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Lange war man bemüht, jegliche Subjektivität aus dem Schreiben von Geschichte auszuschließen. Kulturhistorische und andere Neuansätze der Geschichtswissenschaft haben jedoch deutlich gemacht, dass wir letztlich immer auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Lebenserfahrungen und der uns verfügbaren Geschichten anderer Menschen argumentieren. Eine Möglichkeit, die Summe solcher Lebenserfahrungen und Geschichten zu kategorisieren, erschließt sich über den Begriff der Generation bzw. Generationalität.

Produktbeschreibung
Lange war man bemüht, jegliche Subjektivität aus dem Schreiben von Geschichte auszuschließen. Kulturhistorische und andere Neuansätze der Geschichtswissenschaft haben jedoch deutlich gemacht, dass wir letztlich immer auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Lebenserfahrungen und der uns verfügbaren Geschichten anderer Menschen argumentieren. Eine Möglichkeit, die Summe solcher Lebenserfahrungen und Geschichten zu kategorisieren, erschließt sich über den Begriff der Generation bzw. Generationalität.
Autorenporträt
Jürgen Reulecke, Dr. phil., ist emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Sprecher des Sonderforschungsbereichs 434 »Erinnerungskulturen«. Forschungsschwerpunkte: Generationengeschichte, Geschichte von sozialen Bewegungen sowie von Jugend und Alter, Stadt- und Urbanisierungsgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2004

Wild-bewegte Jahre
Portraits deutscher Generationen aus dem 20. Jahrhundert
Die „30-jährigen” fühlen sich um ihre Zukunft betrogen. Waren sie nicht angetreten als „die begabteste Generation unter den Jungen”? Hatten sie es nicht dank „Tüchtigkeit, Selbstdisziplin und skeptischer Intellektualität” vermocht, die „Krisenhysterien und Krisenlaster” der Zeit einigermaßen schadlos zu überstehen? Und nun stehen sie da als Verächter von Humanität und Menschlichkeit, als „schärfste Gegner des Liberalismus”.
Das Generationsporträt, das Peter Suhrkamp 1932 in seinem Essay „Söhne ohne Väter und Lehrer” entwirft, vollendet sich erst im Blick des Historikers: Die damals „30jährigen” waren traumatisiert durch ein Erfahrungsdefizit. Zu jung für die Schützengräben des Ersten Weltkriegs suchten sie die nur wenig ältere Frontgeneration in heroischem Rigorismus zu überbieten. Hitlers Aufstieg war ihnen eine Erlösung. „Diese Generation”, so Ulrich Herbert, „ist als vornehmliche Tätergruppe der NS-Diktatur identifizierbar, und zwar vor allem auf der Ebene des Führungspersonals.”
Ausgefeilte Generationsporträts wie dieses sind die Ausnahme in diesem Sammelband über Generationalität im 20. Jahrhundert. Das hat mit dem Gegenstand selbst zu tun. Kollektive Lebenslinien werden erst aus der Vogelperspektive sichtbar. Deshalb sind die Aufsätze zur Weimarer Republik auch am überzeugendsten ausgefallen. Die Generationsforschung ist ja selbst ein Kind dieser wild-bewegten Jahre. 1928 schied Karl Mannheim in einem großen Aufsatz die objektive „Generationenlagerung” vom „Generationenzusammenhang” und der „Generationseinheit”.
Dass Angehörige derselben Altersgruppe aus gleichen Erfahrungen unterschiedliche Schlüsse ziehen können, war in den zwanziger Jahren auf der Straße zu beobachten. Aus dieser Zeit rührt auch die kämpferische Aufladung des Generationsbegriffs her. Der „Ruf der Jungen”, den Max Hildebert Boehm 1919 vernahm, war eine Kampfansage an die bürgerliche Mitte. Hans Mommsen bestätigt die These des sozialdemokratischen Publizisten Theodor Haubach, wonach in der Republik „ein Absperrungsgitter zwischen den politischen Körperschaften und der Jugend” gezogen sei. Die selbsternannten Generationssprecher beanspruchten für ihre Alterskohorte nicht weniger als eine historische Mission. Sie träumten von einem jungen Deutschland, das im Stahlbad des Krieges zusammengeschmiedet würde. Mit dieser nervös flackernden Sehnsucht hatte die politische Rechte, so Bernd A. Rusinek, einen „entökonomisierten Konterbegriff” zur linken Klassenideologie geschaffen.
Mit dem Jahr 1945 vollzog sich in den Alterskohorten die Umwertung aller Werte. Und der Blick der Sozialwissenschaftler wird zunehmend unscharf. Ulrich Herbert bezeichnet die „30jährigen” der Aufbaugeneration als letzte „politische Generation”. Die 68er mag er mangels Masse („5000 Aktivisten, 30 000 Enthusiasmierte”) nicht mit diesem Etikett adeln. Doch auch seine Aufbau-Helden, die sich für Westbindung, Karriere und die Vereinigung Europas eingesetzt haben, sind bei ihm nicht mehr als eine Handvoll prominenter Historiker.
Der generationellen Unübersichtlichkeit nach 1945 entspricht die Neigung zur Über-Etikettierung. Es scheint, als präge nichts eine Alterkohorte besser als der richtige Begriff. Zum Opfer der Zuschreibungswut wird gewöhnlich auch die DDR-Bevölkerung. Bernd Lindner belässt es bei einem dreistufigen Modell (Aufbaugeneration, Integrierte und Distanzierte Generation), das aber allzu schematisch den großen Linien der DDR-Geschichte folgt. Dorothee Wierling hat Angehörige des Jahrgangs 1949 befragt. Zu Recht rückt sie vom Generationsbegriff ab, spricht lieber vorsichtig von „gemeinsamen Erfahrungsmustern”. Die allgegenwärtige Kriegserfahrung der Kindheit, eine Jugend in den wirtschaftlich verheißungsvollen, aber autoritären Sechzigern, enttäuscht durch den ökonomischen Niedergang der Siebziger: Dieses narrative Muster taugt auch zu einer gesamtdeutschen Kollektivbiographie.
Und das Jahr 1989? Einem Sammelband, der lustvoll steile These mit mildem Zweifel vereint, hätte ein Beitrag über die wichtigste deutsche Zäsur seit 1945 gut zu Gesicht gestanden. Aber während sich die „89er” publizistisch in Stellung bringen, schweift der Historikerblick in weite Ferne.
FRANK EBBINGHAUS
JÜRGEN REULECKE (Hrsg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 300 Seiten, 54,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwar geht in diesem Buch, sein Titel sagt's bereits, ums ganze letzte Jahrhundert, doch je näher die Beiträge darin der Gegenwart kommen, desto weniger fruchtbar sind sie, befindet Frank Ebbinghaus. Er hat dafür zwar eine Erklärung parat ("Kollektive Lebenslinien werden erst aus der Vogelperspektive sichtbar"), unzufrieden ist er aber dennoch. Die Texte zur Weimarer Republik seien vortrefflich geraten, doch schon mit der Zäsur 1945 werde der sozialwissenschaftlich- historische Blick "zunehmend unscharf". Plötzlich herrscht "generationelle Unübersichtlichkeit" - einerseits, denn andererseits setzt Ebbinghaus zufolge eine wahre "Zuschreibungswut" ein, die er besonders im Bezug auf die DDR-Bevölkerung kritisch beurteilt. Und was ist mit der jüngeren Gegenwart? Dem Band, findet er, hätte "ein Beitrag über die wichtigste deutsche Zäsur seit 1945 gut zu Gesicht gestanden. Aber während sich die '89er' publizistisch in Stellung bringen, schweift der Historikerblick in weite Ferne."

© Perlentaucher Medien GmbH
"In der Summe handelt es sich um einen theoretisch und sachthematisch anregenden Band, der einen schillernden, mehrdeutigen Eindruck vom Phänomen der Generationalität vermittelt." Olaf Hähner in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik Heft 1/2, 2006