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Dem österreichischen Dichter Richard Schaukal läßt Thomas Mann zwischen 1900 und 1905 zahlreiche Poststücke zukommen. Erstmalig erscheinen hier alle 75 erhaltenen Schreiben Manns und der einzige Briefentwurf Schaukals wissenschaftlich ausführlich kommentiert im gesamten Wortlaut. Die in diesem Band edierten Briefe bieten inhaltlich einen hauptsächlich literarischen Schwerpunkt, doch zeigt die Wahl der angeschnittenen Themen gleichzeitig ein ausgesprochen privates Profil: Neben den üblichen gegenseitigen Berichten über Sommeraufenthalte, Übersiedlungen, Besuche, Theater und Oper wird immer…mehr

Produktbeschreibung
Dem österreichischen Dichter Richard Schaukal läßt Thomas Mann zwischen 1900 und 1905 zahlreiche Poststücke zukommen. Erstmalig erscheinen hier alle 75 erhaltenen Schreiben Manns und der einzige Briefentwurf Schaukals wissenschaftlich ausführlich kommentiert im gesamten Wortlaut. Die in diesem Band edierten Briefe bieten inhaltlich einen hauptsächlich literarischen Schwerpunkt, doch zeigt die Wahl der angeschnittenen Themen gleichzeitig ein ausgesprochen privates Profil: Neben den üblichen gegenseitigen Berichten über Sommeraufenthalte, Übersiedlungen, Besuche, Theater und Oper wird immer wieder über körperliche Befindlichkeiten berichtet und das zarte Nervenkostüm des Modernen prononciert. So zeigen die aus den Briefen Manns hervorgehenden Psychogramme des jungen Dichters deutliche Ähnlichkeiten zwischen ihm und seinem Wiener Korrespondenten: Beide berichten gerne von Erfolgen, Zuwendung, Bewunderung, und wo dies nicht immer möglich ist, wie etwa im Falle Schaukals, werden Publikum und Kritiker einfach für dumm erklärt. Doch auch Mann kann nicht darauf verzichten, seinen Korrespondenten mit der wiederholten Erwähnung seines Ruhmes, der vielen Auflagen, des wirtschaftlichen Erfolges u.ä. subtil zu quälen. Für das abrupte Ende der Korrespondenz gibt es nur zwei Erklärungsmuster: Entweder hatte Mann tatsächlich sehr doppelbödig agiert und Schaukal als willfährigen Kritikerfreund verwendet, der, sobald er sich zu echter Kritik verstieg, einfach ausgemustert wurde. Oder aber Manns junges künstlerisches Selbstverständnis war durch das durchaus treffsichere Urteil Schaukals über "Fiorenza" so sehr ins Mark getroffen, daß eine Fortführung der Brieffreundschaft aus Gründen des gekränkten Künstlerstolzes für ihn nicht mehr in Frage kam.
Autorenporträt
Thomas Mann, geb. 1875 in Lübeck, wohnte seit 1894 in München. 1933 verließ er Deutschland und lebte zuerst in der Schweiz am Zürichsee, dann in den Vereinigten Staaten, wo er 1938 eine Professur an der Universität in Princeton annahm. Später hatte er seinen Wohnsitz in Kalifornien, danach wieder in der Schweiz. Er starb in Zürich am 12. August 1955. Thomas Mann zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns umfangreiches und vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Für seinen ersten großen Roman Die Buddenbrooks erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur.

Die Literaturwissenschafterin Dr. Claudia Girardi unterrichtet an einem Wiener Gymnasium Deutsch und Französisch und leitete Lehrveranstaltungen am Institut für vergleichende Literaturwissenschaft Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind deutsch-französische Literaturbeziehungen, Sozialgeschichte der Literatur und Literatur der Jahrhundertwende.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2003

Der Mann, der Mann entdeckte
Der Dandy-Dichter Richard Schaukal war Thomas Manns erster Bewunderer - und wurde später per Post verstoßen

Thomas Mann hatte Angst. Die Angst des Anfängers unterzugehen, bevor man zum ersten Mal wirklich aufgetaucht ist. Niemand würde seinen Novellenband "Der kleine Herr Friedemann" lesen. Wahrscheinlich niemand. Verschämt und unsicher schrieb er an den Redakteur einer literarischen Zeitschrift, mit dem er befreundet war: "Ich würde dann Gelegenheit nehmen, Ihnen heimlich ein Exemplar meines Novellenbandes in die Tasche zu schieben, damit doch ein Mensch ihn liest." Ob der Redakteur das aufgedrängte Buch schließlich gelesen hat, wissen wir nicht. Eine Besprechung schrieb er nicht. Aber in einigen Tageszeitungen sind doch immerhin Rezensionen des Buches erschienen. Alle mäßig lobend. "Kleine Kabinettstücke psychologischer Feinmalerei", "gedrängte Lebensweisheit". Freundlichkeiten unbekannter Rezensenten. Folgenlos.

Eine Rezension war anders. Richard Schaukal hatte sie geschrieben. Richard Schaukal aus Brünn, gerade mal ein Jahr älter als Thomas Mann, aber einer, der schon angekommen war, der erste symbolistische Gedichtbände veröffentlicht hatte, der schon einen Namen hatte im Literaturbetrieb. Er schrieb: "Das sind die besten deutschen Geschichten, die man seit Saars Novellen bei uns lesen kann", schrieb von "rührender Lust am Erzählen", dem "überaus gescheiten Dichter", von "Überwältigung". "So viel Schönheit, Wahrheit, Lebenüberwinden und einnehmende Traurigkeit sind in ihnen. Kein Buch seit dem ersten Auftreten der d'Annunzio, Nansen und Tschechoff hat einen ähnlichen Eindruck auf mich gemacht. Man muß sich den Autor merken; er ist ein reiner, sicherer, erfahrener Künstler."

Niemand hat das Talent Thomas Manns so früh entdeckt, hat in so großen Worten all die großen Hoffnungen ausgedrückt, die alle Wirklichkeit werden sollten, wie der junge Dichter Richard Schaukal in seiner Besprechung des "Kleinen Herrn Friedemann" von 1898. In den Thomas-Mann-Biographien spielt er trotzdem nur eine kleine Rolle, gilt mal als "Bundesgenosse und Kollege", mal als "zudringlicher Mann" und "lästiger Bewunderer", mal als "wichtiger Kritiker".

All das stimmt in gewissem Maße. Aber welch wichtige Rolle er in den Gründungsjahren der "Schriftstellerfigur Thomas Mann" wirklich spielte, das kann man erst jetzt nachvollziehen, nachdem die 75 Briefe und Postkarten, die Mann an seinen Förderer und Bewunderer schrieb, erstmals veröffentlicht sind. Die Briefe Schaukals fehlen leider.

Es ist ein Lehrstück über den Literaturbetrieb vom Beginn des letzten Jahrhunderts, ein Lehrstück über Strategien auf dem Wege zur Berühmtheit, über den Aufstieg des einen, den Fall des anderen, über taktische Fehler und taktische Feinheiten, über dreiste Lügen, Selbstsucht, Lobessucht, über erste Bruderdramen, Versöhnungen und einen kalten Abschied.

Schaukal hatte den Kontakt gesucht. Im Oktober 1900 schickte er an Thomas Mann und an dessen Bruder Heinrich je einen Brief mit beiliegendem Gedichtband und Porträtfoto von sich. Thomas Mann, der gerade mit höchst erwünschter Sehnenscheidenentzündung, die ihm die Befreiung vom Militärdienst bringen sollte, im Münchener Garnisonslazarett lag, antwortete knapp und euphorisch-unverbindlich. Ein Stilmittel, das der Briefschreiber Mann beherrschte wie kaum ein anderer und das er im Briefwechsel mit Schaukal zu einer ersten Meisterschaft führen sollte. "Niemals kam eine Büchersendung erwünschter", erklärt er knapp. Und in besseren Tagen würde er sich auch ganz gewiß ausführlich äußern.

In einem Brief an seinen Bruder Heinrich äußerte er sich schon sehr kurze Zeit später bereits ausführlicher dazu. Er lästert: "Schaukal ist ein komischer Kauz. Mir hat er ebenfalls seine Werke geschickt und sein Porträt dazu . . . Gott weiß, was er an mir findet, denn daß er Dir viel näher steht, ist ja sicher." Und über die angeblich so euphorisch empfangenen Gedichte heißt es: "Ich habe bei flüchtiger Durchsicht seiner Bücher manches Ansprechende gefunden; aber ich lese Verse überhaupt sehr schlecht, und mein Tolstoyismus läßt mich beinahe schon Reim und Rhythmus als ruchlos empfinden."

Trotzdem. Der Briefwechsel kommt langsam in Gang. Denn beide hoffen, daß der eine dem anderen von Nutzen sein kann. Es ist ein Geschäftsbriefwechsel in allen Formen der Höflichkeit. Zwei Egomanen auf dem erhofften Weg zum Schriftstellerruhm. Sie umlauern sich mit Höflichkeiten, schreiben scheinbar von den Werken des anderen, in Wirklichkeit von sich. Wie gesagt, die Briefe Schaukals sind leider nicht erhalten. Aber er scheint keine Sendung je abgeschickt zu haben, der er nicht wenigstens ein neues Gedicht, einen neuen Aufsatz oder zumindest eine Besprechung seiner Werke beilegte.

Denn fast schon rituell beginnt Thomas Mann seine Briefe mit einem schnellen "Danke für den schönen, feinen Mörike-Aufsatz", "Bravo für den glänzenden Schiller-Aufsatz", "Das Buch ist entzückend. Welche Leichtigkeit und mimische Beweglichkeit des Dialogs! Das ist gar nicht zu überbieten!" Oder etwas nachlässig, unverborgen genervt: "Ihre Gedichte sind schön wie immer." Um dann endlich zum wahren Anliegen zu kommen. Einer Bitte um Rezension, um Lob, ein gutes öffentliches Wort.

Und Richard Schaukal war lange Zeit zu fast allem bereit. Schon im dritten Brief Thomas Manns wurde er auf kommendes Großes, auf die "Buddenbrooks", vorbereitet, im sechsten Brief wurden die Anweisungen präziser. Mann ärgerte sich, daß er beständig mit dem von ihm nicht sehr geschätzten Schriftsteller Jakob Wassermann verglichen wurde. Schaukal hatte kürzlich eine böse Wassermann-Kritik veröffentlicht. Günstige Gelegenheit für kleine Anweisungen: "Wenn Sie aber über mein Buch schreiben sollten, so würde es mich freuen, wenn Sie mit gutem Gewissen (gegen diesen ständigen Vergleich) protestieren könnten." Am besten mit folgender Begründung, bitte: "Wie gesagt, es würde mich freuen, wenn Sie mir bestätigen könnten, daß in meinem Buch ein wenig mehr Herkunft, Erlebnis, Absicht, Ernst, Leidenschaft steckt, als in den seinen."

Und Schaukal folgte. Schrieb gleich mehrere euphorische Besprechungen. Und Mann war begeistert. Eine "Goldschmiedearbeit!" jubelt er, schwindelt, er habe es "mit ganz objectivem Entzücken gelesen", fragt sich, wie ein kleiner Junge, ob er all das annehmen darf, fragt scheinheilig, ob das nicht ein bißchen viel sei, was da auf seine Anweisung hin geschrieben wurde, beruhigt sich aber schnell, daß das schon alles seine Richtigkeit haben werde. Und beginnt dann, voller Übermut in der zweiten Hälfte des Briefes schrecklich über Schaukals neueste Gedichtsendung zu lästern. Er würde nicht unrecht tun, da dieses oder jenes zu streichen, manches sei unfertig, manches altmodisch, manches lächerlich. "Bei dem Worte ,eingedenk' lacht bereits Alles, und (pardon!) ich lache mit."

Ein schwerer Schlag für den stolzen, feinen Dandy-Dichter, der noch mehr auf feine Kleidung, tadellose Umgangsformen, makellosen Stil achtete als Thomas Mann. Ein schwerer Schlag, weil auch ihm langsam deutlich werden mußte, daß diese Beziehung eine einseitige bleiben würde. Früh schon hatte auch er Thomas Mann gebeten, sich bei Zeitschriften für seine Gedichte einzusetzen, über ihn zu schreiben, ihm einen besseren Verlag zu besorgen. Mann sicherte alles zu. Ohne Ergebnis.

Die Zeitschriften, bei denen er über Schaukal schreiben wollte, hatten alle auf wundersame Weise schon einen Schaukal-Text in Auftrag gegeben, die Verlage, an die er sich für Schaukal wandte, lehnten allesamt ab, und wenn er bei einem Treffen mit seinem Verleger Samuel Fischer diesem den Autor Richard Schaukal empfehlen sollte, kam es einfach den ganzen Abend lang "zu keinem geschäftlichen Gespräch". "Entbinden Sie mich von der Pflicht, über Sie zu schreiben", fleht er ihn an. Und Schaukal blieb gar nichts anderes übrig.

Denn der Dichter Richard Schaukal hatte den Zenit seines Erfolges scheinbar schon überschritten. Er fand keine Leser, kaum einen Verlag, kaum eine Zeitschrift. Fand keinen Einlaß in den ersehnten George-Kreis, galt als mittelmäßiger Hofmannsthal-Epigone, über den die Zeit hinwegzugehen drohte, dessen ganzer Stolz es war, mit Arthur Schnitzler, Karl Kraus und Hermann Hesse im Briefkontakt zu stehen, und über den Franz Blei später spottete: "Denn die Berühmten kennenzulernen, das muß Ihre heimliche Sorge sein bei Tag und Nacht." Nur im Ersten Weltkrieg hatte Schaukal mit nationalistischen Begeisterungsgedichten endlich eine Art von Erfolg.

Aber jetzt nicht. Nicht am Anfang des Jahrhunderts. Er hatte Thomas Mann die Tür zum Erfolg geöffnet, und er selbst stand draußen. Er klopfte und klopfte. Mann lobte und spottete. Speiste ihn mit leeren Formeln ab, ihm selbst sei der Erfolg zuwider. Der Literaturbetrieb sei verkommen. Hier wollen Sie gar nicht hinein, Herr Schaukal. Es würde Ihnen nicht gefallen. Ganz bestimmt.

Das Ende der ungleich gewordenen Beziehung kam schnell und für Schaukal gänzlich unerwartet. Herbst 1905. "Fiorenza" war erschienen. Thomas Manns einziges Theaterstück. Ein total mißratenes Stück. Drei Jahre lang hatte er darum gerungen. Aus dem falschen Ehrgeiz heraus, unbedingt auch Dramatiker werden zu müssen. Bei der Kritik fiel es durch. Und was sagte sein treuester Belobiger? Erster und zweiter Akt seien nicht sehr stark, so Schaukal, den dritten habe er noch nicht gelesen. Mann blieb zunächst ruhig: "Eine Enttäuschung in diesem Punkte soll meiner Sympathie für Sie, lieber Herr Doctor, gewiß keinen Abbruch tun." So fühlt sich Schaukal ermutigt, dem durchgefallenen Dramatiker ein kleines Buchpaket zukommen zu lassen, mit der Bitte um Verlegersuche.

Da reicht es Thomas Mann, und es reicht ihm endgültig: "Sie überfluthen mich mit Sendungen, mit Gedichten, mit Novellen, Rezensionen und tausend Kleinigkeiten, Sie geben mir jeden zweiten Tag unbedacht hingeschleuderte Briefe zu entziffern . . ." Und er flucht und wütet, bezichtigt Schaukal des heillosen Egoismus und der Skrupellosigkeit. Er kann nicht mehr. Er will nicht mehr. Schaukal nützt ihm gar nichts mehr. Und Schaukal hat den letzten Akt seines Dramas nicht gelesen. Er beendet das Zweckbündnis für immer: "Alles das, mein lieber Doktor, bekundet eine Art von Naivetät, der gegenüber ich meine Ungeduld nicht länger verbergen kann und die noch länger auf mich wirken zu lassen ich mir nicht zumuthe. Ich erkläre unser Verhältnis für dringend ruhebedürftig und schlage vor, daß wir einander vorläufig vergessen. Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen bleibe ich Ihr sehr ergebener Thomas Mann."

VOLKER WEIDERMANN

Thomas Mann: Briefe an Richard Schaukal. Herausgegeben von Claudia Girardi unter Mitarbeit von Sibylle Leitner und Andrea Traxler. Klostermann Verlag, Frankfurt 2003. 242 Seiten, 49 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2003

Ist das nicht zu viel des Lobes?
Zu den schwarzen Akten gelegt: Die Briefe Thomas Manns an seinen „Entdecker” Richard Schaukal
Der österreichische Dichter Richard Schaukal (1874-1942) ist eine Randfigur der Literaturgeschichte, ein Dandy und Décadent der Jahrhundertwende, der Essays und Novellen, erlesen-schwermütige Gedichte und sehr viele Rezensionen schrieb. Im Jahre 1898 besprach Schaukal die Erzählungen eines anderen Unbekannten und befand, das seien „mit die besten deutschen Geschichten, die man seit Saars Novellen bei uns lesen kann”. Der Novellen-Band „Der kleine Herr Friedemann” stammte von Thomas Mann. Diesen Autor müsse man sich merken, riet Schaukal hellsichtig und folgte seinem eigenen Rat. Im Oktober 1900 sandte er Mann ein ganzes Paket mit eigenen Büchern und legte der Werbebotschaft noch eine Fotografie bei. Thomas Mann antwortete seinem ‚Entdecker‘ mit verbindlicher Höflichkeit und berichtete dem Bruder Heinrich von dem „kuriosen Kauz”, in dessen Versen er „manches Ansprechende” gefunden habe.
So begann die Korrespondenz der fast gleichaltrigen Dichter: ein Dialog über Verlagsaussichten, Erfolge und Ablehnungen, über Autoreneitelkeiten, Schaffens- und Magenkrisen. Fünf Jahre später sollte die Verbindung ein brüskes Ende finden. Erhalten haben sich nur die 75 Briefe und Karten Thomas Manns. Sie liegen, von Claudia Girardi vorzüglich ediert und kommentiert, nun erstmals vollständig in einem Band vor. Da Richard Schaukals Gegenbriefe als verloren gelten, ist das briefliche Zwiegespräch zum Monolog verkürzt.
Der Doktor der Rechte und Wiener Ministerialrat Schaukal fühlte sich zum Dichter berufen. Und kaum ist der Kontakt geknüpft, zögert er nicht mit Aufträgen und Bitten um Fürsprache. Thomas Mann seinerseits souffliert seinem Rezensenten ungeniert das ersehnte Lob für den ersten Band der „Buddenbrooks”, der im Oktober 1901 erscheint. Vor allem von Jakob Wassermann, mit dem er zu seinem Ärger immer wieder verglichen wurde, will Mann sich abgehoben wissen: „Wie gesagt, es würde mich freuen, wenn Sie mir bestätigen könnten, daß in meinem Buch ein wenig mehr Herkunft, Erlebnis, Absicht, Ernst, Leidenschaft steckt, als in den seinen.”
Schaukal liefert prompt das Gewünschte. „Ist das nicht zu viel des Lobes? Darf ich das Alles wirklich annehmen? Trifft es wirklich auf mich und meine Arbeit zu? – Es muß doch wohl. Denn jedes Wort steht ja so wohl abgewogen, so treffsicher und dichterisch verjüngt an seinem Platze.” In Schaukals Kritik objektiviert sich für Mann, was er in zweifelnder Selbstgewissheit über den eigenen Roman gedacht hat.
Reizend, aber furchtbar nervös
Auch er selbst hatte zuvor nicht mit warmen Worten für die Arbeiten des Freundes gegeizt, ihm sogar in Aussicht gestellt, ein Schaukal-Porträt zu schreiben. Nun aber verknüpft Thomas Mann den Dank für die „Buddenbrooks”-Kritik mit einer subtilen Kränkung. In der jüngsten Novellen-Sammlung Schaukals zeige sich eine „Vorliebe für behaglich alterthümliche Vortragsformen”: „Nehmen Sie eine Sache wie ‚Begegnung‘ und denken Sie sich den ersten Satz laut gelesen, vorgelesen! Das geht nicht! Bei dem Worte ‚eingedenk‘ lacht bereits Alles, und (pardon!) ich lache mit.” Auch das Porträt-Versprechen zieht Thomas Mann zurück. Er tröstet Schaukal mit brieflichen Lobeshymnen über die Geschmeidigkeit seiner Prosa, stellt ihn als Lyriker gar über Rainer Maria Rilke.
Von zwillingshafter Ähnlichkeit sind die beiden jungen Dichter nicht nur in der „kindischen” Freude über solche Elogen. Sie teilen den Dandy-Habitus der sublimen Nervosität und die eitle Sorgfalt, die sie auf ihr Äußeres verwenden. Es sind durchaus zwei Geistesverwandte, die sich im Sommer 1902 in München persönlich begegnen. „Er ist ein reizender Mensch, aber furchtbar nervös und sieht elend aus”, so Schaukal über Thomas Mann. Dieser findet seinen Briefpartner „manierlich” und „wohltuend bürgerlich”. Erfreulich auch, dass Schaukal kein Freund der „Bohèmeliederlichkeit” ist und sich gut anzieht.
Lästiger sind die Klagen des dichtenden Beamten über seine Amtspflichten und die oft scheiternde Verlegersuche. Thomas Mann hingegen ist seit dem Verkaufserfolg der „Buddenbrooks” eine literarische Berühmtheit. Er demütigt Schaukal, indem er ihm die Schattenseiten des Erfolgs breit ausmalt: „Beneiden Sie mich nicht um die ‚Absatzquellen‘, die mir infolge meines ‚Bombenerfolges‘ zu Gebote stehen! Es würde Ihnen nach einem solchen Erfolge nicht anders gehen als mir: das anfängliche erheiterte Staunen würde bald dem Ekel weichen”.
Richard Schaukal sieht sich zum „Verkündiger” und „Apostel” Manns geadelt, mit unermüdlicher Produktivität sendet er nahezu im Wochenrhythmus neue „Drucksachen” aus Wien. Abwimmelnd-freundlich hat Thomas Mann für einen „schönen, feinen Mörike-Aufsatz” zu danken, für einen „glänzenden kleinen Schiller-Aufsatz” oder die „wirklich ganz ausgezeichnete Studie” über Hoffmann.
So hätte es noch lange weitergehen können. Doch plötzlich fällt Schaukal aus der Rolle. Als im Sommer 1905 Thomas Manns Schmerzenskind „Fiorenza” erscheint, versäumt Schaukal, die nagende Skepsis des Autors zu zerstreuen, denn auch er hält das Werk für misslungen. Nicht genug damit, er bekennt offen, den dritten Akt nicht einmal gelesen zu haben. Am 14. Oktober 1905 schreibt Mann den letzten seiner vielen Briefe an Richard Schaukal, ein boshaft funkelndes Prosa-Meisterstück.
Er kontrastiert die eigenen skrupulösen Selbstzweifel mit der eitlen Geltungssucht des Freundes, der ihn mit Sendungen geradezu „überfluthe”: „Sie erwarten, daß ich alles das lese, ihm meine Zeit und Gedanken widme, es beantworte, Ihnen Freundlichkeiten darüber sage, – ich komme dieser Erwartung unermüdlich nach, und Sie danken mir, indem Sie fortfahren, in einer hemmungslosen Art von sich, von sich, von sich zu reden und indem Sie sich der einfachsten Verpflichtungen, die Ihnen aus meiner Güte erwachsen, in der liederlichsten Weise entschlagen.”
Wir sollten einander vergessen
Mit diesem „Scheidebrief” endet die Korrespondenz abrupt. „Alles das, mein lieber Herr Doctor, bekundet eine Art von Naivetät, der gegenüber ich meine Ungeduld nicht länger verbergen kann und die noch länger auf mich wirken zu lassen ich mir nicht zumuthe. Ich erkläre unser Verhältnis für dringend ruhebedürftig und schlage vor, daß wir einander vorläufig vergessen.” Von Schaukals bitter enttäuschter Replik hat sich lediglich ein Entwurf erhalten. Er habe, heißt es darin etwas schief, Thomas Mann nun „zu jenen schwarzen Akten zu legen”, in denen „die so überaus zahlreichen Menschen und Literaten deponiert sind, die nur Anerkennung vertragen können”.
Die ironische Pointe dieser Kontroverse wird durch den vorliegenden Briefband fortgeschrieben: Richard Schaukals Nachleben in der Literaturgeschichte ist enger an den Namen Thomas Manns geknüpft als an seine eigenen Werke.
RALF BERHORST
THOMAS MANN: Briefe an Richard Schaukal. Hrsg. von Claudia Girardi. Thomas-Mann-Studien, Bd. 27. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2003. 242 Seiten, 49 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von dem österreichischen Dichter Richard Schaukal kennt man heute kein Gedicht mehr, und wenn man seinen Namen schon mal gehört hat, dann bringt man ihn mit dem Thomas Manns zusammen, vermutet Ralf Berhorst. Eine bittere Pointe, wie der Rezensent findet, ginge es doch in der wechselseitigen Korrespondenz stets darum, Anerkennung beim anderen für das eigene Werk zu erhalten. Bis Thomas Mann, inzwischen der Bekanntere, seinem Kollegen, der immerhin als erster Manns Erzählungen rezensiert hatte, die Anerkennung verweigerte und die Korrespondenz nach fünf Jahren abbrach. Leider, klagt Berhorst, seien nur noch die 75 Briefe Thomas Manns erhalten. Diese seien aber von Claudia Girardi hervorragend ediert und kommentiert, lobt er. So wird aus dem einstigen Dialog ein Monolog, aus dem sich für Berhorst Rückschlüsse über beide Persönlichkeiten ziehen lassen: seitenlang wurden Erfolge und Ablehnungen, Magen- und Schaffenskrisen verhandelt. Im Grunde müssen sich beide Dichternaturen in ihrer Empfindlichkeit und Eitelkeit sehr ähnlich gewesen sein, lautet Berhosts Schlussfolgerung.

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