt wie ein Bus zur Haltestelle, wartet eine Minute und macht einem vor der Nase die Tür zu". Schmerz ist "ein Gott, der küsst und piekt mit seiner unrasierten Wange". Ob es ums Erwachsenwerden, um Einsamkeit, Familie oder Städte geht - die Motive von Valzhyna Mort, die ihre Gedichte oft in Nordamerika verortet, sind universell. Und doch kommt dieses Ausnahmetalent, das in Amerika lebt, immer wieder auf das verschlossene Heimatland zurück: "deine sprache ist so klein, / dass sie noch kein gespräch führen kann. / und du, belarus, in hysterie, / dir scheint stets, / dass die hebammen die wickel verwechselt haben." (Valzhyna Mort: "Tränenfabrik". Gedichte. Aus dem Weißrussischen von Katharina Narbutovic. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 86 S., br., 10,- [Euro].) spe

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Einigermaßen hymnisch bespricht Rezensentin Insa Wilke diesen Lyrikband der "ungewöhnlichen jungen Lyrikerin" aus Weißrussland, die aus ihrer Sicht Weltliteraturformat hat. Wilke vernimmt "die Stimme Baals" aus den Texten, und zwar "mythisch, kraftvoll, unverwüstlich". Manchen Gedichten bescheinigt sie die "Kraft eines Walt Whitman", auch der Umgang mit erotischen Motiven beeindruckt die Rezensentin sehr. Sorgfältig komponiert findet sie diese deutsche Edition zudem, die eigens von der Lyrikerin "komponiert" und durch einen autobiografischen Essay ergänzt worden sei. Ein Riesenlob geht auch an Übersetzerin Katharina Narbutovic, der es aus Sicht der Rezensentin zu verdanken ist, dass die Gedichte auch auf Deutsch "wunderbar tönen".

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»Ob es ums Erwachsenwerden, um Einsamkeit, Familie oder Städte geht - die Motive von Valzhyna Mort, die ihre Gedichte oft in Nordamerika verortet, sind universell.« Stefanie Peter Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090828