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Endlich sind sie vereint: Fast vierzig Jahre, nachdem der Große Joseph, dieser geniale Erfinder und zärtliche Vater, in einer stürmischen Weihnachtsnacht einen Herzanfall erlitt und die kleine Annick mit drei kleinen Kindern zurückließ, ist sie ihm gefolgt - unauffällig, demütig, selbstverständlich. Ihre Liebe war groß, aber still. Und Jean, ihr Jüngster, der die Chronik dieser kleinen Leute fortschreibt, nimmt in diesem Band seinen Dialog mit der verstorbenen Mutter auf - und erfährt dabei mehr von ihrem wahren Gefühlen, als er sich zu Lebzeiten je erhofft hätte. Nun kann er endlich Abschied nehmen und die Liebenden sich selbst überlassen.…mehr

Produktbeschreibung
Endlich sind sie vereint: Fast vierzig Jahre, nachdem der Große Joseph, dieser geniale Erfinder und zärtliche Vater, in einer stürmischen Weihnachtsnacht einen Herzanfall erlitt und die kleine Annick mit drei kleinen Kindern zurückließ, ist sie ihm gefolgt - unauffällig, demütig, selbstverständlich. Ihre Liebe war groß, aber still. Und Jean, ihr Jüngster, der die Chronik dieser kleinen Leute fortschreibt, nimmt in diesem Band seinen Dialog mit der verstorbenen Mutter auf - und erfährt dabei mehr von ihrem wahren Gefühlen, als er sich zu Lebzeiten je erhofft hätte. Nun kann er endlich Abschied nehmen und die Liebenden sich selbst überlassen.
Autorenporträt
Jean Rouaud, geboren 1952 bei Nantes, Studium der Literaturwissenschaften.Romanveröffentlichung. Heute lebt und schreibt Jean Rouaud in Südfrankreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2002

Die Geister, die er rief
Schwerer Abschied: Der letzte Band von Jean Rouauds Familiensaga

"Ich lasse Euch in Frieden." Mit diesem Versprechen an die "illustren Angehörigen" beschließt Jean Rouaud im letzten Satz des Bandes "Meine alten Geliebten"seine fünfbändige Familiensaga. Der Raketenantrieb des Prix Goncourt hatte den Debütroman "Die Felder der Ehre" 1990 sogleich auf eine steile Bahn geschossen, und man merkt dem Schlußband an, wie schwer es dem Autor fiel, den Erfolgsflug des Romanzyklus abzubrechen. Der Abschied von der Mutter, den schon der vierte Band einleitete, wird noch einmal verlängert.

Vielleicht beruht die Beliebtheit von Rouauds Familiengeschichte nicht zuletzt darauf, daß sich der Leser zu den manchmal braven, manchmal skurrilen, aber immer liebenswerten Figuren hingezogen fühlen und doch zugleich gönnerisch auf sie herabblicken darf. Es ist eine sehr provinzielle Bürgerlichkeit, die hier ein distanzierter Erzähler mit seiner heiter-ironischen Solidarität umfängt. Im Gebiet der unteren Loire, in einem Städtchen am Rande der Bretagne, ist die Familie zu Hause.

Im ersten Band kreuzen sich alle Fäden der Erzählung in der Figur des Großvaters. Sein Bekleidungshaus "Au bonheur des dames" läuft im Jahr 1912 mit vollen Segeln ins Geschäftsleben aus, gerät dann allerdings in eine Flaute und strandet schließlich unter der Leitung seines Sohnes Joseph, der hinfort als Vertreter durch die Lande reist und für die Verbreitung von Schautafeln an katholischen Schulen sorgt. Schon mit einundvierzig Jahren stirbt er.

Über zwei Bände hinweg steht der Erzähler im Bann dieses Manns, seines Vaters. Im Zweiten Weltkrieg springt Joseph aus dem Zug, der ihn zur Zwangsarbeit nach Deutschland bringen soll, und schließt sich der französischen Widerstandsbewegung an. Der vierte Band dann, "Der Porzellanladen", ist Rouauds Hommage an seine Mutter. "Mater dolorosa" hat Joseph Hanimann die Frau genannt (F.A.Z. vom 6. Mai 2000); zugleich ist die früh Verwitwete eine "Mutter Courage", die sich mit einem Geschirr- und Porzellanladen, im Kampf "gegen die Divisionen der großen Handelsketten", durchschlägt, um ihren Kindern eine Zukunft zu sichern.

Als "meine alten Geliebten" bezeichnet der Sohn im Abschlußband seine Eltern - daher der deutsche, vom französischen Original - "Sur la scène comme au ciel" (1999) - völlig abweichende Titel. Der ganze Band liest sich wie ein Epilog. In flüchtigen Impressionen oder ausgeführten Szenen erscheint die Familiengeschichte hier so, als sei aus zunächst ausgeschiedenem Material noch einmal ein neuer Film zusammengeschnitten worden. Natürlich wird der Montagecharakter dieses "Films" verdeckt durch Rouauds Überblendungstechnik und durch seine Kunst, am Seil freier Assoziationen über die Bruchstellen hinwegzuschwingen. Aber der Band wird doch zu einer Begegnung der Familiensaga mit sich selbst.

Dazu gehört der Rückgriff auf Kommentare zu den vorangegangenen Romanen, auf die Rezeptionsgeschichte. Jean Rouaud hat sich mit Einsprüchen beschriebener Personen, mit beckmesserischen Fehlernachweisen und mit Datenfuchserei auseinanderzusetzen - mit Lesern also, die das Romanwerk für ein literarisches Fotoalbum genommen haben. So protestieren die Kameraden aus der Widerstandsbewegung: "Wir wären eine Fundgrube an Informationen gewesen, die er leider verschmäht hat." Listig greift Rouaud die Beschwerde auf und erzählt eine Variante der väterlichen Biographie.

Das Sterbedatum der Mutter ist genau angegeben: der 25. Juni 1996. Der Todeskampf wird nicht ausgeblendet, aber erscheint auch nicht in quälender Großaufnahme. Die Mutter geht davon, auf ihre, also auf schonende Weise: Sie benutzt die kurze Abwesenheit der Kinder vom Sterbebett, damit sie ihren letzten Atemzug nicht miterleben müssen. Wie Rouaud immer wieder souverän die Perspektiven und die Sprecher wechselt, so auch hier: Der Leser wird sowohl durch den inneren Monolog der Sterbenden, ja der Toten wie durch den Bericht des Erzählers ins Bild gesetzt.

Was schon im ersten Roman, in der Beschreibung des Giftgasangriffs der Deutschen nördlich von Ypern, das Grauen erträglich macht, ist ein Erzählen, das nicht der Schwerkraft unterliegt. Gesetzgebend ist eine schlüssige Textstruktur, so daß der Erzähler, geht er mit List und Geschick vor, Personen vertauschen darf. Die frei flottierende Erzähllust - Kompaß ist ein "sechster Sinn" des Schriftstellers - begibt sich gern auf Nebenschauplätze oder in die tiefenperspektivischen Kulissen der Historie. Kleine Exempelgeschichten entstehen: wie die Kirche an der unteren Loire das Liebesleben der Eheleute streng reguliert, wie die Region zum Schutz des Papstes Soldaten nach Rom entsendet und wie die Kreuzfahrermentalität in einem historischen Drama mit 41 Personen gefeiert wird.

Rouauds Erzählkunst triumphiert also auch in diesem Roman. Aber manchmal dröselt der Erzähler allzu ausgiebig die alte Familiengeschichte neu auf. Manchmal bleibt ein etwas künstlicher Plauderton im Rankenwerk hängen. Man spürt: Der Erzähler schiebt den Abschied von seinem Lieblingsgegenstand hinaus. Nicht daß die spritzige Erzähllaune Rouauds schal geworden wäre. Aber er hat Mühe, sich aus der betörenden Atmosphäre zu lösen, in der reale Familiengeschichte und Roman-Fiktion zusammengeflossen sind. Ihn bedrängen Gestalten, die noch einmal ihren Schatten werfen, und Stimmen, die noch einmal ihr Echo finden wollen. In diesem Buch ficht Rouaud den Kampf gegen die Geister, die er rief. Auch das freilich mit der Waffe seines Erzählercharmes.

WALTER HINCK

Jean Rouaud: "Meine alten Geliebten". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Josef Winiger. Piper Verlag, München und Zürich 2002. 202 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2002

Fädeln und Scheinen
Und da sprach die Frau Mama: Jean Rouauds geliebte Alten
Natürlich denken wir zuerst an Frauen, wenn wir den Titel „Meine alten Geliebten” lesen, und wenn das Umschlagfoto dann auch noch eine junge Dame in windgebauschtem Gewand mit vager Fin-de-siècle-Anmutung zeigt, kann sich leicht die Illusion einstellen, hier blicke ein betagter Herr auf seine Amouren zurück. Gemeint sind indes – pardon, wir sind's nur! – die „geliebten Alten”, das literarisch schon mehrfach verewigte Elternpaar des gerade fünfzigjährigen Franzosen Jean Rouaud, und die zärtliche Anrede ist ein Zitat aus den Briefen, die sein älterer Kollege Jean Giono als Frontsoldat an seine Eltern schrieb.
Ehrerbietige Liebeserklärungen an die eigenen Erzeuger scheinen in Frankreich, wo das Siezen von „Maman” und „Papa” sämtliche Revolutionen überdauerte, besonders großen Zuspruch zu finden. Jean Rouaud, der mit seinem Romandebüt „Les champs d'honneur” (Die Felder der Ehre) vor einem guten Jahrzehnt den Prix Goncourt errang und die damals begonnene Familiensaga über vier weitere Bände fortführte, dürfte als Mustersohn in die Literaturgeschichte seines Landes eingehen: Die Hingabe, mit der er sich in das Leben und Streben seiner Vorfahren eingefühlt, sie der Anonymität ihres bürgerlich-provinziellen Alltags entrissen und im Zauberkreis des Erzählens zu „illustren Angehörigen” geadelt hat, sucht ihresgleichen.
Wie im Himmel
Im vorliegenden Band, der den Zyklus unwiderruflich abschließen soll, treibt er die Einfühlung so weit, dass er seiner Mutter in die Sphäre zwischen Leben und Tod folgt und aus ihrer Sicht den Vorgang des Sterbens schildert, mit der Diskretion und Contenance, die für ihre Generation selbstverständlich war. Der Autor weilt im Geiste bei seinen Lieben, wenn schon nicht „wie im Himmel, so auf Erden”, dann doch „Sur la scène comme au ciel”, wie das französische Original verheißt. Man spürt, wie schwer ihm die Trennung fällt. Nicht so sehr von der Mutter, der couragierten, allzu früh verwitweten Geschirrhändlerin in Campbon, Département Loire-Inférieure, der er schon im Roman „Der Porzellanladen” ein Denkmal gesetzt hat – vielmehr von seinem Gegenstand, der Familiengeschichte, in deren Schranken er sich als Erzähler so zuverlässig beheimatet, ja geborgen fühlen durfte.
Dass es hohe Zeit für den Abschied war, kann er gleichwohl nicht verheimlichen. Der Stoff, den so lange betastet und gestreichelt hat, ist dünn geworden, hat durchscheinende Stellen wie ein zwar kostbares, doch nicht unbegrenzt haltbares Gewebe, das man einmotten sollte, bevor es das unschöne Attribut „fadenscheinig” verdient. Jean Rouaud hat jedenfalls die Konsequenzen gezogen und ist, wie man aus Paris hört, bis auf weiteres ins Fach der Chansonniers gewechselt.
Noch einmal aber wird in „Meine alten Geliebten” die Biographie des Vaters beleuchtet, des Handlungsreisenden Joseph, der als junger Mann in einer Theatertruppe spielte, in der Résistance sein Leben riskierte und schließlich für den bescheidenen Wohlstand seiner Familie aufkam, indem er Schautafeln an Schulen der bretonischen Provinz verhökerte. Der ewig Abwesende, mit einundvierzig Jahren verstorben, ist dem Sohn als Held in Erinnerung geblieben, als genialer Erfinder und Handwerker überdies, der jahrelang Steine sammelte, um „Hadrians Villa in unserem Garten” (so der deutsche Titel der zweiten Chronik-Lieferung) zu erbauen.
Auch „Die ungefähre Welt”, Rouauds autobiographisch gefärbte Story eines schwer kurzsichtigen Mopedfahrers und Fußballspielers, war ja jenem scheu verehrten Märchenvater gewidmet. Noch einmal wird die Ehe der Eltern atmosphärisch rekonstruiert, die starke und feste Zuneigung, die hinter der kirchlich verordneten Prüderie der Epoche im Verborgenen blühte, und die dreiunddreißig Jahre währende Einsamkeit, zu der die kleine Annick sich nach dem Tod ihres Gatten verurteilt sah. Und noch einmal bündeln sich die Fäden der Chronik im Beginn, in den Schrecken des Ersten Weltkriegs, unter denen „Die Felder der Ehre” erzitterten und die Ballade von Annick und Joseph ihren Anfang nahm. Diesmal aber wird auch die Wirkungsgeschichte der vorausgegangenen Romane einbezogen, wird mit Kommentaren, Fragen und Einwänden von Lesern gespielt, die das literarische Unternehmen mit einer historischen Dokumentation verwechselten und manches besser zu wissen glaubten.
Es fragt sich allerdings, ob Jean Rouauds Technik der kühnen Perspektivwechsel, der lockeren episodischen Einschübe und endlos abschweifenden Schachtelsätze bei dem Übersetzer Josef Winiger gut aufgehoben war. Was in der französischen Sprache ohne Bodenhaftung tänzelt, kommt im Deutschen gleich zu Anfang so schwerfällig daher, dass man sich zum Weiterlesen zwingen muss: „Ein Gedankenspiel, nach unserem Wissensstand gar nicht so ausgefallen, oder einfach eine Ausnahme, wenn das genehmer ist, aber sie habe, obwohl darin das Gegenteil gesagt wird, das von ihr handelnde Buch gelesen, das ich gar nicht hätte schreiben können, als sie noch lebte, es kam mir auch gar nicht in den Sinn, denn so, wie wir diese zierliche kleine Frau kannten, war ausgemacht, daß sie die Hundert erreichen würde...” Madame Annick Rouaud ist früher gegangen. Und das ist gewiss gut so, weil sie damit ihrem Sohn die Chance gegeben hat, über andere Dinge, andere Menschen zu schreiben – vielleicht sogar, in ferner Zukunft und mit vergleichbarer Zärtlichkeit, über diejenigen unter seinen „alten Geliebten”, die nicht zur Familie gehörten. KRISTINA MAIDT-ZINKE
JEAN ROUAUD: „Meine alten Geliebten”. Roman. Aus dem Französischen von Josef Winiger. Piper Verlag, Müchen 2002. 202 Seiten, 12 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Walter Hinck ist nach wie vor begeistert von diesem Autor. Bis zum 5. und letzten Band seiner Familiensaga hat Rouaud, wie es aussieht, das Niveau halten können. Durch die "heiter-ironische Solidarität" des Autors wirken die Figuren noch immer liebeswert, sein Erzählen erscheint schwerelos, kurz, die "Waffe seines Erzählcharmes" trifft noch. Und trotzdem kann Hinck nicht umhin zu bemerken, Rouaud trauere dem Ende seines Großprojekts, der erzählten eigenen Familiengeschichte allzu sehr nach. Durch den Rückgriff etwa auf Kommentare zu den voraufgegangenen Romanen , auf die Rezeptionsgeschichte, kommt ihm das Buch oft vor wie ein Epilog des Ganzen, so auch "als sei aus zunächst ausgeschiedenem Material noch einmal ein neuer Film zusammengeschnitten worden".

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