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Auggie, der Tabakladenbesitzer und Hobbyfotograf in dem Film „Smoke“, lichtet jeden Tag um Punkt 8 Uhr seinen Laden in Brooklyn ab. Was statisch klingt, birgt jedoch die ganze Welt in sich. Ein genauer Beobachter schöpft aus dieser scheinbaren Reduziertheit die Fülle des Lebens und den Zauber der Veränderung. Paul Auster, der das Drehbuch zu „Smoke“ schrieb, ist so ein genauer Beobachter. In seinem neuen Buch „Winterjournal“ beobachtet der Beobachter nicht die Welt von einem Punkt aus, sondern sich selbst und die Welt durch sich hindurch. Die Hauptfigur heißt Paul Auster.
Auster, Jahrgang
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Produktbeschreibung
Auggie, der Tabakladenbesitzer und Hobbyfotograf in dem Film „Smoke“, lichtet jeden Tag um Punkt 8 Uhr seinen Laden in Brooklyn ab. Was statisch klingt, birgt jedoch die ganze Welt in sich. Ein genauer Beobachter schöpft aus dieser scheinbaren Reduziertheit die Fülle des Lebens und den Zauber der Veränderung. Paul Auster, der das Drehbuch zu „Smoke“ schrieb, ist so ein genauer Beobachter. In seinem neuen Buch „Winterjournal“ beobachtet der Beobachter nicht die Welt von einem Punkt aus, sondern sich selbst und die Welt durch sich hindurch. Die Hauptfigur heißt Paul Auster.

Auster, Jahrgang 1947, analysiert und philosophiert über das Schreiben und das Leben, seine Lieben und seine Wohnungen, über die er in „Winterjournal“ Buch führt. Angefangen von der ersten Herberge bei seiner Geburt, dem Beth Israel Hospital in Newark, über die Wohnung seiner Eltern (der Vater bekam den Mietvertrag, nachdem er der Vermieterin einen Fernseher geschenkt hatte) und die erste eigene Wohnung in Manhattan (Ein heruntergekommenes, schlecht konzipiertes Drecksloch […].“) bis zu dem Haus in Brooklyn, „irgendwo in Park Slope“, wo er seit langen Jahren zusammen mit seiner Frau Siri Hustvedt lebt und die gemeinsame Tochter Sophie aufwuchs … Diese Idee, anhand der Heimstätten Teile seines Lebens und der Zeitläufe zu erzählen, entfaltet dank Paul Austers Sprachgewalt wahre Magie.

Genauso wie die offen aufgeschriebenen Erinnerungen an die „phallische Besessenheit“ der Jugend. „Wie jedes andere männliche Lebewesen, das je auf Erden gewandelt ist, wurdest du zum Knecht der wundersamen Veränderung, die sich in deinem Körper vollzogen hatte. An den meisten Tagen konntest du kaum an etwas anderes denken – an manchen Tagen an gar nichts anderes.“ Trotz des flammenden Verlangens erzählt Auster, wie schüchtern und unbeholfen er anfangs war und „in einer Hölle aus Frustration und permanenter sexueller Erregung“ lebte.

Austers „Katalog von Sinnesdaten“ schließt neben den erotischen Erfüllungen oder Versagungen seine mit dem Alter zunehmende Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit mit ein; genauso seelische und körperliche Erschütterungen wie zum Beispiel die durch einen schweren Autounfall 2002, den er verursacht hat und bei dem seine Frau Siri aus dem Wrack geschnitten werden musste. Seit diesem Tag setzt er sich nicht mehr hinter das Steuer eines Wagens. Natürlich ist dieses Trauma nicht der Grund, warum Paul Auster zum leidenschaftlichen Fußgänger wurde – das Gehen ist einfach seine Natur. Das Gehen, das Beobachten und das Schreiben: „Um das zu tun, was du tust, musst du gehen. Gehen trägt dir die Worte zu, erlaubt dir den Rhythmus der Worte zu hören, während du sie in deinem Kopf schreibst. Einen Fuß nach vorn, dann den andern nach vorn, der Doppelschlag deines Herzens. Zwei Augen, zwei Ohren, zwei Arme, zwei Beine, zwei Füße." Schreiben beginnt für Paul Auster im Körper, „ist die Musik des Körpers“.

Wie viele Kilometer Paul Auster für dieses Buch durch Brooklyn gelaufen ist, wissen wir nicht – aber der Klang von „Winterjournal“, die Musik der Worte, hat uns in jedem Fall überzeugt.

Autorenporträt
Der Durchbruch als Autor gelang Paul Auster Mitte der 1980er-Jahre mit seiner "New-York-Trilogie" (1987). Zuvor hatte Auster, Jahrgang 1947, Anglistik und Literaturwissenschaft studiert, als Matrose angeheuert oder während seiner Jahre in Frankreich übersetzt. Geboren in Newark (New Jersey) als Sohn osteuropäischer Juden, die nach Amerika einwanderten, lebt er seit Langem in New York. Dort lernte er auch seine zweite Ehefrau, die Autorin Siri Hustvedt, kennen, mit der ihn mehr als 30 Jahre Ehe verbinden. Unmöglich, in einem Porträt von Auster den Namen Hustvedt nicht zu erwähnen - schließlich teilt Paul Auster selbst sein Leben in eine Zeitrechnung vor und nach Siri ein. Das Paar hat eine Tochter, Sophie, die 1987 zur Welt kam. Aus erster Ehe mit Lydia Davis stammt Sohn Daniel. In seinen verschachtelten Romanen und Kriminalromanen führt Auster die Leser in die Irre, Täter werden zu Opfern, und die Lektüre wirft einen auf die eigenen Projektionen zurück. Diese Art zu schreiben, der Roman im Roman, gilt auch als Markenzeichen Austers und begeistert seine Leser. In Deutschland und Frankreich finden sich übrigens die treuesten Anhänger des Auster-Stils - und natürlich in den USA. Der zurückhaltende Autor sagt über seine Figuren, dass sie einfach zu ihm kommen, er nie nach ihnen suchen muss. Und er schreibt all seine Werke zuerst mit der Hand, danach tippt er den Text mit seiner alten Olympia-Schreibmaschine ab. Neben seinen erfolgreichen Romanen und Essays wie "Die Erfindung der Einsamkeit" (1982), "Mond über Manhattan" (1989), "Mr. Vertigo" (1994), "Unsichtbar" (2009), "Sunset Park" (2010) oder "Winterjournal" (2012) schrieb Auster z. B. auch das Drehbuch zu den Filmen "Smoke" und "Blue in the Face", die Regisseur Wayne Wang mit Stars wie Harvey Keitel, William Hurt, Jim Jarmusch oder Madonna umsetzte. Bei dem Film "Lulu on the Bridge" führte Auster, der auch hier das Drehbuch schrieb, selbst Regie und erhielt sowohl als Drehbuchautor wie auch als Autor zahlreiche Preise.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Paul Ingendaay bekennt, nach den ersten sechs Romanen Paul Austers keine weiteren Bücher des erfolgreichen Schriftstellers gelesen zu haben. Mit seinem neuen Buch, in dem Auster von den zentralen Momenten, Stationen und Motiven seines Lebens erzählt, hat der Autor den Rezensenten als begeisterten Leser zurückgewonnen. Entwaffnend ehrlich beschreibt Auster für ihn die Empfindungen des Körpers, Liebesbeziehungen, Wohnungen, Erfahrungen von Krankheit und Tod. Dass der Leser dem Autor in "Winterjournal" sehr nahe kommt, ohne das es peinlich wird, hat Ingendaay sichtlich beeindruckt, zumal Auster auf Schriftstellerposen verzichtet und als normaler Mensch sichtbar wird.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2013

Gibt es eine Veranlagung zum Glück?

In diesen Sätzen kann man sich zu Hause fühlen: Der amerikanische Romancier Paul Auster betreibt in seinem "Winterjournal" exzessive Beobachtungen der eigenen Anfälligkeit. Dabei offenbart er einen gewissen Hang zur Hypochondrie - und eine entwaffnende Ehrlichkeit.

Einer wird sechzig, dann einundsechzig, zweiundsechzig, dreiundsechzig - und dann hat er Lust, weil er schon mehr als ein Dutzend Romane geschrieben hat, das eigene Leben zum Thema zu nehmen, aber ohne die Verkleidungskünste der Fiktion.

So ungefähr können wir uns den erfolgreichen amerikanischen Schriftsteller Paul Auster, Jahrgang 1947, um das Jahr 2011 vorstellen. Sein Leben, davon hat er oft gesprochen, diente ihm bisher als Inspiration und Ersatzteillager für seine Bücher, doch diesmal soll es etwas anderes werden: eine halb erzählerische, halb essayistische Wanderung durch prägende Momente, zufällige Umstände und Leitmotive seiner Existenz. In dem soeben erschienenen "Winterjournal" zerlegt Auster seine gelebten Jahre, wie es einem fröhlichen französischen Strukturalisten einfallen könnte.

Zunächst reist er um seinen eigenen Körper, erzählt, was ihm in mehr als einem halben Jahrhundert so alles widerfahren ist. Frühkindliche Empfindungen von Kälte und Wärme, "ein Katalog von Sinnesdaten". Die Narben, die er sich beim Spielen zugezogen hat. Dann, was ihm Freude und Euphorie bereitet: "In erster Linie sexuelle Lust", schreibt Auster, "aber auch die Lust am Essen und Trinken, der Genuss, nackt in einem warmen Bad zu liegen, sich das juckende Fell zu kratzen, zu niesen und zu furzen, eine weitere Stunde im Bett zu verbringen, an einem lauen Nachmittag im Spätfrühling oder Frühsommer dein Gesicht in die Sonne zu halten und die Wärme auf deiner Haut zu spüren."

Die Du-Anrede, in der das ganze "Winterjournal" geschrieben ist, knirscht hörbar, weil es die Mehrdeutigkeit des englischen "you", das sowohl "du" wie auch "man" heißen kann, im Deutschen nun einmal nicht gibt. Davon abgesehen, braucht Auster keine fünf Absätze, um den Leser dicht an seine Seite zu holen. Alles ist nah, fast kumpelhaft, ohne Erhabenheit und Abstraktion. Der erste richtige Kuss. Die Unfähigkeit, sich im Raum zu orientieren und Wege im Kopf zu behalten. Die Angst vor dem Schmerz. Beständig ist vor allem der frühe Entschluss, die Welt schreibend zu erleben und sich der amerikanischen Obsession durch das Materielle zu verweigern. Auster macht daraus keine Maxime, er tut es einfach. Im "Winterjournal" soll es nicht um Schriftstellerposen gehen, sondern um einen normalen Menschen, und das Einnehmende an diesem Buch ist, dass dieses Unterfangen tatsächlich gelingt. In dem Maß, in dem Paul Auster die eigene Prominenz verkleinert und beiseitelässt, wächst das Buch: Es findet alle Originalität im Gewöhnlichen.

Das Thema der sexuellen Lust wird später vertieft, furchtlos, unprüde, bis zu der Erwähnung, der junge Auster habe sich in seinen Pariser Jahren, als er keine Freundin hatte, auch Trost bei Prostituierten verschafft, immer auf der Suche nach dem Gesicht einer Frau, "deren Augen noch nicht erloschen waren". Doch der Fünfundzwanzigjährige ist kein romantischer Dummkopf, sondern ein Mann zwischen Erregung und Einsamkeit, den der Autor verständlich macht. Männer sind so, sagt die beeindruckende Schilderung der nächtlichen Gassen in seinem billigen Viertel, und manche Frauen verdienen damit ihr Geld.

Dies hätte ein hedonistisches Buch werden können, wenn der ruhelose Auster dafür gemacht wäre, aber das ist er nicht. Ein Hauch von Hypochondrie liegt über den Seiten, ein exzessives Beobachten der eigenen Anfälligkeit, dessen Ehrlichkeit entwaffnend ist. Dazu gehören auch die Schilderungen der vereinsamten Mutter (Auster erfährt erst im Alter von fünfundfünfzig Jahren, dass sie seinem Vater untreu war), der Augenblicke von Sprachlosigkeit, Verlust und Tod. Das Gegengewicht dazu bildet Austers lässiger Humor, ein fast staunendes Konstatieren von Pech und Widrigkeiten. Der schwere Autounfall, den der Schriftsteller in späteren Jahren aus Unachtsamkeit provoziert, bringt ihn dazu, sich nie wieder hinters Steuer zu setzen. Gefährlich an seinem Leben sind jetzt vor allem die Zigarillos, von denen er nicht lassen kann.

Das Herzstück des Buches, zumindest für diesen Leser, ist der Teil, in dem Auster auf fünfzig Seiten alle Wohnungen und Häuser durchgeht, in denen er jemals gewohnt hat - "einundzwanzig ständige Wohnsitze von der Geburt bis zur Gegenwart, auch wenn ständig kaum das richtige Wort zu sein scheint, wenn du bedenkst, wie oft du im Lauf deines Lebens umgezogen bist".

Das Umziehen und Sicheinrichten, die Probleme mit Lärm, Heizungen oder Nachbarn bilden die Klammer für die entscheidenden Veränderungen im Leben. Indem er vom Wohnen spricht, kann er von seiner Scheidung erzählen, seinem jüdischen Selbstverständnis (das so schwach entwickelt ist, dass Auster im Ausland vermutlich nicht einmal als jüdischer Schriftsteller wahrgenommen wird) und schließlich auch von der Frau seines Lebens, mit der er seit mehr als dreißig Jahren verheiratet ist: Siri Hustvedt, ebenfalls Schriftstellerin und ebenfalls erfolgreich.

"Eure politischen Ansichten waren identisch", schreibt er mit der typischen Mischung aus Demut und Dankbarkeit, wenn er von Siri spricht, "die Bücher, an denen euch etwas lag, waren größtenteils identisch, und ihr hattet ähnliche Erwartungen an das, was das Leben euch geben sollte: Liebe, Arbeit und Kinder - Geld und Besitz erst weit unten auf der Liste." Natürlich hilft es, wenn sich die eigene Vita im mehrfachen Sinn dem Muster romantischer Erfüllung fügt: das richtige Mädchen erobert, zum berühmten Schriftsteller geworden, eine bildschöne und begabte Tochter gezeugt. Aber es muss so etwas wie Veranlagung geben, eine Fähigkeit, das Glück zu suchen und keine Kompromisse an der falschen Stelle zu machen. "Winterjournal" verschweigt allenfalls den Werdegang von Daniel, dem Kind aus erster Ehe. Nach Internetquellen soll Paul Austers 1977 geborener Sohn wegen eines Diebstahldelikts zu einer fünfjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden sein. Doch über ihn erfährt man vom Vater nichts.

Eine persönliche Anmerkung. Nach den ersten sechs Auster-Romanen habe ich Mitte der neunziger Jahre aufgehört, Paul Auster zu lesen. Schuld war der verplauderte Roman "Mr. Vertigo". Manchmal trifft man als Leser solche Entscheidungen und nimmt in Kauf, dass sie ungerecht sein könnten. Ich dachte, es sei genug. Doch dieses siebte Auster-Buch der autobiographischen Etüden hat wieder Spaß gemacht. Ich weiß nicht, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, dass ich mich gleich wieder in seinen Sätzen zu Hause fühlte, die der tapfere Werner Schmitz schon seit mehr als zwei Jahrzehnten, Buch auf Buch, mit Können und Inspiration übersetzt.

Irgendwann tauchte in meiner Erinnerung auch wieder der Mann von Mitte vierzig auf, der Paul Auster bei seinem mutmaßlich ersten Frankfurter Buchmessenbesuch war - groß, dunkelhaarig, von blendendem Aussehen, mit Jeans und schwarzer Lederjacke, ein höflicher, neugieriger Gesprächspartner, der Camel rauchte und mit einigem Amüsement zur Kenntnis nahm, dass Oliver Sacks von dem Café aus, in dem wir saßen, in den Garten floh, um dort bei ziemlicher Kälte, aber annehmbarer Atemluft Hof zu halten. Paul Auster blieb lieber drinnen und rauchte seine Zigaretten. Wer den damaligen Schriftsteller getroffen hat und sich fragen mag, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen ist, bekommt mit dem "Winterjournal" die Antwort. Sie lautet: Paul Auster hat sein Leben genutzt.

PAUL INGENDAAY

Paul Auster: "Winterjournal".

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 254 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2013

Körperleben
Schluckauf und Geleebonbons:
Paul Austers „Winterjournal“
Die Sache mit Paul Auster ist ja die, dass es ihn nicht bloß einmal gibt. Jeder seiner Leser kennt seine literarischen Wiedergänger. Oft handelt es sich dabei um havarierte junge Männer in einer Lebenskrise. Längst mythisch ist die zugehörige Phase in Austers jungen Jahren, wie Auster sie vielfach geschildert hat: winzige Schreibklausen in New York und Paris, schriftstellerischer Misserfolg, peinigende Armut. Die richtig harte Poetenschule eben, der Auster sodann sein Schlüsselmotiv vom Kampf eines Einzelnen gegen die Kontingenz der Außenwelt abrang.
  Das trug durch ein Lebenswerk. Inzwischen ist Paul Auster 66 Jahre alt. Sein neues Buch „Winterjournal“ ist kein Roman. Anstatt wie sonst kühl mit Fiktion und Wirklichkeit zu spielen, geht es möglichst direkt zur Sache, und die ist in diesem Fall: der gealterte Schriftsteller selbst, seine Frage an sich, „wie das für dich war, in diesem Körper zu leben“. Auster schwebt ein loser Katalog seiner Sinnesdaten vor: „Frösteln, furzen, Schluckauf haben, dir den Schweiß von der Stirn wischen, mit den Händen durchs Haar fahren – wie oft hast du das alles getan? Wie oft die Zehen gestoßen, die Finger gequetscht und den Kopf angeschlagen?“
  Und tatsächlich bekommt der Leser sodann die Geschichte jeder einzelnen Narbe und Erkrankung an Austers Körper beschrieben, von frühkindlichen Baseball-Zusammenstößen bis hin zu einem Blutgerinnsel bei einem Langstreckenflug im Februar 2011. Ebenso treiben die flüchtigen Journalnotizen allen möglichen anderen Körper-Erinnerungen zu, von einem Erinnerungsverzeichnis sämtlicher Wohnungen, in denen Auster jemals lebte, bis hin zu seinen Süßigkeiten-Favoriten: als Kind Kekse, Eis und Schokoriegel, heute nur noch selten Chuckles-Geleebonbons.
  Wer das alles eher nebensächlich findet, liegt richtig. Charmant ist aber durchaus, dass den Autor derartige Einordnungen kaum interessieren. Seine bloß flüchtig aneinandergereihten Erinnerungsstücke wirken, als hätte Auster die Notizen nur für sich zusammengefiebert. Durch die beständige Selbstansprache, „1971 bist du beinahe an einer Gräte erstickt“, wird diese Privatheit noch verstärkt. Der titelgebende Winter ist dabei natürlich der des Alters. Dennoch schwingt Auster sich nie zur Gesamtrückschau auf, assoziiert stattdessen einfach freundlich bis naiv vor sich hin.
  Einige wenige eher zufällig gewährte Einblicke in Austers Körperleben mögen dabei durchaus Gewicht auf die Waage bringen: die wiederkehrende Erfahrung des Antisemitismus. Erinnerungen an das Leben in Brooklyn in den Achtzigerjahren. Die Ehe mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt, die sich anfangs seiner Karriere unterordnete. Ansonsten herrscht fröhlichster Egozentrismus, wie er im Genre des Memoirs eben üblich ist.
  Einmal wird über Seiten hinweg ein Spielfilm nacherzählt, den Auster in irgendeiner schlaflosen Nacht gesehen hat. Ein andermal berechnet er versuchsweise, wie oft er wohl bereits von Brooklyn nach Manhattan gefahren ist. Das alles muss wirklich niemand außer Auster wissen; in seiner Zugewandtheit aber wird es die Auster-Lesergemeinde dennoch erfreuen. Im Spiegelkabinett dieses einstmals so kühlen Autors verändert sich dadurch das Bild: Der Selbstentwurf wird wehmütiger, weicher.
FLORIAN KESSLER
Paul Auster: Winterjournal. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 256 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99.
Der Autor ganz privat – seine
Lesergemeinde wird es freuen
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Paul Auster ist einfach genial. Haruki Murakami
'Eine leuchtende Biographie. Nachdenklich, kämpferisch und von schmerzlicher Zärtlichkeit.' Washington Post