• Gebundenes Buch

3 Kundenbewertungen

"Der Tag, an dem ich in die Klapse komme, ist ein Donnerstag" so beginnt Eva Lohmanns autobiographischer Roman: Ihre Heldin Mila ist müde, unendlich müde und traurig. Dabei ist sie noch keine dreißig. Aber der Jobfrisst sie auf, und der Sinn ihres Daseins ist ihr aus dem Blick geraten. Mit Depression und Burnout wird sie in eine psychosomatische Klinik eingewiesen, auch wenn das bei ihren ambitionierten Eltern alles andere als populär ist und nicht nur bei ihrem Freund eine gewisse Beängstigung auslöst. Denn niemand von denen, die an einen solchen Ort kommen, ist doch normal, oder? Aber wie…mehr

Produktbeschreibung
"Der Tag, an dem ich in die Klapse komme, ist ein Donnerstag" so beginnt Eva Lohmanns autobiographischer Roman: Ihre Heldin Mila ist müde, unendlich müde und traurig. Dabei ist sie noch keine dreißig. Aber der Jobfrisst sie auf, und der Sinn ihres Daseins ist ihr aus dem Blick geraten. Mit Depression und Burnout wird sie in eine psychosomatische Klinik eingewiesen, auch wenn das bei ihren ambitionierten Eltern alles andere als populär ist und nicht nur bei ihrem Freund eine gewisse Beängstigung auslöst. Denn niemand von denen, die an einen solchen Ort kommen, ist doch normal, oder? Aber wie verrückt ist Mila eigentlich? Und kann man unter lauter Kranken überhaupt den Weg zurück ins richtige Leben finden? "Acht Wochen verrückt", der so unverstellte wie pointierte Roman über das Verrücktsein in normierten Zeiten. Von einer Erzählerin, deren scharfe Beobachtungsgabe niemanden verschont.
Autorenporträt
Eva Lohmann, Jahrgang 1981, arbeitet als Inneneinrichterin und Werbetexterin in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2011

Endlich krank!
Betonklötze: Eva Lohmanns Burn-out-Roman

Der Tag ihres Zusammenbruchs war ein ganz normaler Arbeitstag. Mila stand auf, duschte und zog sich an, mit dem gleichen lähmenden Gefühl, das sie seit Wochen begleitete: Betonklotz auf der Brust, der Körper eine bleierne Hülle. Im Büro schaltete sie den Computer an und bald wieder ab. Und nach zwei weiteren Stunden dieser Starre ging sie nach Hause, das erste Mal ohne schlechtes Gewissen. "Mir ging es auch gar nicht schlecht, fand ich. Mir ging es irgendwie überhaupt nicht mehr."

Acht Wochen bleibt Mila nach diesem Tag in der psychosomatischen Klinik, die ihr zunächst fast paradiesisch erscheint. Endlich ein Ort, an dem man einfach mal man selbst sein kann. Fern von den Kollegen, dem immer gleichen Essen, den immer gleichen Gesprächen, der immer gleichen Langeweile. "Es war offiziell: Ich hatte eine Krankheit, war nicht falsch oder egoistisch oder faul. Ich war krank, und ich durfte krank sein. Endlich Verantwortung abgeben."

Seit die Krankheit mit "Burn-out" einen Namen hat, mehren sich Berichte, Beraterbändchen oder Romane. Letzteres ist Eva Lohmanns Debüt "Acht Wochen verrückt", verfasst aus der Sicht und zunehmenden Einsicht der 27 Jahre alten Mila. "Neu im Land der Verrückten", spricht sie offenherzig und salopp, nicht poetisch. Und sieht man einmal davon ab, dass ein eher unspektakuläres Vokabular wie grinsen, lächeln, lachen, seufzen als Begleitgeräusch für viele Dialoge herhalten muss und manche Mitpatienten, weil es zu ihren Eigenschaften passt, als "das Huhn", "das scheue Reh" oder "das Vögelchen" figurieren, was oft komischer wirkt als gewollt, hat Milas Erfahrungsbericht doch Qualitäten.

Eva Lohmann verquickt Einzelfall und Ganzes. Sosehr Mila diese acht Wochen mit sich selbst beschäftigt ist und dem Kern ihrer Depression nahe kommt, so sehr prägt sie das Gespräch außerhalb des Therapeutenzimmers. Die Autorin, Jahrgang 1981, Inneneinrichterin und Werbetexterin, hat für ihren Roman einen Querschnitt gewählt: Magersucht, Bulimie, Depression, Panikattacken, Zwangsstörungen aller Art. Mila entwickelt im Laufe der Tage, die durch Ablauf, Tratsch und ständiger Selbstbildabfrage zwiespältigen, manchmal etwas arg zuckrigen Internats-Charme entfalten, ein Sensorium für die verschiedenen Krankheitscharaktere.

Da ist etwa Clara, mit der sie ihr Zimmer teilt, bis die zarte, fröhliche Frau über Nacht zwangsernährt werden muss - sie hätte sterben können. Nach diesem dramatischen Höhepunkt kommt viel in Bewegung. Milas Wahrnehmung verliert an Naivität. Woran, fragt sie, erkennt man "diese Verrückten", die lachen, lesen, im Internet surfen? "Manchmal, ganz selten, gibt es diese kleinen Augenblicke, in denen ich merke: Hier stimmt doch was nicht. Hier hat sich ein Fehler eingeschlichen": die Frau, die ein paar Mal zu häufig auf den Fahrstuhlknopf drückt; der Mann, dessen Hand starr auf seinem Postfach liegt, wie eingefroren, minutenlang; das Mädchen, das beim Frühstück einen Brotkrumen verliert und verzweifelt den Boden absucht, "in Panik über einen Krümel an einem Ort, an den er nicht hingehört".

Die Grenzen zwischen gesund und krank scheinen fließend und die Klinik ein geschützter Ort, in dem sich Rituale ausbilden - etwa, sich bei jeder Erstbegegnung über die Diagnose zu unterhalten. Mila beobachtet sehr fein, wie dadurch einerseits ein Gefühl der Verbundenheit entsteht, das für die harte Einzeltherapie möglicherweise festigt; wie andererseits alles in ihr rebelliert, wenn sie in der Gruppentherapie in Schwächen und Ängste einstimmt.

Ohne sich theoretisierend am Psychologenwort der eigenen "Abwehr" abzuarbeiten, spiegelt Milas gesamte Rede eben diese Abwehr - ein erschöpfendes Zirkeltraining: "Widerspricht man, heißt es, man verdränge. Ich kriege Panik. Verdränge ich?" Sie lotet den Raum aus, der dem Einzelnen zwischen Veränderungsangeboten von Seiten der Klinik und dem Respekt vor der eigenen Mündigkeit bleibt. Und sie hegt sogar leise Zweifel am Heilinstitut und seinem heimlichen Nebeneffekt für die Arbeitswelt draußen: "Was genau passiert hier mit uns? Ist der Manager nur hier, um wieder in der Gesellschaft zu funktionieren, die ihn vorher krank gemacht hat?" Doch mit der Bekanntschaft der eigenen Konflikte ändert sich Milas Blick.

Die sogenannten Freizeiträume der Klinik - Fernsehen, Essen, die Sonnenwiese - haben in diesem Prozess eine gar nicht unwichtige Funktion. Sie schützen Mila vor dem ständigen inneren Sprechen. Zugleich relativiert sie sich selbst durch die Konfrontation mit den anderen. Ganz anders die Einzelstunden bei Doktor Henning, der vorbildlich mit treffenden Bildern, einem kleinen Hausaufgabenprogramm und dem abschließenden Pflicht-Familiengespräch eine Reise in die Traurigkeit ihrer Vergangenheit anstößt. Milas Fall liegt geradezu klassisch: Früh vom Vater verlassen, hechelt sie einem von Eltern und ihr selbst implantierten Leistungsideal hinterher, zu dessen Verwirklichung sie sich inzwischen eine scheinwohlige Tablettensucht antrainiert hat. Dieses Paradox aus täglichem Energieaufwand einerseits und dem genauso anstrengenden Verdrängen der eigenen Bedürfnisse andererseits bis hin zum "passiven Sterbewunsch", wie es in der Fachsprache heißt, teilt sie mit den anderen depressiven Burn-outs. "Wie entfremdet muss man sein, in eine Welt passen zu wollen, in der man gar nicht leben will?"

Vielleicht ist Eva Lohmanns Roman, in welchem die Heldin schließlich lernt, ihren Job zu kündigen, zu vereinfachend. Lohmann bedient zu stark alle Klischees, die man im Zeitalter gut gepflegten Laienpsychologisierens vom Burn-out-Patienten hat: Frau, überarbeitet, abwesender Vater, Liebe durch Leistung. Das legt den Umkehrschluss nahe, Burn-out sei ein Privileg der Erfolgreichen und nicht ein emotionaler Erschöpfungszustand etwa auch als Folge der modernen Lebensweise, der im Prinzip jeden treffen kann. Diesem Bild setzt der Roman kaum etwas entgegen. Doch er zeigt, dass es sich lohnen kann, die verschütteten Grabstellen zu öffnen statt bis zur nächsten Krankheit zu funktionieren. "Acht Wochen verrückt" ist leichte Lektüre über schweren Stoff: Achtsamkeit mit sich selbst zu lernen.

ANJA HIRSCH

Eva Lohmann: "Acht Wochen verrückt". Roman.

Piper Verlag, München 2011. 195 S., geb., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dem gängigen, laienpsychologischen Bild des Burnout-Syndroms setzt das auch sprachlich, wie wir der Besprechung entnehmen, nicht gerade avancierte Romandebüt der Werbetexterin Eva Lohmann nichts entgegen, wie Anja Hirsch feststellen muss. Aber lernen kann sie doch etwas von der Lektüre. Etwa, dass es sich lohnt, genauer hinzusehen und die kritischen Momente der eigenen Biografie eingehender zu betrachten. Die Sicht der 27-jährigen Mila, die in einer Psychiatrischen Abteilung landet, deren Wahrnehmung sich verfeinert und die schließlich die kaum sichtbaren Grenzlinien zwischen Verrücktheit und Normalität zu erkennen vermag, scheint der Rezensentin dafür eine gute Hilfestellung zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Eva Lohmann aus Hamburg hat einen berührenden Roman über ihre Krankheit geschrieben.", Grazia, 04.08.2011