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Arnaldo Momigliano gehört zu den bedeutendsten Historikern unseres Jahrhunderts. Universal gebildet, beschäftigte er sich in der Hauptsache mit der Geschichte der griechischen, römischen und jüdischen Welt der Antike und den Wechselwirkungen dieser Kulturen.

Produktbeschreibung
Arnaldo Momigliano gehört zu den bedeutendsten Historikern unseres Jahrhunderts. Universal gebildet, beschäftigte er sich in der Hauptsache mit der Geschichte der griechischen, römischen und jüdischen Welt der Antike und den Wechselwirkungen dieser Kulturen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998

Die Augen der antiken Welt
Wie die Altertumswissenschaften vor der eigenen Blindheit gerettet wurden: Arnaldo Momiglianos Werke belebten den toten Stein / Von Karl Christ

Arnaldo Dante Momigliano (1908 bis 1987), der zuletzt in London, Pisa und Chicago Alte Geschichte lehrte, war auf den ersten Blick eine unauffällige Gestalt: ein nur mittelgroßer Mann, stets mit einer beträchtlichen Zahl von Schreibgeräten bestückt. Allein, seine wachen Augen nahmen sofort gefangen, verrieten innere Erregung, Anspannung und Passion. Sie mußten unzählige Seiten gelesen und auf zahlreichen Reisen viele Hunderte von Menschen eingeschätzt haben. Man ahnte den starken Willen des Historikers, auch seine innere Souveränität.

Das wissenschaftliche Werk des Schülers von Gaetano De Sanctis umfaßt viele Hunderte von Titeln der verschiedensten Gattungen. Momigliano war ein Meister der kleinen, dichten Form, der gleichsam in Probebohrungen neue Schichten der Welt seines Faches erschloß. Bewußt bezog er die Geschichte des Alten Orients und insbesondere diejenige des Judentums in die Althistorie mit ein; seine originelle Studie "Hochkulturen im Hellenismus" (1979) behandelt zum Beispiel die Begegnung der Griechen mit Persern, Juden, Kelten und Römern während dieser Epoche.

Noch wichtiger wurden indessen Momiglianos Impulse auf dem Gebiet der Geschichte der Geschichtswissenschaft. In Dutzenden von Arbeiten hat er die Werke der antiken Historiker wie diejenigen der Antiquare und Geschichtsschreiber des Mittelalters und der Neuzeit zur Geschichte des Altertums analysiert und vergegenwärtigt. Einer hochspezialisierten Disziplin, die sich auf der schmalen Oberfläche eines isolierten jüngsten Forschungsstandes bewegte, gab er die Tiefendimension ihrer eigenen Tradition zurück. Unprätentiös schrieb Momigliano über sich selbst: "Ich bin ein Studierender der Antiken Welt, und mein hauptsächliches Ziel ist es, die griechischen und römischen Historiker der Antiken Welt zu verstehen und zu bewerten. Weder Common sense noch Intuition können eine kritische Kenntnis von früheren Historikern ersetzen." In seiner speziellen Methode sah er daher nie einen exklusiven Selbstzweck, sondern einen Weg, die Krise des Faches zu überwinden.

Momiglianos wissenschaftliche Leistungen fanden weltweit große Anerkennung. So wurde er zum honorary Knight of the British Empire ernannt. Seine weit verstreuten Schriften wurden in der heute neun Bände mit insgesamt zwölf Teilen umfassenden Sammlung "Contributi alla storia degli studi classici (e del mondo antico)" vereinigt. (Ein abschließender, zweiteiliger "Decimo Contributo" befindet sich zur Zeit in Vorbereitung.) Daneben wurden sie in einer Vielzahl von Auswahlpublikationen in mehreren Sprachen verbreitet.

Nur Momigliano und die Deutschen - das ist ein düsteres Kapitel. Für den jungen Historiker stellte einst die deutsche Altertumswissenschaft ein zentrales Bildungselement dar; umgekehrt vermittelte er schon in jungen Jahren die Leistungen der italienischen Althistorie auf dem Felde der griechischen Geschichte in einem großen deutschen Forschungsbericht. Aber 1938 verlor er auf Grund der faschistischen Rassenpolitik seinen Turiner Lehrstuhl und sah sich zur Emigration nach England gezwungen. Bald darauf fanden seine Eltern und neun weitere Angehörige seiner Familie in deutschen Lagern den Tod. Momigliano konnte dies nie vergessen. Noch in seiner selbstformulierten Grabschrift gedenkt er der Eltern, "die im November 1943 in Deutschland durch den Wahnsinn des Rassenhasses getötet wurden". Gleichwohl stand Momigliano nach 1945 einem neuen Deutschland offen gegenüber. Er half deutschen Studierenden, publizierte in deutschen Zeitschriften und Sammelwerken, vor allem vermittelte er die klassische deutsche Wissenschaftstradition.

Es war eine Aktivität, die ihm in der Bundesrepublik kaum gedankt wurde. Anders als in vielen europäischen Ländern war Momigliano in unserer Sprache nur in geringem Umfang präsent. Um so begrüßenswerter ist daher eine neue Initiative des in Heidelberg als Klassischer Philologe, in Chicago als Professor of Social Thought lehrenden G. W. Most und des Stuttgarter J. B. Metzler Verlages, der soeben eine dreibändige Edition Ausgewählter Schriften eröffnete. Während deren erster Band fünfzehn Arbeiten Momiglianos zu verschiedenen Themen der "Alten Welt" enthält, soll der zweite nach dem Vorwort des Herausgebers Beiträge zur "Auseinandersetzung mit der Klassischen Antike in der Zeit von der Spätantike bis zur Spätaufklärung", der dritte solche zur modernen Geschichtsschreibung der Alten Welt veröffentlichen. Die Mitherausgeber Anthony Grafton (Princeton) und Wilfried Nippel (Humboldt-Universität Berlin) bürgen ebenso für das hohe Niveau dieser Sammlung wie die äußerst fachkundigen Übersetzer des ersten Bandes, Kai Brodersen und Andreas Wittenburg.

Schon dieser erste Band bezeugt den ungewöhnlichen Reichtum und die Vielfalt von Momiglianos Schriften. Er beginnt und endet mit Studien zur antiken Geschichtsschreibung; dazwischen stehen Arbeiten zu den Anfängen der römischen Geschichte, zum römischen Revolutionszeitalter, zu "Freiheit und Frieden in der antiken Welt" sowie zu religionsgeschichtlichen Themen.

Im ersten Beitrag, "Die Historiker der Antike und ihr Publikum", wirft Momigliano die Fragen nach Existenz und Praxis sowie zu Resonanz und Wirkung der antiken Historiker auf. Er erwähnt dabei unter anderem die Rolle Vertriebener im griechischen, älterer Senatoren im römischen Bereich der Historiographie, er untersucht die Möglichkeit öffentlicher Lesungen, die Verbreitung der Texte, auch das Verhältnis der Autoren zu den Herrschenden. In dem folgenden großen Überblick über "Die griechische Geschichtsschreibung" findet sich dann keine monotone Aneinanderreihung von Daten, sondern eine lebendige Problematisierung der verschiedenen Kategorien, Methoden und Ziele der griechischen Historiographie, eine Erörterung, welche auch die Rezeption der griechischen Werke und deren Kontrast zur modernen Geschichtsschreibung einbezieht. Momigliano hat sein Thema nicht isoliert behandelt, sondern mit den großen geistigen Impulsen des Orients, Roms, des Juden- wie des Christentums verklammert.

Dieselbe Linie wird auch in der Untersuchung "Das Verschulden der Griechen" verfolgt, in der Momigliano einerseits den Ausschluß der iranischen, indischen und chinesischen Hochkulturen aus dem antiken Geschichtsbild auf das extreme kulturelle Selbstbewußtsein von Griechen und Juden zurückführt, andererseits darauf hinweist, daß das "collegium trilingue", die Elemente des "jüdischen, griechischen und lateinischen Geistes", nach wie vor das europäische Denken beherrschen. Speziellere Studien gelten dem Herodot-Gegner Ktesias und der Weltreichskonzeption des Buches Daniel, die nach Momigliano eine ursprünglich griechische Tradition mit apokalyptischen Vorstellungen verband.

Aus den Arbeiten zur Geschichte der Römischen Republik, in denen es sowohl um politische, soziale, ideengeschichtliche und religiöse Probleme geht, ragt der Beitrag zur zweiten Auflage der Cambridge Ancient History über "Die Ursprünge Roms" deutlich hervor. Die Geschichte des frühen Rom war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneut in den Mittelpunkt der Forschung gerückt. Momigliano hatte sie seit langem verfolgt, 1963 publizierte er einen großen Forschungsbericht und rund zwanzig Jahre später die imponierende Synthese. In ihr wurden die prähistorischen und archäologischen Funde Latiums, Grabungsberichte, Mythen, Legenden und die Inschriften ebenso ausgewertet wie die literarische Überlieferung, das "nomadische" Erklärungsmodell Andreas Alföldis ebenso zurückgewiesen wie das "indoeuropäische" George Dumézils. Momigliano versuchte, statt dessen griechische und etruskische Einflüsse in Roms Frühphase zu erfassen und die Bedeutung der Troja-Tradition als Ausdruck eines römischen Sonderweges verständlich zu machen.

"Freiheit und Frieden in der antiken Welt": Das Thema eines postum veröffentlichten Vortrages aus dem Jahr 1940 war identisch mit der Vorstellung eines größeren Forschungsprojektes, das Momigliano lange Zeit beschäftigte, aber nicht abgeschlossen wurde. Auf breiter Basis wurde hier die wichtige Diskussion über die Unterschiede zwischen antikem und modernem Freiheitsverständnis wiederaufgenommen, die im neunzehnten Jahrhundert von Benjamin Constant (1819) und Lord Acton (1877) forciert worden war. Der letzte Schwerpunkt des Bandes gilt der Historiographie der Spätantike, deren Erforschung im englischsprachigen Raum Momigliano entscheidend belebte. Es ging ihm darum, die politischen, religionspolitischen und historiographischen Entwicklungen zu koordinieren, speziell die Trennung von Profan- und Kirchengeschichte, altgläubiger Historiographie und Patristik aufzuheben.

Ungewöhnlich starke Resonanz fand indes der im Londoner Warburg-Institut im Rahmen einer Reihe "Fälschungen" gehaltene Vortrag "Ein ungelöstes Problem historischer Fälschung: Die ,Scriptores Historiae Augustae'". Momigliano sah in dieser Quelle "ein bemerkenswertes Dokument des sterbenden Heidentums" und forderte, die Sammlung nicht isoliert zu betrachten; "sie muß vielmehr in Beziehung zu dem gesetzt werden, was ich die instabilen Standards der Ehrlichkeit bei den späten griechischen und römischen Autoren nennen möchte". Demonstrativ erklärte er: "Ich habe keine Theorie über die Historia Augusta vorzulegen", neigte indessen - nach sorgfältiger Überprüfung aller wesentlichen Argumente - in der besonders umstrittenen Datierungsfrage dazu, sich Mommsens Ansicht einer Entstehung in konstantinischer Zeit anzuschließen. Das war der Vortrag, der 1954 Momiglianos Beiträge zur spätantiken Historiographie eröffnete.

Daneben enthält der Band noch kürzere Beiträge über Person und Werk des Dion Chrysostomos sowie über den "einsamen Historiker Ammianus Marcellinus". Er dokumentiert, daß es sich bei Momiglianos Arbeiten zur Alten Geschichte und Historiographie nicht um esoterische, geistesgeschichtliche Glasperlenspiele oder um artifizielle Intellektualisierungen antiker Probleme handelt, sondern um umfassende, vitale Studien. In einem Augenblick, da der Alten Geschichte die Gefahr drohte, daß die vertrauten Felder Griechenlands und Roms noch weiter parzelliert und abgeschottet wurden, sprengte Momigliano die starren Grenzen zwischen den einzelnen Disziplinen der Altertumswissenschaften auf. Er zeigte, daß es darauf ankommt, die Spannungen zwischen den mediterranen Kulturen und jenen des Alten Orients gleichermaßen zu berücksichtigen und auch jene zwischen antiken Phänomenen und modernen Wertungen: Damit hat er sowohl die synchronen wie die diachronen Perspektiven der Althistorie wesentlich erweitert.

Aus dem eigenen Erleben erwuchsen seine Leitfragen, die Fragen nach den Begegnungen der Kulturen und Religionen der antiken Welt, nach der Problematik von Freiheit und Toleranz, speziell der geistigen Freiheit des Individuums in der Geschichte und nicht zuletzt nach der Freiheit des Historikers. All das wurde in kritischer Rationalität erforscht, einer Rationalität, die romanisches Gefühl mit jüdischem Intellekt und angelsächsischer Nüchternheit verband. Deshalb sind alle Studien Momiglianos noch heute mit Gewinn zu lesen, deshalb wirkt nichts antiquiert. Wenn Momigliano schrieb: "Wir Historiker sind in Wahrheit ein ziemlich nebensächliches Produkt der Geschichte", so hat er sich mit seinen Arbeiten selbst widerlegt.

Arnaldo Momigliano: "Ausgewählte Schriften zur Geschichte und Geschichtsschreibung". Herausgegeben von Glenn W. Most unter Mitwirkung von Wilfried Nippel und Anthony Grafton. Band 1: "Die Alte Welt". Herausgegeben von Wilfried Nippel. Aus dem Italienischen und Englischen von Kai Brodersen und Andreas Wittenburg. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1998. 445 S., geb., 148,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der italienische Historiker für alte Geschichte, Arnaldo Momigliano (1908-1987), war ein ganz besonderer Geschichtsforscher, der sich weniger auf Ereignisse, Personen und Fakten konzentrierte als vielmehr auf die Identifizierung und Sicherung von Traditionssträngen, berichtet Uwe Walter. Das bedeutete für Momigliano, jede Forschung, sei sie von bekannten oder unbekannten Historikern betrieben worden, zu kennen und zu würdigen. Kanonisierungen bestimmter Werke waren Momigliano, der die größte Zeit seines Lebens in England in der Emigration lebte und am Londoner Warburg-Institut lehrte, daher fremd. Auf diese Weise hat er zwölf Bände hinterlassen, in denen knapp siebenhundert seiner Texte - seinem intellektuellen Ansatz entsprechend Aufsätze, Vorträge und lange Rezensionen - versammelt sind. 49 dieser Abhandlungen sind nun zur Freude des Rezensenten in einer flüssigen und sachlichen Übersetzung sowie in einer sorgfältig vorgenommenen Auswahl im Deutschen erschienen. Und dem Laien - Experten sollten nach Walter die detailbesessenen und mit vielen unbekannten Namen, Fakten und bibliografischen Schatzfunden gespickten Abhandlungen eh im Original lesen - haben die Herausgeber der drei Bände eine gute Lesehilfe zur Seite gegeben, lobt der Rezensent: Zusammenfassungen jedes Aufsatzes und ein Gesamtregister im letzten Band erleichterten das Verständnis des brillanten Enzyklopädisten Momigliano.

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