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"Mir blieb das Gefühl, bloss zu Besuch, mehr oder weniger zufällig mit aufs Bild geraten zu sein. Hin und wieder träumte ich, die Tür der Dunkelkammer im Keller ginge auf, Ihr Mann träte heraus und fände mnich in seinem Ehebett." Zwölf Geschichten - präzise und voller Sehnsucht nach dem Woanders.

Produktbeschreibung
"Mir blieb das Gefühl, bloss zu Besuch, mehr oder weniger zufällig mit aufs Bild geraten zu sein. Hin und wieder träumte ich, die Tür der Dunkelkammer im Keller ginge auf, Ihr Mann träte heraus und fände mnich in seinem Ehebett."
Zwölf Geschichten - präzise und voller Sehnsucht nach dem Woanders.
Autorenporträt
David Wagner, geboren 1971, studierte Literatur und Kunstgeschichte in Bonn, Paris und Berlin. Nach zahlreichen Auslandsaufenthalten lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen, Auszeichnungen u.a. mit dem "Alfred-Döblin-Stipendium" und dem "Walter-Serner-Preis". David Wagner lebt in Berlin. 2014 wurde er für seine "Sprachvirtuosität" mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Generation Grau
Benebelt: David Wagners Geschichten / Von Eberhard Rathgeb

Sie sind nicht jung, und sie sind nicht alt. Wahrscheinlich sind sie alle über zwanzig. Eine studiert, andere machen Sprachkurse oder gehen einem Beruf nach, der sie durch die Welt führt. Von anderen erfahren wir nicht, was sie so treiben, es wird wohl nicht gerade aufregend sein, sonst würde darüber ja einmal ein Wort fallen. Die Helden in David Wagners Erzählungen sind blasse junge männliche und blasse junge weibliche Wesen: graue, flüchtige, durchschnittliche und nicht ausgereifte Erscheinungen, die in vielen Fällen nicht einmal einen Vornamen brauchen.

Man macht mit diesen Erzählungen eine Tür auf, und dann stehen sie da, die Nebenfiguren von Helden, mitten in einem kleinen Zusammenhang, der keine große, keine wichtige Geschichte ergibt, sondern nur ein Zimmer ist, in dessen vier Wänden sie gerade wohnen - sie wissen auch nicht, wie lange noch. Sie tauchen auf, erzählen ein wenig, was vorfällt, was sie fühlen und woran sie denken, und dann fällt die Tür ins Schloß, und wir gehen weg. Wir lernen sie dabei nicht wirklich kennen.

Sie machen oft den Eindruck, als kämen sie von ihren Eltern nicht los, weil die Mutter tot ist oder der Vater abgehauen. Draußen, wo verläuft, was man so den Weg durchs Leben nennt, sieht es so aus, als rutschten sie auf den Beifahrersitz, wären nur Mitfahrer. Und darin liegt schon ihr ganzes bescheidenes Glück. Sie wissen nicht genau, wohin sie fahren, sie wissen nicht genau, wer das ist, der sie fährt, und sie wissen nicht genau, wer die sind, die noch mit von der Partie sind. So schaut das also bei den alten jungen Leuten heute aus: Immer fehlt was, der Sinn, das Geld, das Ziel, die Nähe, das Vertrauen, das Zuhause, die Mutter, der Vater, der Halt, das eigene Kind.

David Wagner erzählt in seinem neuen Buch "Was alles fehlt" elf Geschichten von den Lücken im Leben und vom Leben mit den Lücken. Die zwölfte Geschichte besteht aus Gesprächsfetzen, die bei einer Party in Berlin aufgeschnappt worden sind. Manche Menschen, die hier in diesen Gesprächen kurz erwähnt werden, scheinen uns in den Geschichten, die vorausgegangen sind, über den Weg gelaufen zu sein. Nichts bleibt eben von den Mitfahrern übrig als eine flüchtige Erwähnung. Doch würden David Wagners Helden einmal zusammenrücken, dann könnte die kleine Gruppe schon wie eine Generation aussehen. Die Stimmung, die hier herrscht, ist gedämpft und nicht verrückt, leicht neurotisch, nicht zynisch.

Beim Erzählen riskiert David Wagner so wenig wie seine Helden im Leben. Er duckt sich in die Perspektive seiner Protagonisten und wählt gerne die indirekte Rede. Damit setzt er sich mitten hinein in die kleinen Zimmer seiner Nebenfiguren, ohne Aussicht und ohne Verbindungstür. Wenn in dieses architektonische Muster des Erzählens der Grundriß einer Mangelgeschichte paßt, legt sich ein leichter Nebel über die Geschichte: Man sieht dann gleichsam mit eigenen Augen, daß keiner wissen kann, wohin das alles, was heute Leben heißt, führt.

Exemplarisch gelungen ist diese dunkle Ferne und helle Enge des Daseins in der längeren zweiten Erzählung des Buches. Zwei junge Leute fahren in einem Auto auf einer Landstraße dahin. Die junge Frau sitzt am Steuer. Sie erzählt dem jungen Mann neben ihr - es ist ihr Cousin -, daß Hanna sich umgebracht hat. Und während sie weiter die Landstraße dahinfahren, erinnert sich der junge Mann im stillen an einen gemeinsamen Ausflug zu dritt mit Hanna. Danach hatte Hanna den jungen Mann in Paris besucht. Sie wohnte sogar eine Weile bei ihm, machte aber keinen Schritt vor die Tür, zeichnete nur. Bis er sie dann eines Tages zum Bahnhof brachte und sie abfuhr.

Die junge Frau, die das Auto über die Landstraße lenkt, weiß von diesem Besuch in Paris nichts. Hanna ging in Wien auf die Kunstakademie. Sie nahm Tabletten aus der Apotheke ihres Vaters und setzte sich in den begehbaren Kleiderschrank ihrer Eltern zum Sterben. Die junge Frau am Steuer biegt, nachdem sie vom Selbstmord Hannas erzählt hat, unvermutet von der Straße ab. Sie möchte zu Hannas Elternhaus fahren, das ganz in der Nähe steht.

Zwei, drei Erzählungen in diesem Band würden wir nicht vermissen. An die Fahrt über die Landstraße und an Hanna im Schrank werden wir uns noch eine Weile erinnern. Die anderen Geschichten sind so leicht wie ihre Helden, die auf den Sitzen neben dem Fahrer Platz genommen haben, und sie haben sich, gerade weil sie gar kein waghalsiges Tempo draufhaben und auch nur eine kurze Strecke geradeaus gehen, im Grunde genommen bald in den Fahrtwind aufgelöst.

David Wagner: "Was alles fehlt". Zwölf Geschichten. Piper Verlag, München, Zürich 2002. 150 S., geb., 15,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alles, was dem Rezensenten bislang an Vorurteilen über die Berliner Jungautoren zu Ohren gekommen ist, scheint sich in dem neuen Erzählband David Wagners für ihn zu bestätigen; Berlin-Mitte ist nicht das ganze und schon gar nicht das wahre Leben, und Markenkenntnis bedeutet noch lange keine Weltläufigkeit, stellt Bisky fest. Obwohl in Wagners 12 Erzählungen jede Menge gestorben und Abschied genommen wird, so Bisky, werde er das Gefühl nicht los, einer völlig belanglosen Welt beizuwohnen, was vor allem daran liege, analysiert er, dass Wagners Personal alle Zumutungen der Außenwelt, jede intensive Erfahrung abwehre. Am meisten trage aber zu diesem Eindruck der Autor selbst mit seinem routinierten Erzählstil bei, meint Bisky, der sich an die gedämpfte Atmosphäre einer Hotelbar an einem Sonntagnachmittag erinnert fühlt. Zwei Geschichten ("Was fehlt", "Badeschlappen") fallen allerdings für ihn aus dem sonntäglichen Langeweilerbad heraus: sie zeugten von einer "Intensität des Erlebens", die Wagners Figuren sonst fehlten. In beiden Fällen geht es um das Durchleben einer Trennung nach einer symbiotischen Beziehung - da sei das Außenleben per se ausgespart, behauptet Bisky, und bleibe deshalb vom Anstrich des Belanglosen verschont.

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