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Hannah Arendt (1906-1975) ist in ihrem Denken unglaublich aktuell geblieben. Kurt Sontheimer, dem bedeutenden Politikwissenschaftler, gelingt es in seinem letzten Buch, die Leser auf die deutsch-jüdische Denkerin und ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte neugierig zu machen und zugleich eine verständliche Leseanleitung für ihre Bücher zu geben. Denn ob sie über Totalitarismus, Revolution, das tätige Leben oder Adolf Eichmann und die Banalität des Bösen geschrieben hat - die Auseinandersetzung mit Arendts unabhängigem Denken ist immer lohnend.

Produktbeschreibung
Hannah Arendt (1906-1975) ist in ihrem Denken unglaublich aktuell geblieben. Kurt Sontheimer, dem bedeutenden Politikwissenschaftler, gelingt es in seinem letzten Buch, die Leser auf die deutsch-jüdische Denkerin und ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte neugierig zu machen und zugleich eine verständliche Leseanleitung für ihre Bücher zu geben. Denn ob sie über Totalitarismus, Revolution, das tätige Leben oder Adolf Eichmann und die Banalität des Bösen geschrieben hat - die Auseinandersetzung mit Arendts unabhängigem Denken ist immer lohnend.

Autorenporträt
Kurt Sontheimer, geboren 1928 in Gernsbach (Baden), Studium der Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg/Breisgau, Erlangen, den USA und Paris. 1962 bis 1969 Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, 1969 bis 1993 Professor am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München. Er starb 2005 in Murnau (Oberbayern).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2005

Vom Anfangenkönnen
Gedankenlosigkeit, das schlimmste aller Übel: Kurt Sontheimer und Barbara Hahn über Hannah Arendt
Hannah Arendt hat die erste aller philosophischen Fragen in den Mittelpunkt ihres Denkens gestellt. Aber sie fragte nicht: Wie soll ich leben? Sondern: Wie sollen wir leben? In diesem kleinen Unterschied offenbart sich das Wunder dieser Frau. Sie hat eine Antwort gegeben, indem sie lebte. Und das Leben, das echte, nicht das nur gedachte, ist ein Leben, das immer schon ein Leben mit anderen ist. So wurde Hannah Arendt zur Denkerin der Pluralität und des Handelns miteinander, durch das der Mensch erst Mensch wird.
Am Anfang standen nicht Heidegger oder Jaspers. Ihr eigenes Denken begann, als sie im Gespräch mit dem Zionisten Kurt Blumenfeld und kurz darauf am eigenen Leib begriffen hatte, dass Assimilation ein Irrweg und die jüdisch-deutsche Symbiose eine Illusion war. Am Anfang war Flucht, Exil, Staatenlosigkeit, totale Herrschaft, der Mord an den Juden. In New York wurde sie zur größten politischen Denkerin im Jahrhundert der Extreme. Ihr erstes bedeutendes Buch war eine gewaltige und eigenwillige Untersuchung der totalitären Schreckensherrschaft, der sie und ihr Mann Heinrich Blücher entkommen, so viele andere zum Opfer gefallen waren.
Die totale Herrschaft hatte das Böse in radikaler Gestalt gezeigt, und alle abendländische Tradition hatte ihm nicht Einhalt gebieten können. Arendt hatte die Kraft, aus dieser Tradition herauszutreten, weil das Leben es verlangte. Wie leben in finsteren Zeiten? Wie leben, wenn alles Alte zertrümmert oder nur noch Lüge ist? Arendts Antwort nimmt ihren Ausgang da, wo alles Leben beginnt. Sie spricht vom Glück des Neuanfangs, vom Geschenk, das den Namen Natalität trägt. Der Mensch wird geboren. Selbst die totale Herrschaft konnte nicht verhindern, dass es immer wieder einen neuen Anfang gibt. Wo es einen Anfang gibt, ist Handeln möglich. Menschen treten in Beziehung zueinander. Dieses gemeinsame Handeln zwischen Menschen bedeutet Freiheit: „Alle Freiheit liegt in diesem Anfangenkönnen beschlossen. Über den Anfang hat keine zwangsläufige Argumentation je Gewalt, weil er aus keiner logischen Kette je ableitbar ist.”
Ihre republikanische Idee des freiheitlichen Neuanfangs sah Arendt in nur wenigen historischen Augenblicken verwirklicht: in der athenischen Polis, bei den amerikanischen Gründervätern, in der ungarischen Revolution 1956. Das war ihr Beweis genug, dass es sich lohnt, immer wieder danach zu streben. Wenn es einen Satz gibt, in dem sich der Kern von Hannah Arendts Denken verdichtet, dann dieser: „Der Sinn der Politik ist Freiheit.”
Das Zwischen verbrennen
Hannah Arendt ist vor dreißig Jahren gestorben, im nächsten Jahr wäre sie hundert geworden. Kurt Sontheimers „Hannah Arendt” erfüllt auf den ersten Blick alle Erfordernisse an Jubiläumsschriften. Das Buch richtet sich an ein größeres Publikum und will nur „orientierendes Begleitbuch” sein. Es ist aber viel mehr. Dieses Buch, das letzte des jüngst verstorbenen Autors, räumt den Schutt verwirrender Arendt-Interpretationen beiseite, um einen unverstellten Blick auf Leben und Werk der Denkerin zu ermöglichen. Ein Neuanfang ist also auch dieses Buch. Eine klügere und zugleich wärmere Einführung lässt sich kaum denken. Wer noch keine Zeile von Arendt gelesen hat, wer sich von ihren Werken noch überfordert fühlt, für den ist dieses Buch ein Zauberschlüssel. Und wer sie zu kennen glaubt, wird von Sontheimer immer wieder daran erinnert, wer Hannah Arendt wirklich war. Zwar stören bei der Lektüre ein wenig die Wiederholungen zentraler Einsichten, aber so lassen sich alle Kapitel auch für sich lesen.
Sontheimer stellt die Totalitarismuserfahrung in den Mittelpunkt. Er zeigt, wie sich aus dem Leben Arendts erstaunliches Werk entwickelte. Er kehrt glücklicherweise das übliche Verfahren der Ideengeschichte um, worin er Hannah Arendt folgt: Nicht das Werk ist größer als der Mensch, sagte sie, sondern man kann „ein Wesen spüren, das größer und geheimnisvoller bleibt, weil das Werk selbst auf eine dahinter befindliche Person zeigt” - die „Intensität, Tiefe, Leidenschaftlichkeit der Existenz selbst”.
Auf wenigen Seiten tritt dem Leser bei Sontheimer die ganze Hannah Arendt entgegen - das Genie der Freundschaft wie die streitbare Intellektuelle. Die großen Bücher und die politischen Essays werden gleichrangig behandelt, die wunderbaren Briefwechsel, vielleicht das Schönste, was sie geschrieben hat, als eigenständiger Teil des Werkes gewürdigt. Sontheimer macht deutlich, wie wichtig die intensive Liebes- und Gesprächsgemeinschaft mit ihrem Mann war - viel wichtiger als die sensationellere Beziehung zu Heidegger: „Mit Heinrich im Rücken kann mir gar nichts passieren”, erklärte sie.
Sie zog es vor, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Lieber wollte sie Paria sein als Parvenü, lieber geächtet als angepasst. Sie bekannte, was sie war, und trat dafür ein. Als sie angefeindet wurde, weil sie Jüdin war, begann sie, sich bewusst als Jüdin zu fühlen und gegen Angriffe zur Wehr zu setzen. Im Kreis der wenigen Freunde fühlte sie sich immer sicher. Sie habe nie in ihrem Leben „irgendein Volk oder Kollektiv ‚geliebt‘”, betonte sie darum. „Ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig.”
In ihrem „Denktagebuch”, das im Mittelpunkt von Barbara Hahns Arendt-Brevier steht, differenzierte sie noch weiter: „Gefühle habe ich; die Liebe hat mich. Freundschaft ist wesensmäßig abhängig von ihrer Dauer.” Die Liebe, wie sie sie mit ihrem Heinrich erlebte, verbrennt das „Zwischen”, in dem das Leben gewöhnlich stattfindet; „wer nie diese Macht erlitt, lebt nicht, gehört nicht zum Lebendigen”.
Barbara Hahns Buch ist eine Fundgrube solch schöner Stellen. Lange Zitate nehmen den größten Raum ein. Darum übersieht man auch gerne die irritierenden stilistischen Gespreiztheiten der Autorin. Und weil Arendt so ausführlich zu Wort kommt, wird auch Hahns Fehleinschätzung, nach dem Totalitarismusbuch habe es einen Bruch gegeben, stillschweigend korrigiert. An die Stelle der abendländischen politisch-philosophischen Tradition tritt nun die hebräische Bibel als Ursprungstext, in dem von Anfang an die Pluralität des Menschen gegeben ist, eine gleichursprüngliche Zwei: die „Bedürftigkeit des Menschen, der als Einer geboren den Zweiten braucht, um sich des Fortgangs in den Dritten, Vierten und so fort zu versichern.”
Was Hannah Arendt über alles auszeichnet, ist ihre offene Intelligenz, ihre Begabung zum Leben und zum Denken und dazu, in beidem allem offen zu begegnen. Das wird bei Hahn wie bei Sontheimer sichtbar. Für Arendt gibt es keinen Stillstand, keine Selbstzufriedenheit. Ein Denker muss versuchen, das „Resultathafte seines Gedachten aufzulösen, und zwar einfach dadurch, dass er es aufs neue bedenkt.” Gedankenlosigkeit erkannte sie als das schlimmste aller Übel. Darum war ihr das Denken so wichtig - und zwar allein das Selbstdenken. Darin war sie, wie Sontheimer ohne jede Scheu und ironische Brechung schreibt, ein so großes Vorbild wie im Leben.
TIM B. MÜLLER
KURT SONTHEIMER: Hannah Arendt. Der Weg einer großen Denkerin. Piper Verlag, München/Zürich 2005. 293 Seiten, 19,90 Euro.
BARBARA HAHN: Hannah Arendt. Leidenschaften, Menschen und Bücher. Berlin Verlag, Berlin 2005. 143 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ursula Pia Jauch bespricht zwei neue Veröffentlichungen über Hannah Arendt. Kurt Sontheimers Buch nähert sich der Philosophin vor allem über ihre politischen Schriften, stellt die Rezensentin fest. Zuvor aber zeichne der Autor ihren lebensgeschichtlichen und wissenschaftlichen Weg in "gemächlichem Parlando" nach, wobei sich das vor allem als Erfolgsgeschichte einer "begabten Studentin" bis zur "Ikone der politischen Philosophie" lese, so Jauch. Hier ist auch schon berührt, was die Rezensentin am meisten an diesem Buch stört: Sontheimers Kommentare zu Positionen Arendts bleiben mitunter "reichlich farblos" und er hat sich vor allem aufs Verehren der Philosophin verlegt, beschwert sie sich. Dadurch ist ein allzu "geglättetes Buch" entstanden, das beispielsweise zu den Debatten zu Arendts Berichte über den Eichmann-Prozess wenig Erhellendes zu sagen hat, so Jauch unzufrieden.

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