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Spätestens seit der Veröffentlichung seines "Wallenstein" gilt Golo Mann - der Wanderer zwischen den Welten und Liebhaber schöner Literatur - als einer der wichtigsten deutschen Historiker des 20.Jahrhunderts. Dieses Buch bildet die erste umfassende Biographie des bedeutenden Historikers und politischen Publizisten. Es stützt sich nicht nur auf das wissenschaftliche und journalistische Hauptwerk, sondern auch auf den Nachlass Golo Manns, der sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern befindet. Alle Lebensabschnitte der vielschichtigen Persönlichkeit werden eingehend dargestellt: Kindheit…mehr

Produktbeschreibung
Spätestens seit der Veröffentlichung seines "Wallenstein" gilt Golo Mann - der Wanderer zwischen den Welten und Liebhaber schöner Literatur - als einer der wichtigsten deutschen Historiker des 20.Jahrhunderts. Dieses Buch bildet die erste umfassende Biographie des bedeutenden Historikers und politischen Publizisten. Es stützt sich nicht nur auf das wissenschaftliche und journalistische Hauptwerk, sondern auch auf den Nachlass Golo Manns, der sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern befindet.
Alle Lebensabschnitte der vielschichtigen Persönlichkeit werden eingehend dargestellt: Kindheit und Jugend im Haus des berühmten Schriftstellers Thomas Mann, das Exil in den USA und die Rückkehr als amerikanischer Soldat nach Deutschland, die Jahre in Kilchberg bei Zürich, wo er bis kurz vor seinem Tod wohnte und unter anderem die Belange der Familie Mann verwaltete.
Neben dieser bewegten Lebensgeschichte tritt eine zugänglich geschriebene Interpretation des historischen Werks, insbesondere der "Deutschen Geschichte" und des "Wallenstein". Auch das politische Engagement Golo Manns, das den parteipolitisch unabhängigen Publizisten sowohl für Willy Brandts Ostpolitik als auch für Franz Josef Strauß eintreten ließ, erfährt eine sachkundige Würdigung.
Autorenporträt
Urs Bitterli, geboren 1935, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

War nicht auch Helmut Schmidt musisch begabt?
Ein Stück Altväterei: Urs Bitterlis Biographie des Historikers Golo Mann / Von Andreas Kilb

Die Biographie eines großen Biographen zu schreiben kann eine undankbare Sache sein. Unmöglich, den Porträtierten zu übertreffen in der Kunst der Prosazeichnung, der Komposition, der Wahl des sprechenden Details. Höchstens könnte man ihn einholen, eher noch: ihn plagiieren. Denn je mehr man gelesen hat von dem, den man abbildet, desto stärker bildet dessen Schreiben sich im eigenen ab. Golo Mann kannte alle Briefe von und an Albrecht von Wallenstein; die Archaismen und Wortneubildungen, deren man seinen "Wallenstein", als er erschien, törichterweise zieh, das "Periclitieren" und die "Exulanten", sind der Widerhall seiner Lektüre. Urs Bitterli, der Biograph Golo Manns, hat dessen gesamten Nachlaß durchgearbeitet, die Tagebücher, Zeitungsartikel, Reden, Entwürfe, die Korrespondenz und sämtliche Bücher; und nun wartet man, siebenhundert Seiten lang, auf ein Echo. Aber es kommt nicht.

Dabei ist Golo Mann ein dankbarer Gegenstand für eine Biographie. Er hatte eine komplizierte Kindheit, entfaltete sein Talent im Exil, schrieb in Kalifornien ein Buch über den antinapoleonischen Diplomaten Friedrich von Gentz und kehrte mit einer "Deutschen Geschichte" nach Deutschland zurück; er war Professor in Claremont und Stuttgart, aber verachtete die Professorenzunft, er unterstützte die Westpolitik Konrad Adenauers, die Ostpolitik Willy Brandts und den Kandidaten Franz Josef Strauß, er litt unter seinem berühmten Vater und nahm doch dessen Arbeitszimmer, allerdings halbherzig, in Besitz. Am Ende ließ er sich in Kilchberg beerdigen, aber weit weg vom Familiengrab, am anderen Ende des Friedhofs. Golo Mann war, mit anderen Worten, "ein Nest von Widersprüchen", wie er selbst über Wallenstein sagt, und in dieses Nest müßte eine Biographie mutig hineingreifen - nicht, um die Widersprüche zu glätten, sondern um sie zu einem Charakterbild zusammenzufügen, das auch ein Bild der Epoche wäre, zerrissen, schwierig, unversöhnt wie sie.

Urs Bitterli hat es nicht getan. Denn Bitterli ist offensichtlich ein Feind von Widersprüchen, dafür ein treuer Freund von Ordnung im halben wie im ganzen Historikerleben. "Historie und Politik lassen sich im Schaffen Golo Manns nicht so säuberlich trennen, wie es hier, der guten Ordnung halber, geschieht." So beginnt ein Kapitel von Bitterlis Biographie; es heißt "Der politische Publizist" und folgt auf das Kapitel "Der Historiker". Eine Ordnung, die Historisches und Politisches bei Golo Mann auseinandersortiert, kann keine gute sein, das muß auch Bitterli geahnt haben. Also fügt er einen halb entschuldigenden Satz ein, behält aber die "gute Ordnung" bei. So ist es mit vielem in diesem Buch: Eine Gliederung, eine Perspektive, eine Argumentation werden vorgestellt, die ihrem Gegenstand ganz unangemessen sind - und dann, mit gewissem Bedauern, an ihm exekutiert.

Golo Manns Einschätzung des Attentats vom 20. Juli 1944 etwa wird von Bitterli im Zusammenhang mit dem Streit um Hannah Arendts Buch "Eichmann in Jerusalem" behandelt. Arendt habe, "nicht zu Unrecht", die Moral der Attentäter in Zweifel gezogen, woran Golo Mann "großen Anstoß" genommen habe. "Der gute Genius der Nation", zitiert Bitterli den Historiker, "hatte sich im Kampf gegen das Ungeheuer zusammengerafft." Dies sei aber, so unser Biograph, "eine merkwürdige Argumentation". Denn: "Jeroen Koch hat zu Recht kritisch bemerkt, daß hier Vorstellungen von individueller und kollektiver Ethik vermischt würden." Kochs Buch über Golo Mann erschien 1998, die "Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert" 1958. Wenn wir heute schlauer sind als Golo Mann vor über vierzig Jahren, dürfen wir ihn dann "merkwürdig" nennen? Und hat der Autor nicht vom "Genius" statt vom Ethos der Nation gesprochen, hat er sein Leben lang - was auch Bitterli nicht unvermerkt läßt - das moralische Individuum gegen die Amoral der Kollektive verteidigt?

Es ist nicht das einzige Mal in diesem Band, daß man Golo Mann vor seinem Biographen in Schutz nehmen möchte. An anderer Stelle wägt Bitterli Manns Engagement für den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl von 1980: "Mochte es auch so sein, daß Strauß über mehr Phantasie und Humor verfügte - aber, so mußten sich die Staatsbürger fragen, gehören Phantasie und Humor tatsächlich zu den auszeichnenden Eigenschaften des bedeutenden Staatsmannes? Besaß nicht auch Helmut Schmidt eine unter Politikern seltene musische Begabung und sehr beachtliches Rednertalent?" Gehören Besserwisserei und Oberlehrertum tatsächlich zu den auszeichnenden Eigenschaften eines bedeutenden Biographen? Bitterli jedenfalls scheint es zu glauben, wenn er Golo Mann weiter unten für die Kälte tadelt, mit der dieser stets von seinem Vater sprach. Der Filius habe "allzu leicht vergessen, was alles er seinem Vater verdankte: Verbindungen mit interessanten Persönlichkeiten in der Jugend, erhebliche finanzielle Einkünfte im Alter, einen Namen, der in der Nachkriegszeit nicht wenig zu des Sohnes Prominenz beitrug". Das ist nicht nur altklug, sondern auch falsch.

Denn Golo Mann hat nichts von alledem jemals vergessen, so wenig, wie er alles andere vergaß, das Thomas Mann ihm angedeihen ließ: den Spott über das "unreinliche, verlogene" Kind, die "problematische Natur", das gönnerhafte Aushalten und Protegieren des Sohnes im Exil. Von allen Kindern der Familie Mann hat Golo als einziger das schriftstellerische Genie seines Vaters geerbt, aber ohne das Talent zur Revolte, das seiner Lage angemessen gewesen wäre. Er haderte, statt zu rebellieren; noch die kitschigen Alpenlandschaften, mit denen er das Arbeitszimmer Thomas Manns in Kilchberg ausstaffierte, waren Protest und Unterwerfungsgeste zugleich. Immer, so erzählt Golo Mann augenzwinkernd in seinen "Erinnerungen und Gedanken", habe er es mit der Obrigkeit gehalten. Das eigene Elternhaus gehörte dazu. Im ersten Band seiner Autobiographie gibt es nur zwei Personen, deren Namen er durch Initialen abkürzt: TM und GM, Thomas und Golo Mann. Im zweiten Band kommt das Kürzel "A.H." hinzu: Adolf Hitler. Ein längeres Kindheitskapitel der "Erinnerungen und Gedanken" handelt von der Geisterfurcht des Knaben. Sie ist dem Erwachsenen geblieben: Das Unaussprechliche bannte er in Großbuchstaben.

Es hätte nahegelegen, Person und Werk Golo Manns aus seiner Beziehung zu seinem Vater zu entwickeln. Urs Bitterli hat darauf verzichtet, ohne einen anderen, vielleicht besseren Schlüssel zum Verständnis dieses Historikerlebens vorzulegen. Die Wahrheit dürfte darin liegen, daß es keinen besseren Schlüssel gibt. Golo Mann war ein brillanter Historiker, ein bedeutender Essayist und politischer Kommentator, aber zur Figur der Zeitgeschichte wurde er, weil er außerdem der Sohn Thomas Manns war. Wie sich der Stil seines Schreibens und Lebens, der Ton der Briefe und Tagebücher, die Haltung zur Geschichte wie zur Gegenwart aus dem Oppositionsverhältnis zu seinem Vater entwickelte, ist oft angedeutet, aber nie umfassend beschrieben worden. Urs Bitterlis Biographie hätte diese Lücke schließen können, doch der Autor weigert sich beharrlich, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. So macht er sie noch schmerzlicher fühlbar: als Fehlen eines Leitgedankens, der die Kapitel des Bandes von innen her, jenseits der aufgezwungenen "guten Ordnung", zusammenhielte.

Im Grunde ist Bitterlis Buch, das die Jugend, das Exil, das historische Werk, die politische und literarische Publizistik und die Greisenjahre Golo Manns schubfachweise neben- und hintereinanderlegt, die Verweigerung einer Biographie: ein Lebensabriß aus Splittern, die sich nicht zum Bild zusammenfügen. Was, zum Beispiel, hat Golo Manns berühmte Rom-Rede vom Feburar 1964, in der er den Deutschen die Aussöhnung mit Polen und der Tschechoslowakei empfahl, mit dem Verzicht auf die Professorenstelle an der Technischen Hochschule Stuttgart im Monat zuvor zu tun? Wie spiegelt sich seine Abkehr von Willy Brandt, dessen Ostpolitik er lange Zeit gefördert hatte, in seinen politischen Kommentaren der frühen siebziger Jahre? Golo Mann war aus eigener, leidvoller Erfahrung hochempfindlich gegen Krisen und Umwälzungen aller Art. Als einer der ersten erkannte er die weltgeschichtliche Bedeutung der iranischen Revolution von 1979, der linke Terror der RAF machte ihm mehr Angst, als er öffentlich einzugestehen wagte, und die deutsche Wiedervereinigung betrachtete er ohne Hochgefühl.

Sein Biograph Bitterli dagegen scheint Mühe zu haben, derlei Emotionen nicht für Schrullen zu halten. Gern gibt er der Geschichte recht gegen den Geschichtserzähler, blickt mit Hans-Ulrich Wehler, dem Antipoden, auf die "Erinnerungen und Gedanken" und rügt milde die "altväterische Art" des "Wallenstein". Noch lieber aber wird er selbst altväterisch, etwa indem er erklärt, wer Schiller war: "Schillers höchste Begabung lag bekanntlich im Dramatischen." Oder Voltaire: "Der französische Historiker war auch das, was man später in seinem Lande den ,écrivain engagé' genannt hat." So könnte man seitenlang weiter zitieren, und so vergehen die Seiten dieses Buchs, in dem von Golo Mann zuwenig und von allem anderen zuviel die Rede ist.

Im Grunde sei er "ein verhinderter Erzähler", hat Golo Mann abschließend zu seinem Werk gesagt und auch den Hinderungsgrund genannt: "Es gab ja genügend Schriftsteller in der Familie." In diesem Satz steckt eine Partitur erstickter Gefühle. Ein Porträt dieses Historikers müßte sie alle zum Klingen bringen. Aber Urs Bitterli ist kein verhinderter Erzähler, er ist nur ein verhinderter Biograph. Sein Buch ist die erste umfassende Studie über Golo Mann. Es darf nicht die letzte bleiben.

Urs Bitterli: "Golo Mann". Instanz und Außenseiter. Kindler Verlag, Berlin 2004. 708 S., 20 S/W- Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2004

Ich bin so ein armer Mensch wie Sie
Borstig, aber anständig: Urs Bitterli beschreibt das Leben Golo Manns
Die Geheimnisse des Lebens von Golo Mann sind nicht unergründlich. Er selbst hat sie ausgesprochen, ohne viel von ihnen herzumachen. Der begabteste Sohn Thomas Manns litt an dem, was sein Lehrer Jaspers schon dem Studenten als Fehlen von „Siegeszuversicht” vorhielt. „Man möchte Sie ermuntern dadurch, dass man die Wahrheit sagt über den Eindruck, den Sie durch Ihre Werte, Ihre Schrift, Ihr Auftreten hinterlassen. Aber sogleich sehe ich Ihre abwehrende Gebärde.” „Es wäre schön, wenn Sie ihn kennenlernten”, schrieb derselbe Jaspers, Golo Manns Doktorvater, an seine andere große Schülerin Hannah Arendt. „Er ist borstig, schüchtern, bissig und unglücklich, aber immer anständig. Er hat Begabungen von seinem Vater, aber ist viel mehr Charakter als der Vater.”
Zu dieser borstigen Depressivität hat Golo sich dann zeit seines Lebens bekannt. „Ich musste seinen Tod wünschen”, gab er in Bezug auf seinen Vater zu Protokoll. Dass seine Mutter viel zu lange lebe, hat er als selbst schon alter Herr, belastet von ihren tyrannischen Launen, offen bekundet. Er bezog das Arbeitszimmer Thomas Manns, stattete es aber mit häßlichen Alpenlandschaften aus. Noch seine Verfügungen für die Beerdigung drückten den lebenslangen Zwiespalt aus: Sein Grab liegt auf dem Kilchberger Friedhof, wie das der Eltern, doch am entferntest möglichen Punkt. In ein Familiengrab wollte er selbst sich nicht legen, den Zusammenhang leugnen auch nicht.
Sein Realismus in diesen Dingen war von ganz unweinerlicher Härte: „Mein in vieler Beziehung lieber, in anderer wieder recht garstiger Vater, hat es viel besser gehabt; hat es überhaupt sein ganzes Leben lang beschützt und glänzend gehabt und hatte gar keinen Grund, den Leidend-Grämlichen zu spielen und damit seine Umwelt zu beeindrucken, wie er es meistens tat.” So schon 1948 zu einem engen Freund. Unheilsgefühle begleiteten ihn bis zum Ende: „Mein Leben ist kein glückliches; die Hoffnung, ich könnte kurz vor Torschluss doch noch ein freier Mensch werden, hat immer wieder getäuscht.” Und an eine ihm ganz unbekannte Frau, die sich an den berühmten Historiker mit ihren Leiden gewandt hatte, schrieb er: „Aber Sie dürfen sich von mir nicht viel erhoffen, ich bin so ein armer Mensch wie Sie auch.”
Wunderliche Blicke
Wie sein Vater und sein Bruder Klaus war auch Golo homosexuell, und auch hier wählte er den Mittelweg. Weder das Ausrasen des Triebes, für das Klaus sich entschieden hatte, noch die unkeusche, das ganze Werk mit Eros tingierende Enthaltsamkeit des Vaters waren seine Sache. Er pflegte wenige, wertvolle Freundschaften, tauschte mit Studenten „wunderliche Blicke” und befreite sich erst als längst erwachsener Mann ein wenig: Der Fünfzigjährige begann Spanisch zu lernen, nahm Studenten aus Spanien oder Lateinamerika als Untermieter zu Sprachstudien bei sich auf, und einer von ihnen, ein Pablo, begleitete ihn auf eine Reise nach Mexiko, die zu seinen hellsten Lebensmomenten zählte.
Die Feststellung, dass Golo Mann der ideale Gegenstand für einen seiner eigenen Essay gewesen wäre, ist nicht völlig trivial. Ihm lagen die verschatteten Charaktere, die janusköpfigen melancholischen Denker, die am Alten hingen, das Neue schaudernd gewahrten, die verzweifelt Zornigen, dann hilflos der Übermacht der Zeitläufte sich Ergebenden. Tocqueville und Lord Acton waren Golo Manns liebste Historiker, während er die stolzen, entwicklungsfrohen Geheimräte Meinecke und Marcks, die Größen seiner Jugend, mit Verachtung strafte und übrigens schon an ihrem Stil überführte. Der sich an der Revolution arbarbeitende konservative Staatsmann Gentz wurde zu Golo Manns erstem Gegenstand.
Dazu kommt etwas Materielles: Wie seine verehrten Vorläufer im neunzehnten Jahrhundert war Golo Mann durch Name und Erbe, bald auch durch eigene Erfolge unabhängig von der akademischen Laufbahn. Er konnte leben wie ein adeliger Gentleman-Historiker. Solche Unabhängigkeit wird nun umgekehrt im Netzwerk der Institutionen gar nicht geschätzt. Längere Zeit unterrichtet hat Golo Mann als junger Mann in Amerika, in Deutschland wurden ihm Lehrstühle nur in Außenpositionen und für kurze Zeit zugänglich. Die Fakultäten misstrauten ihm, und die Magnifizenzen Horkheimer und Adorno verhinderten eine Berufung des lebenslangen Antimarxisten nach Frankfurt durch eine schmutzige Intrige.
Moralischer Anstoß
Es ist nicht ohne Ironie, dass die umfangreiche Biographie, die der Schweizer Historiker Urs Bitterli pünktlich zu Golo Manns heutigem zehnten Todestag herausgebracht hat, stark von akademischem Geist geprägt ist. Es hat etwas Komisches, wenn Bitterli zum Beispiel von der „Deutschen Geschichte” sagt, dass diese nicht alle „Problemkreise” „vertieft” abzuhandeln vermochte, „was der damalige Forschungsstand übrigens auch nicht gestattet hätte”. Hat Tacitus den Forschungsstand berücksichtigt? Golo Mann schrieb, gerade in der „Deutschen Geschichte”, als mitlebender und -leidender Zeitgenosse und Zeitzeuge, als politisch-ästhetisches Temperament, nicht als Vorläufer von Wehler, Winkler oder Evans.
Dass seine erste Vorlesung in Deutschland die großen Romane des neunzehnten Jahrhunderts als Geschichtsquellen behandelte, mag im akademischen Feld wie Vorwegnahme späterer Debatten um Poesie und Historie (Hayden White!) aussehen – für den Sohn Thomas Manns kamen solche Einsichten aus der kulturellen Atemluft. Bitterlis Buch ist im Übrigen gutartig und reichhaltig, die akademische Holzwolle lässt sich von den vielen vorzüglichen Zitaten aus den im Nachlass erhaltenen Tagebüchern und Briefwechseln leicht abstreifen; ein ausführlicher Exkurs zur Quellenlage wäre freilich wünschenswert gewesen.
Das Persönliche deutet Bitterli nur blass an, den kunstreichen Geschichtserzähler führt er eher ungeschickt und ohne vertieftes Verständnis vor, doch reichhaltig und verdienstvoll sind die langen Passagen dieser Biographie, die Golo Mann als öffentliche Figur vor allem Nachkriegsdeutschland zeigen. Dabei wird deutlich, dass es nicht nur der Schatten des Vaters gewesen sein kann, die diesen begnadeten Erzähler von der eigentlichen Literatur fernhielt; sondern auch ein reflexiv-politisches Temperament, das im ausgreifenden Essay am besten aufgehoben war.
Diese Essays sind moderne Exempla, sie suchen existentiell belehrende Beispiele im Vergangenen. Schriftstellerisch sind sie das Beste von Golo Manns Produktion, eine lange Reihe von geschliffenen Juwelen, erstaunlich durch die Fülle der Gegenstände, Marx, Heine, Büchner, Kleist, Weber, Toqueville, Acton, Russel und viele andere. Nicht unterschätzen darf man auch den nie sich abschwächenden moralischen Anstoß, den die Erfahrung des Nationalsozialismus für dieses Lebenswerk bedeutete.
Aus der späten Bundesrepublik bleibt manche irrlichternde Stellungnahme in Erinnerung – so Golo Manns Eintreten für Franz Josef Strauss –, die den Blick auf seinen Rang als politischen Kommentator verstellt hat. Unerreicht hellsichtig bleibt seine frühzeitige Ablehnung der desaströsen Bildungsreformen um 1970.
Taufrisch lesen sich seine Kommentare zur amerikanischen Politik, so seine verzweifelte Kritik am Vietnam-Krieg: „Verführt wurden sie (die Amerikaner) dazu durch falsche Analogien, durch geschichtsleere Formeln, an die man sich klammert, durch Welt-Unkenntnis trotz allem in der Welt-Herumfliegens, durch die Unausmessbare Blindheit der Kriegsfachleute, denen die Nicht-Fachleute, die Provinz-Politiker sich beugen zu müssen glaubten, durch uralten Missionsdünkel, durch brutale Neigungen, Prestigesucht, Rechthaberei und was noch - nur nicht durch die Dialektik des Kapitalismus. So dumm, glauben Hegels Urenkel, kann es in der Geschichte doch nicht hergehen. Doch, es kann.”
Solche Zornausbrüche – das „selbstzufriedene Mondgesicht” Helmut Kohls war ihm noch kurz vor seinem Tod ein Ärgernis – waren seine besten Momente. Er hat sich, einen „liberalen Hamlet” genannt, der nur „kultivierte Unentschiedenheit” bieten könne. Das war nun wieder viel zu kleinmütig. Er hasste das Mittelmaß und litt sein Leben lang an den deutschen Verbrechen. Er war der anständigste Mensch, den man sich vorstellen kann. Seine Mischung aus Hellsicht, Grantigkeit und Güte bewahrt ihren unverwechselbaren Charme.
GUSTAV SEIBT
URS BITTERLI: Golo Mann. Instanz und Aussenseiter. Kindler Verlag, Berlin 2004. 708 Seiten, 29,90Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"In keiner Weise überzeugt und sehr enttäuscht zeigt sich Rezensent Andreas Kilb von Urs Bitterlis Biografie des Historikers Golo Manns, zumal er den Sohn von Thomas Mann für einen überaus "dankbaren Gegenstand" für eine Biografie hält. Wie er ausführt, war Mann nach eigenem Bekunden ein "Nest von Widersprüchen" - ein Nest, in das ein Biograf "mutig hineingreifen" müsste, findet Kilb, nicht um die Widersprüche zu glätten, sondern um sie zu einem Charakterbild zusammenzufügen. Das aber hat Bitterli zu Kilbs Bedauern unterlassen, um stattdessen als "treuer Freund von Ordnung" Manns Leben in eine Ordnung, eine Gliederung, eine Perspektive, eine Argumentation zu stellen, die ihrem Gegenstand "ganz unangemessen" seien. Der Rezensent verspürt daher allenthalben das Bedürfnis, Mann vor seinem Biografen "in Schutz nehmen". Besonders auf die Nerven geht Kilb nicht nur die "Besserwisserei" und das "Oberlehrertum", sondern auch die "Altväterei" des Verfassers. Auch dass Bitterli darauf verzichtet - ein doch recht naheliegender Ansatz -, Person und Werk Golo Manns aus seiner komplizierten Beziehung zu seinem Vater zu entwickeln, ohne einen besseren Schlüssel zum Verständnis dieses Historikerlebens vorzuweisen, kann Kilb nicht akzeptieren. Letztlich sieht er in Bitterlis Buch die "Verweigerung einer Biografie: ein Lebensabriss in Splittern, die sich nicht zum Bild zusammenfügen".

© Perlentaucher Medien GmbH"
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