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Gregor Sander stellt in seinen neun Erzählungen Menschen in den Mittelpunkt, denen durch ein Ereignis plötzlich klar wird, dass etwas zu Ende gegangen ist. Eine junge Schauspielerin bringt das geregelte Leben dreier Freunde aus dem Lot; zehn Jahre nach einem verhindeten Abendessen treffen sich zwei junge Menschen unter ganz anderen Umstäbndern wieder.
Gregor Sander zeichnet nicht weniger als ein Porträt der heutigen Zeit. Geschichten aus West und Ost versammeln sich dabei wie selbstverständlich zueiner gemeinsamen Stimme.
Sanders Kunst besteht darin, existenzielle Themen einfach,
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Produktbeschreibung
Gregor Sander stellt in seinen neun Erzählungen Menschen in den Mittelpunkt, denen durch ein Ereignis plötzlich klar wird, dass etwas zu Ende gegangen ist. Eine junge Schauspielerin bringt das geregelte Leben dreier Freunde aus dem Lot; zehn Jahre nach einem verhindeten Abendessen treffen sich zwei junge Menschen unter ganz anderen Umstäbndern wieder.

Gregor Sander zeichnet nicht weniger als ein Porträt der heutigen Zeit. Geschichten aus West und Ost versammeln sich dabei wie selbstverständlich zueiner gemeinsamen Stimme.
Sanders Kunst besteht darin, existenzielle Themen einfach, plastisch und originell zu erzählen. Ein junger Mann, der die Veränderungen in seinem Ort an der norddeutschen Küste beschreibt; die Frau, die aus ihrer schal gewordenen Partnerbeziehung ausbrechen möchte; eine Erinnerung an eine heimliche Liebe zu DDR-Zeiten und an den gemeinsamen Traum von Venedig; oder der Frührentner, der einen eigenwilligen Rekordversuch fürs Guinnessbuch unternimmt.
"Diese Orte blieben Schatten an einem weiß gedeckten Tisch." Sie sind da, etwas rätselhaft, aber doch real. Die Erzählungen beschreiben sicher einen "Zwischenton": zwischen Wahrnehmung und Erinnerung, zwischen Realem und Imaginiertem, zwischen mehreren Orten und verschiedenen Zeiten. Verblüffend souverän für ein Debüt bringen die Geschichten unspektakuläre Milieus zum Leuchten: das Leben auf beiden Seiten der Linie Ost-West, das Leben nach der Zäsur "1989", Momente unterschiedlicher Generationen. Sander versteht es, diese einschneidenden Markierungen zur selbstverständlichen Grundlage seines Erzählens zu machen und darauf seine Geschichten zu platzieren.
Das ist neu, bedeutet eine neue Stufe der Realitätswahrnehmung und beschert dem Leser ein intensives Lektüreerlebnis. Die zugleich lockere und dichte, aktuelle und zeitlose Erzählweise könnte dem Autor viel Aufmerksamkeit einbringen.
Autorenporträt
Sander, GregorGeboren 1968 in Schwerin, hat vor dem Studium der Medizin und der Germanistik Ausbildungen zum Schlosser und zum Krankenpfleger absolviert. Nach dem Besuch der Berliner Journalistenschule lebt er als freier Autor in Berlin. 2001 Stipendium der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart. "Ich aber bin hier geboren" ist seine erste Buchveröffentlichung.
Rezensionen
Neun Erzählungen
Ich aber bin hier geboren ist das Debüt des 1968 in Schwerin geborenen Gregor Sander. Der heute in Berlin lebende Autor hat darin neun Erzählungen versammelt, die zur Hoffnung Anlass geben, dass mit ihm ein neues Erzähltalent die Leere füllen kann, die mit dem Dahinschwinden der Popliteratur entsteht.
Die Erzählungen haben ganz unterschiedliche Themen zum Inhalt. Sie kreisen um unterschiedliche Generationen, Situationen und Geschlechter. Mal geht es um eine schal gewordene Liebesbeziehung, mal um die Veränderungen in einem kleinen Ort an der norddeutschen Küste. Lakonisch, ohne kühl zu sein schildert er Menschen und die besonderen Situationen, in denen sie sich befinden. Dabei kommuniziert er bisweilen mit dem Leser. Er versucht mit ihm in Kontakt zu treten, indem er Fragen an ihn stellt: "Dieser Ort ist unwirklich, verstehen Sie?" ist beispielsweise der Satz, mit dem die Titelgeschichte beginnt. Alles ist in diesem Satz verborgen, was das Besondere an Sanders Erzählungen ausmacht: das Oszillieren zwischen Realem und Irrealem, das Traumhafte und die Unsicherheit, die manchmal, wie in der ersten Geschichte, in die Sicherheit dessen, der seinen Platz im Leben kennt, umschlägt.
Mit einem sehr persönlichen Erzählton vermittelt Sander stets eine besondere Art der Resigniertheit, die nichts Hoffnungsloses hat: ein Sich-Abgefunden-Haben mit den Dingen, deren Lauf sich nicht ändern lässt. Und manchmal vermag der Leser darin sogar ein Augenzwinkern zu entdecken, mit dem der Autor auf so etwas wie Glück hinweist, das es auch in der Trostlosigkeit geben kann.
Verblüffendes Debüt
Ich aber bin hier geboren ist insgesamt ein verblüffend gelungenes Debüt. Die leisen, unspektakulären Erzählungen setzen sich in der Erinnerung des Lesers fest, und die Personen, von denen Sander erzählt, werden darin zu Menschen, die man gekannt zu haben glaubt. Vertraut werden dadurch auch die Umstände, die zunächst fremd sind: Eine heimliche Liebe zu DDR-Zeiten und die gemeinsamen Träume von einer Reise nach Venedig; oder ein Frührentner beispielsweise, der in das Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen werden will. Sander sensibilisiert den Leser durch seine empathische Beobachtungskunst, deren Ergebnisse er in eine eigenwillige, aber schnörkellose Prosa zu übersetzen versteht. (Andreas Rötzer)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2002

Stilleben in Bewegung
Dunkle Blicke: Gregor Sanders gelassenes Debüt

Noch in den neunziger Jahren schrieben viele Autoren aus den "neuen Bundesländern" noch deutlich von DDR-Gesinnung gesättigte Literatur. Jüngere wie Thomas Brussig und Ingo Schulze hatten großen Erfolg mit Büchern, die frei von dieser spezifischen Gesinnung waren, aber entschieden geprägt von den Erfahrungen der DDR und dem Übergang zum vereinigten Deutschland. Der 1968 in Schwerin geborene Schriftsteller Gregor Sander gehört schon zu einer neuen Generation. Das literarische Erfahrungspotential, aus dem er schöpft, ist noch einen Schritt weiter auf dem Weg zu einem sich langsam entwickelnden Lebensgefühl, das die so unterschiedlichen Sozialisationen im Osten und im Westen in sich aufnimmt. Der Band "Ich aber bin hier geboren" versammelt Erzählungen, deren Stimmen zwar aus der Nachwendezeit stammen, aber die Probleme, von denen sie erzählen, sind solche, die an der Nordseeküste ebenso empfunden und behandelt werden wie an der Ostsee oder in südlicheren Provinzen.

Vor allem geht es in Sanders Erzählungen um menschliche Beziehungen, um Freundschaften, Lieben, Ehen, Familien. Aber der Autor stellt sie in Räume, die oft als unwirklich empfunden werden - "unwirklicher als das, was man am Potsdamer Platz in Berlin gebaut hat und auch unwirklicher als die City Nord in Hamburg, in der es nachts keine Menschen gibt" ist zum Beispiel der kleine Ort der ersten, titelgebenden Geschichte: Da hat man den mitten im Ort liegenden Hafen zugeschüttet, "um einen Parkplatz darauf zu bauen", für "Tagestouristen aus dem Ruhrgebiet oder aus Bayern". Wo die Lebensräume so verändert werden, verändern sich auch die Menschen, gehen anders miteinander um.

Gregor Sander erzählt in seinem bemerkenswerten Debüt neun solcher Beziehungsgeschichten aus unterschiedlichen Perspektiven: Männliche und weibliche Ich- und Er-Erzähler wechseln einander ebenso ab wie das Ambiente, in dem die Geschichten spielen. Dabei passiert gar nicht besonders viel. Bei Sander wird eher beobachtet und der Dinge geharrt, die da kommen - und immer geschieht irgend etwas, das alles irgendwie durcheinanderbringt und die Pläne stört oder zerstört. Alle Figuren schildern Verhältnisse, an denen sie zwar mehr oder weniger teilnehmen; aber sie sind nicht mit Leidenschaft daran beteiligt, sondern eher distanziert. Jedenfalls geben sie sich diesen Anschein.

Dies gilt auch für die Geschichte von Hella und Thommy und ihren Freunden, die ihre Zeit damit verbringen, zu "warten, daß die Stütze kommt, dann trinken 'ne Woche und wieder warten, daß die Stütze kommt". Fast beiläufig verfallen sie auf die Idee, eine Bank auszurauben - aber dann beerbt Thommy einen reichen Onkel. Doch das ändert nichts, denn das Thema der Geschichte "Morgen" ist nicht die Armut, sondern die Lebensleere. Nur um für Abwechslung zu sorgen, sollte die Bank überfallen werden. In "Hier und Jetzt" füllt ein arbeitslos gewordener Mann seine Zeit mit einem persönlichen Rekordversuch: mehr als sechs Tage schweigend aufs Meer zu schauen. Bürgermeister und Presse wollen ihn zur konsumierbaren Volksattraktion machen, doch er entzieht sich in seine neue Normalität. Das Schweigen widersteht dem Lärm.

Die Titelgeschichte aus einem kleinen Ort mit zubetoniertem Hafen erzählt von den beiden zugereisten Freunden Richard und Johannes, die ihre Abende regelmäßig in der Kneipe verbringen. Plötzlich erscheint eines Sommers Marlene, eine junge Schauspielschülerin, und das etwas bohemehafte, aber durchaus eingeschliffene Leben der Freunde gerät fast unmerklich durcheinander. Bis Marlene wieder verschwindet und zumindest an der Oberfläche alles wieder wird wie ehedem.

Daß aber unter der Oberfläche nichts so bleibt, wie es einmal war, erzählt Sander in der Geschichte von Charly, der die dicke Betty besucht, die Frau eines Freundes, der plötzlich verschwunden ist. Charly, verheiratet, mag Betty nicht besonders, kennt sie kaum. Nichts Spektakuläres also wird da erzählt, und dennoch wird zum Schluß hin eine merkwürdige Spannung aufgebaut: "Es wurde immer dunkler, die Nacht kroch in den Raum. Es war sinnlos hier zu sitzen, es war sinnlos hierher zu kommen, und ich sollte eigentlich längst auf der Autobahn sein. Aber ich blieb dort sitzen. Mir gefiel es, Bettys Hand zu halten und in dieser Küche Bier zu trinken. Wir redeten nichts mehr. Betty sah unentwegt auf die Tischplatte und wischte mit ihrer freien Hand ganz langsam darüber, und ich sah über sie hinweg in die Dunkelheit." Und dann fällt der Satz, mit dem sich alle Geschichten Sanders charakterisieren lassen: "Es war wie der eingefrorene Moment auf einem Stilleben."

Solche Momente beschreibt Sander, lakonisch, fast zeitlupenhaft. Seine Protagonisten nehmen die Ereignisse, die sie verändern, fast lautlos in sich auf und stoßen sie, nachdem diese scheinbar spurlos durch sie hindurchgegangen sind, ebenso leise wieder ab. Aber der Leser weiß, daß dieser Schein trügt, daß sich unter der Oberfläche dieser Existenzen das Leben verändert hat. Nicht Häutungen finden hier statt, sondern es entstehen unter der alten Haut andere Möglichkeiten des Seins. Gregor Sanders gelungene Erzählungen sind die Stilleben gefrorener Momente in orientierungslosen Leben einer haltlosen Zeit, gegen die der Autor sich behauptet mit seinem Satz: "Ich aber bin hier geboren."

Gregor Sander: "Ich aber bin hier geboren". Erzählungen. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 144 S., geb., 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der ostdeutsche Autor Gregor Sander unterscheidet sich auffällig von den Kollegen seiner Generation aus dieser Region, stellt Rezensent Wolfgang Schneider fest: in seinem Buch herrsche nicht Aufbruchsstimmung, sondern Depression als typisch gesamtdeutsche Grundstimmung, stellt er fest. Selbst die einschneidenden Ereignisse von 1989 scheinen am Lebenslauf des Durchschnittsmenschen hier nichts zu ändern. Der häufige, beliebig wirkende Wechsel der Schauplätze unterstreiche den Eindruck, dass es gleichgültig sei, "wo das menschliche Leben in seiner Durchschnittlichkeit verläuft", analysiert Schneider. Eine Gefahr sieht er darin, dass die Leser auch gleichgültig gegenüber diesen "Figuren mit ihrer inneren Flaute" bleiben könnten. Auch kritisiert er, dass Sander manchmal in einen umständlichen Berichts-Stil verfalle, und dennoch: Insgesamt gefällt es dem Rezensenten, wie es dem Autor gelingt, das Leben "in den am Stadtrand gebauten Einfamilienhäusern" einzufangen.

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