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Donald Antrim ist der große Unbekannte der zeitgenössischen US-Literatur: Autoren wie Jonathan Franzen, Thomas Pynchon, Richard Ford und Jeffrey Eugenides verehren sein schmales, geheimnisvoll funkelndes Werk - allem voran seine jüngsten, sämtlich im renommierten «New Yorker» vorab publizierten Storys.
Da kauft ein untreuer Mann seiner Frau einen Blumenstrauß für 350 Dollar, während sie mit seinem besten Freund, der ihr Geliebter ist, und dessen Frau, die seine Exgeliebte ist, in einem Lokal auf ihn wartet («Noch ein Manhattan»). Eine Schulinszenierung von Shakespeares
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Produktbeschreibung
Donald Antrim ist der große Unbekannte der zeitgenössischen US-Literatur: Autoren wie Jonathan Franzen, Thomas Pynchon, Richard Ford und Jeffrey Eugenides verehren sein schmales, geheimnisvoll funkelndes Werk - allem voran seine jüngsten, sämtlich im renommierten «New Yorker» vorab publizierten Storys.

Da kauft ein untreuer Mann seiner Frau einen Blumenstrauß für 350 Dollar, während sie mit seinem besten Freund, der ihr Geliebter ist, und dessen Frau, die seine Exgeliebte ist, in einem Lokal auf ihn wartet («Noch ein Manhattan»). Eine Schulinszenierung von Shakespeares «Mittsommernachtstraum», getragen vom anarchischen Furor der Texte, von zu viel Dope und pubertärer Lust, endet in einer Orgie («Ein Schauspieler bereitet sich vor»). Und in der Titelstory fährt ein trauriger Kunstlehrer in die Berge, um dort die Gemälde seiner Exfreundin zu entsorgen. Die Menschen in Antrims Erzählungen sind ständig mit ihrem unkooperativen Ich konfrontiert, größenwahnsinnig, verzweifelt. Aber sie sind lebenshungrig. Sie lieben und
wollen geliebt werden.

Antrim ist ein Erforscher psychologischer Grenzbereiche, der stets das Komische, Groteske im hartnäckig tragischen Alltag findet. Seine Storys sind kunstvoll komponierte, atemberaubend elegante Meisterwerke, voller Mitgefühl und Zartheit.

Autorenporträt
Donald Antrim, geboren 1958, lebt in Brooklyn und stand auf der allerersten New Yorker-Liste der «20 under 40». Die seit Studienzeiten eng mit ihm befreundeten Schriftsteller Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides halten ihn für «das eigentliche Genie». Mit dem Roman «Die hundert Brüder» war er Finalist des PEN/Faulkner Awards, 2013 wurde er mit dem MacArthur Genius Grant ausgezeichnet. Er lehrt Literatur an der Columbia University. Weitere Veröffentlichungen: «Mutter. Kein Roman»; «Der Wahrheitsfinder»; «Wählen Sie Mr. Robinson für eine bessere Welt»; «Das smaragdene Licht in der Luft».

Nikolaus Stingl, geb. 1952 in Baden-Baden, übersetzte unter anderem William Gaddis, William Gass, Graham Greene, Cormac McCarthy und Thomas Pynchon. Er wurde mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis, dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Paul- Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Friedhelm Rathjen findet Donald Antrims Prosa etwas zu unbeteiligt. An die gescheiterten und immer wieder scheiternden Existenzen, Professoren, Anwälte, Eheleute, die der Autor in seinen Stories vorführt, kommt Rathjen jedenfalls nicht heran. Gut möglich, dass da gar nichts ist, kein Rätsel, keine Mitte, kein Kern, meint Rathjen. Das Gefühl einer großen Leere transportieren die Texte für ihn, nüchtern und unaufdringlich und manchmal komisch. Hohe Erzählkunst von fern, etwas leidenschaftslos, findet er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015

Unser schönes, schutzloses Leben

Komisch, schräg und schrecklich verzweifelt: Donalds Antrims neuer Erzählungsband handelt von der Verwundbarkeit der menschlichen Seele.

Von Hubert Spiegel

Die Woodberry Forest School wurde 1889 von einem ehemaligen Offizier der Armee der Südstaaten in Madison County, Virginia, gegründet. Unter ihren als bemerkenswert geltenden Absolventen, die der Wikipedia-Eintrag der Privatschule heute verzeichnet, finden sich Politiker, Sportler, Unternehmer und ein Filmkritiker der "New York Times", insgesamt etwa vierzig Persönlichkeiten, von denen sich sagen ließe, sie hätten es auf die eine oder andere Weise zu etwas gebracht. Donald Antrims Name fehlt auf dieser Liste. Er ist der Schriftsteller, von dem Jonathan Franzen gesagt hat, er sei "anders als alle anderen heutigen Schriftsteller. Aber wie keiner von uns spricht er über uns alle".

Antrim kam 1975 als Schüler an die Woodberry Forest School. Im Mai dieses Jahres ist er für einen Tag dorthin zurückgekehrt. Nach vierzig Jahren hatte man den Autor, der nach seinen ersten Veröffentlichungen als Jungstar und eines der größten Talente seiner Generation galt, eingeladen, die Rede auf der jährlichen Abschlussfeier zu halten und den jungen Männern - Woodberry ist ein Internat ausschließlich für Jungen - einige Lebensweisheiten mit auf den Weg zu geben. Man kennt die Szenerie aus Hollywoodfilmen: Gereift und verantwortungsbewusst kehrt der Held an die Stätte seiner Jugend samt ihren Sünden zurück und hält eine Rede, die so lebensklug, integer, idealistisch, witzig, berührend, mutmachend und mitreißend ist, dass es mit dem Teufel zugehen müsste, wenn nicht jeder, der sie gehört hat, die Aula mit dem festen Vorsatz verlassen würde, den Rest seines Lebens als guter Amerikaner zu verbringen. Nur eines bleibt offen: Was bedeutet es heute, ein guter Amerikaner zu sein? Antrim stellte die Frage jedoch anders: Wie zum Teufel soll man es schaffen, auch nur ein halbwegs normales Leben zu führen?

Die Ansprache des Schriftstellers begann mit der Beschreibung eines Traums, den jedermann kennt: Es ist der Albtraum des Schauspielers, der nackt auf einer grell ausgeleuchteten Bühne steht, seinen Text vergessen hat und nicht weiß, welche Rolle er verkörpern soll. Was ist zu tun? Worum geht es? Was wird hier gespielt? Das sind die Fragen, die sich Antrims Figuren auch in wachem Zustand, in ihrem alltäglichen Leben stellen: völlig verpeilte weiße Männer verschiedenen Alters, die den "American dream", das Versprechen von Freiheit, Chancengleichheit und Selbstverwirklichung für alle, als Albtraum erfahren, weil sie von dem, was ein Selbst ausmacht, bis auf einige Splitter alles verloren haben. Sie sind wie groß gewordene Kinder, die beim Aufräumen unter ihrem Bett auf ein paar alte Puzzleteile stoßen, aber nur sehr vage Vorstellungen davon besitzen, zu welchem Bild sie einmal gehört haben könnten. Antrim veröffentlichte seinen Vortrag im "New Yorker" unter dem mehrdeutigen Titel "The Unprotected Life": das ungeschützte, das schutzlose, das verletzliche Leben. Er hätte den Absolventen der Woodberry Forest School genauso gut eine seiner neuen Erzählungen vorlesen können.

Ein Professor probt mit seinen Studierenden Shakespeares "Sommernachtstraum", und die Aufführung auf der Freilichtbühne endet in einem Desaster aus Regen, Schlamm, Drogen und Sex ("Ein Schauspieler bereitet sich vor"). Ein junges Paar trifft sich an den Wochenenden in den Wohnungen seiner verreisten Freunde und Bekannten, um zu trinken, miteinander ins Bett zu gehen und sich darüber hinwegzutäuschen, dass sie beide kein Leben haben, das sie mit dem anderen teilen könnten ("Trost"). Ein Mann, der gern ein Dichter wäre, erkennt in einem Straßenmusikanten in der U-Bahnstation den Vater seines Stiefsohns, mit dem er gerade einen Ausflug machen will, und strandet mit ihm und dem Jungen in einer Bar ("Teich mit Schlamm"). Ein alter, arbeitsunfähiger Schauspieler macht mit seiner jüngeren Lebensgefährtin einen Einkaufsbummel und landet im Halloween-Getümmel, in dem er als Einziger kein Kostüm trägt und sich deshalb kostümiert fühlt ("Er wusste es"). Ein Mann will für seine Frau, von der er weiß, dass sie ihn mit dem Mann ihrer Freundin, mit der er selbst eine Affäre hatte, betrügt, einen Blumenstrauß kaufen und hat im Blumenladen einen psychischen Zusammenbruch ("Noch einen Manhattan").

Donald Antrim erzählt von Menschen, die auf dünnem Eis unterwegs sind, denen jederzeit der Boden unter den Füßen wegbrechen kann und die einen großen Teil ihrer Zeit unfähig sind, ihren Alltag zu überstehen, geschweige denn zu gestalten. Sie fallen aus ihrer Identität wie ein Schauspieler aus seiner Rolle. Sie sind hochnotkomisch, und Antrims Meisterschaft zeigt sich nicht zuletzt in der komödiantischen Zuspitzung der Schwierigkeiten, in die er seine taumelnden Figuren geraten lässt. Sie sind verzweifelt und lächerlich, und sie wissen es. Deshalb betäuben und stabilisieren sie sich notdürftig mit Alkohol, Drogen und Medikamenten. Wenn man Antrims neuen Erzählungsband "Das smaragdene Licht in der Luft" ans Ohr hielte und wie eine Rumbakugel schütteln würde, müsste er eigentlich klingen wie ein halbleeres Tablettenröhrchen: Psychopharmaka geben hier den Takt vor.

Es ist ein unregelmäßiger Takt, denn die psychischen Krisen und Zusammenbrüche kommen und gehen, wie sie wollen. Mal gibt es erste Anzeichen, beunruhigende Krisensymptome, mal läuten die Alarmglocken schrill und unüberhörbar, weshalb die Figuren sich unablässig in der trügerischen Kunst der Selbstbeobachtung üben. Sie sind auf der Hut vor sich selbst, vor jenem Teil ihrer Persönlichkeit, der sich ihrer Kontrolle entzieht. Sie sehnen sich nach Verständnis, Strafe, Erlösung. Ständig fallen sie sich selbst ins Wort, weisen sich zurecht, fällen Urteile, bevor andere es tun. Sie wissen, dass es Regeln gibt, deren Nichtbeachtung schwere Konsequenzen nach sich zieht: "Es ist nicht der Stromschlag. Es ist der vom Stromschlag ausgelöste epileptische Anfall. Atropin wird zugeführt, damit das Herz weiterarbeitet. Es folgt das Narkosemittel, und danach Succinylcholin, das die Muskeln entspannt. Lebenserhaltende Maßnahmen sind erforderlich. Eine stramm aufgepumpte Blutdruckmanschette um einen Knöchel sorgt dafür, dass kein Succinylcholin in den Fuß gelangt, an dem sich der Krampf , wenn der Stromschlag verabreicht wird, als Zuckung der Zehen beobachten lässt. Kopf und Herz sind verkabelt . . . Das Narkosemittel wird zugeführt, Schwärze tritt ein, und dann plötzlich, als wäre nichts geschehen, fragt die Stimme der Schwester: ,Können Sie mir sagen, wo Sie sind?'"

Nicht die Sucht ist Antrims Thema, auch wenn Scotch, Wodka, Valium, Joints, muskelentspannende Medikamente und Antidepressiva aller Art durch die Erzählungen rauschen wie ein sanfter, niemals endender, alle Sinne lähmender Landregen durch einen Film von Angelopoulos. Die Sucht ist nicht Ursache, sondern Folgeerscheinung einer psychischen Dysfunktionalität, nach deren Wurzeln nicht gefragt wird. Antrim beschreibt Bewusstseinszustände und deren Auswirkungen: Man lebt in dem Wissen, dass man nicht mehr weiß, wie das geht - ein Leben zu führen. Es gibt keinen gesellschaftlichen oder politischen Kontext, den man verantwortlich machen könnte. Es gibt nur Krise und Krankheit, misslingende Beziehungen, berufliches Scheitern, traumatische Trennungen, oberflächliche Hoffnungen, tiefsitzendes Misstrauen, nicht zuletzt gegen sich selbst: "Das Problem war sein Denkvorgang: Das Lithium, das er in geringer Dosierung nahm, sorgte für ein langsameres Tempo der Wirklichkeit. Entweder das Lithium oder der Cocktail aus Antidepressiva oder das Zusammenwirken beider. Manchmal, wenn er sprach, kam es ihm vor, als wehte so etwas wie ein geistiger Wind seine Gedanken zu ihm zurück und zwänge ihn, unsicher seine Syntax zu ordnen, während er Worte hervorstieß."

Vor zehn Jahren beendete Antrim die Arbeit an einem Roman über seine Mutter, die Alkoholikerin war. Anschließend verfiel er in eine schwere Depression, war suizidgefährdet und musste eingewiesen werden. Als das Buch erschien, lag er in einer Klinik und war unfähig, die Rezensionen zu lesen, denn die Worte vor seinen Augen hatten aufgehört, einen Sinn zu ergeben: "Mein Nervensystem lag im Sterben." Die Geschichte vom schutzlosen Leben, die Donald Antrim in seiner alten Schule erzählte, war seine eigene. Doch seine neuen Erzählungen sind keine Berichte über die Krankheit ihres Verfassers. Sie handeln wie alle großen Werke der Literatur von der Verwundbarkeit der menschlichen Seele.

Donald Antrim: "Das smaragdene Licht in der Luft". Storys.

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015. 224 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2015

Splitterbomben in Kapuzinerkresse
Depressiv und durchgedreht: Donald Antrim zeichnet in seinen Romanen und dem Erzählungsband
„Das smaragdene Licht in der Luft“ ein verstörendes Porträt der amerikanischen Gesellschaft
VON TOBIAS LEHMKUHL
Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen haben hymnische Essays über Donald Antrims Bücher geschrieben, und so hat sich nun auch der Franzen- und Eugenides-Verlag Rowohlt dieses 1958 geborenen, hierzulande wenig bekannten Autors angenommen: Mit „Der Wahrheitsfinder“ und „Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt“ wurden zwei seiner ursprünglich in anderen Verlagen auf Deutsch erschienenen Romane soeben als Taschenbuch wieder aufgelegt, und als Hardcover liegt nun auch Antrims Erzählungsband „Das smaragdene Licht in der Luft“ vor.
  Sieben Geschichten enthält dieser Band, fast alle spielen in New York, und es fällt schwer, eine davon als beispielhaft auszuwählen. Denn obwohl die Figuren sich sämtlich ähneln – nervöse, pillenschluckende, psychiatrieerfahrene Männer sind es vor allem – steht doch jede Erzählung für sich, ist jede einzelne ein meisterhaftes Beispiel ihres Genres: Da ist das Paar, das sich mit Pillen und schönen Worten an der Illusion eines glücklichen Lebens festkrallt, der Mann, der auf jeder Party zwanghaft seine Ex-Frau zitiert, der Möchtegern-Schriftsteller, der obsessiv jeden Gedanken und jede Beobachtung notieren muss und darüber sein Leben aus dem Blick verliert.
  Oder, in der Titelgeschichte, Billy French, der bei allen Schicksalsschlägen versucht, tapfer weiterzumachen: „In weniger als einem Jahr hatte er seine Mutter, seinen Vater und die Liebe seines Lebens verloren, als die er Julia empfunden hatte und zuweilen immer noch empfand; und im Laufe dieses Jahres oder vielmehr im Zuge seiner suizidalen Nachwirkungen hatte er sich zweimal in die psychiatrische Station der Universitätsklinik aufnehmen lassen, wo er bei beiden Aufenthalten an drei Vormittagen die Woche auf einen Operationstisch geklettert war und weinend die Decke angestarrt hatte, während Ärzte den Impuls eingestellt und ihm Elektroden an die Stirn geklebt hatten.“
  Jede dieser Erzählungen greift nur eine Szene aus dem Leben ihrer jeweiligen Hauptfigur auf, oft sind es nur wenige Minuten, die wir Billy, Jonathan, Claire oder Alice begleiten, und doch werden sie in diesen kurzen Ausschnitten fasslich, faltet sich ihr Schicksal vor uns auf. Dabei erscheinen sie nie allein als pathologische Fälle. Die Abweichung im psychologischen Apparat fasst Donald Antrim vielmehr als Teil ihrer selbst auf, für ihn ist Depression keine Krankheit, die sich heilen lässt wie ein gebrochener Arm. Krankhaft oder zumindest zwanghaft erscheint vielmehr der Versuch der Gesellschaft, diese Abweichungen einzuordnen und auszumerzen.
  Beispielhaft ist ein Gespräch zwischen zwei Psychologen im Roman „Der Wahrheitsfinder“: „Manisch? – Möglicherweise hat er manische Tendenzen, ja. – Schizoid?, fragte der Auszubildende der Kinderpsychologie aufgeregt. – Das ist gut möglich. – Paranoid? – Paranoid, oh ja, ohne Zweifel, sagte Konwicki. – Winnicott’sches falsches Ich? Wahnhafte Macht- und Allwissenheitsphantasien? Sexuelle Devianzen?, rief Bob wie ein Wahnsinniger. – Ich würde nichts ausschließen, Bob. – Phantastisch!“
  Hier wird klar, dass es in Donald Antrims Erzählungen und Romanen nicht um gestörte Individuen, sondern um eine gestörte Gesellschaft geht. Die stärksten Bilder dafür findet er in dem Roman „Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt“. Folgt er in „Das smaragdene Licht in der Luft“ ganz einer realistischen Erzählweise, finden hier einige fantastische Verschiebungen statt: Der Bürgermeister einer Kleinstadt schießt mit Stingerraketen auf seine Mitbürger, die vierteilen ihn daraufhin und beginnen, um ihre Häuser Gräben auszuheben, die mit den absurdesten Sicherheitsvorkehrungen versehen sind, auch wenn Haustiere und Nachbarskinder dadurch gefährdet werden.
  Wer etwa auf einer Gemeindeversammlung dagegen Einspruch erhebt, wird schnell niedergemacht: „Liebe Freunde, heute Abend ist der kleine Jeff mit dem Babysitter zu Hause, und lasst es mich euch sagen: Mir ist eine ganze Menge wohler bei dem Gedanken, dass da ein System vernetzter und elektronisch zündbarer Splitterbomben scharfgemacht und entsichert in der Kapuzinerkresse vor seinem Fenster liegt.“ Hauptfigur dieses Romans ist eben jener Mr. Robinson, ein Lehrer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jeden Körperteil des zerfetzten Bürgermeisters einzeln und begleitet von absurden Zeremonien an verschiedenen Orten zu begraben, während seine Frau sich in Trancezustände in einen Quastenflosser verwandelt.
  Eine Schule gibt es nicht mehr, denn der Staat hat diese Stadt völlig verlassen, sodass sich jeder seiner Obsession hingeben kann, seien es Waffen, isolationistische Abschottungsphantasien oder dann eben doch der Versuch, eine Privatschule zu gründen. Dass sich gerade dieses Projekt als das am Ende schrecklichste herausstellt, ist Antrims bittere Pointe. Lehren sind aus seinen Geschichten nicht zu ziehen. Die Möglichkeit einer „Gesundung“ erweist sich als Illusion. Rettung oder zumindest Trost verspricht allein der scharfe Witz, mit dem Donald Antrim von den Abgründen unserer Welt und den Untiefen eines jeden Einzelnen erzählt.
Donald Antrim: Das smaragdene Licht in der Luft. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag Reinbek 2015. 224 Seiten, 18,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
– Der Wahrheitsfinder. Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro. E-Book 10,99 Euro.
– Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt. Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro. E-Book 10,99 Euro.
Nervöse, pillenschluckende,
psychiatrieerfahrene Männer
sind Donald Antrims Helden
Ein Trend in den USA: Die Verwandlung verlassener psychiatrischer Anstalten (hier: Blick in einen Behandlungsraum) in Touristenattraktionen.
Foto: getty images
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Donald Antrim ist anders als alle anderen heutigen Schriftsteller. Aber wie keiner von uns spricht er über uns alle. Jonathan Franzen