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Was der Mensch dem Menschen antutMit neunzehn Jahren wird ein russischer Soldat nach Tschetschenien versetzt. Zusammen mit anderen "Frischlingen" zieht er in den Krieg. Und wie ein alter Mann kehrt er mit anderen Rekruten schließlich nach Moskau zurück, verroht und stumpf. Doch die Bilder vom Krieg bleiben: Ans Kreuz genagelte Soldaten, der Kamerad, der von den Rädern eines Panzerwagens überrollt wird, und gleich daneben treiben Bäume junges Grün."Es sind autobiographische Erzählungen, in denen er das Grauen dieses Krieges schildert wie noch keiner zuvor. Auf dem Papier steht das, was er niemandem erzählen kann." (Die Zeit)…mehr

Produktbeschreibung
Was der Mensch dem Menschen antutMit neunzehn Jahren wird ein russischer Soldat nach Tschetschenien versetzt. Zusammen mit anderen "Frischlingen" zieht er in den Krieg. Und wie ein alter Mann kehrt er mit anderen Rekruten schließlich nach Moskau zurück, verroht und stumpf. Doch die Bilder vom Krieg bleiben: Ans Kreuz genagelte Soldaten, der Kamerad, der von den Rädern eines Panzerwagens überrollt wird, und gleich daneben treiben Bäume junges Grün."Es sind autobiographische Erzählungen, in denen er das Grauen dieses Krieges schildert wie noch keiner zuvor. Auf dem Papier steht das, was er niemandem erzählen kann." (Die Zeit)
Autorenporträt
Arkadi Babtschenko, 1977 in Moskau geboren, kämpfte in den Tschetschenienkriegen. Später schrieb er für die «Nowaja Gazeta», u.a. als Kriegskorrespondent. Seit 2017 lebt er im Exil. 2018 wurde ein tödlicher Anschlag auf Babtschenko in Kiew gemeldet ¿ laut ukrainischem Geheimdienst eine Inszenierung zum Schutz vor russischen Verfolgern; der Fall sorgte international für Aufsehen. Babtschenkos Bücher wie «Die Farbe des Krieges» (2007) zählen zu den bedeutendsten Werken der jüngeren Kriegsliteratur. Olaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitete lange Jahre als Osteuropareferent für die Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis und dem Brücke Berlin-Preis ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, «Der wahre Sohn», war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2008

Die durch die Hölle gehen

"Kollateralschäden" und Korruption: Der frühere Soldat Arkadi Babtschenko liefert einen erschreckenden literarischen Bericht aus dem Tschetschenien-Krieg.

Grosnyj ist übersät mit Leichen. Verstümmelte, aufgedunsene Körper liegen in den zerschossenen Straßenzügen. Wenn es dunkelt, tauchen Schattengestalten aus den Ruinen auf, drehen die Toten um und starren ihnen lange in die Gesichter. Die nervösen russischen Heckenschützen eröffnen das Feuer, bis sie bemerken, dass es sich um Soldatenmütter handelt, um russische Frauen, die durch Tschetschenien irren, auf der verzweifelten Suche nach ihren Söhnen. Auch die Mütter starben in diesem Greuel, von Tschetschenen entführt, vergewaltigt, getötet oder von den eigenen Truppen erschossen - Kollateralschäden eines Krieges, in dem Menschen aufeinandergehetzt wurden, die auf beiden Seiten Russisch sprechen und sich dennoch mit Panzern zerquetschten und in Stücke rissen.

Inzwischen blühen in Grosnyj wieder Blumen, der Krieg ist vorbei. Seine Helden haben nie in ihm gekämpft - es sind die mit vielen Friedenspreisen und dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichneten Soldatenmütter und die - später ermordete - Journalistin Anna Politkowskaja. Während die Journalistin das Leid der geschundenen Zivilisten und die Verantwortung der Kriegsherren ins Zentrum ihrer anklagenden Reportagen stellte, verarbeitet der 1977 geborene Moskauer Arkadi Babtschenko literarisch, was ihm als blutjungem Soldaten widerfuhr.

Zweimal war er Rekrut, in den Jahren 1994/95 und freiwillig vier Jahre später. Es ist ein brutal-bitteres Antikriegsbuch, geschrieben in der suggestiven Sprache eines literarischen Journalismus, dem man vorwerfen könnte, Grauen und Gewalt zu ästhetisieren und die bis ins neunzehnte Jahrhundert zurückreichenden Ursachen des Krieges, vor allem die einem Genozid gleichkommende Deportation der Tschetschenen und Inguschen durch Stalin, komplett auszublenden.

Bei Babtschenko schneiden die meist abfällig "Tschechos" genannten tschetschenischen Kämpfer ihren Gefangenen die Bäuche bei lebendigem Leib auf und erdrosseln die Opfer mit den eigenen Därmen. Sie kreuzigen und kastrieren russische Soldaten und schreiben mit Blut Allah'u akbar an die Wände. Die Rache der Russen ist kaum besser. Das Maß an Gewalt lässt sich schwer ertragen. Die zwischen Gemetzel, lyrischer Kontemplation und Anklage wechselnden Sequenzen erinnern an Isaak Babels "Reiterarmee", an Remarque oder an Norman Mailers Romanepos "Die Nackten und die Toten", auch an Filme über den Vietnam-Krieg wie Oliver Stones "Platoon".

Ist man jung und im Krieg, sterben immer die anderen. Zu Beginn beobachtet der jugendliche Protagonist mit seinen Kameraden, wie silberne Säcke, die glänzen wie "Bonbonpapier", aus einem Hubschrauber auf eine Startbahn am Rande des Kaukasus geladen werden. Die ersten Leichen des Krieges sind sorgfältig verpackt. Man verspricht den jungen Männern Brot, Äpfel, warmes Wetter. Der Kaukasus als Land, wo Milch und Honig fließen. Später, an der Front, gibt es mehr Tote als Plastiksäcke, die kindliche Metapher ist verschwunden, mit Brotmessern und groben Nadeln werden die verstümmelten Körper notdürftig präpariert, es fehlt an Nahrung, Wasser, Ausrüstung. Die Sonne brennt, die Nächte sind bitterkalt. Keinen der Soldaten wurde gelehrt, was es im Krieg braucht, um zu überleben. Am Ende fährt der Erzähler in einem Panzerwagen wieder über jene Startbahn. Es regnet, und er weint um die toten Kameraden.

Wie viele Bücher zum Krieg ist auch dieses eine Initiationsgeschichte. Der Erzähler ist der Hölle entkommen, in der nicht Kluge und Schöne heroisch ihr Leben ließen, sondern in der Bauernsöhne, Kinder von Arbeitern und einfachen Angestellten aus der Provinz elend umkamen, diejenigen, die im neuen Russland nicht rechtzeitig die richtigen Leute bestechen konnten oder für die der Wehrdienst eine altmodische patriotische Pflicht war. Auch für Babtschenko haben korrupte Generäle und Machthaber auf beiden Seiten eine ganze Generation sinnlos auf dem besudelten Altar des zerfallenden Imperiums geopfert, haben halbe Kinder in ein Gemetzel geschickt, das zu allem Überfluss an Elend in einem Paradies stattfand, dem Kaukasus, dem alten Arkadien der russischen Poesie.

Die Kriegshandlung ist hingegen nur der Rahmen für eine weitere Erzählung, jene über die Gewalt und moralische Zersetzung der russischen Armee. Panische Angst haben die Rekruten, die "Geister", nicht nur vor dem Feind, sondern noch mehr vor ihren Vorgesetzten. Die Offiziere malträtieren ihre Soldaten, schlagen sie halbtot, erpressen von ihnen Geld, das die Verzweifelten heranschaffen, indem sie Munition stehlen und verkaufen, die sie im schlimmsten Fall später selbst zerfetzt. Die sadistischen Perversionen kennen keine Grenzen. Wer nicht vom Gegner erschossen wird, muss bangen, von den eigenen Leuten zum Krüppel geschlagen zu werden. Hunderte desertieren, einige wenige werden von mitleidigen Tschetschenen und Osseten aufgenommen. Die anderen laufen dem Feind oder den eigenen Leuten ins Messer.

Was von den Vorgesetzten, den "Schakalen", im Suff ramponiert, aus Habgier verschachert oder einfach verschlampt wird, deklariert man kurzerhand als Kriegsverlust. Keiner der Verantwortlichen muss Angst haben, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden, denn die Armee braucht diese jämmerlichen Folterknechte, die als Kadetten selbst nichts als Erniedrigung und Gewalt erlebt haben und von ihrem Sold kaum die Familien daheim ernähren können. Sie "steigen die Karriereleiter nach oben, nicht, weil sie besser wären als andere, sondern weil niemand anderes da ist". Nicht zufällig wird am Rande einer der grausamsten Folterszenen des Buches der russische Schriftsteller Warlam Schalamow erwähnt, der Dichter des Archipels GULag. In Babtschenkos Schützengräben, Kasernen und Zeltlagern, im bestialischen Sadismus der Offiziere und im entwürdigenden Kampf der Soldaten um ihr nacktes Leben, der nur durch Kameradschaft ertragen wird, offenbart sich die degenerierte Machtmaschinerie einer Gesellschaft, in der Begriffe wie Menschenrechte oder Würde leere Worthülsen sind und wo für viele - nicht nur für Soldaten im Krieg - wie einst in den Lagern vor allem zwei Dinge zählen: "die Hoffnung, zu überleben" und dabei "Mensch zu bleiben".

SABINE BERKING

Arkadi Babtschenko: "Die Farbe des Krieges". Aus dem Russischen übersetzt von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2007. 255 S., geb., 17,90 [Euro].

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Es sind autobiographische Erzählungen, in denen er das Grauen dieses Krieges schildert wie noch keiner zuvor. Auf dem Papier steht das, was er niemandem erzählen kann. Die Zeit