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Zwei pensionierte Meteorologen können sich endlich ihrem Hobby widmen: Sie sammeln Geschichten von Menschen, die "anders" geworden sind. Menschen, die sich anders darstellen, als sie sind, die hinter Masken leben. Oder Menschen, die wirklich anders werden, die einen echten inneren Wandel vollziehen. Das besondere Interesse der beiden gilt jedoch denen, die beim Wechsel politischer Herrschaftssysteme einen bewussten Rollentausch vornehmen.

Produktbeschreibung
Zwei pensionierte Meteorologen können sich endlich ihrem Hobby widmen: Sie sammeln Geschichten von Menschen, die "anders" geworden sind. Menschen, die sich anders darstellen, als sie sind, die hinter Masken leben. Oder Menschen, die wirklich anders werden, die einen echten inneren Wandel vollziehen. Das besondere Interesse der beiden gilt jedoch denen, die beim Wechsel politischer Herrschaftssysteme einen bewussten Rollentausch vornehmen.
Autorenporträt
Schädlich, Hans JoachimHans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2004

Der lachende Ruf des Eisvogels
Hans-Joachim Schädlichs Roman über Verräter: „Anders”
Meteorologen sind Spezialisten für Wetterumschwünge und Klimawechsel. Das Atmosphärische ist ihr Terrain. Zwei pensionierte Meteorologen macht Hans Joachim Schädlich zu den Helden seines neuen Romans. Sie sammeln „Fälle”. Fälle von Wendehälsen und Verrätern, Spitzeln und Anpassern, von Lügnern und Wahrheitsverbiegern. Zum Teil sind diese Fälle bereits bekannt, wie der des Germanisten Hans Ernst Schneider, der unter dem Decknamen Hans Schwerte seine Nazi-Vergangenheit verborgen und Karriere gemacht hat, zum Teil sind sie noch unerzählt.
Handelt es sich also um ein politisches Dossier unter der Maske des Romans? Um ein riskantes Unternehmen, für das der Autor die Verantwortung allein zu tragen hat, weil der Verlag sie von sich weist (denn nicht dieser steht, wie es üblich ist, als Rechteinhaber im Impressum des Buches, sondern der Autor selbst)? Man mag juristische Schritte gefürchtet haben, dennoch liegt das Risiko dieses Buches anderswo. „Anders”, so sein Titel, ist der Roman einer Klimakatastrophe. Sie ist nicht universeller, sondern privater Natur. Und eben dies verursacht das Entsetzen.
Hans Joachim Schädlich erzählt von der Isolation, in die gerät, wer nicht mit den anderen in Übereinstimmung lebt. Was die meisten Menschen einfach wegstecken, die Tatsache des politischen, aber auch des persönlichen Verrats, nimmt sich der Erzähler dieses Romans zu Herzen. Es lässt ihm keine Ruhe, dass das überall vorkommt: im Westen wie im Osten, im Nationalsozialismus, im Kommunismus, im Sozialismus, im Kapitalismus, unter Feinden und Freunden, selbst in Familien. Zum Nachdenken kommt er kaum, er sammelt und sammelt, atemlos und beinahe auch ziellos. Alles wird zum Fall, was er berührt, normale Tätigkeiten sind ihm kaum noch möglich.
Der Autor hat seinen namenlosen Erzähler mit sorgfältiger Nachsicht eingebettet in ein Beziehungsdreieck. Awa, der letzte ihm verbliebene Freund, recherchiert ebenfalls. Die beiden erzählen sich ihre Ergebnisse in Dialogen von fast komischer Ungeduld. Sie lieben dieselbe Frau. Ida kommt kaum zu Wort, aber jeder trägt dem anderen zu, was sie über ihn gesagt habe. Die Kolportage liebevoller Zurechtweisung, das Ausspielen des einen gegen den anderen, ist die Kommunikationsform dieses wahrhaft kuriosen Dreiecks. In der geschickten Verschränkung von experimenteller Versuchsanordnung – denn in gewisser Weise sind die drei Personen eins, jede das Alter ego der anderen – und alltäglichen Szenen ist die stilistische Kunst dieses Autors ganz auf ihrer Höhe: „Awa war bei Ida. Er hat gesagt, sie sei ungehalten über mich. Ich scheine zu meinen, sie sei zu nichts anderem da, als mich aufzuheitern. (...) Bei meiner Neigung, mich in die Vergangenheit oder gar in eine nebelhafte Zukunft zu denken, und das in meinem Alter!, gerate mir das Nächstliegende aus dem Blick. Bin ich so? Sie werfe mir meinen Geiz vor; oder wenn es schon kein Geiz sei, so sei es doch meine Unfähigkeit, das Leben zu genießen.”
Ein großer, großer Zorn
Die Virtuosität dieses indirekten Zugriffs auf den Alltag, der gleichermaßen präsent wie distanziert erscheint, erinnert an den Prosaband, mit dem Hans Joachim Schädlich bekannt wurde: „Versuchte Nähe” erschien 1977 bei Rowohlt und war im Westen ein großer Erfolg. Die DDR gab dem zunächst abgewiesenen Ausreiseantrag statt und entließ den Autor aus der Staatsbürgerschaft. Erst sieben Jahre später folgte der nächste Erzählband, und schon sein Titel, „Irgend etwas irgendwie”, verrät, wie sich Schädlich in der BRD vorgekommen sein muss: irgendwie deplatziert. Mit „Tallhover” formte er das Thema des Verrats zu einem großen Prosawerk. Die Titelfigur, Inbegriff des Spitzels von fast mythischer Qualität – nach 136 Jahren zäher Anpassung beschließt sie, sich selbst zu vernichten –, hat es bis in das Werk eines Nobelpreisträgers geschafft. In „Das weite Feld” lässt Grass die nun Hoftaller genannte Figur als Begleitschutz seines Fonty auferstehen. Schädlich ist immer produktiv geblieben, 1992 folgte der Roman „Schott”, später Erzählungen, Essays und sogar ein so genannter „Trivialroman”. Zahlreiche Preise belegen die Anerkennung seines Werks. Und doch ist „Anders” das Dokument einer Verunsicherung und auch: eines großen Zorns.
Hans Joachim Schädlich gehört zu den Autoren, die durch den Mauerfall von ihrer eigenen Geschichte eingeholt wurden. Der Überdruss, dass sich die immergleiche Geschichte unablässig wiederholt, ist dem Roman anzumerken. Mit wegwerfender Geste schleudert er dem Leser seine „Fälle” vor die Füße, so als wolle er sagen: Sieh‘s dir an! Mach was draus! – und sei zur Verbalisierung dieser Aufforderung schon zu müde.
Am Ende allerdings schickt Schädlich seinen Erzähler zu einer Klimakonferenz nach Australien. Und da hört er zum ersten Mal etwas Neues: den lachenden Ruf des Kookaburra, des Eisvogels, der ihn verlockt, alle Brücken abzubrechen. Er befreundet sich mit einem jüdischen Emigranten, der Deutschland als Kind verlassen hat und dessen Eltern von den Nazis vergast wurden. Von ihm lässt er sich gerne sagen, dass Australien der Ort sei, wo man es aushält, auch wenn sich „nichts ändert”.
MEIKE FESSMANN
HANS JOACHIM SCHÄDLICH: Anders. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 219 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hieße der Autor dieses Buches nicht Hans Joachim Schädlich, Martin Krumbholz hätte es, teilt er mit, viel schneller als misslungen abgetan. So aber machte er sich alle Mühe, ohne jedoch zu einem anderen Urteil zu gelangen. Um "Maskenmenschen" gehe es, um "gespenstische Identitätswechsel" in der jüngeren deutschen Geschichte wie den des SS-Offiziers Schneider, der später als angesehener Germanist Schwerte das Bundesverdienstkreuz entgegennahm, um das gesellschaftliche Phänomen eines "radikalen Opportunismus", vorgeführt anhand authentischer Fälle im Zwiegespräch zweier Erzähler mit verteilten Rollen - einer berichtet, der andere stellt in Frage, dekonstruiert. All das hat sich Krumbholz allerdings erst ab Kapitel 18 erschlossen, bis dahin tappte er im Dunkel dieser "Gruselkomödie", und bis zum Schluss hat er keinen positiven Anhaltspunkt dafür gefunden, dass es Schädlich gelungen ist, aus seinem Material einen Roman zu machen - er bringe es lediglich in Dialogform.

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