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Das katholische Staatsdenken hat viele Facetten. Über Jahrhunderte war es eine Domäne des Klerus. Nach 1789 wird es auch von Laien mitgeprägt - in Frankreich traditionalistisch und konterrevolutionär, in Deutschland romantisch gefärbt. Mit dem Konstitutionalismus seit 1848 entsteht ein Liberalkatholizismus, der Grundrechte und parlamentarische Vertretung fordert, diese aber noch in historische Rechtsideen kleidet. In der fast zeitgleich entstehenden Neuscholastik dominiert wieder die kirchenamtliche Doktrin. Ihre Leistung: Sie setzt dem herrschenden Rechtspositivismus Naturrechtsforderungen…mehr

Produktbeschreibung
Das katholische Staatsdenken hat viele Facetten. Über Jahrhunderte war es eine Domäne des Klerus. Nach 1789 wird es auch von Laien mitgeprägt - in Frankreich traditionalistisch und konterrevolutionär, in Deutschland romantisch gefärbt. Mit dem Konstitutionalismus seit 1848 entsteht ein Liberalkatholizismus, der Grundrechte und parlamentarische Vertretung fordert, diese aber noch in historische Rechtsideen kleidet. In der fast zeitgleich entstehenden Neuscholastik dominiert wieder die kirchenamtliche Doktrin. Ihre Leistung: Sie setzt dem herrschenden Rechtspositivismus Naturrechtsforderungen entgegen; ihr Manko: sie vermag diese nicht konsistent mit individuellen Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatsidee zu verbinden. Erst mit dem seit den 1930er Jahren entwickelten christlichen Personalismus können die Katholiken Anschluss an die liberale Theorie gewinnen und nach 1945 in den Verfassungen eigene Akzente setzen. Das II. Vatikanum (1962-1965) vollzieht in seiner politischen Ethik diese Positionen nach. Damit war der Schritt von der abstrakten religiösen Wahrheit zum konkreten Recht der Person getan.
Autorenporträt
Dr. phil. habil., Dipl. theol., Dipl. sc. pol. Rudolf Uertz, geboren 1947 in Neunkirchen/Saar, ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, o. Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Kardinal-Wyszyski-Universität Warschau und Referent in der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2005

So ist Autonomie nicht gemeint
Rudolf Uertz über Wandlungen des katholischen Staatsdenkens

Dieses Buch war schon seit langem fällig. Es behandelt Charakter und Wandel des katholischen Staatsdenkens, auch und vornehmlich in Deutschland, von der Französischen Revolution bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Das ist eine spannende und zuweilen auch dramatische Geschichte, denn sie umfaßt einen Weg von der strikten Ablehnung aller Grundsätze, auf welche die heutige säkulare Staatsordnung sich gründet, zu deren voller Anerkennung. Natürlich läßt sich ein solches Thema nicht isoliert mit dem Blick auf Deutschland behandeln. Die Frage nach dem katholischen Staatsdenken in Deutschland weist über sich hinaus nach dem katholischen Staatsdenken allgemein, wie es sich in kirchenamtlichen Verlautbarungen, nicht zuletzt päpstlichen Lehrschreiben und Entscheidungen, darstellt. So werden der Inhalt und die Umorientierung des kirchlichen Staatsdenkens überhaupt, ja der kirchlichen Grundpositionen zum Verhältnis von Kirche und Welt zum eigentlichen Thema.

Das so gefaßte Thema wird von Rudolf Uertz mit umfassender und profunder Kenntnis der Sache und der Literatur, einem klaren Problembewußtsein und der Bereitschaft zu kritischer Reflexion behandelt. Seine Fragestellung ist nicht primär eine historische, wiewohl die geschichtlichen Konstellationen und der Gang der Entwicklung stets einbezogen werden, auch keine theologische, die auf den glaubensmäßigen Wahrheitsgehalt der unterschiedlichen und sich wandelnden Lehren und Positionen zielt, sondern eine politikwissenschaftliche. Sie fragt nach Inhalt und Eigenart der vertretenen Theorien und Theoriegebäude, zeigt deren Grundlagen auf und analysiert die Wirkungen, die davon für das politische Denken und praktische Handeln kirchlicher Amtspersonen wie der Katholiken vor Ort ausgingen. Der Verfasser nimmt dabei Fragestellungen auf, denen vor mehr als vierzig Jahren Hans Maier in seinem Buch "Revolution und Kirche" nachging, aber er erweitert sie und erreicht durch seine theorieanalytische und theoriekritische Perspektive einen neuen Horizont. Er verfolgt diese Perspektive, wiewohl es dabei um Zeitabhängigkeit und Irrtumsanfälligkeit kirchlicher Lehren mit überzeitlichem Autoritätsanspruch geht, mit voller Unbefangenheit und ohne jede apologetische Tendenz - ein Qualitätssiegel auch für die Katholische Universität Eichstätt, an der Uertz sich mit dieser Arbeit habilitiert hat.

Der erste Teil des Buches befaßt sich mit der Antwort auf die Ideen von 1789. Uertz stellt hier nicht nur die päpstliche Antwort vor, sondern auch deren theoretisch-historischen Kontext, die Staatstheorie des Traditionalismus in ihren verschiedenen Spielarten und das historisch-organische Denken. Die päpstliche Antwort zeigt sich anhand mehrerer Verlautbarungen als eine sich steigernde prinzipielle Ablehnung eines säkularen Gemeinwesens mit Menschenrechten, Volkssouveränität und insbesondere Gewissens- und Religionsfreiheit. Diese Antwort war eine Rundumabwehr sowohl der politischen Ideen der Aufklärung, wie sie sich vor allem in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 niedergeschlagen hatten, als auch des weltanschaulichen Liberalismus als geistiger Bewegung. Dem wurden ein geschlossener, auf der wahren Religion beruhender ordo und eine dementsprechende politische Ordnung als die von Gott gebotene und allein legitimierte gegenübergestellt. Dies verband sich mit starker Affinität zu eher traditionalistischer, an der Legitimität gottgewollter monarchischer Herrschaft orientierter politischer Programmatik - wobei auch die Erhaltung der päpstlichen Herrschaft im Kirchenstaat mit eine Rolle spielte.

Ratzingers frühe Analyse

Auf seinen Höhepunkt läuft das Buch in seinem zweiten Teil zu, überschrieben "Die Neuscholastik", was sich dann im dritten Teil "Von der Staatsdoktrin zur politischen Ethik" fortsetzt. Hier stellt Uertz die - schon bei Pius IX. einsetzende - Fundierung der kirchlichen Position auf ein vorgegebenes Naturrecht als Grundlage der staatlichen Ordnung heraus, das freilich ein kirchlich interpretiertes, weil der göttlichen Ordnung zugehöriges Naturrecht war. Dies entfaltet sich, von Vordenkern wie Theodor Meyer SJ angeregt, bei Leo XIII. zu einem neuscholastischen Lehrgebäude, das fortan als verbindliche kirchenamtliche Doktrin wirksam ist, und zwar mit nur geringen Modifikationen bis hin zu Pius XII.

Der Verfasser analysiert die Essenz dieses Lehrgebäudes meisterhaft. Den Kernpunkt der neuscholastischen Rechtsauffassung sieht er - völlig zu Recht - in der Einheit von Recht und Moral (Sittlichkeit) auf der Grundlage einer kirchlich angeleiteten und kontrollierten Vernunfterkenntnis. Das hat Folgen. Wenn Recht nur die Außenseite der Sittlichkeit und Moral darstellt, nach Aufgabe und Funktion davon nicht unterschieden ist, erlaubt das, die kirchlich interpretierte naturbegründete sittliche Ordnung auch auf die Rechtssphäre zu erstrecken, sie zur verbindlichen naturrechtlichen Vorgabe für die staatliche Ordnung zu erklären. Das schließt dann Menschenrechte als Freiheitsrechte, etwa auch gegen die wahre Religion, die Freiheit für den religiösen oder moralischen Irrtum, die Herleitung der staatlichen Ordnung aus der Volkssouveränität statt aus göttlicher Vollmacht aus, wie es in den Enzykliken Leos XIII. niedergelegt ist. Um dabei den Kontakt mit den real existierenden Staaten und deren Ordnung nicht zu verlieren und die darin wirkenden Katholiken nicht in zu große Bedrängnis zu bringen, werden freilich vorsichtige Anpassungsstrategien entwickelt. Sie fungieren jedoch nur als faktische Hinnahme von Übeln oder Gegebenheiten, die man derzeit nicht ändern kann, keineswegs als Aufgabe oder Abänderung des Prinzips; der katholische Staat als These, als das "an sich" Richtige und Gebotene, bleibt bestehen.

Rudolf Uertz verfolgt die Anwendungen und Wirkungen dieser Positionsnahme sehr genau: die daraus hervorgehenden Verwerfungen und Spannungen; die prekäre Zwischenlage katholischer Theologen und Sozialethiker zwischen lehramtlicher Bindung und eigener Einsicht, die teilweise zur Sterilität führt; die aus dem Kreis katholischer Denker und verantwortlicher Politiker aufkommenden Gegenkräfte. Diese bewegten sich in Richtung auf einen innerkirchlich zunächst angefeindeten christlichen Personalismus und eine Infragestellung des theologisch-kirchlich rückgebundenen neuscholastischen Naturrechtskonzepts. Der junge Theologieprofessor Ratzinger hat 1964 dieses Konzept wie folgt charakterisiert: "Das ,Naturrecht' sollte das positive Recht der Kirche decken, wurde aber seinerseits vom positiven Recht der Kirche gehalten. In dieser eigentümlichen Verquerung von Naturrecht und positivem Glaubensrecht liegt die Problematik der Situation der Kirche in der Neuzeit, in der Zeit der Umstellung von einer rein kirchlichen auf eine weltanschaulich gemischte Gesellschaft."

Wahrheit, verdampft?

Dies alles ist eine spannende Geschichte, man sollte sie nachlesen. Eine wirkliche Wende im Sinne einer Umorientierung beginnt erst mit Johannes XXIII. und seiner Enzyklika "Pacem in terris", welche die neuscholastische Position ohne lehrmäßig fundierte Begründung auf schlichte Weise verabschiedet und zur Anerkennung von Menschenrechten fortschreitet. Der Durchbruch erfolgt dann durch die Erklärung "De libertate religiosa" des Zweiten Vatikanischen Konzils. In ihr sieht Uertz mit Recht nicht mehr eine Fortschreibung und Differenzierung bisheriger Lehren, sondern deren Rücknahme, einen eindeutigen Paradigmenwechsel im Übergang vom Recht der Wahrheit zum Recht der Person oder, wie es der Buchtitel zugespitzt formuliert, vom Gottesrecht zum Menschenrecht. Dieser Übergang hat Folgen über die Anerkennung der Religionsfreiheit hinaus, er bedeutet einen Umbau des gesamten Grundgerüsts, insbesondere die Anerkennung der Unterschiedenheit von Recht und Moral und des Freiheitsgrundes von Recht und Staat. Die Herausstellung der epochemachenden Bedeutung und des prinzipiellen Gehalts dieser Erklärung bildet den kurzen Schlußpunkt der Arbeit.

Das Ergebnis, das Uertz in dieser Weise präsentiert, drängt so auch in theologische Fragen hinein. Denn was bedeutet es, theologisch betrachtet, wenn innerhalb eines guten Jahrhunderts zu bestimmten Fragen inhaltlich genau gegenteilige Verlautbarungen mit hoher kirchlicher Autorität und jeweils naturrechtlichem Geltungsanspruch ergehen? Manifestiert sich darin die Irrtumsfähigkeit solcher Verlautbarungen, und welche Folge hat das für deren Verbindlichkeitsstatus und die Notwendigkeit einer offenen innerkirchlichen Diskussion darüber? Es gehört zur Klugheit des Buches, daß es auch am Schluß bei seiner politikwissenschaftlichen Fragestellung verbleibt und nicht darüber hinausgeht; diese hat aus sich schon Brisanz genug. Das Geleitwort des Mentors der Arbeit, Professor Sutor aus Eichstätt, macht freilich Andeutungen in dieser Richtung, und dies mit Freimut.

Bei aller Qualität, die das Buch auszeichnet, in einem Punkt muß widersprochen werden: Uertz sieht die Entwicklung zum christlichen Personalismus und zum Recht der Person in der Anerkennung der Religionsfreiheit stets auch als eine solche zur "autonomen Sittlichkeit" und autonomer Rechtserkenntnis von den einzelnen her. Das ist eine Überinterpretation. Sie läßt sich auch nicht durch Berufung auf Thomas von Aquin begründen, der bei Anerkennung aller Konkretisierungsbedürftigkeit und -offenheit der lex naturalis doch an einer ontologischen Grundlage des Sittlichen festhält und kein Kantianer war. Sie ist auch geeignet, den epochalen Fortschritt, den die "Declaratio de libertate religiosa" innerkirchlich darstellt, zu gefährden.

Uertz beherzigt hier nicht, was er an anderer Stelle (mit Berufung auf mich) ausdrücklich konstatiert: Die naturrechtlich-theologischen Prinzipien der traditionellen Lehre waren nicht als solche verfehlt, sie waren es dadurch, daß sie vom moralischen Bereich, in dem der Irrtum in der Tat kein Recht gegenüber der Wahrheit hat, auf den äußeren rechtlichen Bereich erstreckt wurden. Deshalb fällt auch die Lehrautorität und potestas indirecta der Kirche nicht einfach weg, sie mutiert zu einer potestas directiva gegenüber den eigenen Gläubigen, die ihnen im Rahmen kirchlicher Kompetenz Orientierung und Antrieb gibt, mit unterschiedlichen Graden der Verbindlichkeit, aber ihnen die Umsetzung ins Handeln in Gesellschaft und Staat eigenverantwortlich überläßt.

Die Autonomie der Sachbereiche, von der der Verfasser nachdrücklich spricht, bleibt auch nach dem Sprung vom Recht der Wahrheit zum Recht der Person eine relative, und das Handeln christlicher Laien ebenso wie der Einfluß christlicher Ethik und Theologie sollte nicht auf ein "kulturchristliches Phänomen" und eine bloße Motivation zurückgenommen werden. Nur so läßt sich eine Verbindung von christlicher Wahrheit und Freiheit, die deren Differenz voraussetzt und diese Wahrheit nicht in Freiheit hinein verdampfen läßt, erreichen und erhalten.

ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE

Rudolf Uertz: "Vom Gottesrecht zum Menschenrecht". Das katholische Staatsdenken in Deutschland von der Französischen Revolution bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1789-1965). Politik- und kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichung der Görres-Gesellschaft, Band 25. Schöningh Verlag, Paderborn 2005. 552 S., br., 59,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Ernst-Wolfgang Böckenförde von Rudolf Uertz' Buch über die Wandlungen des katholischen Staatsdenkens von der Französischen Revolution bis zum zweiten Vatikanischen Konzil - ein Buch, das seines Erachtens "seit langem fällig war". Die Geschichte dieser Wandlungen findet er "spannend" und zuweilen auch "dramatisch", schließlich umfasse sie einen Weg von der Ablehnung aller Grundsätze heutiger säkularer Staatsordnung zu deren voller Anerkennung; damit erscheine das Verhältnis von Kirche und Welt als eigentliches Thema. Böckenförde bescheinigt Uertz, der sich mit vorliegender Arbeit habilitiert, "umfassende und profunde Kenntnis" der Sache und der Literatur, "klares Problembewusstsein" sowie die "Bereitschaft zu kritischer Reflexion". Die Fragestellung des Buches beschreibt er als vorwiegend politikwissenschaftlich. Er hebt hervor, dass Uertz Arbeit unbefangen und ohne jede apologetische Tendenz verfasst ist. Ausführlich geht Böckenförde dann, Uertz folgend, der Geschichte des katholischen Staatsdenkens nach: Er schildert die päpstliche Antwort auf die Ideen von 1789, stellt die bei Pius IX. einsetzende Fundierung der kirchlichen Position auf vorgegebenes Naturrecht als Grundlage staatlicher Ordnung dar, und berichtet schließlich über die "wirkliche Wende" unter Johannes XXIII., die eine Anerkennung der Menschenrechte, der Religionsfreiheit usw. einschloss.

© Perlentaucher Medien GmbH
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