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In Jülich kam es am vergangenen Wochenende zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen älteren Frauen. Das Kernkraftwerk sei aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, teilten die Behörden mit. Entschuldigung, wie lautete noch mal Ihre Frage? Ja, ich bin gerade etwas geistesabwesend. Das liegt unter anderem daran, daß Sie so ein langweiliger Gesprächspartner sind. Ich neige in solchen Fällen dazu, Meldungen aus dem Lokalteil vorzulesen.

Produktbeschreibung
In Jülich kam es am vergangenen Wochenende zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen älteren Frauen. Das Kernkraftwerk sei aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, teilten die Behörden mit. Entschuldigung, wie lautete noch mal Ihre Frage? Ja, ich bin gerade etwas geistesabwesend. Das liegt unter anderem daran, daß Sie so ein langweiliger Gesprächspartner sind. Ich neige in solchen Fällen dazu, Meldungen aus dem Lokalteil vorzulesen.
Autorenporträt
Max Goldt, geboren 1958 in Göttingen, lebt in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er 'Räusper. Comic-Skripts in Dramensatz' (2015) und 'Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken' (2014). Im Jahr 2008 erhielt er den Hugo-Ball-Preis und den Kleist-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ulrich Baron gibt sich sichtlich Mühe, Max Goldt standesgemäß zu würdigen. Der Rezensent schildert, wie der Autor die Poetik der Talkshow für seine Satire fruchtbar macht. Gespräche im schmerzhaften, aber, wie Baron feststellt, immer auch selbstironischen Ringen um Worte entgleisen zu lassen, scheint ihm Goldts Spezialität zu sein. Mit "fast unbestechlichem Sprachgefühl" spiele Goldt dabei mit Begriffen, etwa wenn er einem Ehepaar einen "stark ausgeprägten Sesshaftigkeitshintergrund" bescheinigt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2012

Das hat eine Chefin
nicht nötig
Scherz, Satire, Sprachgefühl: Max Goldt durchstreift
die Welt der „Sexy-Lecker-Geil-Menschen“
VON ULRICH BARON
Mit dem legendären amerikanischen Horrorautor Howard Phillips Lovecraft verbindet Max Goldt die Neigung zu seltsamen Wörtern und Namen. Doch während der Schöpfer des Cthulhu-Mythos mit Ausdrücken wie „eldritch“ und Kunstnamen wie „Nyarlathotep“ einen kosmischen Horror heraufbeschwor, zielen Goldts Texte mit Wörtern wie „morganatisch“ oder „ungustiös“ und Namen wie „Hansi Hinterseer“ auf einen vordergründig eher komischen Effekt.
  Er habe als Endzwanziger „eine ungustiöse sogenannte New-Wave-Frisur“, gesteht da ein „völlig normal“ aussehender Mann seiner Gesprächspartnerin. Die fängt diesen Verbalball gleich auf: „Ich habe sogar heute noch eine ungustiöse New-Wave-Frisur.“ Auf ihre Frisuren sind die beiden gekommen, weil sie sich geeinigt haben, darüber zu sprechen, „wie unglaublich häßlich wir beide sind“.
  Wie so oft nutzt Max Goldt hier die Poetik der Talkshow, die weder vor Exhibitionismus noch vor Selbstdenunziation zurückschreckt, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Goldt dreht der Talkkultur daraus einen Strick, indem er Gespräche grotesk entgleisen lässt und deren Banalität durch Einsprengsel wie dem Austriazismus „ungustiös“ hervorhebt. Er zeigt, wie beim öffentlichen Ringen um Worte der Geist, der Geschmack und die Sprache auf der Strecke bleiben, und zitiert dazu in einem anderen Stück auch jenen Dünnsinn, „der aus dem Werk des spirituellen Volksverhetzers Paulo Coelho ins allgemeine Bewußtsein gekrochen“ sei.
  Freilich ist auch Goldt als Autor und Vortragskünstler darauf angewiesen, dass sein Publikum mitgeht, doch die medial vermittelte Omnipräsenz des von ihm Kritisierten hilft dabei. Wenn er einem älteren Ehepaar einen „stark ausgeprägten Seßhaftigkeitshintergrund“ attestiert, ist unverkennbar, welche Wortprägung hier ins Visier genommen wird. Das Ehepaar ohne Migrationshintergrund, das sich während einer Mahlzeit mit „Huhn mit Salzkartoffeln“ abfällig über eine junge Asiatin äußert, gleicht freilich jenem Klischee des Kleinbürgers, das Goldt an anderer Stelle für überholt erklärt hat: „Kabarettisten der klassischen Art karikieren in ihren Programmen nicht selten kleinbürgerliche Existenzen, doch bemühen sie dabei stets den Trick der mildernden Retrofizierung – die von ihnen gestalteten Figuren sehen aus wie Leute vor dreißig oder vierzig Jahren.“ Der zeitgemäße Kleinbürger sei jedoch der „Sexy-Lecker-Geil-Mensch“, der auf die Frage nach seinem Lebensmotto ein Coelho-Zitat präsentiere: „Man soll sein Leben nicht träumen, sondern seinen Traum leben.“ Infolgedessen werde heute „praktisch jedes halbwegs positive Ereignis“ als „Traum“ bezeichnet.
  Ansätze zu dieser Inflationierung der Wörter und Begriffe entdeckt Goldt schon auf der Klangebene, denn viele Frauen hätten heute „eine gepresste, ja gequetschte, auf jeden Fall unwarm klingende Stimme“, die ihn an eine Knäkente erinnere. Statt mit ihrer mühsam in vermeintlich gute Form gepressten Stimme die gewünschte Aufmerksamkeit zu gewinnen, scheine dieser „Knäkentensound“ ein „richtig ,effizienter‘ Karrierehemmer“ zu sein. Eine Frau vom Typ „Chefin“ hingegen, dem Goldt manches abgewinnen kann, habe es nicht nötig, sich zu exponieren.
  Umso entlarvender war es für Goldt dann, dass man sich auch beim Fernsehen, wo es „einen Haufen sehr einfach gestrickter Unterhalter“ gebe, beim Tod Loriots vor Respektbekundungen überschlug: „Wenn sie ihn alle dermaßen angehimmelt haben, warum haben sie ihm dann nicht ein wenig nachgeeifert?“ Dass Goldt dann die Frage nach der Möglichkeit einer kritischen Loriot-Biografie stellt, um sie zu verneinen, spricht aber auch für sich. Denn eine kritische Biografie könnte selbstverständlich nur über Bernhard-Viktor Christoph Carl von Bülow geschrieben werden und nicht über die Kunstfigur Loriot, die er zeitweilig verkörpert hat.
  Goldt bleibt so in den Grenzen seines Genres, das er mit Scherz, Satire, Ironie und fast unbestechlichem Sprachgefühl füllt und erweitert. Und zur Ironie zählt auch die Selbstironie. 1989 habe er die Freude der DDR-Bürger gesehen und sich von einem taz-Redakteur als „Reaktionär“ beschimpfen lassen müssen, weil er sich mitgefreut habe. Doch er sah auch ihre Jeansanzüge.
  Und da gibt es eine weitere Verbindung zu Lovecraft, dem Giorgio Manganelli bescheinigt hat, er habe eigentlich, „das einzige unförmige Monster“ beschrieben, „mit dem er von Grund auf Erfahrung hat, sich selbst“. Goldt wiederum gesteht, er müsse angesichts alter Mauerfall-Fotos, auf denen er selbst zu sehen sei, „mit einem Anflug von Demut bekennen, daß im November 1989 keineswegs nur die Ostdeutschen häßliche Jeansanzüge trugen“.
Paare mit stark ausgeprägtem
Seßhaftigkeitshintergrund
      
  
  
    
Max Goldt: Die Chefin verzichtet. Texte 2009–2012. Rowohlt Berlin Verlag,
Berlin 2012. 160 Seiten, 17,95 Euro.
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Was täten wir ohne Max Goldt, den seit langem unerreichten Meister der kleinen Form, den witzigen Beobachter des urbanen Lebens und wachen Sprachkritiker? NZZ am Sonntag