Produktdetails
  • Verlag: Piper
  • Seitenzahl: 151
  • Abmessung: 20mm x 122mm x 195mm
  • Gewicht: 256g
  • ISBN-13: 9783492040914
  • ISBN-10: 3492040918
  • Artikelnr.: 08530922
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2000

Dass wir nicht lachen
Große Brüder und Eltern – Ralf Bönts Berlinroman „Gold”
„Uns die Stadt”, das muss von Anfang an klar sein, uns, nicht denen, und die Stadt heißt natürlich Berlin, Berlin in der Goldgräberstimmung der neunziger Jahre, „da passiert wenigstens was: Hier ist ein Schlot noch, der müsste auf Dauer mal weg da. So prägt sich das Bild der Stadt, unser Schickago. ”
„Wir”, das sind die Integrierten, die Gewinner, „keinem verpflichtet, außer uns selbst”, die Kompetenten, die D-Land bauen und den zukünftigen Standort, „Passagen, Karrees und Objekte”, während die Zeit, „unser Maßstab”, vergeht. Geschichte wird auf ein paar wieder aufgebaute Denkmäler reduziert. „Unser dunkles Kapitel ist lange schon abgebüßt, fertig”, jetzt ist alles, was zählt, das Gold. „Wir lieben das Gold wie uns selbst nicht. ”
Aber da gibt es noch die anderen, eine „orientierungslose Gruppe am Rand”, die Außenseiter, die Chaoten, die in einem vulgären Durcheinander leben, womöglich noch von der öffentlichen Hand, also von „uns”. Das sind Hans Zork und Anna Plech, und auch Lotte Müller und der Türke Dorado, die laufend libidinös in der Spittastraße und der Muskauer Straße herum, mal auf dieser, mal auf jener Seite der Spree und über die Brücke, und vögeln miteinander oder auch überkreuz und Anna sogar mit einem Stricher. Abends gehen diese Traumtänzer ins Mollie und versinken in Whisky und Gefühlen. „Es ist dann kein Wunder, wenn es bei denen nicht vorangeht. Die zu nichts kommen.
In Ralf Bönts neuem Roman „Gold” sind „wir” die Erzähler und die anderen die Erzählten. Ein Glück, dass Bönt diese Sprache entwickelt hat, ein vom ersten Satz an rhythmisch mitreißendes und im cleveren Pingpong mit dem Leser höchst witziges Instrument – anders wäre eine solche Erzählsituation nicht zu halten. Die Erzähler (wenn hier der grammatische Plural überhaupt passt) machen überhaupt kein Hehl daraus, dass sie ihre Figuren ad hoc erfinden („mal sehen, was wir brauchen”), zugleich aber diese „Handvoll künstlich missratener Heldinnen und Helden” von Grund auf verachten. Sie grinsen über sie und verleumden sie, schauen ein Quiz im Fernsehen an, während die „Spielpuppen” sich streiten, sie kündigen ihren „verkorksten Figuren” den Rückhalt auf: „Wir haben ein Programm, wo für solche Leute wenig Platz ist. ” Ein paar Tage, vom 24.  Dezember bis Silvester, dürfen die Geschöpfe, wie zwischen Clips und Spots gezappt, durch eine Gänsehaut generierende Weihnachtsgeschichte irren, dann werden sie abgeschossen, nach der „souveränen und konsequenten Entscheidung der Erzähler”.
Die „Wir-Perspektive” besonders virtuos gehandhabt hatte der Schriftsteller Gert Hofmann. In seiner Erzählung „Motte” entfaltet das „Wir”, im Umgriff amöbenhaft wandelbar, mal eine kleine Gruppe, mal die ganze Stadt umfassend, eine Atmosphäre erdrückender Anonymität, die sich nie benennt. Es spricht die Gesellschaft, die Mehrheit. Ohne das Bewusste in individueller Verantwortung hängt die naive Mitläuferschaft aus den Fenstern der Häuser und beobachtet neugierig und ungerührt die Verstrickungen und Tragödien der Außenseiter. Auch Bönts „Wir” spricht aus der Sicherheit der Majorität. Doch gibt es bereitwillig und ausführlich Auskunft über das eigene Befinden, „wir können was, Gott, halten was aus”, das Befinden der erfolgreichen Macher, das gar nicht so eindeutig ist, wie man zunächst vermuten möchte.
Da gibt es schon auch Frust und eine Wut, die hat man nachts wie die Tiere, „wir wissen am Ende doch auch nicht wirklich wohin”. Dieses Befinden bringt die eigentlich tragende Ebene des Romans hervor. Es geht nicht darum, eine Geschichte zu erzählen, sondern ein „stimmiges Bild” zusammenzufügen – „von uns”. Allerdings ist es erstaunlich zu sehen, wie die von vornherein und gezielt abgewerteten Kunstprodukte Hans und Anna, Lotte und Doro, dazu noch die „erfundene Traumfrau” Sismene, Tochter des Vorstands – gegen das „wir” ein kräftiges Eigenleben entwickeln – und sogar eine zweite Chance bekommen: „Teil zwei, beziehungsweise die Rückseite unserer Story mitsamt allen Einzelheiten und der vollständigen Wahrheit ab Seite 69. ”
Ab Seite 69 wird das bisher Erzählte variiert, der Ton ändert sich, die Figuren kommen mehr zu Wort, vor allem scheint sich das „Wir” zu wandeln. Es lässt sich anstecken vom „Rauschen des Daseins”, will nun auch Größe und Gefühl, vielleicht sogar ein Kind. Es ändert auch seinen Umgriff – ist jetzt auf einmal wenige, oder nur ein paar Freundinnen, gar nur ein „mir”, um dann im dritten Teil das Räsonnieren über Gott und Gold beiläufig-zweideutig zu beenden: „Dass wir nicht lachen. ”
Ralf Bönt, der schon mit seinem ersten Roman „Icks” viel Aufmerksamkeit erregte, hat aus dem Bielefeld von „Icks” einen endgültigen und souveränen Schritt nach Berlin getan, wohin zwar gerade alle gehen, aber was soll’s. „Berlin in jedem Fall ist die Party. ” Seine Sprache hat sich sehr originell weiter entwickelt, er poliert die Wörter („Kosungen”) gegen den Strich und verbindet die Stilebenen nach Belieben, aber nicht beliebig.
Das „Icks”-Ich hat sich in sich selbst gespiegelt, die „Gold”-Helden spiegeln sich im „Wir” (dem man auch die Eltern zurechnen kann) und entblößen dabei ihre Erzähler und Erzeuger – so wird das Thema Eltern, in „Icks” beherrschend, hier knapp, klar und mit makabrer Komik abgehakt. Dennoch: „Gold” braucht keine Generationalisierung. Hier wird die „kollektive Mentalität” (Ralf Bönt) beobachtet beim Beobachten der Suchbewegungen der Außenseiter, der Verstrickten – das hat allgemeine Gültigkeit und einen Hauch von Klassik.
EVA LEIPPRAND
RALF BÖNT: Gold. Roman. Piper Verlag, München 2000. 156 S. , 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2000

Virtuelle Baustelle
Berlin als Video-Clip: Ralf Bönts kleiner Roman "Gold"

In Berlin herrscht bekanntlich Aufbruchstimmung. Dazu paßt, daß in Ralf Bönts zweitem Roman ein dynamisches Kollektiv als Erzähler auftritt: "Uns die Stadt. Denn wir sind nicht ängstlich, und das Schönste am Krieg ist ja die Nachkriegszeit. Da wird alles gut, wie wir wissen, das ist sicher, es wird besser, sicher ist eh sicher, okay, alles geht vorwärts und dann, am Ende? wird es Gold." Merkwürdig nur, daß dieser Wir-Erzähler Zeit hat, sich ein ganzes Buch lang mit "einer orientierungslosen Gruppe" zu beschäftigen, mit einer Handvoll von Leuten, die mit ihren nächstliegenden Problemen, nämlich mit den Wirrungen der Sexualität beschäftigt sind. Hans aus Frankfurt liebt Anna aus Bernau, aber die betrügt ihn mit einem Sportler; der Berlin-Türke liebt Lotte, aber die betrügt ihn mit Hans. Außerdem mußte der Kater eingeschläfert werden. Da ist an Aufbruch und Bruttosozialprodukt nicht zu denken.

Die kleinen Schicksale werden als Video-Clip erzählt, mit schnellen Schnitten und assoziativen Überblendungen. Er wirkt aber wie in der Zimmer-Kopf-Welt gedreht. Berlin ist da nur eine Fototapete: ein Blick über den Kanal zum Dom oder die Spree hinunter zum Fernsehturm, eine Häuserflucht mit Sonnenuntergang, der Friedrichshain, eine Kneipe mit Tresen, das ist fast alles. Im Zimmer läuft der Fernseher, ein Quiz, in dem Carola sich anschickt, den Hauptgewinn davonzutragen. Nur von ferne und verworren dringen die Stimmen der Geschäftswelt in den Altbau. Was sie sagen, scheint auch der Wir-Erzähler nicht zu verstehen, oder er will es nicht verraten. Die Tochter des Vorstands jedenfalls treibt es zur Bluttat.

Berlin ist in dem Buch ein Versprechen, das garantiert nicht gehalten wird: "Alles neu, sagt Lotte, dachte ich, neue Stadt, Berlin dachte ich, sagt sie, neues Glück, vielleicht die Liebe. Lacht Lotte laut: Also, alles ganz klasse, sagt sie, super, wirklich ganz toll!" In jedem Fall aber ist Berlin "die Party". Der gelassene Wir-Erzähler, dessen Lieblingswort eine Übersetzung ist: "kühl", kann allen seinen Personen in den Kopf sehen, behauptet es mindestens. Er läßt sie in Fallen stolpern und Irrwege gehen, sich aufregen, weinen oder lachen, aber wenn es ihm einfällt, nimmt er alles wieder zurück, und die Gefühle sind für die Katz. Ein kleiner Gott des Cyberspace mit multipler Persönlichkeit. Auch mit der Stadt springt er um, wie es ihm beziehungsweise ihnen gefällt: "Wir reißen Berlin ab, bauen ein neues mit Denkmälern drin. Die, harmlose Kunst, erzählen vom Krieg und dann basta! Die Clips schalten wir wieder ein, zwischen die wichtigsten Szenen und wiederholen sie dauernd." Da ist das bißchen Lokalkolorit auch noch hinüber, und die "verkorksten Figuren" tappen im Leeren.

Ralf Bönt treibt ein virtuoses, passagenweise witziges Spiel mit sprachlichen und visuellen Klischees und bemüht sich erfolgreich, dem Ruf nach dem Hauptstadtroman nicht zu genügen. Der Unterhaltungswert ist mäßig, der Erkenntniswert wie bei Video-Clips noch geringer. Man erfährt nur, daß Berlin und das Leben virtuelle Baustellen sind. So ein Text, denkt der Leser, sollte mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet werden. Da ist es schon geschehen. Und das ist wirklich wahr, soweit wir wissen.

FRIEDMAR APEL

Ralf Bönt: "Gold". Roman. Piper Verlag, München 2000. 152 S., geb., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Obwohl Friedemar Apel dem Autor ein "virtuoses, passagenweise witziges Spiel mit sprachlichen und visuellen Klischees" bescheinigt, so kann er dem Buch summa summarum nur wenig abgewinnen. Weder findet er es unterhaltsam, noch kann er irgendeinen "Erkenntnisgewinn" aus der Lektüre ziehen. Vielmehr fühlt er sich an einen Video-Clip erinnert, bei dem sich schnelle Bilder aneinander reihen oder auch überschneiden, und auch das Hauptthema, von dem das Personal umgetrieben wird - nämlich Sexualität - kann den Rezensenten zumindest in dieser Form nicht vom Hocker hauen. Kein Wunder, dass ein solcher Text mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet worden ist, merkt der Rezensent abschließend etwas süffisant an.

© Perlentaucher Medien GmbH