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Der Verlust der Unschuld bei Adam und Eva, der Mythos von Prometheus, Goethes Faust, Frankensteins Monster, die Perversionen des Marquis von Sade, die Atombombe und die Gentechnik - das sind nur einige Aspekte des leidenschaftlich argumentierenden Buches von Roger Shattuck über das Tabu und das verbotene Wissen der Menschheit. Der Autor, einer der originellsten Denker unserer Zeit, präsentiert ein faszinierendes Panorama menschlicher Überheblichkeit quer durch die Geschichte.

Produktbeschreibung
Der Verlust der Unschuld bei Adam und Eva, der Mythos von Prometheus, Goethes Faust, Frankensteins Monster, die Perversionen des Marquis von Sade, die Atombombe und die Gentechnik - das sind nur einige Aspekte des leidenschaftlich argumentierenden Buches von Roger Shattuck über das Tabu und das verbotene Wissen der Menschheit. Der Autor, einer der originellsten Denker unserer Zeit, präsentiert ein faszinierendes Panorama menschlicher Überheblichkeit quer durch die Geschichte.
Autorenporträt
Roger Shattuck, geboren 1923 in New York, studierte in Yale und in Harvard, lehrte an der University of Texas, an den Universitäten Virginia, Dakar/Senegal und zuletzt in Boston. Er schrieb zahlreiche Bücher, unter anderem über Proust und die Belle Epoque.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Hinter unserem Deich sind wir auch nicht sicher
Roger Shattuck baut Dämme des Wissens / Von Harald Weinrich

Unter den nachgelassenen Fragmenten Nietzsches findet sich eine Notiz, die von ihm als Werktitel gedacht war: "Philosophie des verbotenen Wissens". Diese suggestive Anregung hat Konrad Paul Liessmann als Titel für sein jüngst erschienenes Nietzsche-Buch aufgegriffen, um das Faszinosum einer Geisteslandschaft jenseits des Wahren, Schönen und Guten zu erkunden. Aber auch in den Vereinigten Staaten hat das "verbotene Wissen", mit oder ohne Nietzsche, seine Autoren gefunden, den Wissenschaftsphilosophen Nicholas Rescher mit einem wegweisenden Aufsatz "Forbidden Knowledge. Moral Limits of Scientific Research" (1987) und nach ihm den Literaturwissenschaftler Roger Shattuck mit seinem Buch unter dem Originaltitel "Forbidden Knowledge. From Prometheus to Pornography" (1996). Für die jetzt vorliegende, zuverlässig übersetzte deutsche Ausgabe des letztgenannten Buches hat der Verlag, im Wetteifer mit der verführerischen Alliteration des amerikanischen Untertitels, das Reizwort "Tabu" als Haupttitel gewählt und damit allerdings das Generalthema des maßlosen, alle vernünftigen Grenzen überschreitenden Wissenwollens stärker als nötig eingeengt.

Roger Shattuck ist ein in Amerika sehr angesehener, emeritierter Literatur-Professor, der sich als hochgebildeter Romanist den Luxus geleistet hat, die wechselnden literaturwissenschaftlichen Moden der Ost- und Westküste souverän zu mißachten und statt dessen unter seinen Studenten die Lust am Lesen zu verbreiten, mit starker Betonung der Inhalte. Literarhistoriker würde ich ihn bei diesem Geschäft nicht unbedingt nennen wollen, da er seiner Leserschaft das chronologische Gerüst der Historiographie nur beiläufig vor Augen führt. Seine Literaturgeschichte ist ein mit weltklugen Geschichten aus allen Jahrhunderten reichbestücktes Arsenal, aus dem Leser und Leserinnen ihren Bedarf an Welt- und Menschenkenntnis befriedigen können, zumal wenn sie Fragen haben, die über die Grenzen der Alltagserfahrung hinausgehen. So ist auch sein Buch, vordergründig betrachtet, eine guided tour kreuz und quer durch die Weltliteratur geworden.

Die literarische Weltbesichtigung dieses Buches steht in den Anfangskapiteln unter dem Leitmotiv der Neugier (curiositas). Nichts reizt die Menschen mehr als das Unerlaubte, wie der Autor an Adams und Evas "Urneugier" und an Miltons Weiterdichtung zeigt. Von Eva und Adam, müßte ich eigentlich sagen, denn in der Moral der meisten Geschichten wird an erster Stelle vor der weiblichen Neugier gewarnt, die der Männerherrschaft ganz und gar nicht geheuer ist. "Ein großes Ressort im weiblichen Charakter ist die Neugier", schreibt noch Knigge.

In der Neuzeit bleibt die Neugier kein Attribut des weiblichen Geschlechts und wird als primär männlich gedachte Wißbegierde (libido sciendi) die wichtigste Antriebskraft der Wissenschaft, vor allem in den Paradiesen der Naturwissenschaft. Hier erreicht der Autor sein eigentliches Thema, die prekären und problematischen Grenzen des Forschungstriebes. Einige dieser Grenzen scheinen von der Natur selbst gesetzt zu sein: "Wir werden es nicht wissen" (ignorabimus), bleibt dann nur resignativ zu sagen. Die Sorge des Autors gilt jedoch vorwiegend jenen unfesten Grenzen des Wissens, die weniger von den Protagonisten der "reinen" Forschung als vielmehr von bedenkenlosen Anwendern oft zum Schaden der Menschheit leichtfertig überschritten werden, sofern hier nicht durch eine Selbstkontrolle der Wissenschaft Einhalt geboten wird. Das wird in diesem Buch, beginnend mit dem Bau der ersten Atombombe in Los Alamos bis zu den jüngsten Erfolgen der manipulatorischen Gentechnologie, kenntnisreich beschrieben und mit welterfahrener Skepsis, etwa auf der Linie der Chargaffschen Warnungen vor einer amoralischen Wissenschaft, kritisch kommentiert.

Natürlich hat der Autor keinen Augenblick im Sinn, nach einem neuen "Index librorum prohibitorum" zu rufen und wissenschaftliches Forschen in Grenzbereichen von Autoritäten verbieten zu lassen. Wohl aber fragt er nach möglichen Regeln der Selbstbeschränkung, vielleicht in Form eines "hippokratischen Eides" mit seinem Gebot, niemals zu schaden. Im ganzen aber setzt der Autor seine Hoffnungen eher auf eine verlangsamte Gangart der Forschung, die Zeit zum Nachdenken über mögliche Nebenwirkungen läßt. Die fast ökologisch zu nennende Zielmarke könnte mit Milton lauten: "Sei bescheiden klug."

Was treibt diesen Mann der Literatur an, den "Spitzenforschern" der Naturwissenschaft so genau auf die Finger zu schauen? Shattuck war gegen Ende des Krieges - aber das Kriegsende schien noch weit - Bomberpilot im Pazifik. Eine verlustreiche Invasion Japans schien unmittelbar bevorzustehen. Da fielen die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, die ihm, so rechnet er sein Schicksal nach, wahrscheinlich das Leben gerettet haben. Aber den Preis dafür haben nicht Einstein und Oppenheimer, sondern die Opfer in Japan entrichtet. Seitdem hat ihn die Frage nicht mehr losgelassen, zu wessen Lasten es eigentlich geht, wenn Wissenschaftler nach den Sternen greifen oder ein Höllenfeuer entfachen.

Um Moral geht es dem Autor dieses Buches nicht nur zur wissenschaftlichen, sondern auch zur literarischen Seite hin. In der Weltliteratur, für deren ästhetische Qualitäten er durchaus ein feines Sensorium hat, sieht Shattuck gleichwohl in erster Linie eine universal-moralische Veranstaltung, weshalb er nicht davor zurückschreckt, seine Studenten im Seminar listig der Reihe nach zu befragen, ob etwa der sympathische Matrose Billy Budd in Melvilles gleichnamiger Geschichte zu Recht standgerichtlich zum Tode verurteilt wird - ja oder nein. Daß dabei, mindestens zunächst, alle geschichtlichen Bedingtheiten beiseite gelassen werden, nimmt der Autor ohne Komplexe in Kauf. Daran hat man als europäischer Geistesgeschichtler tüchtig zu schlucken.

Am deutlichsten pointiert wird bei Shattuck die Moral in seiner ausführlichen Besprechung des "Fremden" von Camus. Mit den Kunstmitteln des "gleichgültigen" Stils läßt Camus den Leser des Romans an der äußersten Moralfremdheit des Helden von innen heraus teilnehmen. Aber dieser Held, Meursault, ist ein Mörder. Die Frage lautet nun für Shattuck, ob die Leser, zum Beispiel seine Studenten, die durch den "hypnotischen" Stil des Autors zur Sympathie und Empathie mit dem Mörder angeleitet oder verleitet werden, bei der Lektüre vielleicht ihren natürlichen Blick für Recht und Moral verlieren könnten. Denn "alles verstehen heißt alles verzeihen".

Gilt also etwa auch für die Literatur, und gerade in ihren klassischen Werken, daß ihre Explorationen die Grenzen eines Wissens überschreiten, das "sich verbietet", wenn die Rechtsordnung der Gesellschaft Bestand haben soll? Hier wird nun allerdings an die Adresse von Shattuck die Frage zu stellen sein, auf welche Weise eigentlich wir Leser uns vor moralischer Hybris der Kritiker schützen können. Oder anders gefragt: Was, wenn nicht das Ingenium der besten Schriftsteller, kann die Moral an den Grenzen ihres Wissens zum Erschaudern über sich selbst bringen?

Ein absolut sicherer Deich ist also aus den Geschichten der Weltliteratur gegen die Hochflut der menschlichen Hybris nicht zu errichten. Mit einem Deichbruch rechnet der Autor weiterhin dort, wo die Literatur selbst eine grenzenlose sexuelle Neugier zu Wort kommen läßt. Diesem Problem ist die fast neunzig Seiten lange "Fallgeschichte" gewidmet, in der er sich mit den Schriften des Marquis de Sade und den in ihnen mit Wohlgefallen beschriebenen "philosophierenden Lüstlingen" (Liessmann) auseinandersetzt. Verdient dieser "göttliche Marquis" (Apollinaire) oder "Professor emeritus des Verbrechens" (Michelet), daß er von seinen intellektuellen Bewunderern, die ihm den Weg in die "Bibliothèque de la Pléiade" geebnet haben, als Klassiker der Moderne gefeiert wird?

Zwar räumt Shattuck resignierend ein, daß es Pornographie wohl immer geben wird. Aber welches Zeugnis im Prozeß um das "verbotene Wissen" kann die Literatur noch beisteuern, wenn sie selbst für sich ohne Skrupel das uneingeschränkte Recht auf "verbotene Erfahrung" beansprucht? Das ist Shattucks Dilemma, aus dem ihm auch kein Ausweg einfällt. Nur andeutungsweise, im historischen Kontext des asketisch-moralischen Romans "La Princesse de Clèves" von Madame de La Fayette, läßt der Autor vorsichtig die Frage durchblicken, was denn nach dem Bruch der letzten Tabus, wenn alles bis zum Gähnen erlaubt ist, der Literatur noch zu explorieren übrigbleibe außer der Tugend.

Roger Shattuck: "Tabu". Eine Kulturgeschichte des verbotenen Wissens. Aus dem Amerikanischen von Harald Stadler und Thorsten Schmidt. Piper Verlag, München 2000. 461 S., geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Forbidden Knowledge" lautet der Originaltitel von Roger Shattucks Kulturgeschichte des verbotenen Wissens. Und trifft die semantische Bandbreite des Themas besser als die deutsche Übersetzung "Tabu", findet Sascha Michel. Der Autor präsentiert seine Abhandlung als Geschichtenerzählung, berichtet der Rezensent. Geschichten über Faust, Frankenstein, Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und über de Sade. Und hier wird der Rezensent richtig sauer. Denn er vermutet hinter dem vermeintlich theoriefreien, narrativen Gestus des Buches eine "ordentliche Portion reaktionärer Ideologie". Nicht nur, dass der Autor de Sade für literarisch und ideengeschichtlich überbewertet hält, ärgert den Rezensenten. Vor allem Shattocks moralische Implikation, de Sade besser zu verbieten, da er für die öffentliche Sicherheit und die "Volksgesundheit" eine Gefahr darstelle, bringen Michel richtig auf. Zwar müsse sich der Leser nach der Lektüre von Shattocks Abhandlung nicht um seine Gesundheit sorgen. Aber an Schluckbeschwerden und heftigen Magenkrämpfen komme er angesichts der wertkonservativen Argumentation des Autors nicht vorbei, warnt der Rezensent.

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"Eine erfreulich streitlustige, fundierte Auseinandersetzung mit einem Thema, dessen Aktualität täglich zunimmt." (Die Welt)