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Noch niemals auf Deutsch publiziert: Die Briefe des großen russisch-amerikanischen Schriftstellers Vladimir Nabokov an seine Frau - Zeugnisse einer lebenslangen Liebe und intellektuellen Leidenschaft. Vladimir Nabokovs Passion für seine Frau überdauerte vierundfünfzig Jahre, vom ersten Gedicht, das er 1923 für sie schrieb, als er sie kaum ein paar Stunden kannte, bis zu den späten Momenten ihrer Ehe, als er die letzten Bücher seines Lebens, wie die zwanzig zuvor, mit "Für Véra" zeichnete. Und obwohl sie selten getrennt waren, schrieb Nabokov seiner Frau zahllose Briefe, die hier zum ersten Mal…mehr

Produktbeschreibung
Noch niemals auf Deutsch publiziert: Die Briefe des großen russisch-amerikanischen Schriftstellers Vladimir Nabokov an seine Frau - Zeugnisse einer lebenslangen Liebe und intellektuellen Leidenschaft.
Vladimir Nabokovs Passion für seine Frau überdauerte vierundfünfzig Jahre, vom ersten Gedicht, das er 1923 für sie schrieb, als er sie kaum ein paar Stunden kannte, bis zu den späten Momenten ihrer Ehe, als er die letzten Bücher seines Lebens, wie die zwanzig zuvor, mit "Für Véra" zeichnete. Und obwohl sie selten getrennt waren, schrieb Nabokov seiner Frau zahllose Briefe, die hier zum ersten Mal auf Deutsch publiziert werden.
Kaum ein Jahr nachdem sie sich im Berliner Exil kennengelernt hatten, schrieb er: "Wir beide sind etwas ganz Besonderes; solche Wunder, wie wir sie kennen, kennt niemand, und niemand liebt so wie wir." Als er der gebildeten Tochter eines wohlhabenden jüdischen Händlers aus St. Petersburg zum ersten Mal ein Buch widmete, seine Autobiographie Erinnerung, sprich, wandte er sich im letzten Kapitel direkt an ein unspezifiziertes "Du": "Die Jahre gehen vorbei, meine Liebe, und bald wird niemand mehr wissen, was wir wissen." Véra war eine Konstante: seine Muse, Lektorin und aufmerksamste, ideale Leserin - die Freude seines Lebens.
Während wir Véra hier beim Lesen über die Schulter blicken, werden wir Zeugen der Verwandlung einer Leidenschaft, die alles aussprechen muss, in eine, die alles schon ungesagt einschließt. Diese Briefe lassen im Menschen Nabokov das erkennen, was er in der Kunst am meisten schätzte: Neugier, Zartheit, Freundlichkeit, Ekstase.

Autorenporträt
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977. 1952 in Belfast geboren, lehrt am English Department der University of Auckland. Er ist Autor u.a. der Bücher «Nabokov¿s Ada: The Place of Consciousness» und «Nabokov¿s Pale Fire. The Magic of Artistic Discovery». Boyd erhielt 2001 den Einhard-Preis, der herausragenden Biographen verliehen wird. Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959¿1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973¿1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin. Ludger Tolksdorf, geboren 1974 in Heessen (Westfalen), Studium der Amerikanistik und Geschichte in Bonn und Leeds, lebt in Bonn.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.11.2017

Maskenball und Blütenstaub
Ohne sie hätte er nach eigenem Bekenntnis keinen einzigen seiner Romane geschrieben:
Zum Abschluss der Werkausgabe erscheinen die Briefe Vladimir Nabokovs an seine Frau Véra erstmals auf Deutsch
VON NICOLAS FREUND
Schriftstellerehen sind eine heikle Angelegenheit. Das lässt sich wahrscheinlich über viele Ehen und Partnerschaften sagen, aber die meisten Beziehungen sind nicht so ausführlich in Romanen, Briefen und anderen potenziellen Racheinstrumenten dramatisiert und dokumentiert wie die von Menschen, die sich zum Schreiben berufen fühlen. Prekäre Finanzen, Affären und exzentrische Angewohnheiten gehören zum Klischee schriftstellerischer Existenz und all das findet sich auch in den Briefen Vladimir Nabokovs an seine Frau Véra, die nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erscheinen.
Der Band bildet zugleich den Abschluss der deutschsprachigen Nabokov-Werkausgabe, und wie bei fast allen Gesamtausgaben stehen auch hier die nicht-fiktionalen Texte, in Nabokovs Fall vor allem seine Vorlesungen und die Briefe, ganz am Ende der Reihe, als wären sie eine Art Apparat zu den viel wichtigeren Romanen, Dramen und anderen fiktionalen Texten. Dass diese institutionelle Einteilung ein Stück weit Konstrukt bleiben muss, zeigen diese Briefe aus sechs Jahrzehnten. Denn sie zeichnen das Bild einer Ehe, die ohne den fließenden Übergang von Fiktion und Wirklichkeit eine andere gewesen wäre.
Gleich die erste Begegnung Nabokovs und Véras führt hinein in die ganz eigene Welt, in der diese Briefe entstanden. Die Familie Nabokoff, damals noch nicht mit einem V am Ende geschrieben, war 1918 vor der Oktoberrevolution erst auf die Krim, dann nach Europa geflüchtet. Der junge Vladimir studierte im englischen Cambridge und zog dann nach Berlin, wo er am 8. Mai 1923 auf einem Wohltätigkeitsball der kulturell äußerst aktiven exilrussischen Gemeinde Véra Slonim kennenlernte. Sie war 21, er 24 Jahre alt.
Den ersten Brief schickte er Ende Juli von dem französischen Landgut aus, in dem er den Sommer verbrachte: „Ich will es nicht verhehlen: Es ist mir so ungewohnt – nun, verstanden zu werden vielleicht, – so ungewohnt, dass ich in den allerersten Minuten unserer Begegnung dachte: Das ist ein Scherz, die Täuschung einer Maskerade … Doch dann … Und es gibt Dinge, über die sich schwer reden lässt – durch die Berührung mit einem Wort verwischt man ihren wundervollen Blütenstaub … Von zuhause schreiben sie mir über rätselhafte Blumen. Du bist entzückend …“.
Vladimir Nabokov fehlen die Worte. Nein, nicht ganz, Blumen und Blütenstaub fallen dem damals schon von Schmetterlingen begeisterten jungen Dichter ein. Und wie entzückend sie ist. Fehlen sollten ihm die Worte später nie mehr, denn nicht nur folgen auf diesen ersten Brief 800 Seiten „an Véra“, auch ringt hier natürlich der Schriftsteller Nabokov, der damals noch vor allem unter dem Pseudonym W. Sirin schrieb, nicht wirklich mit den Worten. Vladimir und Véra trafen sich bei einem Maskenball und scheinbar nahtlos setzt sich die Maskerade, die Nabokov auch beiläufig erwähnt, im Briefwechsel fort. Der verliebte Schriftsteller spielt mit seiner Rolle und kokettiert mit dem Verblassen seiner Worte gegen die Anmut der Geliebten.
Obwohl es in vielen der späteren Briefe um Alltägliches geht – Vereinbarungen, die getroffen werden müssen, Rechnungen, Termine mit Verlegern und Journalisten, Gesundheit, Verwandte und Freunde –, zeigt sich in fast jedem der Rang Nabokovs als Autor. Sein Stil ist makellos und in den wenigen Fällen, wenn er es nicht ist, entschuldigt er sich für die Schludrigkeit. Lange und ausführlich berichtete er Véra von allen Treffen mit Exilrussen, Verlegern und Dichtern in Berlin, aber auch immer, welche Kleidung er trug und was es wo zu essen gab, um sie über die Zeiträume der Trennung hinweg an seinem Alltag teilnehmen zu lassen. Die Briefe sind auch eine fragmentarische Biografie. Selbst das mittägliche wiederkehrende Pensionsmenü nimmt bei Nabokov Züge eines Refrains an: „Kirschkaltschale (sehr lecker), Fleisch in Kohlwindeln und etwas, das wie kandierte Ananas aussah – es erwies sich als Rübenkompott.“
In Prag, einem weiteren Hauptort der russischen Emigration, lebte Nabokovs Mutter. Dort beobachtet er das winterliche Treiben: „So sieht es aus: das breite Weiß der Moldau, und durch dieses strahlende Weiß kreuzen kleine schwarze Silhouetten von Menschen von einem Ufer zum anderen, wie Notenzeichen. So zieht beispielsweise die Figur eines Jungen ein Dis hinter sich her: einen Schlitten.“ Wenige Tage später streift er durch das nächtliche Prag, – „ein Abend direkt aus einem flämischen Gemälde, bewegungslos in trägem Nebel“ – beschreibt ein Kirchenportal, freut sich über die Fratzen der Figuren und vermutet in den karikaturenhaften Gesichtern eine Rache des Bildhauers an geizigen Auftraggebern, bevor er sich durch den Schnee auf den Heimweg macht. „Nur an einer Stelle war auch ein purpurrotes Lichtchen zu sehen, ein Tropfen Granatapfelsaft.“ Zwei Jahre später wird er diese Szene einer eingeschneiten Stadt sehr ähnlich als Beginn der Kurzgeschichte „Iwan Wernych“ verwenden, die aber unvollendet blieb, da sie nach wenigen Zeilen, innerhalb eines einzigen Satzes, in einen Brief an Véra übergeht.
Véra und das Schreiben sind für Nabokov nicht zu trennen. Zu dem Schriftsteller Mark Aldanov sagte er: „Ohne meine Frau hätte ich keinen einzigen Roman geschrieben.“ Aber er schrieb auch in demselben Brief an Véra: „Aldanov durchschaut nicht immer, wann ich etwas zum Spaß sage und wann nicht.“ Wer durchschaut das schon? Nabokovs Fiktionsbegriff nimmt in manchen Fällen eine Totalität an, die beim skeptischen Abklopfen aber bald zu bröckeln beginnt, bis nach langer, zweifelvoller Arbeit ein schillernder, kristallener Kern bleibt. Den zu finden ist nicht immer einfach, denn zum Teil besteht er aus eben dieser Arbeit.
Obwohl es noch viele Beispiele über die Verwickelung von Wirklichkeit und Fiktion in „Briefe an Véra“ gäbe, waren es doch immer ganz reale Krisen, genauer eine Depression Véras Mitte der Zwanzigerjahre, und 1937 eine Affäre Nabokovs mit der Hundefriseurin Irina Guadanini, während denen die meisten Briefe entstanden. Nabokov und Véra hatten dennoch beide einer Veröffentlichung zugestimmt, Véra hatte sogar maßgeblich durch eine Vorsortierung an der Ausgabe mitgewirkt. Hier liegt das einzige Problem dieses Bandes: Aufgrund der kaum allgemein verfügbaren Ausgangstexte handelt es sich im Deutschen um eine Übersetzung der bereits aus dem Russischen übersetzten amerikanischen Edition. Es ist also zu befürchten, dass bei dieser doppelten Übertragung manches verloren gegangen ist.
Und die hier versammelten Briefe sind nicht vollständig. Denn Véra hatte alle ihre Antworten vernichtet und manche, etwa die Briefe vom Oktober und November 1932, existieren als Quelle lediglich in Form vorgelesener Tonbandaufnahmen Véras. Einen Brief bricht sie ab mit: „All das ist für Sie nicht von Interesse“, wie der Kommentar verrät. Der Rest aber ist von großem Interesse. Am 3. Mai 1965, das Paar ist nach vielen Jahren in den USA in die Schweiz übersiedelt, schreibt Nabokov an Véra: „Meine Liebste, ich wollte Dir Orchideen schicken, aber es gab keine. Gegen Mittag werde ich da sein.“
„Von zuhause schreiben sie mir
über rätselhafte Blumen.
Du bist entzückend …“
Der Frosch, der dem Stier an Größe gleichen wollte. Ein Frosch bestaunt einen Stier allein seiner Größe wegen.
Um dem bewunderten Vorbild irgendwie näher zu kommen, bläht sich der Frosch auf, bis er platzt. Moral: „Wie viele gibt’s, die nur nach eitler Größe dürsten! / Der Bürgersmann tät’s gern dem Adel gleich. / Das kleinste Fürstentum spielt Königreich, / und jedes Gräflein spielt den Fürsten.“

Vladimir Nabokov:
Briefe an Véra. Herausgegeben von Brian Boyd und Olga Voronina. Aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 1152 S., 40 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2017

Du bist mein Leben

Nicht für spätere Leser verfasst: Vladimir Nabokovs Briefe an Véra, mit der er vierundfünfzig Jahre zusammen war, geben intimste Einblicke.

Im achtzehnten Jahrhundert entwickelte sich der Brief zum vorzüglichen Medium der wechselseitigen Selbstentzifferung von Individuen. Beim jungen Goethe und bei den Romantikern zumal löste sich der Liebesbrief aus konventionellen Floskeln, in der Liebeserklärung zeigte sich ein Ich im Verhältnis zur Welt als ein fühlendes Wesen. Die Philologie des neunzehnten Jahrhunderts betrachtete Briefe als wertvolle Dokumente zur Rekonstruktion des Erlebens eines Schriftstellers und fügte sie daher in die Werkausgaben ein. Allerdings enthalten gerade Briefe von bedeutenden Autoren Elemente der Fiktion, der Selbststilisierung und der Verstellung.

Vladimir Nabokovs Briefe an seine Frau Véra, mit der er vierundfünfzig Jahre zusammen war, erscheinen nun als vierundzwanzigster und wohl letzter Band der von Dieter E. Zimmer besorgten Werkausgabe zum ersten Mal auf Deutsch. Bewunderungswürdig ist die entsagungsvolle Arbeit des Übersetzers Ludger Tolksdorf. Grundlage ist zwar die von Brian Boyd und Olga Voronina herausgegebene englische Ausgabe, jedoch ist Tolksdorf in allen Zweifelsfällen noch einmal auf die Originale zurückgegangen und hat zudem den reichhaltigen Anmerkungsapparat für deutsche Leser gründlich überarbeitet. Weiterhin enthält der Band zahlreiche Fotografien und je im Text neben Faksimiles der Handschriften auch die kleinen Zeichnungen, die Nabokov in die Briefe einfügte. Besonders charakteristisch gelingen ihm neben Schmetterlingen fahrende Züge und Autos, was vielleicht die Mobilität bezeichnet, die nicht nur freiwillig das Leben der Eheleute prägte.

Nabokov hatte Véra Slonim, die Tochter eines jüdischen Händlers aus St. Petersburg, 1923 auf einem Ball der Kolonie russischer Revolutionsflüchtlinge kennengelernt, die sich in Berlin gebildet hatte, um später großenteils nach Paris weiterzuziehen. Nabokov, damals noch alias W. Sirin, hatte sich schnell einen Namen als Dichter gemacht. Die Berichte über seine Lesungen in den Briefen zeigen, dass er in Berlin wie in Paris oder Prag weitgehend in der Emigrantenszene verblieb und auch die Sprachen nicht lernen wollte, um sein Russisch nicht zu verderben. Nur aus England, wo er in Cambridge studiert hatte, berichtet er von anderen Kontakten. Früh schon bereitete er sich darauf vor, auf Englisch zu publizieren.

Diese Passagen der Briefe sind durch die Überzahl an Namensnennungen für den an biographischen Einzelheiten weniger interessierten Leser ziemlich uninteressant. Für die biographische Entwicklung geben die Briefe im Übrigen wenig her. Dazu fehlen entscheidende Phasen und Faktoren. Über die potentielle Bedrohung Véras durch das Naziregime und die Abreise nach Amerika, über die Phase des Welterfolgs durch "Lolita" und die Gründe der Rückkehr nach Europa erfährt der Leser kaum etwas, dafür umso mehr über seinen Charakter, seine Freundlichkeit und Kinderliebe und seine Abneigung gegen Wichtigtuerei. Das ist nicht verwunderlich, denn die Briefe sind ganz offensichtlich nicht im Blick auf spätere Leser geschrieben worden, sondern dafür, Véra für sich einzunehmen.

Bereits in den ersten erhaltenen Briefen betont Nabokov die Einzigartigkeit der Beziehung. Véra erscheint ihm unmittelbar als diejenige, die einzig ihn versteht. "Ja, ich brauche Dich, mein Märchen. Denn Du bist der einzige Mensch, mit dem ich reden kann - über den Schatten einer Wolke, über das Lied eines Gedankens - und darüber, dass heute, als ich zur Arbeit hinausging und einer hochgewachsenen Sonnenblume ins Gesicht sah, diese mich mit all ihren Samen anlächelte."

Bei den Bildern der Einzigkeit sollte es lebenslang bleiben. Seine Frau wurde ihm Muse, Sekretärin und Lektorin, ihr widmete er fast alle seine Bücher. Sie feiert er unentwegt in einer Überfülle von Metaphern und - für den deutschen Leser ungewohnt, gelegentlich enervierend - einer Kaskade von Koseworten und -namen. "Du bist mein Glück, mein Schatz" wird oft in einem einzigen Brief gebetsmühlenartig zehnfach und öfter wiederholt, als müsste das Glück fliehen, wenn es nicht permanent angerufen wird. Freilich erscheinen diese Formeln auch dann, wenn Nabokov wie etwa 1937 in Paris auf amourösen Abwegen wandelt. So dienen sie auch in der Camouflage noch der Stabilisierung der Ehe.

Obwohl die Situation der Emigranten nicht einfach war - immer wieder berichtet Nabokov von seinen Versuchen, das Auskommen der Familie zu sichern -, zeigt er sich in den Briefen fast durchgängig in unverbrüchlicher Heiterkeit. Zeitweise steht das im Gegensatz zu Véras Befinden, die periodisch unter Depressionen leidet. Als sie sich 1926 im Schwarzwald zu einer Kur aufhält, schreibt er ihr jeden Tag einen Brief mit meist der Tierwelt entlehnter veränderter Anrede, um sie zum Lachen zu bringen und ihr Mut zuzusprechen. So ist sie sein Miezelchen, Mäusch, Gänslein, Hü-hündchen, Äffelchen, Puschel, Springmaus, Knäuelchen, Kuschel, Spätzchen, Mückilein, Muschilein, Böckchen, Trautilein und, wie es sich für einen bedeutenden Schmetterlingsforscher gehört, Falterchen. Aber auch: "langer Paradiesvogel mit dem kostbaren Schweif" oder "Miepchen (eine kleine Kreuzung aus Welpe und Miezchen)" und immer alberner so fort. Dazu unterhält er sie mit allerliebsten Zeichnungen und Gedichten sowie mit allerlei Ratespielchen, Labyrinthen und selbstgebastelten Kreuzworträtseln, mit denen sich auch der Leser vergnügen kann.

Die Briefe zeigen exemplarisch das innige Verhältnis von Schreiben und Abwesenheit. Sie werden in der Absicht geschrieben, Véra den Eindruck von Anwesenheit zu vermitteln. Nabokov lässt sie an seiner Lektüre teilhaben und berichtet von Kontakten und Erfolgen. Unermüdlich schildert er ihr seinen Alltag, jeder Spaziergang durch Berlin wird ihr mit allen Straßennamen vergegenwärtigt, jeder Kauf von Briefmarken mit Angabe des Postamts vermerkt. Vor allem aber wird der bekannte Satz "Ich liebe Dich" unzählige Male wiederholt und variiert, um nicht zu sagen breitgewalzt. "Vielleicht habe ich es Dir schon einmal gesagt, aber für alle Fälle sage ich es ein weiteres Mal. Kätzchen, es ist sehr wichtig - bitte pass auf . . . Ich liebe Dich . . . Und es gibt noch etwas anderes, das ich Dir sagen muss - und diese Sache solltest Du Dir bitte ebenfalls aufmerksam anhören und gut merken . . . Ich möchte Dir sagen, dass ich: Dich unendlich liebe." Das rührt den Leser, geht ihm aber irgendwann auch ein wenig auf die Nerven.

Nur 1937, als Nabokov einmal wieder in Paris weilt und dort seine Affäre mit einer russischen Emigrantin hat, ändert sich gelegentlich der Ton. Véra war wohl unzufrieden mit dem, was er für das Auskommen der Familie angeblich erreicht hatte, machte ihm Vorwürfe und zögerte ihre Abreise nach Frankreich hinaus, die er vorbereitet hatte. Ganz unberechtigt war das wohl nicht. Es scheint, dass Nabokov häufig lieber länger als kürzer abwesend war. Er aber zeigt sich "furchtbar verärgert" über einen Brief von ihr (ihre Briefe an Nabokov sind nicht erhalten) und verbittet sich weitere "kindische Vorwürfe". Ihr Plan, nach Prag zu fahren, wo es auch eine russische Emigrantenkolonie gibt, hält er für Unsinn. "Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr mich Dein gedankliches Umherirren durch Mitteleuropa quält." Aber auch diese Briefe enden mit "ich liebe Dich, mein Leben" oder zunehmend auf Englisch: "I kiss you, my love."

In den wenigen Briefen, die er ihr in den vierziger Jahren von seinen Lesereisen in den Vereinigten Staaten nach New York schreibt, ist er wieder ganz der Zuversichtliche und Aufheiternde, die häufig Kränkelnde mit unverminderten Liebesbeteuerungen Tröstende, obwohl die Situation nach wie vor nicht einfach ist. Ihren Existenzängsten begegnet er mit ausführlichen Berichten über seine Erfolge als Dichter, Dozent und Schmetterlingsforscher und fordert sie zu mehr Großzügigkeit auf. In New York soll sie eine größere und teurere Wohnung nehmen, wenn sich die Chance bietet. "Lieber über Zahlungen stöhnen als über mangelnden Komfort."

Im Palace Hotel von Montreux, in dem Nabokov und Véra von 1961 bis 1977 residierten, fehlte es dann nicht am Komfort. Aus dieser Zeit gibt es nur einige Briefe, die Nabokov aus Taormina schrieb. In dem letzten erhaltenen, verfasst 1970, zeigt sich punktlichtartig, wie innig das Schreiben von Briefen mit der Beziehung zu Véra verquickt war und wie sehr die zeitweilige Abwesenheit dazugehörte, vielleicht sogar der Stabilität der Ehe diente. "Jetzt warte ich auf Dich. In gewisser Beziehung tut es mir leid, dass diese Korrespondenz zu Ende geht, ich umarme und liebe Dich." Die Lektüre der Briefe an Véra ist ein gemischtes Vergnügen. Der Leser kann sich am Witz Nabokovs erfreuen, mit dem er Banales unterhaltsam macht, und sich von seiner unbeirrbaren Liebesfähigkeit rühren lassen. Weite Strecken des Bandes aber sind langweilig, weil gar nicht für den Leser bestimmt. Das schmälert selbstverständlich nicht die Verdienste der Edition.

FRIEDMAR APEL

Vladimir Nabokov: "Briefe an Véra". Gesammelte Werke, Band XXIV. Hrsg. von Brian Boyd und Olga Voronina.

Aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017. 1148 S., Abb., geb., 40,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zunächst einmal würdigt Rezensent Friedmar Apel die Leistung des Übersetzers Ludger Tolksdorf, der nicht nur auf die englische Ausgabe, sondern auch die auf die originalen Briefe Nabokovs an seine Frau Vera zurückgegriffen hat. Überhaupt schätzt der Kritiker diesen vierundzwanzigsten und mutmaßlich letzten Band der großen Nabokov-Werkausgabe von Dieter E. Zimmer, der neben vielen Fotografien und einem vorbildlichen Anmerkungsapparat auch Faksimiles der Zeichnungen enthält, die Nabokov den Briefen beifügte. Die Briefe selbst liest Apel indes mit gemischten Gefühlen: Biografische Details und prägende Phasen im Leben der Eheleute werden meist nur kurz erwähnt, stattdessen bekommt der Leser "Kaskaden von Koseworten" geboten, informiert Apel. Bezeichnungen wie "Äffelchen, Puschel, Mückilein" oder "Böckchen", welche die erschöpfenden Alltagsschilderungen durchziehen, mögen die gelegentlich depressive Vera erheitert haben - dem Kritiker gehen die Liebesschwüre nach einer Weile ziemlich auf die Nerven. Nabokovs Witz, seine Ratespiele und selbst erdachten Kreuzworträtsel haben Apel indes Vergnügen bereitet.

© Perlentaucher Medien GmbH
Briefe an Véra öffnet die Tür zum Arbeitszimmer und zeigt uns Nabokov nicht in seiner harten Hülle als Genie, sondern als sanften, verletzlichen praktizierenden Schrifststeller. Wieder und wieder sehen wir, was Charles Kinbote, in Fahles Feuer, die Magie eines Verstandes nennt, der die 'Welt wahrnimmt und transzendiert, sie in Besitz nimmt und zerlegt und ihre Teile neu zusammensetzt. Harper's Magazine