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Harlans gesammelte Werke erschienen 2011 bei rororo.
«Mein Sohn, ich glaube, ich habe Dich verstanden.» Im April 1964 ruft Veit Harlan, Regisseur des nationalsozialistischen Propagandafilms Jud Süß, seinen Sohn Thomas nach Capri an sein Sterbebett. Doch für das Gespräch, das mit diesem Satz hätte beginnen können, ist es zu spät. Drei Tage dauert das Sterben, drei Tage erinnert Thomas Harlan sich an die gemeinsame Geschichte. «Veit» will Abbitte leisten dafür, dass der Sohn den Vater zwanzig Jahre lang allein gelassen hat, und will gleichzeitig in Ordnung bringen, was noch nicht in Ordnung…mehr

Produktbeschreibung
Harlans gesammelte Werke erschienen 2011 bei rororo.
«Mein Sohn, ich glaube, ich habe Dich verstanden.»
Im April 1964 ruft Veit Harlan, Regisseur des nationalsozialistischen Propagandafilms Jud Süß, seinen Sohn Thomas nach Capri an sein Sterbebett. Doch für das Gespräch, das mit diesem Satz hätte beginnen können, ist es zu spät. Drei Tage dauert das Sterben, drei Tage erinnert Thomas Harlan sich an die gemeinsame Geschichte.
«Veit» will Abbitte leisten dafür, dass der Sohn den Vater zwanzig Jahre lang allein gelassen hat, und will gleichzeitig in Ordnung bringen, was noch nicht in Ordnung gebracht ist. Es ist eine Liebeserklärung und eine Verdammung, beides zugleich, in einem Ton vereint und von ungeheurer sprachlicher Kraft.

Autorenporträt
Harlan, ThomasThomas Harlan wurde 1929 geboren als Sohn der Schauspielerin Hilde Körber und von Veit Harlan, dem Regisseur des nationalsozialistischen Propagandafilms «Jud Süß». Er hat mehrere Filme gedreht, darunter «Torre Bela» (1977) und «Wundkanal» (1984), außerdem hat er Theaterstücke und mehrere Bücher geschrieben, namentlich die Romane «Rosa» (2000) und «Heldenfriedhof» (2006) sowie den Erzählungsband «Die Stadt Ys» (2007). Harlan starb am 16.10.2010.
Rezensionen
Seine Prosa hat, mit den üppig wuchernden Satzgebilden, der kraftvollen Wortwahl und der ungeheuren Präzision, wohl nicht ihresgleichen in der Nachkriegsliteratur. FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2011

Literatur "Vater, Du Geliebter, Verstockter, höre doch! (. . .) Ich habe Dich geliebt. Laß mich dein Sohn sein, Dein ältester, laß mich. Dein Sohn", lauten die letzten Worte in Thomas Harlans Buch "Veit", das der 81-Jährige zwischen dem 31. Mai und dem 4. Juni 2010 in Schönau am Königssee wenige Monate vor seinem Tod diktiert hat (Rowohlt, 156 Seiten, 17,95 Euro). Es ist eine Art Abschiedsbrief, Anklageschrift und Liebesbekundung in einem, letzte Worte an die übergroße, traumatisch besetzte Vaterfigur Veit Harlan, Regisseur des antisemitischen NS-Propagandafilms "Jud Süß". Ein Leben lang hatte Thomas, der 1929 als erstes Kind Veit Harlans mit der UFA-Schauspielerin Hilde Körber geboren wurde, mit diesem Vater gerungen; ein Vater, der ihn verstieß und den der Sohn bekämpfte, bis Veit 1964 auf Capri, da ließ der Vater den Sohn an sein Bett kommen, in Thomas' Armen starb. Das Buch, das sich wie ein Vermächtnis liest, ist, mit seiner unglaublichen poetischen Wucht, mit seinen Rilke- und Kafka-Anspielungen, noch einmal Ausdruck dieses Ringens, das kein Ende finden konnte. Und es ist zugleich eine kleine Autobiographie: Die wilden Jahre der "Ganovenfreundschaft" mit Klaus Kinski, mit dem Thomas das Münchner Kino anzündete, in dem ein Film des Vaters lief; das Theaterstück "Ich und kein Engel" über den Aufstand im Warschauer Getto; die Flucht nach Paris, die auch eine Sprachflucht war; seine Recherchen über die Täter, die, mit Unterstützung seines Freundes, des Staatsanwalts Fritz Bauer, zu 2000 Anklagen gegen NS-Kriegsverbrecher führten - all das findet man hier, angerissen oft nur und vom Verlag sorgfältig kommentiert. "Ich bin der Sohn meiner Eltern. Das ist eine Katastrophe. Die hat mich bestimmt", hat, als er noch lebte, Thomas Harlan gesagt. In genau diesem Sinne ist "Veit" ein Katastrophenbuch, zart und unerbittlich.

jia

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2011

Veitstanz
Verzweifelter Brief an den Vater, den Regisseur von „Jud Süß“: Thomas Harlans „Veit“
Capri ist die beste Kulisse für das Dämonische und für steile Abstürze. Im Hintergrund verschwimmt traumhaft die Villa von Curzio Malaparte, des zwiespältigen Mussolini-Chronisten, und im Vordergrund stirbt Veit Harlan, der Regisseur des effektivsten Nazi-Propagandafilms „Jud Süß“. Diese Szene aus dem Jahr 1964 grundiert das Buch von Thomas Harlan, des Sohnes, das in seiner schwarzen Aufmachung wie ein Grabstein wirkt und einfach „Veit“ heißt. Es wirkt gespenstisch, wie der Sohn nach langem Aufbegehren an das Sterbebett des Vaters kommt und Abbitte leistet.
Thomas Harlan ist 2010 in Berchtesgaden gestorben, im Schatten des Obersalzbergs, und er hat kurz zuvor den Text von „Veit“ noch diktiert, „nicht geschrieben“, wie er in einer kurzen Vorrede vermerkt. So bildet der Tod von Vater und Sohn ein Doppelmotiv, eine Überblendung der Jahre 1964 und 2010. Es ist ein Movens der pulsierenden, gleichsam liturgisch aufgeladenen Prosa von „Veit“, die Schuld des Vaters auf sich zu nehmen – jene Schuld, die die deutschen, vom Nationalsozialismus infizierten Väter zeitlebens nicht bereit waren abzutragen.
Thomas Harlan, geboren 1929, ist noch in den Hofstaat Hitlers hineingewachsen. Er begegnete Hitler, lernte Goebbels näher kennen und wurde 1941 Führer der Marine-Hitlerjugend. In kurzen Rückblenden, die den hohen, pathetischen Ton des Buchs noch steigern, wird deutlich, wie sehr Thomas vom unverkennbaren Charisma des künstlerisch hochfliegenden Vaters bis weit in die fünfziger Jahre hinein geprägt war – sich dann aber auflehnte. Er verdichtet in dieser Bekenntnisschrift sein Leben auf knapp hundert Druckseiten, wechselt zwischen harten Fakten und fast biblisch anmutenden Anrufungen.
Schon früh konstatiert Thomas Harlan für sich als bemerkenswerteste Eigenschaft das „Schweigen“, und das wird sekundiert von dem Satz: „Mein Vater selbst schwieg nie“. In wenigen Schlaglichtern scheinen die rigorosen Erziehungsmethoden des Vaters auf, vor allem der Sexualterror. Und in einer verzweifelten Aufwallung rufen seine Worte auch die Figur der Dora Gerson wach, einer Jüdin, mit der Veit Harlan von 1922 bis 1924 verheiratet war und die 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Parallel dazu wurden die Wachmannschaften in den Konzentrationslagern durch Vorführungen von „Jud Süß“ aufgepeitscht.
Die spezifische Mischung aus Abscheu und Faszination, die viele Deutsche angesichts des NS-Regimes erfasste, konzentriert sich bei der Familie Harlan in einem schicksalhaften Vater-Sohn-Verhältnis. Der Film „Jud Süß“ ist deshalb so aussagekräftig, weil er keineswegs nur ein plumper Propagandaschinken war, sondern beachtliche handwerklich-künstlerische Qualitäten aufwies. Veit Harlan erscheint in der Erinnerung des Sohnes als eine Person, die alles Unliebsame routiniert ausblenden konnte und sich auf ihr komödiantisches, gewinnendes Temperament verließ.
Charakteristisch für Veit Harlan und die verwickelte Beziehung des Sohnes zu ihm ist ein Bericht des Hamburger Abendblatts über den Prozess, der 1949 wegen des Films „Jud Süß“ stattfand; er wird im ausführlichen Kommentarteil des Buches wiedergegeben: „Kein Wort, keine Feststellung, der Harlan nicht eine scharf pointierte Spitze zu geben verstünde. Der Schauspieler spielte die größte Rolle seines Lebens. Er führt Regie in einem Schauspiel, das das Tribunal zur Szene werden lässt. Aber eines ist gewiss: Er ist männlich, mutig und von einer Leidenschaft erfüllt, die vielleicht ihren typischen Ausdruck in der Formulierung fand: ,mich kann diese Anklage nicht richten, sondern nur mein eigenes Gewissen‘. Das Publikum lachte oft schallend bei den trockenen, witzigen Aussprüchen Harlans. Ordnungsgemäß rügte es der Vorsitzende. Aber selbst die jüdischen Nebenkläger hatten es manchmal nicht leicht, ernst zu bleiben.“
Die Bewunderung, die Anziehung durch den Vater und der Hass auf ihn prallen in diesem Prosa-Stakkato, in dieser emotional aufwühlenden und bestürzenden Suada manchmal in einem einzigen Satz aufeinander. Thomas beginnt nach dem Krieg in Tübingen zu studieren, aber er flieht ziemlich schnell nach Paris – „weil ich meines Namens wegen in einem solchen Maße den Freundlichkeiten und der Sympathie meiner Mitbürger ausgeliefert war, dass ich umsonst bekam, wofür andere bezahlen mussten“.
Er hadert mit dem Los, Sohn des „nationalsozialistischen Trösters und Filmgotts“ zu sein, und er verzeichnet penibel, wie die alten NS-Seilschaften in der frühen Bundesrepublik Karriere machen. „Du konntest Dich nicht schämen“, ruft er dem Vater postum zu und schämt sich an seiner statt. Doch noch 1954 schreiben Veit und Thomas Harlan zusammen das Drehbuch „Der Fall Dr. Sorge“ über den berühmten deutschen Spion in Japan. Thomas Harlan ist befreundet mit Klaus Kinski, der bei seinem Vater fast naturgemäß Abscheu erregt, Thomas recherchiert in Polen, um den Machenschaften des NS-Regimes auf die Spur zu kommen, er spürt dort allein 2000 Fälle von Nazischergen auf, die unbehelligt in der Bundesrepublik leben – dies alles legt sich wie ein düsterer Schatten über die Beziehung zu seinem Vater, doch es löscht sie nicht aus.
Thomas Harlan hat spät begonnen, zu schreiben. Die Mischung aus Liebe und Ekel, die differenzierte Sicht auf die Gefühls- und Kältebewegungen in der Psyche eines Nazikünstlers hat er lange vor Jonathan Littell und anderen berühmten Nazi-Aura-Autoren dargestellt, und dies kulminiert nun in „Veit“. Die Sterbeszene auf Capri ist der erste Moment nach vielen Jahren, in dem er seinem Vater wieder gegenübertritt, und es kommt zu merkwürdig verhangenen gegenseitigen Gesten der Versöhnung.
„Veit“ ist ein Buch ohne Ausweg. Es zeigt auch schillernde Schattenseiten der Film- und Kunstgeschichte. Die Beerdigung von Veit Harlan auf Capri bezahlt Stanley Kubrick, „der Mann meiner Cousine“. Daneben geistert Kristina Söderbaum, die schwedische Ideal-Arierin in den Nazi-Ufa-Melodramen und dritte und letzte Ehefrau von Veit Harlan, noch in den sechziger und siebziger Jahren durch eine selten so klar aufgezeichnete deutsche Misere.
Veit Harlan, so erzählt sein Sohn, traf sich bis zu seinem Tod mit „Herren der älteren Art, Herrenreitern, Rechtsanwälten der rechten Szene“, und dazu gehört auch einer, der immerhin von 1966 bis 1969 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war: „Kurt Georg Kiesinger, der, die Arme ausgebreitet, Veit! schrie, als er meinen Vater im Bürgerbräu-Keller über einem Tafelspitz wiedersah und alte Erinnerungen in sein Gesicht zurückkehren ließ.“ Thomas Harlan fügt hinzu: „Er sei gefährlich gewesen, hatte mir mein Vater einmal gesagt, ein Nationalsozialist alter Schule, vor dem frei zu sprechen man sich hüten sollte.“ Da west etwas weiter, bis 2010, bis zum Tod Thomas Harlans, aber, wenn wir dieses Buch in Händen halten, auch darüber hinaus. „Veit“ ist schonungsloser, verletzlicher, angreifbarer als die vorangegangenen Bücher Thomas Harlans. Es zeigt, dass die persönliche Wunde des Sohnes nicht zu lindern war.
HELMUT BÖTTIGER
THOMAS HARLAN: Veit. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011. 155 Seiten, 17,95 Euro.
In der Erinnerung des Sohnes war
der Vater eine Person, die
alles Unliebsame ausblendete
Vor dem Bundeskanzler
Kurt Kiesinger warnt Veit Harlan,
er sei ein Nazi alter Schule
Tröster und Filmgott der NS-Zeit: Veit Harlan 1936 bei den Dreharbeiten zu dem Film „Maria, die Magd“. Foto: Scherl
Vater und Sohn Harlan 1964, aufgenommen von Kristina Söderbaum. SZ
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Vor allem als zeitgeschichtliches Dokument und Abbild einer mit vielen Fragen zurückbleibenden, sich an der vergangenen Schuld abarbeitenden Vater-Sohn-Beziehung hat Christian Eger Thomas Harlans Prosatext "Veit" gelesen. Der todkranke Autor hat den Text innerhalb von fünf Tagen diktiert und der Rezensenten zeigt sich beeindruckt vom sehr persönlichen Ton dieser "flehend nachgetragenen Liebe". Veit Harlan hielt lebenslang daran fest, er sei zu seinem antisemitischen Propagandafilm "Jud Süß" gezwungen worden, eine "Lebenslüge", an der sich Thomas Harlan zeitlebens heftig stieß, so Eger, den besonders Harlans Darstellung kurzer Szenen am Totenbett seines Vaters sehr beeindruckt haben.

© Perlentaucher Medien GmbH