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Die Geschichte der Geisteswissenschaften im Dritten Reich hat erst in jüngster Zeit intensivere wissenschaftliche Zuwendung erfahren. Während Exil und Exilanten früh die Aufmerksamkeit auf sich zogen, blieben die Fächer selbst, aus denen Gelehrte vertrieben wurden, lange Zeit außerhalb des wissenschaftlichen Interesses. Die im vorliegenden Tagungsband vereinten Beiträge zeigen, daß der Kenntnisstand über Verstrickungen einzelner Fächer und ihrer Vertreter in den Nationalsozialismus sich höchst unterschiedlich präsentiert, sich aber dank einer nunmehr offen geführten Diskussion und eines frei…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der Geisteswissenschaften im Dritten Reich hat erst in jüngster Zeit intensivere wissenschaftliche Zuwendung erfahren. Während Exil und Exilanten früh die Aufmerksamkeit auf sich zogen, blieben die Fächer selbst, aus denen Gelehrte vertrieben wurden, lange Zeit außerhalb des wissenschaftlichen Interesses. Die im vorliegenden Tagungsband vereinten Beiträge zeigen, daß der Kenntnisstand über Verstrickungen einzelner Fächer und ihrer Vertreter in den Nationalsozialismus sich höchst unterschiedlich präsentiert, sich aber dank einer nunmehr offen geführten Diskussion und eines frei zugänglichen Quellenbestandes auch in ostdeutschen Archiven immer mehr zu einem facettenreichen Bild nationalsozialistischer Forschungspolitik verdichtet.
Autorenporträt
Lothar Gall ist Professor für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Universität Frankfurt a.M. Neben seiner Autorenschaft ist er Herausgeber verschiedener Reihen und Herausgeber der Historischen Zeitschrift.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2002

Langes Schweigen
Ein Sammelband über die Geistes-
wissenschaften im Dritten Reich
Es war im Frühjahr 1936. Martin Heidegger hatte die Einladung zu einem Vortrag nach Rom angenommen. In der Ewigen Stadt kam es zu einem Wiedersehen mit seinem ehemaligen Schüler Karl Löwith, der drei Jahre zuvor aus Deutschland hatte fliehen müssen. An einem strahlenden Tag unternahm man einen Ausflug nach Frascati und Tusculum. Stolz trug Heidegger an seinem Revers das Parteiabzeichen. Ohne Vorbehalt stimmte er Löwiths These zu, dass seine Parteinahme für den Nationalsozialismus im Wesen seiner Philosophie begründet liege.
Heideggers intellektuelle und politische Verstrickung in die „neue deutsche Wirklichkeit”, die er in seiner Freiburger Rektoratsrede vom November 1933 wortreich beschworen hatte, ist hinlänglich bekannt. Über das Verhalten vieler seiner Kollegen aus den Philosophischen Fakultäten der deutschen Universitäten im Dritten Reich wissen wir weit weniger. Die Geschichte der Geistes- und Kulturwissenschaften von 1933 bis 1945 ist erst noch zu schreiben. Eine unabdingbare Voraussetzung hierfür ist die kritische Dokumentation der Forschungen zu den einzelnen Fächern. Eben dieses Ziel verfolgte eine im Februar 2000 veranstaltete Tagung des Historischen Kollegs in München, zu der Frank-Rutger Hausmann einschlägig ausgewiesene Experten eingeladen hatte und deren Ergebnisse jetzt in einem stattlichen Sammelband vorliegen.
Das Buch ist prall gefüllt mit Gelehrtenbiografien, Quellenzitaten, Statistiken. Allen disziplinengeschichtlichen Darstellungen gemeinsam ist der Versuch, den status quaestionis für das Einzelfach abzubilden. Ein einleitender Essay widmet sich „Deutungsmustern” und „Paradigmenkämpfen” vor und nach 1933, und auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist ein Beitrag gewidmet. Doch es ist das größte Verdienst dieser Publikation, dass in ihr nicht nur große Fächer wie Anglistik, Germanistik, Geschichts- und Musikwissenschaft, Philosophie oder Psychologie zu Wort kommen, sondern auch kleinere und im wissenschaftlichen Diskurs randständige Disziplinen. Glanzlichter sind die Ausführungen über die Keltologie, die Sportwissenschaft, die die Sprachwissenschaft sowie die Ur- und Frühgeschichte.
Schon auf den ersten Blick wird offenkundig, dass der wissenschaftsgeschichtliche Kenntnisstand über die einzelnen Gebiete höchst unterschiedlich ist. Während sich die Germanistik seit Mitte der sechziger Jahre intensiv mit ihrer Vergangenheit beschäftigt, gibt es für die Slawistik keine einschlägige Darstellung. Die Stärke des einen oder anderen Abrisses liegt mithin vor allem darin, dass er Defizite und Desiderate der bisherigen Forschung aufzeigt. Mancher Autor hat sich damit begnügt, nur gedruckte Quellen auszuwerten. Doch es bedarf umfangreicher Archivstudien, um die Geschichte einzelner Fächer und Institutionen sowie das Verhalten einzelner Wissenschaftler zu rekonstruieren.
Anklage und Apologie
Schwierig gestaltet sich die Suche nach den personellen, institutionellen und ideologischen Koordinaten einer NS-spezifischen Wissenschaft. Die Aufsätze zeigen nicht nur, dass nach einzelnen Fächern zu differenzieren ist, sondern dass zunächst geklärt werden muss, welche Inhalte und Methoden eine nationalsozialistische Disziplin konstituierten. Es genügt nicht, auf die Affinitäten einzelner Wissenschaftler zum NS-System hinzuweisen. Nur wenige Teilnehmer des Kolloquiums näherten sich schließlich der brisanten Frage, ob die durch die NS-Administration initiierten oder subventionierten Forschungsvorhaben einzelne Fächer modernisierten und Forschungsansätze begründeten, die in der Nachkriegszeit mit Erfolg fortgeführt wurden.
Ein Weiteres springt ins Auge: Die historische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Disziplinengeschichte emotionalisiert und polarisiert noch immer. Persönliche Loyalität steht neben moralischer Empörung. Anklage und Apologie finden sich denn auch in diesem Band. Die methodisch anspruchvollsten Beiträge lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass das Augenmerk nicht nur auf die einzelne Gelehrtenpersönlichkeit und ihr Verhalten im Nationalsozialismus gerichtet sein darf. Um Kontinuitäten und Diskontinuitäten herauszuarbeiten, ist es vielmehr notwendig, die zeitliche Perspektive zu erweitern und die Republik von Weimar zusammen mit der von Bonn in den Blick zu nehmen. Nur so können die intellektuellen und institutionellen Voraussetzungen aufgedeckt werden, die zahlreiche Forscher veranlassten, mit dem nationalsozialistischen Wissenschaftssystem zu kollaborieren, und nur auf diesem Weg können Inhalte und Methoden der jeweiligen Wissenschaft nach 1945 überzeugend bewertet werden.
Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Rolle der Universitäten im Dritten Reich. Es erinnert zugleich daran, dass die deutschen Geisteswissenschaften in zwölf Jahren ihre einstige Weltgeltung verspielten – nicht, weil die Mehrheit der Hochschullehrer sich bereitwillig dem neuen System andiente, sondern weil sie zur Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen und zur ideologischen Pervertierung ihrer Fächer schwieg.
STEFAN
REBENICH
FRANK-RUTGER HAUSMANN u.a. (Hrsg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933 - 1945. Schriften des Historischen Kollegs, Band 53. Oldenbourg Verlag, München 2002. 373 Seiten, 64,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der von Frank-Rutger Hausmann und anderen herausgegebene, auf eine Expertentagung zum Thema zurückgehende Sammelband über die "Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933 - 1945" sucht die Forschung zu den einzelnen Fächern kritisch zu dokumentieren, berichtet Rezensent Stefan Rebenich. Entstanden sei ein "stattlicher Sammelband", "prall gefüllt" mit Gelehrtenbiografien, Quellenzitaten und Statistiken. Als "größten Verdienst" dieser Publikation würdigt Rebenich, dass nicht nur große Fächer wie Anglistik, Germanistik, Geschichts- und Musikwissenschaft, Philosophie oder Psychologie zu Wort kommen, sondern auch kleinere und im wissenschaftlichen Diskurs randständige Disziplinen. "Glanzlichter" sind für Rebenich insbesondere die Beiträge über die Keltologie, die Sportwissenschaft, die Sprachwissenschaft sowie die Ur- und Frühgeschichte. Er betont, dass der wissenschaftsgeschichtliche Kenntnisstand über die einzelnen Gebiete höchst unterschiedlich ist. Insofern erweist sich die Stärke des einen oder anderen Beitrags für Rebenich auch darin, Defizite und Desiderate der bisherigen Forschung aufzuzeigen. Etwas bedauerlich findet er, dass sich nur wenige Autoren mit der Frage nach Kontinuitäten beziehungsweise Diskontinuitäten der Forschung während der NS- und der Nachkriegszeit beschäftigen. Zudem springe ins Auge, dass die historische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Disziplinengeschichte noch immer emotionalisiere und polarisiere. Insgesamt erblickt Rebenich in dem Band dennoch einen "wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Rolle der Universitäten im Dritten Reich".

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"Dies ist ein wichtiges Buch, eine unverzichtbare Einführung in die Wissenschaftsgeschichte des Dritten Reiches." Winfried Becker in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 67,1/2004 "Er [der Tagungsband] spornt über exzellente Einzelbeiträge zu verstärkter Detailforschung an und gibt dieser wertvolle theoretische Wegweisungen." Wolfgang Bergsdorf in: Forschung & Lehre, 1/2003