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Joe Chayefski hat das Leben, das er immer wollte: er ist einer der renommiertesten Neurowissenschaftler der USA, führt eine erfüllende, gleichberechtigte Ehe und hat zwei wunderbare Töchter. Doch als Joes Labor - und ganz besonders er persönlich - in das Visier von militanten Tierschützern gerät, ist das Idyll bedroht. Überraschend meldet sich da Alina, seine finnischen Ex-Frau, und deutet an, dass die stetig wachsende Bedrohung von Samuel ausgehen könnte, dem gemeinsamen Sohn, den Joe vor 20 Jahren bei ihr in Finnland zurückließ - und damit sein berufliches Fortkommen über das Wohl seines…mehr

Produktbeschreibung
Joe Chayefski hat das Leben, das er immer wollte: er ist einer der renommiertesten Neurowissenschaftler der USA, führt eine erfüllende, gleichberechtigte Ehe und hat zwei wunderbare Töchter. Doch als Joes Labor - und ganz besonders er persönlich - in das Visier von militanten Tierschützern gerät, ist das Idyll bedroht. Überraschend meldet sich da Alina, seine finnischen Ex-Frau, und deutet an, dass die stetig wachsende Bedrohung von Samuel ausgehen könnte, dem gemeinsamen Sohn, den Joe vor 20 Jahren bei ihr in Finnland zurückließ - und damit sein berufliches Fortkommen über das Wohl seines Kindes stellte ...
Jussi Valtonen schildert Joes, Alinas und Samuels Versuche, sich in unserer schönen neuen Welt zurechtzufinden, mit durchdringender psychologischer Einsicht und mit einem gesellschaftskritischen Furor, der ihn zum wichtigsten finnischen Autor der Gegenwart macht.
Autorenporträt
Valtonen, Jussi
Jussi Valtonen, geboren 1974, war viele Jahre Psychologe, bevor er anfing, Romane zu schreiben. Er hat Psychologie in den USA und Drehbuch in England studiert. »Die Schuldlosen« ist sein viertes Buch und hat ihn in die erste Liga skandinavischer Autoren katapultiert. Er hat den wichtigsten Literaturpreis Finnlands, den »Finlandia« gewonnen, sein Buch war das meist verkaufte 2014 und die Kritiken waren überragend.

Kritzokat, Elina
Elina Kritzokat, geb. 1971, deutsche und finnische Staatsangehörigkeit, Germanistin, übersetzt aus dem Finnischen seit 2002: u.a. Jussi Valtonen, Miika Nousianen, Leena Krohn, Sami Toivonen & Aino Havukainen, Minna Rytisalo und Timo Parvela. Ihre Tätigkeit umfasst die Genres Roman, Kinder- und Jugendbuch, Theater und Film, Comic und Lyrik. Sie moderiert und dolmetscht regelmäßig für Kinder und Erwachsene und reist mehrmals jährlich nach Finnland. Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Susanne Lenz fühlt sich mitunter wie in einem Kaurismäki-Film mit Jussi Valtonens erstem auf Deutsch erscheinendem Roman. Die Schwierigkeit der Kommunikation in der Partnerschaft ist eins der Themen des Buches, erklärt Lenz und erkennt vieles gut wieder beim Lesen. Was allerdings ein Amerikaner unter Finnen so alles erlebt, scheint Lenz doch besonders amüsant, auch wenn der im Text thematisierte Kulturschock doch etwas sehr ausgebreitet wird, wie sie findet, und Exkurse über Tierversuche und Bildungspolitik hüben wie drüben das Ganze ziemlich überladen wirken lassen. Packend geschildert hingegen scheint Lenz, wie das Leben der männlichen Hauptfigur über all dem langsam zerfällt. Und am Ende nimmt der Text auch noch mal richtig Fahrt auf, versichert sie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2017

Die spinnen, die Finnen

Biographie, ein Kollateralschaden: In Jussi Valtonens psychologischem Roman kollidiert ein Amerikaner mit skandinavischer Trägheit und muss gegen innere Dämonen und neomoderne Drachen kämpfen.

Wenn ein Leben zusammenbricht, wirkt das fast immer plötzlich. Und ist es doch fast nie. Doch sie hat ihre Tücken, die Suche nach dem Anfang vom Ende. In der Welt des Neurowissenschaftlers Joe Chayefski, die Jussi Valtonen in überwältigender Detailfülle vor uns ausfaltet, scheint der haarfeine Riss, der dieses Leben später zersprengen wird, zunächst zwischen dem alten und dem neuen Kontinent zu verlaufen. Als junger Mann zieht der amerikanisch-jüdische Wissenschaftler trotz bester Aussichten auf eine Stelle an einer Westküsten-Eliteuniversität nach Finnland - einer Frau zuliebe. Der ehrgeizige Akademiker verzweifelt jedoch an der als hinterwäldlerisch karikierten, Ambitionen regelrecht bestrafenden finnischen Forschungslandschaft. Bald zerbricht auch seine Ehe. Die im wahren Wortsinn bodenständige Alina bleibt mit dem vom Vaterverschwinden traumatisierten Sohn Samuel in Helsinki zurück, während Joe schließlich in den Vereinigten Staaten Karriere macht und eine weitere Familie mit zwei Töchtern gründet: eine exemplarische Geschichte vom Scheitern zwischen den Kulturen und vom naiven Phantasma, noch einmal ganz neu beginnen zu können.

Freilich verdeckt der fast folkloristisch anmutende Kulturkonflikt - Turbomoderne trifft auf versoffene Nationaldepression - eine andere, universale Problemlage: Joe scheitert nämlich geradezu prototypisch an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Er steckt alle Energie in den Aufbau seiner Karriere, die Frustrationen bringt er mit nach Hause. Da kommt das Gefühl der Heimatlosigkeit lediglich erschwerend hinzu. Beim zweiten Versuch klappt es nur deshalb besser, weil Joes Ehefrau Miriam ebenso tickt wie er - bis auch hier die Frage nach den Prioritäten im Raum steht und die Vergangenheit ihren Tribut einfordert. Die Biographie als Kollateralschaden.

Weitere Risse tun sich jenseits des Familiären auf. So gerät Joe in Konflikt mit der ethischen Frage nach den Grenzen der Wissenschaft, denn seine Forschungsabteilung führt im Namen der Medizin Tierversuche durch, die mitunter wenig bringen wie im Fall der mit Stromschlägen erblindeten Katzen: "Die übrigen Katzen hatten dann leider keine so klaren Reaktionen gezeigt, und als die Tiere am Ende des Versuchs eingeschläfert wurden, fiel auch die histologische Gewebeprobe so diffus aus, dass sich nichts Signifikantes ableiten ließ." Tierrechtsaktivisten verleitet das zu immer aggressiveren Aktionen gegen Joe persönlich. Wir sehen, wie die geballte Anfeindung eine Identität verändern kann. Aus dem Linksliberalen wird ein verängstigter, verbitterter Radikaler. Das hat Auswirkungen auf die neue Familie, reißt sie in den Strudel von Hass und Hilflosigkeit mit hinein.

Da ist außerdem Joes Open-Access-Kampagne gegen einen monopolistischen Wissenschaftsverlag, der Universitäten horrend teure Zeitschriftenabonnements aufzwingt. Doch scheint der Protagonist dabei den größeren Gegner zu übersehen, einen allwissenden Medienkonzern, der wie der maliziöse Nachfahre von Google, Apple und Facebook erscheint und auch noch obskure Beziehungen zu einem Pharmaunternehmen unterhält, das Kindern Medikamente zur Optimierung ihres Soziallebens andreht. Mit dem direkt mit den Neuronen im Gehirn verschalteten Kommunikations-Device "iAm" ist die Erzählung - auch wenn das zeitlich nicht ganz aufgeht - ein gutes Stück in die Zukunft hinein imaginiert. Pikanterweise haben Joes Forschungen zur Entwicklung dieses totale Immersion, aber damit auch totale Kontrolle des Nutzers erlaubenden Geräts beigetragen.

Trotz aller Technologie-, Medien- und Gesellschaftskritik ist das Markenzeichen dieses in wechselnden Perspektiven extrem subjektiv erzählten Buches die Introspektion: "Zwei Kontinente" ist ein psychologischer Roman in Reinform, so rein sogar, dass ihm zeitweise das Romanhafte abgeht. Das mag sich als professionelle Deformation erklären, denn Valtonen hat viele Jahre als Psychologe gearbeitet. Am stärksten ist das Buch jedenfalls, wenn es beschreibt, wie eine Beziehung aus dem Gleichgewicht gerät, wie sich Missverständnisse aufschaukeln oder Verletzungen verselbständigen.

Alina beispielsweise, die sich zurückgesetzt fühlt, entwickelt eine regelrechte Obsession angesichts der jungen, aufreizenden Assistentin ihres Mannes: nicht ganz zu Unrecht, doch auch nicht wirklich begründet. Auch so aber werden Fakten geschaffen. An anderer Stelle - in diesem Falle Samuel betreffend - führt der Autor aus, welchen Weltuntergang das Ende der ersten Liebe bedeutet. Die Aktivisten wiederum bewegen sich ebenso in ihrer Filterblase wie Joes Wissenschaftscommunity, ein argumentativer Austausch scheint unmöglich. Alle Konflikte laufen so lehrbuchartig ab und werden so einfühlsam geschildert, dass die meisten Leser eigene Erfahrungen wiedererkennen dürften. Auch was auf den ersten Blick pessimistisch wirkt, ist vielleicht nur realistisch: der Umstand, dass ein Streit hier stets so lange schwelt, bis er die schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Dass Valtonens Helden Hellsichtige sind, die um die eigene Fehlbarkeit und um die Auswirkungen ihres Verhaltens wissen, hilft ihnen wenig: Die Vorwürfe finden stets ein Ventil.

Das Problem besteht darin, dass das Buch mehr sein möchte als ein feinsinniger psychologischer Familienroman, nämlich eine Gesellschafts- und Gegenwartsanalyse en gros. Dazu fehlen ihm jedoch das Format und die stilistische Raffinesse. Die Symbolik ist oft geradezu grobschlächtig, man denke nur an die über den gesamten Roman ausgezogene Idee mit der Zikadenplage, die als biblisch-apokalyptische Heimsuchung über das Land der Freiheit herfällt. Die eher journalistischen Partien, die sich technischen Neuerungen widmen, wirken oft platt und angestückt. Weil beispielsweise noch ein Pflegeroboter vorkommen sollte, wurde ein für die Geschichte nicht weiter bedeutsamer Pflegeheiminsasse - Alinas Vater - hineingeschrieben. Auch in Bezug auf Joes Töchter trifft eine profunde Analyse pubertären Aufrührertums auf unkreative Ausführungen zum Sexting oder zur Internetabhängigkeit. Zwischenzeitlich droht der Roman sogar gänzlich zu verläppern, wenn er etwa zusammenhanglos über viele Seiten Hate-Speech-Kommentare aus einem kirchlichen Internetforum anführt. Der Autor hätte das Buch auf die Hälfte seines Umfangs und Anspruchs stutzen sollen.

Die Radikalisierung des hochintelligenten, konsumkritischen Samuel wiederum lässt sich in ihren Wendungen gut nachvollziehen. Das ist wichtig, denn nur so kommen die beiden Erzählstränge wieder zusammen: Nicht nur das FBI vermutet, dass Samuel, der seinen Vater nie wiedergesehen hat, hinter den immer bedrohlicher werdenden Anschlägen stecken könnte. In der Schlussphase zieht das Tempo dann noch einmal kräftig an und mündet in ein furios dramatisches Finale, in dem - der Preis für all die turbomoderne Hysterie - gleich mehrere Leben zerstört werden. Die spinnen, die Finnen, aber mit Niveau.

OLIVER JUNGEN

Jussi Valtonen: "Zwei Kontinente". Roman.

Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. Piper Verlag, München 2017. 576 S., geb., 24,- [Euro].

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"Ein starker Roman.", Westfälische Rundschau, 05.09.2017