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In einer Wahl, die nicht mehr als eine Farce ist, wird Wladimir Putin am 1. März 2012 in das Präsidentenamt Russlands zurückkehren. In den Jahren seiner Herrschaft erst selber als Präsident, dann als Ministerpräsident, jetzt dann wieder als auch formell erster Mann in Russland hat er eines der größten Länder der Erde zu seinem persönlichen Herrschaftsbereich gemacht. Er regiert wie ein Zar, nur effektiver. Die zaghaften demokratischen Ansätze nach dem Ende des Kommunismus hat er erstickt: Die Opposition ist mundtot gemacht, prominente Kritiker wie Anna Politkowskaja oder Alexander Litwinenko…mehr

Produktbeschreibung
In einer Wahl, die nicht mehr als eine Farce ist, wird Wladimir Putin am 1. März 2012 in das Präsidentenamt Russlands zurückkehren. In den Jahren seiner Herrschaft erst selber als Präsident, dann als Ministerpräsident, jetzt dann wieder als auch formell erster Mann in Russland hat er eines der größten Länder der Erde zu seinem persönlichen Herrschaftsbereich gemacht. Er regiert wie ein Zar, nur effektiver. Die zaghaften demokratischen Ansätze nach dem Ende des Kommunismus hat er erstickt: Die Opposition ist mundtot gemacht, prominente Kritiker wie Anna Politkowskaja oder Alexander Litwinenko wurden ermordet. Eine dünne Oberschicht wird unermesslich reich wenn sie Putin folgt. Wenn nicht, landet sie im Gefängnis, wie der früher so reiche und mächtige Michail Chodorkowski. Putin ist schnell bei der Hand mit politischen Prozessen. Das Buch erscheint gleichzeitig in zwölf Ländern am 1. März 2012. Bis dahin ist das Manuskript unter strengstem Verschluss, denn Masha Gessen lebt (noch) in Moskau und muss um ihr Leben fürchten.
Autorenporträt
Masha Gessen, geb. 1967 in Russland, emigrierte 1981. Sie arbeitete als Journalistin und Zeitschriftenredakteurin in den USA und kehrte 1994 wieder nach Russland zurück. Masha Gessen ist feste Mitarbeiterin der Zeitschrift 'Itogi' und politische Kolumnistin der Zeitung 'Matador'; außerdem arbeitet sie als Redakteurin für die amerikanische Zeitschrift 'Lingua Franca' und als Russlandkorrespondentin für 'New Republic'.

Henning Dedekind, geboren im Krautrock-Jahr 1968, beschäftigt sich seit frühester Jugend mit Musik. Nach diversen eigenen Tonträgerveröffentlichungen begann er Mitte der Neunziger, hauptberuflich über die Rock- und Popszene zu schreiben. Er arbeitet heute als freier Autor für verschiedene deutschsprachige Medien. Zahlreiche seiner Übersetzungen sind im Hannibal-Verlag erschienen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2012

„Eine Art Hausbösewicht“
Am kommenden Sonntag wird in Russland gewählt: Die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen hat über den Kandidaten Wladimir Putin nichts Gutes zu sagen
Von respektvollem Umgang mit ihrem Helden hält Masha Gessen wenig. Und das ist gut so. Denn ihr Putin-Buch, gut platziert vor der Wahl des nächsten russischen Präsidenten, bringt gut nacherzählt zusammen, was wir – spätestens jetzt – über Werden und Wirken dieses Nachbarn wissen sollten.
Über seine Kindheit als Schläger und Hooligan auf den Höfen des kriegsinvaliden Leningrad, über seinen brennenden Ehrgeiz, mittels Prügeleien, kaum von regelmäßigen Kampfsport-Lektionen gezügelt, einen Weg nach oben zu finden, mal jähzornig, mal beherrscht, immer unberechenbar. Sein Idol zu jener Zeit und möglicherweise bis heute: Jan Karlowitsch Bersin, der eigentlich Kuzis und bei Tschekisten respektvoll der „Alte“ hieß. Die sowjetische Militärspionage (seit 1942 GRU) formte er zu einem effektiven Nachrichtendienst. Mitte 1938 wurde Bersin als angeblicher trotzkistischer Terrorist erschossen und 1956 rehabilitiert. Bald danach stellt sich Wowa Putin sein Vorbild auf den Schreibtisch.
Die Stationen des jungen Geheimdienstfans hat Gessen ziemlich vollständig ausgeleuchtet. Die meiste Information freilich stammt von Wladimir Putin selbst: Im Jahr 2000, als der Oligarch und talentierte politische Strippenzieher Boris Beresowski noch glaubte, in einem lautlosen Coup d’État den zuletzt stark abgedrehten Boris Jelzin durch eine farblose Marionette ersetzt zu haben, stand der unbekannte Interimspräsident stundenlang Journalisten des Beresowski-Blattes Kommersant für Plaudereien zur Verfügung. Die daraus destillierte Wahlkampfbroschüre erst gab dem „Mann ohne Gesicht“ einige vage Konturen.
Die umtriebige russisch-amerikanische Journalistin nahm sich vor, diesem Konterfei nun weitere, weniger bekannte Züge hinzuzufügen. Und wer sich an die vor zwölf Jahren von der Journalistin Trudy Rubin aus heiterem Davoser Himmel gestellte Frage „Who is Mr. Putin?“ erinnert, an die verzweifelten Blicke russischer Offizieller und das anschließend durch den Saal rollende homerische Gelächters, kann für jede Unternehmung dieser Art nur dankbar sein. Selbst dann, wenn sie so wenig politisch korrekt daherkommt wie der biographische Versuch der 45-jährigen Gessen, die Moskau mit ihren jüdischen Eltern 1981 verließ und nach abgebrochenem Architekturstudium in den USA 1991 zurückkehrte.
Bei ihr entwickelt sich Wladimir Wladimirowitsch vom „richtigen KGB-Streber“ mit zeitweilig „schweren Depressionen“, also von einem „ganz gewöhnlichen Papiertiger“ zum Vollstrecker einer „Schreckensherrschaft“, der Morde in Auftrag gibt, mit Terroristen „am selben Strang“ zieht und mit hoher Wahrscheinlich an schwerer „Habsucht“ leidet: dem „unwiderstehlichen Drang“, etwas „zu besitzen, was rechtmäßig anderen gehört“. Einer, der den milliardenschweren Öltycoon Michail Chodorkowskij ebenso ungeniert enteignete, wie er 2005 in Sankt Petersburg dem amerikanischen Staatsgast Robert Kraft, Besitzer der Football-Mannschaft New England Patriots, dessen mit 124 Diamanten besetzten Super-Bowl-Ring abnahm: Er steckte ihn erst an seinen Finger, verstaute den Ring danach in seiner Tasche und verließ dann die Szene. Der Geschäftsmann machte später gute Miene zur nassforschen Expropriation und erklärte, das Schmuckstück sei ein Gastgeschenk gewesen.
Masha Gessen mag ihre Hauptperson nicht, das wird auf jeder Seite des Buches überdeutlich. Etwas schwatzhaft verrät die Autorin sogar, dass ihre beiden Kinder den „Diktator“ beizeiten fürchten lernten: Als „eine Art Hausbösewicht, den schwarzen Mann, der kam und einen holte“. Doch gottlob handelt das neueste Buch „der in den USA populären Schriftstellerin“ (Gessen über Gessen) weiter nicht von Pädagogik.
Über weite Strecken wird die allmähliche Selbstentlarvung des Machtmenschen Putin stringent und überzeugend nachgezeichnet: Wie die brutale Niederwerfung des tschetschenischen Aufstandes erste Reputation verschafft, wie danach eine schier endlose, verschattete Kette von Attentaten und Vergeltungsaktionen permanent neue Opfer produziert und zugleich jede Art staatlicher Gewaltanwendung scheinbar legitimiert, ohne Rücksicht auf Gesetz und Verluste. Wie dabei regelmäßig Spuren zum Inlandsgeheimdienst FSB, Putins Hausmacht, führen. Und wie parallel dazu allmählich demokratische Institutionen, Bürgerrechte, Vorschriften, Anstandsregeln einfach abhandenkommen – wie auf einem Kasernenhof eben, in den sich der Spielplatz der postsowjetischen politischen Klasse Russlands binnen zwölf Jahren verwandelt hat.
Ihre zentrale These, wonach mit Putin der seit 95 Jahren durch Russlands Geschichte mäandernde Geheimdienstmoloch – Tscheka, GPU, NKWD, KGB, FSB – die Macht im Staat und in der Wirtschaft eroberte, hat Masha Gessen von dem russisch-amerikanischen Historiker Juri Felshtinski übernommen. Doch weder dadurch noch durch den auf gleicher Linie aus dem Londoner Exil agitierenden Beresowski wird dieser Ansatz falsch oder auch nur fragwürdig.
Gewiss: Das Buch enthüllt nichts, was zuvor völlig unbekannt gewesen wäre. Den reißerischen Untertitel, der das suggeriert, wird der Verlag zu verantworten haben. Masha Gessens eigentliches Verdienst besteht in kluger Kompilation von Ereignissen und Deutungsvarianten. Die sind gelegentlich verschnitten mit früheren Reportagen der Autorin – über Tschetschenien, aus Beslan, von jüngsten Moskauer Demonstrationen. Aber überall ruft das Buch vor allem Zusammenhänge in Erinnerung, die selbst Kenner der Materie vergessen haben könnten: Details kommerzieller Winkelgeschäfte des jungen KGB-Majors Putin in der Leningrader Stadtverwaltung. Oder Einzelheiten und Recherche-Resultate zur mysteriösen Serie terroristischer Anschläge auf Wohnhäuser im Jahr 1999. Oder die zahlreichen Hinweise auf Vorteilsnahme im Amt – etwa von der Dresdner Bank oder der schweizerischen Gunvor –, auf unklare Nebeneinkünfte in Millionenhöhe, auf massive Drohungen und Entgleisungen.
Auch auf die wohl interessanteste Frage sucht Gessen eine Antwort: Weshalb Königsmacher Beresowski, mit scharfem Mathematikerverstand gesegnet, sich so schrecklich irrte, als er 1999 in Putin die beste Option sah: für sein Kapital, seine wirtschaftlichen Interessen und erst danach, wie man vermuten darf, für Russland. Er habe, schreibt Gessen, sich einfach nicht vorstellen können, dass parallel zu seiner eigenen Putin-Kampagne eine weitere, verdeckte des russischen Geheimdienstes ablief mit dem Ziel, Beresowskis enorme Geldmittel, seine Medienmacht, seinen Einfluss auf die Jelzin-Clique ungeniert zu nutzen, um einen der ihren an die Spitze des Staates zu hieven.
Ein Meister der Intrige war einem Meister der Täuschung krachend unterlegen. Es war eben kein Scherz, wie Putin später abwiegelte, als er am 18. Dezember 1999, schon zwei Wochen vor seinem Amtsantritt als Präsident, auf dem FSB-Festbankett zum Jahrestag der Geheimpolizei meldete, die zur „verdeckten Arbeit innerhalb der Regierung“ abgestellte „Gruppe FSB-Offiziere“ habe ihre „ersten Aufträge erfolgreich beendet“.
Das sei, meint die aktive Oppositionelle Gessen, wohl ausnahmsweise die reine Wahrheit gewesen. Aber sie glaubt auch, bei den jüngsten Protesten gegen gefälschte Duma-Wahlergebnisse den Wendepunkt ausgemacht zu haben: „den Moment, in dem die Angst verschwindet“. Am kommenden Sonntag, wenn die Russen darüber abstimmen, ob sie Premier Putin wieder zum Präsidenten machen wollen, wird sich vielleicht erweisen, ob sie recht hat.
JÖRG R. METTKE
MASHA GESSEN: Der Mann ohne Gesicht. Wladimir Putin – Eine Enthüllung. Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Norbert Juraschitz. Piper Verlag. München 2012. 384 S., 22,99 Euro.
Der Journalist Jörg R. Mettke arbeitet seit 1987 als Russland-Korrespondent; er lebt teils in Berlin, teils in Moskau.
Bei der Niederschlagung
des Aufstands in Tschetschenien
erwarb Putin sich viel Reputation.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Am Sonntag wird sich Wladimir Putin wieder zum russischen Präsidenten wählen lassen, Jörg Mettke liest bei Masha Gessen noch einmal nach, wie sich der KGB-Mann vom farblosen Schreibtischtäter zum skrupellosen Machtmenschen gemausert hat. Denn so viel ist klar: Die in Russland geborene amerikanische Journalistin gibt höchstens viel auf Putins Habsucht, oder seine Kunstfertigkeit auf dem Gebiet der Täuschung, mit der er selbst Intriganten wie Boris Beresowski ausschaltet, der ihn einst inthronisiert hat. Spannend und klug findet er dies, den reißerischen Untertitel kreidet er dem Verlag an.

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