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Cameron West, Ende dreißig, hat eines Tages das beklemmende Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmt. "Es reden Stimmen in seinem Kopf". Er begibt sich in Behandlung und ihm wird klar, dass er 23 andere Persönlichkeiten verschiedenen Alters und Geschlechts in sich beherbergt. Er nimmt ein Studium der Psychologie auf und promoviert über dissoziative Identitätsstörungen. In seiner authentischen Geschichte schildert Cameron West sein Leben als multiple Persönlichkeit. "Erste Person Plural" ist Psychogramm, Tragikomödie und Lebensbericht zugleich.

Produktbeschreibung
Cameron West, Ende dreißig, hat eines Tages das beklemmende Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmt. "Es reden Stimmen in seinem Kopf". Er begibt sich in Behandlung und ihm wird klar, dass er 23 andere Persönlichkeiten verschiedenen Alters und Geschlechts in sich beherbergt. Er nimmt ein Studium der Psychologie auf und promoviert über dissoziative Identitätsstörungen. In seiner authentischen Geschichte schildert Cameron West sein Leben als multiple Persönlichkeit. "Erste Person Plural" ist Psychogramm, Tragikomödie und Lebensbericht zugleich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2000

Vierundzwanzig Seelen und ein Doktorhut
Wo Jammer war, muß Erkenntnis werden: Die Geschichte einer Persönlichkeitsspaltung

Die Geschichte einer gewissen Sybil zog 1973 in den Vereinigten Staaten weite Kreise: Die Journalistin Flora Rheta Schreiber erzählte von diesem Fall einer "multiplen Persönlichkeitsstörung". Das Buch wurde zu einem großen Erfolg und zog eine ganze Reihe ähnlicher "Multi-Biographien" nach sich. Nur eines war merkwürdig: Bis in die achtziger Jahre hinein verzeichnete die Medizingeschichte lediglich einige hundert Fälle dieser Krankheit; seither aber wurden an die hunderttausend Patienten als multiple Persönlichkeiten diagnostiziert.

Man könnte glauben, ein psychologisches Phänomen habe erst durch Bücher wie "Sybils" Erfahrungsbericht, durch Artikel, Filme, Fernsehbeiträge feste Umrisse bekommen. Aber im Fall Sybils (ein Pseudonym; auch lebt sie nicht mehr) wird inzwischen bestritten, dass sie die Symptome klinisch bekannter Fälle zeigte. Sie sei vielmehr eine "wunderbare hysterische Patientin" gewesen, "mit einer Rollenfunktion, wie sie für schwere Hysteriker typisch ist", wie Herbert Spiegel, einer ihrer behandelnden Psychiater, schon vor Drucklegung des Buches erkannte, ohne dessen Fehleinschätzungen noch korrigieren zu können.

Einen weiteren Erfahrungsbericht mit Symptomen, die ins "Sybil"-Schema passen, legt nun der Amerikaner Cameron West (ebenfalls ein Pseudonym) vor. Anders als Sybil gab er seinen Fall nicht in die Hände eines Ghostwriters, er erzählt die Geschichte selbst. Und nicht nur das: Er hat auch über die Krankheit promoviert und beansprucht so als Betroffener und Wissenschaftler doppelte Glaubwürdigkeit. Doch wird ihm das wenig helfen, das Thema ist immer noch ein heißes Eisen in der Psychiatrie-Szene.

Manche halten multiple Persönlichkeiten für eine Erfindung. Wenn das stimmte, so hieße es: Ein seelischer Phantomschmerz nimmt tausendfach therapierte epidemische Ausmaße an. Vielleicht ist es eine Frage des Terminus: Als dissoziative Identitätsstörung mag vieles bezeichnet werden, das besser anders benannt würde. Irgendein Leiden aber muß - die vorliegenden Erfahrungsberichte bezeugen es glaubwürdig - dem massenhaften Auftreten zu Grunde zu liegen, und sei es auch etwas in der Art der zur Jahrhundertwende oft diagnostizierten Hysterie, die heute nicht mehr als Krankheit, sondern als verzerrte Sprache des Unbehagens interpretiert wird.

"Erste Person Plural" ist der Roman einer Krankheit, aus der Ich-Perspektive eines Betroffenen geschrieben. Fakten gegen den Text auszuführen ist dem Laien, an den er sich in seiner populär geschriebenen Form wendet, kaum möglich. So bleibt also nur die Möglichkeit, den Text als Literatur zu lesen, und die Spekulation darüber, was eigentlich die offenkundige Anziehungskraft des ins Ausufernde gesteigerten "Dr. Jekyll und Mr. Hyde"-Themas ausmacht. Cameron West beschreibt die Geschichte seiner Aufspaltung in vierundzwanzig Einzelpersonen in einem robusten, manchmal witzigen, manchmal schnoddrigen Allerwelts-Ton. Für das Unerhörte, das ihm zustößt, findet er den eingängigen Stil eines gut konsumierbaren Thrillers. Es kommt ihm mehr auf die lebendige Erzählung an als auf den reinen Tatsachenbericht.

Obwohl die Geschichte in ironischem Verhältnis zur Befindlichkeit des Erzählers und des Buchtitels in der ersten Person Singular geschrieben worden ist (eine andere Betroffene, Liz Bijnsdorp, schreibt in ihrem Erfahrungsbericht "Die 147 Personen, die bin ich" von sich selbst tatsächlich in den ersten Person Plural), ist der Text von einer seltsamen Distanziertheit. Die Glätte der Prosa trägt den Leser auch über Passagen, in denen äußerste Verzweiflung geschildert wird, sonderbar mühelos hinweg: So sehr mildert die Sprache den Schock des Erlebens ab. Es gelingt West, das Unverständliche wenn nicht verständlich zu machen, so doch mitzuteilen: "Die meiste Zeit fühle ich mich als Fragment eines Menschen, als einer von vielen Splittern einer zerbrochenen Vase auf einem Teppich."

Dennoch bleibt befremdlich, wie der Autor seine Krankheit in eine fast reißerische Story kleidet. Eine zwiespältige Sache also. Ihre Schwierigkeit ist die aller künstlerischer Versuche, für selbst erlittenes Leiden eine Sprache zu finden. Die Erkrankung wird auf jahrelangen Mißbrauch in der Kindheit zurückgeführt; sie hat also eine Erklärung, eine Wurzel in der Wirklichkeit, die jedermann verständlich ist. Die multiple Persönlichkeitsstörung stellt, so kann man es lesen, eine extreme, "wahnsinnige" Reaktion auf eine extreme, "wahnsinnige" Situation dar.

Den Umgang mit Menschen, die nichts mit der Krankheit zu tun haben und nichts davon wissen, beschreibt der Erzähler als schwierig und schmerzhaft. Er versucht, die manchmal auffälligen Symptome der dissoziativen Identitätsstörung nicht nach außen dringen zu lassen. Zur seelischen Störung kommt der Druck, ein - der Familie, vor allem des kleinen Sohnes wegen - unauffälliges Leben führen zu müssen; der Terror der Normalität. Das Leiden ist auch ein Leiden an einer überfordernden Wirklichkeit. Möglicherweise beginnt hier die Identifikation - oder Empathie - vieler mit dem Gegenstand. Nur auf einer oberflächlichen Ebene befriedigt die Lektüre von Wests Buch eine Neugier auf seelische Innenwelten oder auch ein sensationalistisches, morbides Interesse am Leiden anderer. Eine psychische Erkrankung läßt sich aus der sicheren Entfernung der Lektüre genau betrachten, die eigene Angst davor bannen.

Neben der Angst vor der Zerstörbarkeit der Ichs spiegelt die Geschichte noch ein anderes Schreckenszenario. Sie verweist auf die Fragilität einer scheinbar gesicherten Existenz: Wie aus heiterem Himmel scheint das Unheil über den Erzähler hereinzubrechen, läßt ihn seitenweise die Wortfolge "sicher nicht sicher" wie in Trance auf Hunderte Blätter schreiben. Seine Krankheit zeigt sich erst, als er Ende Dreißig ist; die Erinnerung an die Ursachen und die kindlichen Bewältigungsmuster kommen plötzlich an die Oberfläche. Bis dahin hatte er ein erfolgreiches Leben geführt. Nach Diagnose und langjähriger Behandlung verschwindet die Krankheit nicht etwa, der Patient muß vielmehr lernen, sich damit zu arrangieren. Das bleibt, so wird es im Buch angedeutet, ein fortwährend alle Kräfte in Anspruch nehmender Balanceakt, eine Lebensaufgabe: Der Mensch, ein Bürgerkrieg; innerer Frieden ist nicht mehr herstellbar, aber immerhin - unter größter Anstrengung - eine Art Waffenstillstand.

MARION LÖHNDORF

Cameron West: "Erste Person Plural". Die Geschichte meiner vielen Persönlichkeiten. Aus dem Amerikanischen von Hermann Kusterer. Paul List Verlag, München 1999. 431 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ist es nicht egal, fragt Marion Löhndorf, ob das Phänomen der multiplen Persönlichkeit eine Erfindung, wie manche behaupteten, oder nun tatsächlich eine psychische Erkrankung ist? Steckt nicht in jedem Fall eine Art von Leid dahinter? Cameron West - im übrigen ein Pseudonym, teilt Löhndorf mit - hat seinen Fall und sein Leid verpackt in die Form eines Thrillers; mit dem Ergebnis, dass man über die schwierigen, verzweifelten Stellen durch den Sog der Erzählung hinweggetragen wird, so die Rezensentin. West schreibt nicht etwa in der "Ersten Person Plural", erzählt Löhndorf, sondern in der Ersten Person Singular - die Rezensentin interpretiert dies als ironische Brechung des Tatbestands, dass der Autor, der über seine eigene Erkrankung sogar promoviert hat, sich in 24 Persönlichkeiten aufgespalten sah. Ein den Verwirrungs- und Angstzustand glättendes und bündelndes Verfahren, das als Roman und nicht als authentischer Krankenbericht daherkommt. Der Grad der Identifikation wird dadurch gebrochen, meint Löhndorf, statt sich sensationalistisch an dem Stoff zu vergreifen, habe der Leser die Chance, sich "aus sicherer Distanz" ein Bild von einer wie auch immer genannten Krankheit machen zu können.

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