Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 3,12 €
  • Gebundenes Buch

Bertolt Brecht war ein Jahrhundertgenie - vielleicht der bedeutendste Dramatiker seit Shakespeare. Aber war der große Dichter nicht zugleich ein elender Chauvinist? Hat er die Frauen, die ihn liebten und mit denen er arbeitete, rücksichtslos ausgenutzt und ausgebeutet - oder ist dieser Vorwurf nur billige Polemik und üble Nachrede? Hiltrud Häntzschel geht einen neuen Weg, um diese vieldiskutierten Fragen zu beantworten: Sie berichtet vorrangig über Leben und Leistung der Frauen, die in Brechts Biographie eine besondere Bedeutung hatten, und stellt damit das Thema wieder auf das Niveau, das ihm gebührt.…mehr

Produktbeschreibung
Bertolt Brecht war ein Jahrhundertgenie - vielleicht der bedeutendste Dramatiker seit Shakespeare. Aber war der große Dichter nicht zugleich ein elender Chauvinist? Hat er die Frauen, die ihn liebten und mit denen er arbeitete, rücksichtslos ausgenutzt und ausgebeutet - oder ist dieser Vorwurf nur billige Polemik und üble Nachrede?
Hiltrud Häntzschel geht einen neuen Weg, um diese vieldiskutierten Fragen zu beantworten: Sie berichtet vorrangig über Leben und Leistung der Frauen, die in Brechts Biographie eine besondere Bedeutung hatten, und stellt damit das Thema wieder auf das Niveau, das ihm gebührt.
Autorenporträt
Hiltrud Häntzschel, Dr. phil., arbeitet freiberuflich als Germanistin und Autorin in München. Mitarbeit an der Süddeutschen Zeitung, am Bayerischen Rundfunk, als Kuratorin an mehreren Ausstellungen. Publikationen zur Literatur der Weimarer Republik, zur Exilforschung, Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftsemigration, Biographik und zur Literatur von Frauen; Mitarbeiterin am Projekt "NS-Dokumentationszentrum München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2002

Ellbögen frei haben, allein schlafen, skrupellos sein
Erfahrung der Einsamkeit, an die Gefährtinnen delegiert - Hiltrud Häntzschels glänzende Porträts der sieben Frauen Bertolt Brechts

Wer treu ist, kennt nur die triviale Seite der Liebe. Die Treulosen kennen die Tragödien der Liebe. Das ist von Oscar Wilde im Stil des späten neunzehnten Jahrhunderts pointiert formuliert. Bei Bertolt Brecht bekommt man es, ein bis zwei Epochen moderner, mit trivialer Treulosigkeit zu tun, während die Frauen, die dem weibstollen Dichter gegen alle Vernunft treu blieben, die Tragödien der Liebe kennenlernen durften.

Tragödien sind faszinierender als epische Lehrstücke, und so ist es sehr verständlich, daß - im Gegensatz zu seinen Dramen - die Damen Brechts heute noch mit lebhaftem Interesse rechnen können. Hiltrud Häntzschel hat die sieben Hauptfrauen des Dichters in einer essayistischen Porträtgalerie versammelt: Paula Bannholzer, Marianne Zoff, Marieluise Fleißer, Helene Weigel, Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin und Ruth Berlau. Sie alle wußten, was sie von Brecht zu erwarten hatten: "In meine leeren Schaukelstühle vormittags / Setze ich mir mitunter ein paar Frauen / Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen: / In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen." Oder weniger poetisch: "Ich muß Ellbögen frei haben, spucken können, wie mir's beliebt, allein schlafen, skrupellos sein."

Dennoch verfielen sie dem hypnotisierenden Einfluß dieses Mannes, der eine dünne Stimme und einen schmächtigen Körper hatte, sich proletarisch kleidete und von Körperhygiene nichts wissen wollte - "Bert Brecht wäscht sich nicht", klagte Marianne Zoff. Aber wenn er sich in den Rücken einer Frau schlich und leise "Hallo" sagte, war Widerstand offenbar zwecklos. Passend zur neuen Angestelltenwelt der zwanziger Jahre wurden aus Musen Mitarbeiterinnen. Produktion und Liebe gehörten für Brecht zusammen; für sich selbst beanspruchte der aufgeklärte Mann dabei jene Freiheit, die er seinen Frauen niemals zugestand. Ein höchst einseitiger Liebeskommunismus, der Leiden ohne Ende schuf, wie die Sammlung der Schicksale in Häntzschels Buch bewegend zeigt.

Fortwährend wird eine Frau gegenüber der anderen verleugnet, eine skrupellos gegen die andere ausgespielt. Wer sich von ihm zu entfernen oder gar eine andere Bindung einzugehen droht, muß mit wilden Eifersuchtsszenen rechnen; dieses Relikt aus dem vormodernen Gefühlshaushalt war Brecht keineswegs fremd. In einer grotesken Mischung aus Naivität und Machtanmaßung hoffte er, daß all die Frauen sich untereinander schon verstehen würden. Er hatte das Selbstgefühl eines Liebesgotts. Als sich schon in jungen Jahren die Schwangerschaften dramatisch häuften, übte er sich in großspurigen Kommentaren: "Laßt sie wachsen, die kleinen Brechts!" Oder: "Jetzt reißen sich die Ungeborenen um mich!!"

Häntzschel begibt sich einerseits in Frontstellung zu John Fuegi ("Brecht & Co."), der Brecht anhand seiner Texte als literarischen Stalinisten entlarven wollte und zugleich behauptete, daß ebendiese Texte im wesentlichen gar nicht von Brecht stammen, sondern von den Frauen, die sich von dem Erzchauvinisten nicht nur ins Bett, sondern auch über den Schreibtisch ziehen ließen. Für Häntzschel ist das Buch des Enthüllungsgermanisten ein "Machwerk". Auf der anderen Seite widerspricht sie aber auch den Apologeten, zu denen an vorderer Stelle die meisten der Brecht-Frauen selbst gehörten: Mochten sie sich einst erbitterte Konkurrenz geboten haben, postum hielten sie zusammen gegen alle, die ihrem Herrn und Meister an der Joppe flicken wollten. Sie fühlten sich erhöht durch die Mitarbeit am Werk des Jahrhundertschriftstellers; das war neben der Liebe der Grund, warum sie sich alle Unzumutbarkeiten zumuten ließen. Gerade ihre positiven Zeugnisse lassen erkennen: Brecht kritisierte die Ausbeutung nicht nur, er praktizierte sie auch sehr gekonnt.

Häntzschel nimmt die Lebensgeschichten der Frauen nicht aus der Brechtschen Zentralperspektive ins Visier, sondern skizziert sie in ihrem Eigensinn. Und läßt doch den Schriftsteller zu seinem Recht kommen, schon durch die vielfältig eingearbeiteten Textzeugnisse - neben Briefen und Tagebuchpassagen vor allem die Liebesgedichte, in denen sich Zärtliches und Obszönes, Wärme und zynische Schroffheit hinreißend mischen. Bisweilen werden Korrekturen an bisherigen Sichtweisen angebracht, etwa im Fall Marieluise Fleißers, die später zur Kronzeugin aller verratenen Brecht-Geliebten gemacht wurde. Sie schrieb schon vor 1933 Kritisches über Brechts Menschenverschleiß; später denunzierte sie ihn in einem Lebenslauf für die Reichsschrifttumskammer. Ruiniert wurde sie aber nicht von Brecht, sondern von ihrem Ehemann Hellmut Draws-Tychsen, der sich für einen grandiosen Dichter hielt und Fleißer dazu brachte, auf Distanz zu ihren eigenen Werken zu gehen. Dieses Zerstörungswerk geht in der Fleißer-Biographik meist auf Brechts Lederkappe. Schon von der Autorin selbst wurde das Trauma später auf Brecht übertragen. So gelang es ihr, sich als Opfer zu stilisieren - nicht des unprominenten Berserkers, sondern des Genies.

Die offizielle Ehefrau Helene Weigel wurde mit Brecht nicht glücklich, aber sie hat mit ihm ihr Glück gemacht. Früh hatte er ihr die Lebensrolle auf den Leib geschrieben: immer wieder Mutterfiguren, mit denen Brecht sich in eine merkwürdige Konkurrenz zur Verherrlichung der Mutter im Nationalsozialismus begab. Das Exil war für sie doppelte Leidenszeit. Nicht nur, daß sie "Arbeitsverhältnisse" in ihrer unmittelbaren Nähe dulden mußte, als Schauspielerin war sie zudem von aller Berufsausübung abgeschnitten. Der Siegeszug über die Bühnen der Nachkriegszeit war die Entschädigung. Sie wurde die strenge Leiterin des Berliner Ensembles, Brechts Denkmalpflegerin, verschwenderisch dekoriert von der DDR, und es gehe nicht länger an, so Häntzschel, ihre Zustimmung zum Regime als listige Subversion zu interpretieren.

Margarete Steffin, die begabte Arbeitertochter, war Brechts "proletarisches Gewissen". "Ich liebe ihn so sehr, daß ich daran sterben werde", schrieb sie, und tatsächlich war die auf der Flucht in Moskau zurückgelassene und dort elend gestorbene Steffin die einzige von Brechts Frauen, die "ihm die Trauer zugemutet hat". Ruth Berlau, die schöne Frau mit Chic, Charme und Ausstrahlung, kam mit ihrer Existenz als Nebenfrau am wenigsten zurecht. Sie floh in psychische Krankheit und Alkoholismus. Mit dem "Kleinbürgerthema, daß ich dich nicht genug liebe", ging sie Brecht zunehmend auf die Nerven. "Die Stirn ist glatt", lautete seine Beschwörungsformel, denn die gerunzelte Stirn verhieß Widerspruch, Probleme, Szenen. Wenn sich das Leiden der Freundin nicht mehr übersehen ließ, fand sich Brecht zu Anfällen von Zerknirschung bereit, mehr nicht. Während sie 1944 im Krankenhaus in Lebensgefahr schwebte - eine Operation im siebten Monat -, verzeichnet sein Tagebuch zwar alle möglichen Details des Schriftstelleralltags wie "Kaffee kochen in der kleinen Kupferkanne", "Leichter Lunch um zwölf" oder "Ruhe mit Kriminalroman", aber keinen Gedanken an die leidende Freundin. Das "Gewissen eines Eisklumpens" hatte er sich einst bescheinigt.

Er wollte auch die Liebe als episches Theater - bloß keine Einfühlung. Ein fundamentales Mißtrauen gegen die Gefühle erscheint als umschließendes Band von Leben und Werk. Eindrucksvoll zeigt Häntzschels Buch, wie Brecht die Erfahrung der Einsamkeit an die Frauen delegierte. Sie durften sich verzehren, während er seine Verhältnisse so einzurichten verstand, daß ihn, in welches Land des Erdkreises es ihn auch verschlug, stets eine Freundin mit offenen Armen empfing. Und mußte er doch einmal ein paar Stunden warten, war gleich eines dieser unvergleichlichen Liebesgedichte fällig. Etwa folgender Dreizeiler aus dem Jahr 1921: "In jener Nacht, wo du nicht kamst / Schlief ich nicht ein, sondern ging oftmals vor die Türe / Und es regnete und ich ging wieder hinein."

Hiltrud Häntzschel: "Brechts Frauen". Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 314 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr bewegend findet Rezensent Wolfgang Schneider diese "essayistischen Porträtgalerie". Passend zur neuen Angestelltenwelt sind hier Brechts "Musen Mitarbeiterinnen geworden", deren im vorliegenden Buch glänzend geschilderte Tragödien der Rezensent "faszinierender als epische Lehrstücke" findet. Besonders schätzt er die Unabhängigkeit der Autorin, deren Darstellung offensichtlich auch manches Klischee gerade rückt. Gleichzeitig begibt sich das Buch Schneider zufolge in "Frontstellung" zum Buch des "Enthüllungsgermanisten" John Fuegi "Brecht und Co.", das Autorin Häntzschel als "Machwerk" bezeichne. Andererseits jedoch widerspreche sie auch den Verteidigern von Brechts "höchst einseitigem Liebeskommunismus", zu denen "an vorderster Stelle" die Frauen selbst gehört hätten. Nicht aus einer auf Brecht konzentrierten Zentralperspektive habe Häntzschel die Lebensgeschichten der Frauen skizziert, sondern aus ihrem jeweiligen Eigensinn heraus. Sie lasse auch Brecht selbst "durch die vielfältig eingearbeiteten Textzeugnisse" zu seinem Recht kommen, vor allem mit Liebesgedichten, in denen Schneider "Zärtliches und Obszönes, Wärme und zynische Schroffheit" sich hinreißend mischen sieht.

© Perlentaucher Medien GmbH