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Nach 1945 vollzog sich innerhalb der westdeutschen Arbeiterbewegung eine ideelle Neuorientierung, die im größeren Zusammenhang der Westintegration der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren zu sehen ist. SPD und DGB nahmen westlich-liberale Politikkonzepte auf und verbanden sie mit eigenen Traditionen. Die Mechanismen, Protagonisten und Motive dieses Wandels werden dargestellt, wobei die Beziehungen zur amerikanischen Gewerkschaftsbewegung im Vordergrund stehen. Ausgehend von den Unterschieden im politischen Denken der deutschen und der amerikanischen Organisationen wird deren…mehr

Produktbeschreibung
Nach 1945 vollzog sich innerhalb der westdeutschen Arbeiterbewegung eine ideelle Neuorientierung, die im größeren Zusammenhang der Westintegration der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren zu sehen ist. SPD und DGB nahmen westlich-liberale Politikkonzepte auf und verbanden sie mit eigenen Traditionen. Die Mechanismen, Protagonisten und Motive dieses Wandels werden dargestellt, wobei die Beziehungen zur amerikanischen Gewerkschaftsbewegung im Vordergrund stehen. Ausgehend von den Unterschieden im politischen Denken der deutschen und der amerikanischen Organisationen wird deren Zusammenarbeit von Mitte der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre verfolgt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie westliche Vorstellungen von einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verbreitet wurden.
Autorenporträt
Julia Angster, geb. 1968, lehrt nach der Vertretung des Lehrstuhls für Westeuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Mannheim.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2004

Bunte Paradiesvögel am Rhein
Amerikanischer Gewerkschaftseinfluß auf SPD und DGB

Julia Angster: Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 538 Seiten, 49,90 [Euro].

Welchen Einflüssen ist es zu verdanken, daß die Sozialdemokratie 1959 in ihrem Godesberger Programm und der Deutsche Gewerkschaftsbund 1963 in seinem Düsseldorfer Programm endgültig ihren Frieden mit dem Kapitalismus machten? Gab es ein transnationales Netzwerk von Personen und Ideen, das länderübergreifend und langfristig gemeinsame Ziele verfolgte, die schließlich in jenen Programmen ihren Niederschlag fanden? War die "ideelle Westorientierung" von SPD und DGB dem Einfluß einer Seilschaft von Gewerkschaftern und Politikern geschuldet, die im verborgenen wirkte und aus offenen wie verdeckten Quellen über beachtliche materielle und politische Ressourcen verfügte? Das sind Fragen, auf die der Leser Antworten findet, wenn er die vorliegende Studie unbefangen liest.

Julia Angster legt eine solide, fußnotengesättigte Forschungsarbeit zum Einfluß von Funktionären und Ideen der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung AFL-CIO auf das westdeutsche politische Denken vor. Die Arbeit stützt sich in weiten Teilen auf Quellen der amerikanischen Gewerkschaftsbünde, deren reichen Fundus an deutsch-amerikanischen Korrespondenzen sie erstmals umfassend ausgewertet hat. Ihre Ergebnisse erlauben tiefe Einsichten in die europapolitischen Ziele der amerikanischen Seite, dokumentieren aber auch den hohen Grad an Übereinstimmung, der bis Ende der fünfziger Jahre unter den Mitgliedern des Netzwerkes bestand. Da es sich bei diesen um relativ wichtige Gewerkschaftsfunktionäre (Werner Hansen und Ludwig Rosenberg) und zum Teil um einflußreiche SPD-Politiker (Willi Eichler und Fritz Heine) handelte, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß das transnationale Netzwerk die Position derjenigen stärkte, die in den fünfziger Jahren die Öffnung der SPD hin zu einer Volkspartei verfolgt haben und die Gewerkschaften aus ihrer programmatischen Fixierung auf Systemveränderung durch Sozialisierung lösen wollten.

So weit, so gut - wären da nicht die theoretischen Stelzen, auf denen die Autorin ungelenk ihr Ziel sucht. Sie erschweren ihr nicht nur unnötig den Weg dorthin. Sie stellen auch das Forschungsziel selbst in Frage. Der Begriff des Konsenskapitalismus ist zur Beschreibung der amerikanischen Arbeitsbeziehungen, die angeblich der deutschen Arbeiterbewegung als Vorbild dienten, zumindest mißverständlich. Im New Deal der dreißiger Jahre sind die amerikanischen Gewerkschaften den europäischen Traditionen der Arbeiterbewegung zwar ein großes Stück entgegengekommen und damit auch dem Konzept der Arbeitsbeziehungen in der "konsensliberalen" Gesellschaftsordnung. In den fünfziger Jahren schlug das Pendel aber schon wieder kräftig zurück. Vor allem stellt sich die Frage, warum ausgerechnet das Athen der Arbeiterbewegung amerikanische Eulen importieren sollte?

Die Ergebnisse der Arbeit verdienten eine subtilere Interpretation. Kaum einer der deutschen Netzwerker war gelernter Sozialdemokrat. Die meisten standen vor dem Krieg am linken Rand der Arbeiterbewegung und teilten nicht die freiheitliche, antirevolutionäre, konsensdemokratische und korporative Haltung der Mehrheit in SPD und ADGB. Es waren vor allem bunte Paradiesvögel im linken Spektrum, die ihr Damaskus im Exil erlebten, sich nach 1945 in der SPD oder in der Einheitsgewerkschaft des DGB wiederfanden und über das Netzwerk in ihrer Entwicklung vom Saulus zum Paulus weiter bestärkt wurden. Auf der Suche nach Vorbildern mußten sie freilich nicht über den Atlantik oder den Ärmelkanal blicken. Wenn jemand über lebendige Traditionen des "Konsenskapitalismus" verfügte, dann war es der Mainstream der deutschen Arbeiterbewegung.

Der zweite Begriff, der die sachlichen Ergebnisse der Arbeit vernebelt, ist die "Westernisierung". Das scheußliche Unwort soll der Abgrenzung vom Konzept der "Amerikanisierung" dienen, das der Autorin auf dem Felde der Arbeiterbewegung wohl doch zu abwegig erschien. Wer nun aber erwartet hätte, daß die Einflüsse der britischen oder skandinavischen Arbeiterbewegungen stärker Beachtung fänden, sieht sich getäuscht. Es geht in der Arbeit nahezu ausschließlich um eine ideengeschichtliche Analyse der Europa- und Deutschland-Politik von AFL-CIO.

Davon abgesehen ergibt der Begriff aber auch in der Sache wenig Sinn. Wo, wenn nicht im "Westen", sollte die deutsche Arbeiterbewegung denn ihre Heimat gehabt haben? Wenn die SPD - wie die Autorin einräumt - seit 1891 innerhalb der europäischen Arbeiterbewegung in ideologischer wie organisatorischer Hinsicht eine hegemoniale Stellung innehatte, stand sie wohl kaum außerhalb der "gemeinwestlichen Werthaltungen". Auch den Antikommunismus mußte die SPD nicht von den Amerikanern lernen. Diese Lektion hatte man seit 1918/19 gründlich verinnerlicht. In der bunten Randzone der Arbeiterbewegung - also außerhalb der SPD - mag dies freilich gelegentlich anders gewesen sein.

Bleibt daher die Einsicht, daß das transatlantische Netzwerk zur Homogenisierung der deutschen Arbeiterbewegung beitrug - spätestens, nachdem sich AFL-CIO 1954 stärker den "rechten" Reformern in der SPD zuwandte, denen man bis dahin "indifferent" bis "ablehnend" gegenübergestanden hatte. Ihr Einfluß sollte aber nicht überschätzt werden. Die Tatsache, daß das Netzwerk in deutschen Archiven und Nachlässen kaum Spuren hinterlassen hat, mag auch taktische Gründe gehabt haben, die es nicht ratsam erscheinen ließen, die "US-Connection" an die große Glocke zu hängen. Sie kann aber auch ganz einfach die Asymmetrie der Bedeutung widerspiegeln, die das Netzwerk diesseits und jenseits des Atlantiks entwickelt hat.

WERNER ABELSHAUSER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Werner Abelshauser hat sein Lob für diese "solide, fußnotengesättigte Forschungsarbeit" von Julia Angster mit einer erheblichen Einschränkung versehen: nur wer ihre Untersuchung "unbefangen" lese, finde hier tatsächlich Antworten auf die Frage, welchen Einflüssen es zu verdanken ist, dass die Sozialdemokratie 1959 und der Deutsche Gewerkschaftsbund 1963 in ihren Programmen endgültig ihren Frieden mit dem Kapitalismus machten. Die Autorin untersucht den Einfluss eines transnationalen Netzwerkes von Personen und Ideen, das länderübergreifend und langfristig gemeinsame Ziele verfolgte, die schließlich in jenen Programmen ihren Niederschlag fanden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die amerikanische Gewerkschaftsbewegung AFL-CIO. Nur hätten diese Ergebnisse, findet der Rezensent, eben "eine subtilere Interpretation" verdient; während die Autorin sich auf ihren "theoretischen Stelzen" recht "ungelenk" auf ihr Ziel zu bewege. Vor allem ihr Begriff der "Westernisierung" der Arbeiterbewegung ergibt für Abelshauser wenig Sinn: "Wenn jemand über lebendige Traditionen des 'Konsenskapitalismus' verfügte, dann war es der Mainstream der deutschen Arbeiterbewegung."

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"Das Buch bietet faszinierende Einblicke in Details der gegenseitigen Einflußnahme und geistigen Befruchtung zwischen AFL/CIO und SPD/DGB im Gefolge des Zweiten Weltkriegs unter dem Paradigma des Kulturtransfers, auch in Aspekte von Personalpolitik und Netzwerksarbeit in den bundesdeutschen Gewerkschaften." Rainer Behring in: Historische Zeitschrift, Bd. 281/2005 "Die Studie von Julia Angster ist ein gutes Beispiel dafür, wie politische Ideengeschichte in eine transnationale Gesellschaftsgeschichte eingebettet werden kann. Sie leistet auf diesem Feld für die Geschichte der westdeutschen Arbeiterbewegung einen wertvollen, substanziellen Beitrag." Johannes Paulmann in: H-Soz-u-Kult, Juni 2005 "Julia Angster legt eine solide, fußnotengesättigte Forschungsarbeit zum Einfluß von Funktionären und Ideen der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung AFL-CIO auf das westdeutsche politische Denken vor." Werner Abelshauser in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 05.04.2004 "Bei der Dissertation handelt es sich um eine sorgfältig recherchierte und facettenreiche Arbeit, die den Sachverhalt kenntnisreich darlegt." Daniela Münkel in: sehepunkte 4/2004, Nr. 11