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Der Autor des Weltbestsellers 'Die Korrekturen' über sich: über Kindheit, Vögel, deutsche Sprache, über Frauen und Charlie Brown.
Franzen über Franzen.
In "Die Unruhezone" erzählt Jonathan Franzen von den Peanuts als kindlicher Ersatzfamilie, seiner Angst vor Urinalen und Duschkabinen, von Vögeln, dem Leben und der Liebe. Zwischen komisch-trotziger Selbsterfahrung und Empathie oszillierend, zeichnet er das Porträt einer amerikanischen Mittelstandsfamilie und eines Menschen in seiner Zeit.

Produktbeschreibung
Der Autor des Weltbestsellers 'Die Korrekturen' über sich: über Kindheit, Vögel, deutsche Sprache, über Frauen und Charlie Brown.
Franzen über Franzen.

In "Die Unruhezone" erzählt Jonathan Franzen von den Peanuts als kindlicher Ersatzfamilie, seiner Angst vor Urinalen und Duschkabinen, von Vögeln, dem Leben und der Liebe. Zwischen komisch-trotziger Selbsterfahrung und Empathie oszillierend, zeichnet er das Porträt einer amerikanischen Mittelstandsfamilie und eines Menschen in seiner Zeit.
Autorenporträt
Jonathan Franzen, 1959 geboren, erhielt für seinen Weltbestseller «Die Korrekturen» 2001 den National Book Award. Er veröffentlichte außerdem die Romane «Die 27ste Stadt», «Schweres Beben», «Freiheit» und «Unschuld», das autobiographische Buch «Die Unruhezone», die Essaysammlungen «Anleitung zum Alleinsein», «Weiter weg» und «Das Ende vom Ende der Welt» sowie «Das Kraus-Projekt» und den Klima-Essay «Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen». Er ist Mitglied der amerikanischen Academy of Arts and Letters, der Berliner Akademie der Künste und des französischen Ordre des Arts et des Lettres. 2013 wurde ihm für sein Gesamtwerk der WELT-Literaturpreis verliehen, 2022 der Thomas-Mann-Preis. 2015 erhielt er für seinen Einsatz zum Schutz der Wildvögel den EuroNatur-Preis. Er lebt in Santa Cruz, Kalifornien.

Eike Schönfeld, geboren 1949 in Rheinsberg, promovierte über Oscar Wilde, lebt als freier Übersetzer, Lektor und Autor in Hamburg. Er übersetzte u.a. J. D. Salinger, Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis 2013 und dem Hermann-Hesse-Preis 2014.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2007

Ach, könnte man doch zum Comic werden
Jonathan Franzen spricht in seinem jüngsten Buch „Die Unruhezone” eine verwegene Hoffnung aus
Jonathan Franzen wird immer mit dem Roman „Die Korrekturen” verbunden bleiben. In den USA verkaufte sich dieses Buch in mehr als einer Million Exemplaren, in Deutschland feierte man es als epochenüberspannenden, psychologisch raffinierten Familienroman, wie er hierzulande so schmerzlich fehle. Und dann liest man in Franzens neuestem Text den Satz: „Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich, in meiner Familie wirkliche Menschen zu sehen, denn ich hatte deutsche Literatur gelesen und wurde selbst ein Mensch.”
Jonathan Franzen hat nach seinem überwältigenden Erfolg offensichtlich viel nachgedacht. Sein Buch „Die Unruhezone” ist das Ergebnis. Es ist kein Roman, sondern eine Reflexion darüber, wie man nach einem solchen Bestseller weiterschreiben kann. Der Untertitel „Eine Geschichte von mir” („A Personal History”) weist darauf hin, dass es um autobiographische Selbstvergewisserungen geht, um den Schreibprozess, wie er sich durch das Nachdenken verändert. Der gewohnte Realismusbegriff wird plötzlich fragwürdig. Und dabei spielt die deutsche Literatur eine gewisse Rolle.
Franzen sollte bereits als Zehnjähriger Deutsch lernen, weil seine Eltern fanden, das sei für einen angehenden Wissenschaftler die richtige Fremdsprache. Dafür war Elisabeth ausersehen, eine Neunzehnjährige aus der Familie eines österreichischen Unternehmers, dem Franzens Vater den Zugang zum amerikanischen Markt verschafft hatte: „Ihre Röcke waren sensationell kurz, ihre kleinen Tops waren sensationell eng, und die weltverfinsternde Nähe ihrer Brüste und die große südliche Ausdehnung ihrer nackten Beine waren mir unerträglich.” Am Ende des Sommers, als sie wieder abgereist war, konnte Franzen „nicht ein Wort Deutsch”.
Frost in der Komfortzone
Kein Wunder, dass sich Franzen ein paar Jahre später vor allem für das Fräulein Bürstner bei Franz Kafka interessiert. Er studiert in München eine Zeitlang deutsche Literatur, die Dichtung dieser „kehligen und nassen” Sprache, und das verbindet sich bei ihm automatisch mit der Sehnsucht nach einem Ausbruch aus dem „goldenen Zeitalter der amerikanischen Mittelschicht”, in die er im Mittleren Westen der USA hineingeboren worden ist. Die Alltagsprüderie in einem idealtypischen Provinzort wie Webster Groves bei St. Louis und krudeste sexuelle Phantasien schaukeln sich gegenseitig hoch. In der Nahperspektive seiner Familie erkennt der Leser die Grundlagen für einige Szenen in den „Korrekturen”. Doch die „Unruhezone”, diese „Geschichte von mir”, geht weit darüber hinaus. Franzen sucht hier, ohne eine ästhetische Konstruktion dazwischenzuschieben, nach den eigenen Wurzeln. Und er tut das so schonungslos, dass die Geschichte hinterrücks doch wieder literarische und stilisierte Züge bekommt.
Zu Beginn des Buches verkauft Franzen das Haus, in dem zum Schluss seine Mutter lange allein gewohnt hat, und er beschreibt detailversessen ihre Hinterlassenschaften, die Fotos, den Inhalt der Tiefkühltruhe, die Farbe der Sessel, Teppiche und Decken, in der die widersprüchlichen Farben der Kindheit aufscheinen. Das wirkt zunächst wie eine Einführung in eine Art Hyperrealismus, doch aus der Milieustudie der wohlhabenden Mittelschicht ergibt sich, wie als logische Konsequenz, eine ungestüme Abrechnung mit den USA unter George Bush. Literarische Feldstudien und politische Polemik gehen dabei unmittelbar ineinander über. Und der sarkastische Ton, mit dem er sein familiäres Umfeld schildert, hat nichts Versöhnlerisches, hat nichts von jener Koketterie mit einem Hollywood-Finale, wie sie in seinen Romanen immer wie ein großes Ausrufezeichen am Schluss stand.
Die Szenen aus der amerikanischen Provinz, die überschaubaren Sozialisationsmodelle mit Reihenhaus, Religionsgemeinschaft und einer ungeheuren sexuellen Aufladung, kennen wir aus etlichen Romanen, Franzen schöpft aus dem durchschnittlichen Erlebnisfundus des akademisch gebildeten US-Bürgertums. Bei anderen Autoren wie John Updike hat das oft, trotz noch so ausgesuchtester Desillusionierungen, etwas Saturiertes. Das fehlt bei Franzen völlig. Er zieht das feste Fundament, auf dem er zu stehen scheint, ständig in Zweifel. Und es ist trotz aller komödiantischen Beiklänge nicht lustig, wenn sich Vater und Mutter permanent über die Einstellung der Klimaanlage streiten – der Vater will sie in der „Komfortzone” haben, die Mutter möchte jedoch immer frische Luft. Für Franzen erwächst daraus das Bedeutungsspiel seines Titels: Im Original heißt das Buch „The Discomfort Zone”. Der umsichtige Übersetzer Eike Schönfeld hat mit „Die Unruhezone” eine elegante Lösung für den deutschen Titel gefunden – Franzens Mutter möchte ihr Haus in einem großangelegten Akt der Verdrängung als „Ruhezone” verstanden wissen. Und das Wort „Unruhe” fällt auch einmal, und zwar an der zentralen Stelle mit der neunzehnjährigen österreichischen Sexbombe: „Meine Unruhe war so total, dass ich mich nicht einmal eine Minute konzentrieren konnte.”
Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern es pickt aus den Erinnerungen des Autors einige Schlüsselmomente heraus: die Clique in der Schule, die Freizeitwochenenden in der protestantischen „Gemeinschaft”, das College. Die Geschichte der kirchlichen Jugendgruppe etwa ist eine aparte Gesellschaftsanalyse im Kleinen: von Happenings in der Flower-Power-Zeit, inszeniert von einem charismatisch bärtigen Prediger-Hippie, geht es unmerklich über in eine gut geölte christliche Maschinerie. Ein Kabinettstückchen ist Franzens Hommage an Charles M. Schulz, den Schöpfer der legendären Comicserie „Peanuts”: Hier nimmt der traditionelle Bildungsroman die Formen der Pop-Sozialisation an. Franzens Charakterisierungen von Charlie Brown, Schroeder, Lucy, Linus oder Snoopy sind glanzvolle kleine analytische Essays, die in künstlerische Selbstreflexion übergehen: „Ich habe mein halbes Leben lang gebraucht, bis ich in meinen Eltern Comics sehen konnte. Und wenn ich selbst noch vollständiger zum Comic würde: Was wäre das erst für ein Sieg.”
Der Spielverderber Kafka
Diesen Sieg lernt Franzen bei Franz Kafka. Als er sich bei seinem Münchener Studienaufenthalt mit dieser Ikone der fremden, europäischen Literatur beschäftigt, ärgert ihn Kafkas Weigerung, „realistischer” zu sein: „Irgendwie kam er mir wie ein Spielverderber vor.” Rilkes „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge” gefällt ihm da schon besser, weil das Buch den „Bogen eines Bildungsromans" hat und „optimistisch” endet. Das klingt wie ein Programm für Jonathan Franzens eigene Romane. Jetzt aber, in seinem neuesten Buch, schmuggelt Franzen in den Rückblick auf seine deutschen Literaturstudien eine scharfe Selbstbefragung ein.
Sie mündet in eine harsche Ablehnung Thomas Manns, des allgemeinen Vorbilds für ästhetisch abgerundete Problemlösungen, für den gebildeten psychologischen Roman: der „Zauberberg” künde von der „tödlichen Frostigkeit formaler Perfektion”. Mit der „Unruhezone” will sich Jonathan Franzen von der formalen Perfektion seiner eigenen Romane lösen und sich dem Offenen stellen, dem Abgrund, der sich in der eigenen Biographie auftut.
Die Suchbewegungen der frühen Jahre führen endlich zum ersten Geschlechtsverkehr, worauf er sich im letzten, in der Gegenwart angesiedelten Kapitel „mit Vögeln” beschäftigt – eine Pointe, die es so nur im Deutschen gibt, die aber im amerikanischen Original durchaus angelegt ist. Jonathan Franzen spürt in Texas den seltensten Vögeln nach und macht auf eine wundersam poetische Weise deutlich, dass ihn die Umweltproblematik politisch heute am meisten beschäftigt – mit der „Mutter Natur” schließt sich auch vieldeutig der Kreis zum Beginn, in dem er sich in seinem prekären Verhältnis zur Mutter definiert.
„Die Unruhezone” ist ein Zwischentext, das Dokument eines Neuansatzes. Franzen steht Kafka inzwischen näher als manch Gleichaltriger im alten Europa. Was daraus folgt, ist nicht ganz klar. Aber es ist nicht wieder gutzumachen. HELMUT BÖTTIGER
JONATHAN FRANZEN: Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag, Reinbek. 256 Seiten. 19,90 Euro.
Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen, 1959 in Western Springs im Staat Illinois geboren, wuchs in einer Vorstadt von St. Louis auf. Er hat Suburbia stets im Blick. Fotos: Avenue Images (oben), Anne Schoenharting/Ostkreuz (unten).
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Seht die Vögel unter dem Himmel
Kontrollierte Selbstentblößung: Jonathan Franzen erzählt / Von Felicitas von Lovenberg

Autobiographien rücken einem bisweilen so unangenehm nahe wie der Duft eines aufdringlichen Parfums, dem man im Aufzug nicht entgehen kann und das an einem zu haften scheint. Andere halten trotz einer gewissen Offenheit so viel Distanz, dass die Neugier auf den Verfasser noch gesteigert wird. Bei Jonathan Franzen muss der Leser keines dieser Extreme fürchten. Dieser Schriftsteller zeigt vielleicht ab und an seinen Bauchnabel, aber er zieht sich nicht aus - man würde sich auch nicht wünschen, dass er es täte.

Franzens neues Werk kann man, wie jedes gute Buch, auf verschiedenen Ebenen lesen. Die einen werden es als exhibitionistisch-narzisstisch gestimmte Auskunftsfibel nehmen, als Flaschenpost aus dem Universum eines Schriftstellers, der angesichts weltweiten Ruhms um nahe und ferne Adressaten nicht bangen muss. Andere werden sich mit literaturdetektivischem Interesse auf Franzens Erinnerungen und frühes Leid stürzen, mal deutlichere, mal verstecktere Parallelen zwischen den familiären Erfahrungen des Autors und seinen Romanfiguren suchen und finden. Wieder andere werden das Porträt einer amerikanischen Jugend zwischen Kirchengemeinde und Comiclektüre als soziologischen Befund einer typischen Kleinstadt-Kindheit der behüteten Mittelklasse empfinden. Franzen wahrt die prekäre Balance zwischen dem kindlichen Bedürfnis nach Anpassung und Akzeptanz und der gleichzeitigen Sehnsucht danach, ganz anders zu sein als andere Gleichaltrige, unter seinesgleichen nicht aufzufallen und dennoch als einzigartig wahrgenommen zu werden.

"Die Unruhezone" erzählt, wie der Untertitel es will, eine persönliche Geschichte, "eine Geschichte von mir". Schon der unbestimmte Artikel verrät, dass es sich nur um einen Teil vom Franzenkuchen handelt. Sie erzählt von einem, der auszog, Sinn zu suchen - und ihn in den unwahrscheinlichsten Situationen und Personen fand: etwa im Tragiker Charlie Brown aus den "Peanuts", der nie eine Valentinskarte bekommt. Es ist tröstlich, selbst doch eher Snoopy zu gleichen, diesem "proteischen Schwindler, dessen Unabhängigkeit auf seiner Überzeugung beruht, dass er im Grunde seines Herzens sympathisch ist, der Verwandlungskünstler, der aus reinem Spaß an der Freud zum Hubschrauber, Hockeyspieler oder Oberbeagle werden kann und dann wieder, blitzartig und noch bevor seine Virtuosität Gefahr läuft, einen einzuschüchtern, zum eifrigen kleinen Hund, der einfach sein Fressen will."

Die angelsächsische Angewohnheit, eigene Misserfolge, Peinlichkeiten und Albernheiten zur großen und keinesfalls hämischen Freude des Publikums einzugestehen, ist ein schillerndes Stilmittel. Seine Wirkung beruht auf der bereits im Schulalter erlernten Maxime, dass die Leute sowieso nur dem Anerkannten, dem Coolen zuhören. Wer diesen Beliebtheitsstatus einmal erreicht hat, der darf sich ab sofort produzieren, sich zum Kasper, zum Depp oder zum Pechvogel machen - denn solche Sperenzchen sind lediglich Ausweis der überlegenen Position desjenigen, der sie vollführt. Insofern ist ein Moment wie der, als der kleine Jonathan im Überschwang einer Clownerei zwei Mädchen erst mit seinen Faxen zum Lachen, dann zum erschreckten Kreischen bringt, als er nämlich seine Hose mitsamt der Unterhose herunterzieht, glänzende Literatur - aber kein Grund, sich vor Scham oder Mitgefühl mit dem düpierten Helden zu winden.

Jonathan Franzen mag sich so gekonnt wie gezielt zum Narren machen, niemals aber rutscht ihm etwas heraus, entfahren ihm ungeplante Bekenntnisse, gar Entgleisungen. Darum entfalten seine kontrollierten Enthüllungen ihren Reiz vor allem im Kopf, nicht im Herzen des Lesers. Das gilt selbst für die intimsten Momente des Buches wie die Schilderungen seiner Eltern, zum Großteil Erinnerungen an das Gefühl der Peinlichkeit, das sie im Halbstarkenalter in ihm weckten. Die Distanz wird zwar später abgelöst von unverhohlenem Respekt vor der Mutter, die sich nach der Demenz und dem Tod des Vaters zu voller Größe aufrichtet, aber selbst Liebe und Trauen lösen sie nicht auf.

Wie Franzen seine Themen sortiert und variiert, wie er von seiner Kindheit immer wieder in die Gegenwart zurückschwingt, vom Besonderen ins Allgemeine pendelt und umgekehrt, das hat die schwerelose Eleganz eines Vogels, der die Aufwinde nützt, um sich von den Lüften tragen zu lassen. "Mein Vogelproblem" ist denn auch das letzte der sechs Kapitel überschrieben, und es erzählt, wie Franzen nach dem Tod seiner Mutter im Sommer 1999 zum unverhofften Ornithologen wurde. Außerdem handelt es von seiner gescheiterten ersten Ehe und von Al Gores Einfluss auf das Umweltbewusstsein des Autors. Vor allem aber enthält es eine anrührende Liebeserklärung an seine Lebenspartnerin, die Schriftstellerin Kathryn Chetkovich, hier stets nur "die Kalifornierin" genannt. Einzig im Zusammensein mit ihr und beim Beobachten von Vögeln scheint der Schriftsteller Frieden zu finden - und nicht etwa beim Schreiben oder Lesen von Literatur, die überhaupt eine erstaunlich geringe Rolle zu spielen scheint.

Allerdings macht sich bei Franzens Vogelproblem auch der beunruhigende, für säugetieraffine Menschen geradezu befremdliche Hang der Ornithologen zur Statistik bemerkbar. Kein Hundefreund oder Katzenliebhaber käme je auf die Idee, sämtliche Rassen und Arten, die ihm je untergekommen sind, zu zählen oder gar Buch darüber zu führen. Für Vogelfanatiker gehört das Zählen und Vergleichen hingegen wesentlich dazu. Dahinter steckt erneut das Bedürfnis, sich vom Rest der Welt abzusetzen - wie sich zeigt, als Franzen einmal Vögel in der luxuriösen Einsamkeit einer Privatranch beobachtet: "Fern von picknickenden Menschen und den Busladungen von Schulkindern! Fern von den Bikern, den Offroadern, den Hundebesitzern, den Pärchen, den Müll-Entsorgern, dem Partyvolk, den Massen, denen Vögel gleichgültig sind!" Und hier, in diesem Kapitel, das von den Dingen handelt, die Franzen wichtig sind, ahnt man, worin der eigentliche Sinn bestehen könnte: in der Fähigkeit zu lieben. Braucht das Kind die Zuneigung und Akzeptanz anderer, ganz so wie der Schriftsteller später süchtig ist nach seinem Publikum, zeichnet den privaten Menschen doch die Fähigkeit aus, sich anderen liebend zuzuwenden.

Die Distanz zwischen Buch und Leser bleibt dennoch gewahrt. Wir erfahren über Jonathan Franzen nur, was Jonathan Franzen uns sehen lassen will. Was diese persönlich-unpersönliche Geschichte ausmacht, ist die Freiheit, in der sie verfasst wurde. Es gehört innere Freiheit dazu, so über sich - und dann wieder nicht über sich - zu schreiben, wie Jonathan Franzen es hier tut. Wer je das Vergnügen hatte, diesen Schriftstellerstar vor Publikum zu erleben, weiß, wie sehr er im Mittelpunkt in seinem Element ist. Auch in diesem Buch ist er ganz bei sich, in mehrfacher Hinsicht. Wir erleben einen Autor, hin- und hergerissen zwischen dem Optimisten in sich, der glaubt, dass er in der besten aller möglichen Welten lebt, und dem pessimistischen Zwilling, der fürchtet, dass das tatsächlich der Fall sein könnte. Snoopys bester Freund ist ja übrigens auch - ein Vogel.

Jonathan Franzen: "Die Unruhezone". Eine Geschichte von mir. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 254 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Den großen Wurf hat Jonathan Franzen mit seinem autobiografischen Roman zum Bedauern von Rezensentin Ursula März diesmal nicht getan. Doch das Potenzial dazu hätten Stoff und Herangehensweise aus ihrer Sicht gehabt. Denn der Reiz dieser autobiografischen Betrachtungen besteht für sie gerade in der Normalität, im Unspektakulären und Durchschnittlichen, das den Helden auszeichnet, dessen größtes Jugendunglück in der Tatsache besteht, dass seine Mutter ihn nicht in Jeans zur Schule gehen lässt. Aber auch spätere Lebensdramen und Alltäglichkeiten dieses "streberhaft Verquälten" besitzen der Beschreibung der Rezensentin zufolge nichts Herausragendes und zeichnen sich für sie lediglich durch den Beigeschmack eines "klammen Unbehagens" am Dasein aus. Doch gerade das macht das Buch für die Rezensentin spannend, denn leicht lässt sich für sie aus der "Gemengelage mittleren Unwohlseins" das Figurenensemble der "Corrections" hochrechnen, das für März aus "abscheulichen Charakteren" und monströsen Plagegeistern" besteht, die in diesem Klima der "Unruhezone" am besten gedeihen. Doch leider male Franzen sein Szenario zu erläuternd aus und nehme seinen Allerweltsgeschichten so ihren Charme, da er sie auf epischen Weg doch zu einer gewissen Bedeutsamkeit aufzublasen versuche.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wer mit Franzen über Franzen lacht, kann gar nicht anders: Immer lacht er auch über sich selbst. Die Welt