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Ein Jahr lang erwachsen werden: David Mitchell über die Schwierigkeiten im Leben eines 13-jährigen.
1982: Es ist ein regennasser Januar in Black Swan Green, einem Dorf in der toten Mitte Englands. Jason Taylor - heimlicher Stotterer und zögernder Poet - befürchtet ein Jahr der schlimmsten Langeweile. Doch er hat weder mit einem Haufen Schulschläger noch mit köchelndem Familienzwist, dem Falklandkrieg, einem exotischen belgischen Einwanderer, einer drohenden Zigeunerinvasion oder gar mit jenen rätselhaften Geschöpfen gerechnet, die man gemeinhin Mädchen nennt. David Mitchells ebenso…mehr

Produktbeschreibung
Ein Jahr lang erwachsen werden: David Mitchell über die Schwierigkeiten im Leben eines 13-jährigen.
1982: Es ist ein regennasser Januar in Black Swan Green, einem Dorf in der toten Mitte Englands. Jason Taylor - heimlicher Stotterer und zögernder Poet - befürchtet ein Jahr der schlimmsten Langeweile. Doch er hat weder mit einem Haufen Schulschläger noch mit köchelndem Familienzwist, dem Falklandkrieg, einem exotischen belgischen Einwanderer, einer drohenden Zigeunerinvasion oder gar mit jenen rätselhaften Geschöpfen gerechnet, die man gemeinhin Mädchen nennt. David Mitchells ebenso bezaubernder wie turbulenter neuer Roman kartographiert dreizehn Monate im Schwarzen Loch zwischen Kindheit und Adoleszenz, das Ganze im Abendrot eines heruntergekommenen Ex-Weltreichs, für dessen Bewohner der Zweite Weltkrieg immer noch nicht beendet ist. Dies ist Mitchells subtilstes, melancholischstes und lustigstes Buch - überquellend von dem Stoff, aus dem das Leben ist.
Autorenporträt
David Mitchell, geboren 1969 in Southport, Lancashire, studierte Literatur an der University of Kent, lebte danach in Sizilien und Japan. Er gehört zu jenen polyglotten britischen Autoren, deren Thema nichts weniger als die ganze Welt ist. Für sein Werk wurde er u.a. mit dem John-Llewellyn-Rhys-Preis ausgezeichnet, zweimal stand er auf der Booker-Shortlist. 2011 erhielt er den Commonwealth Writers' Prize für «Die tausend Herbste des Jacob de Zoet», 2015 den World Fantasy Award für «Die Knochenuhren». Sein Weltbestseller «Der Wolkenatlas» wurde von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern verfilmt. David Mitchell lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Clonakilty, Irland. Times, Guardian und Sunday Express wählten «Utopia Avenue» (dt. 2022) zum «Book of the Year».
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2007

Jason heißt der Hund
David Mitchells Roman „Der dreizehnte Monat” bestätigt, dass die Hölle die anderen sind
Für schwul gehalten zu werden, das ist das allerschlimmste. Jason trifft es ausgerechnet, als er sich „Die Stunde des Siegers” anschaut, einen patriotischen Hochgesang auf britischen Sportsgeist und ungebrochene Virilität. Sein Vater hatte dem 13jährigen versprochen, mit ihm ins Kino zu gehen, aber dann war ein wichtiger Geschäftstermin dazwischen gekommen. Also sprang die Mutter für ihn ein. Und am nächsten Morgen muss Jason sich die Hänseleien seiner Mitschüler, die eher handfeste Obszönitäten sind, anhören. Falls sie ihn überhaupt eines Wortes würdigen: „Neal Brose sah mich an, wie man einen Hund ansieht, der gleich zum Einschläfern gebracht wird. Mitleidig, aber auch verächtlich, weil der Hund sich herausnahm, so schwach zu sein.”
Im Jargon der harten männlichen Jugend von Black Swan Green, einem Kaff in Mittelengland, meint „schwul” weniger eine sexuelle Orientierung als Verhaltensweisen, die mit dieser vage und in denunziatorischer Absicht assoziiert werden. Als schwul gilt es, sich mit seinen Eltern in der Öffentlichkeit zu zeigen und keinen Spaß an Prügeleien oder Kampfspielen zu haben. Aber auch wer gerne im Wald spazieren geht oder das schlichte Wort „schön” verwendet, ist sofort verdächtig. All dies macht Jasons Leben schon kompliziert genug. Obendrein muss er aber zwei Geheimnisse hüten, die, kämen sie heraus, seinen prekären Status völlig ruinieren würden. Unter dem Pseudonym Eliot Bolivar veröffentlicht er jeden Monat Gedichte im Gemeindemagazin. Und er stottert mitunter – so sehr, dass er im Unterricht lieber eine falsche Antwort gibt, als bestimmte Wörter sagen zu müssen.
„Der dreizehnte Monat” spielt 1982 und ist kräftig von Zeitkolorit gefärbt. Die Jugend tanzt zu Madness, den Talking Heads und den Dexy‘s Midnight Runners, der Falkland-Krieg soll die Phantomschmerzen des Empire lindern. Wer damals in einem ähnlichen Alter wie der Ich-Erzähler war, erlebt ein paar „Ach, ja!”-Effekte, aber darin erschöpft sich das Buch zum Glück nicht. Vielmehr versteht der Autor es, das für den historischen Augenblick Typische geschickt in die noch halb kindliche Lebens- und Vorstellungswelt seines Protagonisten einfließen zu lassen. Ein Drehstuhl kann sich in einen „Lasertower” verwandeln, von dem aus Jason zahllose MiGs abschießt: „Sowie die sowjetischen Flieger ihre Schleudersitze aktivierten, würde ich sie mit Betäubungspfeilen torpedieren, und dann würde unsere Marinetruppen sie erledigen. Ich würde alle Orden ablehnen. ,Danke, aber nein danke‘, würde ich zu Margaret Thatcher und Ronald Reagan sagen, wenn Mum sie ins Haus bat, ,ich hab bloß meine Pflicht getan‘”.
Fast 500 Seiten stark ist dieses klassische coming of age-Buch, und das ist etwas zu viel. Nicht alle Kapitel sind so dicht wie die ersten, und manchmal führen Mitchells Versuche, das Spezielle, das Jason widerfährt, ins Allgemeine zu überführen, zu Allerweltsweisheiten, die, von einem so jungen Ich-Erzähler ausgesprochen, zudem etwas altklug wirken. Wie aber neben dem langsamen Ende einer Kindheit auch vom unaufhaltbaren Zerfall einer Ehe erzählt wird, ist kunstvoll. Am Anfang klingelt das Telefon, Jason hebt ab, und niemand meldet sich; nur ein Fernseher und Babygeschrei sind zu hören. Bald ahnt der Leser, dass dies die Geliebte des Vaters war. Seine Frau weiß von ihr, die Kinder aber nicht. Und so können sie nicht verstehen, warum die Eltern mit immer spitzeren Worten streiten und die kleinen Fluchten der Mutter bald über den Kauf teurer, neuer Badkacheln hinaus führen. Erst als alles in Scherben liegt, auch die Karriere die Vaters, lässt sich die Wahrheit nicht länger verbergen.
Am stärksten ist der Roman in seiner Schilderung der sozialen Welt, die sich die Schüler einrichten. Kindliche, jugendliche Unschuld? Von wegen! Wer unten steht, kann sich nur durch große Anstrengungen verbessern; wer oben steht, nur durch grobe Fehler absteigen. Schon die Art und Weise, wie man sich anspricht, ist signifikant. Beliebte Schüler werden mit dem Vornamen gerufen, weniger beliebte wie Jason mit ihrem Nachnamen: „Unter uns stehen die Schüler mit Verarsche-Spitznamen, so wie Moran-Moron oder Nicholas Briar, den alle Knickerless-Bra, den BH ohne Schlüpfer, nennen. Wenn du ein Junge bist, dreht sich alles darum, welchen Rang du hast, so wie beim Militär. Würde ich Gilbert Swinyard einfach ,Swinyard‘ nennen, bekäme ich was auf die Fresse. Würde ich dagegen Moron vor allen anderen ,Dean‘ nennen, würde ich meinem eigenen Ansehen schaden. Du musst also immer auf der Hut sein.”
So bestätigt auch „Der dreizehnte Monat”, dass die Hölle die anderen sind. Ein trauriger Befund, der den Autor aber nicht zur Klage veranlasst; dafür besitzt er zu viel Sinn für Humor und Ironie. Die Schmerzen der Jugend mögen unermesslich erscheinen; sie sind hier aber auch so vergänglich wie ein böser Traum. Am Ende küsst Jason in der Disco ein weiblicher Mund, und schon ist er wieder gesund – nein, gesünder und glücklicher als je zuvor. CHRISTOPH HAAS
David Mitchell
Der dreizehnte Monat
Roman. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 496 Seiten, 19,90 Euro.
Albtraum mit Leuchtspuren: Ein britischer Lancaster-Bomber während eines nächtlichen Angriffs auf Hamburg. Nicht was die Menschen im Krieg anstellen, sondern was der Krieg in den Menschen anstellt, ist das Thema der schottischen Romanautorin A. L. Kennedy. Foto: SV-Bilderdienst
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2007

Der stotternde Poet
David Mitchells leichter Pubertätsroman

"Der dreifach unsichtbare Junge, das ist Jason Taylor." Unsichtbar, weil er leicht stottert, unsichtbar, weil er von seinen Mitschülern drangsaliert wird, und unsichtbar, weil er unter den heftigen Streitereien seiner Eltern leidet. Alles gute Gründe für einen Dreizehnjährigen, sich im kleinsten Loch zu verstecken, bis das Blatt sich wieder wendet. Denn zu den Gesetzmäßigkeiten pubertierender Jungscliquen gehört es, dass die Hackordnung variabel ist. Wer gerade im Cabrio des großen Bruders gesehen wurde, etwas besonders Mutiges getan hat oder die Klassenschönste küssen durfte, ist oben.

Das war offensichtlich schon im England des Jahres 1982 so. In dieser Zeit, die auch für die Kinder wesentlich vom Falkland-Krieg geprägt ist, spielt der neue Roman von David Mitchell. Der Autor von "Chaos" und "Der Wolkenatlas" bewegt sich damit weg von seiner bisherigen Erzählarchitektur: einzelne Handlungsstränge zusammenführen, fallen lassen und wieder aufnehmen. "Der dreizehnte Monat" ist ein im besten Sinne konventioneller Roman, stringent erzählt und ohne Zeit- und Handlungssprünge.

Jason Taylor muss stets abwägen, ob seine Gedanken auch unfallfrei durch seinen Mund kommen. Wenn nicht, behält er sie lieber für sich oder muss sie umständlich ausdrücken. Denn nur bei Wörtern, die mit N oder S beginnen, bleibt er hängen - zur hämischen Freude seiner halbstarken Mitschüler. Vorlesen in der Schule ist der Horror, und zu allem Überfluss hat Jason noch ein pikantes Geheimnis: Unter dem Namen Eliot Bolivar veröffentlicht er Gedichte im Gemeindeblatt. Das ist, genau wie Wollmützen, das Schulfach Französisch und so einiges andere in der Welt der Pubertierenden, "schwul".

Der stotternde Poet ist klug genug, die Mechanismen zu durchschauen und sich entsprechend zu verstellen. Also versucht er, mittelklug zu wirken, mittelnett, mittelwitzig. Ein ganz normaler Junge eben, auf dessen Gedankenwelt und Sprache sich David Mitchell eingelassen hat: "Blumenkohl schmeckt wie frische Kotze" heißt es da zum Beispiel. Die Schwärmerei für eine Klassenkameradin, die Begeisterung für einen zugefrorenen See und die häufig vergeblichen Versuche, cool zu wirken, sind in diesem Roman in authentische Worte gepackt, was häufig zu sehr vergnüglichen Dialogen führt.

Seine widerstreitenden Temperamente, und da ist Jason dann doch ungewöhnlich, tragen Namen und führen innere Zwiesprache. "Henker" ist der Stotterer, "ungeborener Zwilling" ist frech und mutig, und "Wurm" ist, wie der Name schon sagt, zurückhaltend bis feige. Jasons Aufgabe ist es oftmals, zwischen ihnen abzuwägen. Aus den nicht immer richtigen Entscheidungen resultieren so groteske wie turbulente Situationen.

Eine spannende Achterbahn hat David Mitchell da aufgebaut. Dass der Roman im letzten Jahr zu Recht für den Booker Prize nominiert wurde, können nun auch die deutschen Leser feststellen.

JULIA BÄHR

David Mitchell: "Der dreizehnte Monat". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 493 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Dem Rezensenten Jörg Magenau gefällt dieser Roman, auch wenn er ihn im Vergleich zu früheren Arbeiten des englischen Autoren David Mitchell eher "unterkomplex" findet. Dennoch werde vom Zerfall der Familie eines stotternden Teenagers, der im Schreiben eine ganz neue Welt abseits des "täglichen Überlebenskampfs"entdeckt, stimmig erzählt. Den Tonfall des beschriebenen Jahres 1982 zu treffen, gelingt Mitchell nach Magenaus Meinung jedenfalls ausgesprochen gut - nicht nur, weil er, wie der Rezensent berichtet, als "erzählerisches Chamäleon" bekannt ist, sondern auch, weil er sich in diesem konkreten Fall von seiner eigenen Jugend inspirieren lassen konnte. Was der Übersetzer Volker Oldenburg in der Übertragung ins Deutsche daraus gemacht hat, hält Magenau für ähnlich gelungen.

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