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Wissenschaftler oder Künstler - wer kann unsere Welt besser beschreiben und erklären? Jonah Lehrer erzählt »brillant und überraschend« (Oliver Sacks), wie Schriftsteller, Maler, Komponisten und Meisterköche die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung in ihren Werken längst vorweggenommen haben.
Was sehen wir? Wie fühlen wir? Wie funktioniert Erinnerung? Indem Jonah Lehrer beschreibt, wie Künstler unsere Sinneswahrnehmungen herausfordern, vermittelt er das neue Wissen über unser Gehirn. Und erzählt auf diese Weise neueste Forschung spannend und anschaulich auch den nicht in die
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Produktbeschreibung
Wissenschaftler oder Künstler - wer kann unsere Welt besser beschreiben und erklären? Jonah Lehrer erzählt »brillant und überraschend« (Oliver Sacks), wie Schriftsteller, Maler, Komponisten und Meisterköche die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung in ihren Werken längst vorweggenommen haben.
Was sehen wir? Wie fühlen wir? Wie funktioniert Erinnerung? Indem Jonah Lehrer beschreibt, wie Künstler unsere Sinneswahrnehmungen herausfordern, vermittelt er das neue Wissen über unser Gehirn. Und erzählt auf diese Weise neueste Forschung spannend und anschaulich auch den nicht in die Naturwissenschaften Eingeweihten. Wie Lehrer die Methode der Erinnerung mit Proust, den Vorgang des Sehens mit Cézanne, die Essenz des Schmeckens mit Escoffier erklärt, kommt einer Entdeckung gleich: Die Wissenschaftler enträtseln die Geheimnisse unserer Sinneswahrnehmung, die Künstler machen sie erfahrbar.
Autorenporträt
Jonah Lehrer, geboren 1981, ist Redakteur des renommierten Wissenschaftsmagazins Seed. Er studierte Neurowissenschaften an der Columbia University und bei Nobelpreisträger Eric Kandel, außerdem Literatur und Theologie in Oxford. Jonah Lehrer lebt bei Boston/USA.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2010

Auch der Koch ist ein Seher

Wo die Hirnforschung ist, war die Literatur doch schon lange: Jonah Lehrer spannt Kunst und Wissenschaft beherzt zusammen und wirbt für die Maximen einer vierten Kultur.

Jonah Lehrer ist einer, der genau hinhört und hinsieht. Vielleicht hat ihm diese Fähigkeit sein berühmter Lehrer Eric Kandel beigebracht, der für seine Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem vor zehn Jahren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Als Assistent in dessen neurowissenschaftlichem Labor an der Columbia University versuchte der junge Jonah Lehrer herauszufinden, wie die neuronalen Mechanismen der Erinnerung funktionieren. Das Warten auf die Zwischenergebnisse seiner Versuche vertrieb er sich mit der Lektüre von "In Swanns Welt", dem ersten Band von Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit". Da schwante ihm auf einmal, dass Prousts Suche seiner eigenen Arbeit gar nicht so unähnlich war, dass also seine Labortätigkeit aus "Amplifizieren, Zentrifugieren, Pipettieren und Digerieren" bereits vor hundert Jahren von einem Schriftsteller vorausgesehen worden war: "Proust und die Neurowissenschaft", schreibt Lehrer nun in seinem Buch, hätten "die gleiche Vision von der Wirkungsweise unseres Gedächtnisses". Höre man genauer hin, so sagten sie das Gleiche.

Die Verbindung zwischen dem französischen Autor und den Neurowissenschaften ist nicht so originell, wie es zunächst den Anschein haben mag. Prousts "Madeleine-Moment", die lange Beschreibung seiner aufsteigenden Kindheitserinnerungen beim Riechen und Schmecken des muschelförmigen französischen Kuchengebäcks, findet regelmäßig illustrativen Eingang in neurowissenschaftliche Vorlesungen, mäkelte der amerikanische Wissenschaftsjournalist Daniel Engber im Online-Magazin "Slate" bereits zum Erscheinen der Originalausgabe des Buches.

Lehrers Absicht ist jedoch alles andere als "Namedropping", um seine Lehren mit herbeizitiertem Gütesiegel zu verbreiten. Sein Madeleine-Moment steht emblematisch für einen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Kunst. Jedes Erinnern beginnt, so Lehrer, mit einem Verbindungswechsel zwischen zwei Nervenzellen. Die Erinnerung selbst beruht seiner Ansicht nach auf Verstärkungen der Synapsen, die es den Neuronen erleichtern, "miteinander zu kommunizieren"; zugleich ist sie ein "unaufhörlicher Prozess", bei dem die neuronale Struktur des Gedächtnisses jedes Mal subtil verändert wird. Inwieweit nun Kuchengerüche, Proteine oder auch instabile Prionen am Erinnerungsprozess beteiligt sind, ist für sein Fazit nicht entscheidend. Lehrers Clou ist vielmehr, dass Proust ebendiese Flüchtigkeit der Erinnerung nicht unter dem Mikroskop entdeckt, sondern im Schreibakt erfahren und erfahrbar gemacht habe.

Prousts Methode der Erinnerung ist nicht das einzige Beispiel, das Lehrer zur Veranschaulichung der Suche nach Erklärung aus den verschiedenen Perspektiven zu bieten hat: Paul Cézannes Bilder mit dem flächig-diagonalen Farbauftrag zeigten ebenso wie Wilhelm Wundts Gestaltpsychologie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, was neurowissenschaftliche Untersuchungen bestätigen: "Das visuelle Erleben übersteigt die visuellen Wahrnehmungen." Ob nun die Kochkunst des Franzosen Auguste Escoffier und die Entdeckung des fünften Geschmackssinns durch den japanischen Chemiker Ikeda Kikunae; ob Walt Whitmans dichterisch erschlossene Einheit von Körper und Gefühl und Antonio Damasios einschlägige Theorie; oder schließlich Virginia Woolfs Versuche, die "Abspaltungen und Gegensätze im Geist" mit Vorgriff auf die Untersuchungen an Split-Brain-Patienten bewusstzumachen: all diese Beispiele (und noch mehr) setzen Kunst und Wissenschaft in eins - ohne doch dabei die methodischen Unterschiede zu unterschlagen.

Eine Schwachstelle des Buches liegt in dem Wunsch, der Kunst seherische Fähigkeiten zuzuschreiben. Obwohl Lehrer selbst an verschiedenen Stellen zeigt, dass die zeitgenössische Wissenschaft wie etwa Wundt oder der von ihm häufig zitierte Philosoph und Psychologe William James sich gewissermaßen parallel zu den Künstlern bewegten ist der Tenor des Buchs eindeutig: Die Kunst habe schon lange vorher gewusst, womit die Neurowissenschaften nun nachlegen. Angesichts der heute herrschenden Überschätzung all dessen, was mit "Neuro" garniert wird, kann man sich diesen als Kunstgriff getarnten Angriff auf die neue Königsdisziplin aus deren eigenen Reihen auch gefallen lassen.

Neben seiner Arbeit und Promotion bei Kandel hat der Autor in Oxford Englische Literatur und Theologie studiert und sich inzwischen als Buchautor und Essayist einen Namen gemacht. Und es überrascht auch nicht, dass Lehrer auf der Intellektuellenplattform "Edge.org" zu finden ist, die sich Snows "Dritte Kultur", also den Brückenschlag zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, auf die Fahnen geschrieben hat.

Zu den Meinungsführern innerhalb der amerikanischen "Third Culture" wie E. O. Wilson, Steven Pinker oder Richard Dawkins geht Lehrer trotzdem auf Distanz. Der Dialog zwischen den Kulturen würde bei ihnen nicht gleichberechtigt geführt, die Sicht beider Seiten sei nach wie vor zu einseitig, zumal die der Naturwissenschaftler. Deswegen ruft Lehrer im Schlusskapitel nach einer "vierten Kultur", die voraussetze, dass Geisteswissenschaftler sich mit Naturwissenschaften auseinandersetzen, aber von Letzteren auch die Einsicht fordere, dass ihre Wahrheiten nicht die einzigen sind. Lehrers Buch ist ein solcher anregender Versuch, Kunst und Wissenschaft ohne Einseitigkeiten miteinander ins Gespräch zu bringen. Den dümmlichen und irreführenden Untertitel "Hirnforschung für Kreative", als ob es hier um "Schöner Forschen" oder eine Anleitung zum Basteln ginge, hätte sich der Verlag deshalb sparen können.

FRIEDERIKE REENTS

Jonah Lehrer: "Prousts Madeleine". Hirnforschung für Kreative. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Piper Verlag, München 2010. 303 S., geb., 21,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nee, mit "Schöner Forschen", wie Friederike Reents angesichts des Titels zunächst befürchtet, hat der Autor nichts am Hut. Vielmehr geht es Jonah Lehrer in seinem Buch darum, Kunst und (Neuro-)Wissenschaft einander näherzubringen und zwar ohne Einäugigkeiten. Auch wenn Rezensentin Reents Lehrers Verquickung etwa von Prousts Madeleine-Erlebnis mit entsprechenden neurowissenschaftlichen Überlegungen so irre originell nicht findet und die Kunst vielleicht nicht gar so seherisch ist, wie der Autor es gerne hätte - Lehrers Hinweis auf die methodischen Unterschiede der Erkenntnisse erscheinen ihr die Lektüre wert.

© Perlentaucher Medien GmbH