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Produktdetails
  • edition suhrkamp 2236
  • Verlag: Suhrkamp
  • Originaltitel: Jak zostalem pisarzem
  • Artikelnr. des Verlages: ES 2236
  • 4. Aufl.
  • Seitenzahl: 142
  • Erscheinungstermin: April 2013
  • Deutsch
  • Abmessung: 176mm x 108mm x 8mm
  • Gewicht: 130g
  • ISBN-13: 9783518122365
  • ISBN-10: 3518122363
  • Artikelnr.: 09946304
Autorenporträt
Stasiuk, AndrzejAndrzej Stasiuk, der in Polen als wichtigster jüngerer Gegenwartsautor gilt, wurde 1960 in Warschau geboren, debütierte 1992 mit dem Erzählband Mury Hebronu (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt. Stasiuk wurde 1980 zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten und verbüßte seine Strafe in Militär- und Zivilgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Beskiden.1994 erschienen Wiersze milosne i nie (Nicht nur Liebesgedichte), 1995 Opowiesci Galicyjskie (Galizische Erzählungen) und Bialy Kruk (Der weiße Rabe; 1998 bei Rowohlt Berlin), 1996 der Erzählband Przez rzeke (Über den Fluss; diesem Band ist Die Reise entnommen) und 1997 Dukla.2002 erhält er den von den Partnerstädten Thorn (Polen) und Göttingen gemeinsam gestifteten Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis. Den literarischen Jahrespreis Nike erhielt Andrzej Stasiuk 2005 für sein Buch Unterwegs nach Babadag. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk erscheint

in 30 Ländern. 2016 wurde er mit dem Staatspreis für europäische Literatur 2016 ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Bunter Warschauer Traum
Andrzej Stasiuk greift zur Luftgitarre / Von Stefanie Peter

Erst war Warschau, dann kamen die Karpaten. Die Reihenfolge ist wichtig, wenn man wissen will, wie Andrzej Stasiuk so zu beobachten und sich so über die Welt zu wundern gelernt hat, wie wir es inzwischen von dem polnischen Schriftsteller kennen. Nicht immer wohnte der Verfasser von "Der weiße Rabe" und "Die Welt hinter Dukla" nämlich abgeschieden in den Bergen an der slowakischen Grenze. Bevor ihm der Blick aus dem Fenster zum Blick auf Mitteleuropa werden konnte, lebte Stasiuk bis zu seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr in der polnischen Hauptstadt. Davon handelt sein 1998 erschienenes Buch "Wie ich Schriftsteller wurde", das nun in ausgezeichneter Übersetzung auch auf deutsch vorliegt.

Seit Sartres ausufernd gescheitertem Versuch, der Formierung eines Schriftstellers bis in die kleinsten Nischen seines Existierens hinein habhaft zu werden, läßt sich ein solcher Titel allenfalls ironisch verstehen. Die autobiographische Schilderung eines Daseinsanarchos gibt uns deshalb auch keineswegs einen Einblick in das Werden eines Dichters, sondern schildert mit seltener Prägnanz das volksrepublikanische Leben im allgemeinen und den Rock 'n' Roll im besonderen in den so ereignisreichen Jahren zwischen 1976 und 1986. Vorgetragen wird das in einer unglaublichen Suada, die in nur zwölf Tagen geschrieben wurde; diesen Rausch spürt man von der ersten bis zur letzten Zeile.

Schritt für Schritt macht Stasiuk den Leser mit seinen Gedanken, Erlebnissen und Gefühlen von einst, mit alten Freunden, vor allem aber mit einer libidinösen Topographie Warschaus bekannt. Sie setzt sich zusammen aus den Kneipen im Stadtteil Praga, wo es den billigsten Wein und die billigsten Zigaretten gab, bestimmte Kioske mit Bier zum Nachschub für unterwegs, Orten in der Altstadt, wo man am besten Straßenmusik machen konnte, Weichselbrücken, über die man nur nachts ging, wie die Poniatowski. Am liebsten trafen sich die Gefährten im Weinkeller der Gaststätte "Bukarest", wo sich die Kellnerinnen ihren Weg durch die Menge mit Fußtritten bahnen mußten. Gelebt haben sie "zwischen Altstadt und Grochów. Fünfzehn Minuten mit der Straßenbahn".

So plastisch sind Stasiuks Beschreibungen, so sinnlich nachvollziehbar bis ins Detail, daß man am liebsten gleich hinfahren möchte, um diesem längst untergegangenen Warschau nachzuspüren. Wenigstens einen Stadtplan mit den Straßennamen vor der Wende will man parat haben, um darauf die Orte nachzuzeichnen, wo die Jungs sich herumgetrieben haben, fernab von jedem philosophisch abgedichteten Weltbild: "Wir hatten eine Aufgabe und erfüllten sie. Action directe und fertig. In den Supermarkt, nach Hause, eine Stunde später in die Stadt. Ob die Welt aus Bedeutungen oder aus Metaphern bestand, war uns so was von egal. Sie bestand eben, aus was sie bestand. Aus der Kobielska, der Korytnicka und der Kalenska. Das reichte völlig."

Andrzej Stasiuk verweigerte den Kriegsdienst und landete dafür 1980 im Gefängnis. Sein 1992 erschienenes Prosadebüt "Mury Hebronu" (Die Mauern von Hebron) legt von der Zeit seiner Inhaftierung Zeugnis ab. "Wie ich Schriftsteller wurde" enthält ebenfalls eine lange Passage voller gleichermaßen beklemmender wie nüchterner Beschreibungen der Härte des Knastalltags. Dieser bestimmte auch seine ersten Eindrücke von der Verhängung des Kriegsrechts am 13.Dezember 1981: "In eine Baracke steckten sie die Internierten. Wir sahen sie nicht, aber sie nervten uns", denn sie sangen für Knastverhältnisse einfach zuviel religiöse Lieder. Als Stasiuk aus dem Gefängnis entlassen wurde, empfingen ihn seine alten Kumpels wie einen Helden, und die Frauen lagen ihm zu Füßen. Er las die sinnlichen Gefängnisbeschreibungen Genets und war enttäuscht. Das sei nicht Knast, sondern reine Fiktion. Gefesselt war er indes von Beckett, der habe zwar nicht gesessen, wisse aber dafür, "was dort abging".

Einige seiner Freunde schlossen sich der Solidarnosc an, Stasiuk selbst hielt sich mit seinem Engagement zurück. Politik als praktisches Geschäft interessierte ihn nicht, "das Volk" wollte er auch nicht sein, "denn das ging auf die Straße und bekam nie genug". Solche Wahrnehmungen des Polen der achtziger Jahre bestechen, weil sie den gängigen Topoi widersprechen. Die von den meisten Polen als schwarze Nacht beschriebene Zeit des Kriegsrechts mit den darauffolgenden Jahren der Warenknappheit schildert Stasiuk als Aufschub, Unterbrechung, als eine Art Auszeit, die jungen Menschen wie ihm und seinen Freunden ermöglichte, zu tun, was sie wollten. Und nicht nur ihnen: "Ich glaube, niemand arbeitete, denn schon morgens saßen alle auf der Bank neben den Mülltonnen und tranken Wein. In aller Seelenruhe. Wie in einem Mittelmeerstaat." Man interessierte sich damals für Amerika und für Tschechien, an Deutschland dachte damals keiner. Nur Stasiuks Freund Ostas besuchte regelmäßig das "deutsche Reich" und stolperte jedesmal nach seiner Rückkehr über die angeblich löchrigen Warschauer Bürgersteige.

Stasiuk und seinesgleichen lebten eine Mischung aus Hippie- und Punkkultur. Sie kifften, lasen die einschlägigen Kultautoren wie Castañeda, später dann Ginsberg, Lowry und Jerofejew. Einige, wie sein Freund Krosbi, fühlten sich von esoterischen Gurus aus Indien, später von dem tibetischen Buddhismus predigenden Dänen Ole Nydahl angezogen. Am wichtigsten jedoch war die Musik: Dead Kennedys, Talking Heads, Velvet Underground und die polnische Punkband Dezerter. Stasiuk wäre gerne Musiker geworden, viele Jahre konnte er sich nicht zwischen Schriftstellerei und Musik entscheiden.

Vielleicht mögen es nicht "an die tausend", sondern nur dreihundert leere Bierflaschen gewesen sein, die er und sein Freund Karol aus der Hochhauswohnung schleppen sollten, bevor Ehefrau und Schwiegermutter heimkehrten, deren Erspartes die Jungs zuvor bei einer mehrtägigen Party auf den Kopf gehauen hatten. Übertrieben oder nicht, man merkt auf jeder Seite des Buches, woran Stasiuk und seine Warschauer Kumpels damals garantiert nicht gelitten haben: an der Erfahrungsarmut von Wohlstandsmenschen und ihren neurotischen Gewissensnöten. Für das Hin-und-Hergerissensein zwischen Schreiben und Musik hat Stasiuk jedenfalls in diesem Buch seine Lösung gefunden. Er steht zwar nicht drauf, aber er ist drin: der Rock 'n' Roll.

Andrzej Stasiuk: "Wie ich Schriftsteller wurde". Versuch einer intellektuellen Autobiographie. Aus dem Polnischen übersetzt von Olaf Kühl. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2001. 141 S., br., 17,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Wer eine edle Geschichte von Widerstand und endlichem Triumph der Soliarnosc oder einen Bildungsroman lesen möchte, sollte nicht zu diesem Buch greifen", warnt Karl-Markus Gauß. Und auch wie Andrzej Stasiuk einer der wichtigsten polnischen Schriftsteller geworden ist, erfahre man in "Wie ich Schriftsteller wurde" nicht. Dafür manches andere: Über östliche Trinksitten (Brennspiritus, Magentropfen, Zahnpasta), westliche Rockmusik und wie man als Schwarzfahrer mit der Eisenbahn Polen durchqueren konnte. Selbst der amerikanische Prophet solchen Glücks, Jack Kerouac, sei, verglichen mit Stasiuk, ein "Pathetiker des Umsturzes", staunt Gauß: Selbst als Stasiuk wegen Desertation vom Militär geschnappt und ins Gefängnis gesteckt wurde, empfand er die Abwesenheit sinnvoller Beschäftigung noch als angenehm. 'Ich hätte eine Wut auf jemanden haben sollen, aber mir war das so was von egal, ich hätte irgendwelche Ansichten haben sollen, aber er hatte keine', zitiert Gauß den Schriftsteller. Stasiuk erzähle statt von idealen vom schmutzigen Glück am Rande, von Rausch, Rock und Verweigerung, so Gauß: "Es ist ein Land am Abgrund, das Stasiuk zeigt. Und er hat sich, damals als Jugendlicher und jetzt als Autor, weit an den Rand vorgewagt, um in den Abgrund zu blicken."

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