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Dieser Roman gibt dem namenlosen Toten aus »Der Fremde« von Camus ein Gesicht
Ein Roman aus Algerien, der um die Welt geht: in Frankreich ein Riesenbestseller, in den USA und England als literarische Sensation gefeiert, jetzt in deutscher Übersetzung. Die Geschichte des namenlosen Arabers aus Camus' weltberühmtem Roman »Der Fremde« - erzählt von dessen Bruder.
Der alte Mann, der Nacht für Nacht in einer Bar in Oran seine Geschichte erzählt, ist der Bruder jenes Arabers, der 1942 von einem gewissen Meursault am Strand von Algier erschossen wurde - in einem der berühmtesten Romane des 20.
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Produktbeschreibung
Dieser Roman gibt dem namenlosen Toten aus »Der Fremde« von Camus ein Gesicht

Ein Roman aus Algerien, der um die Welt geht: in Frankreich ein Riesenbestseller, in den USA und England als literarische Sensation gefeiert, jetzt in deutscher Übersetzung. Die Geschichte des namenlosen Arabers aus Camus' weltberühmtem Roman »Der Fremde« - erzählt von dessen Bruder.

Der alte Mann, der Nacht für Nacht in einer Bar in Oran seine Geschichte erzählt, ist der Bruder jenes Arabers, der 1942 von einem gewissen Meursault am Strand von Algier erschossen wurde - in einem der berühmtesten Romane des 20. Jahrhunderts. 70 Jahre später, mit all dem Ärger, der Angst und Frustration eines Lebens im Schatten dieses Todes, gibt der alte Mann seinem Bruder seinen Namen zurück. Der Araber aus Camus' Roman »Der Fremde« bekommt so eine Identität und eine Geschichte. Eine Geschichte, die untrennbar mit der Algeriens verknüpft ist und doch gleichzeitig so berührend und persönlich, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Ein großer Roman darüber, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart prägt, und über die ungebrochene Kraft der Literatur, eine tiefere Erkenntnis, eine verborgene Wahrheit ans Licht zu bringen.

Das Buch gilt jetzt schon als Klassiker - gleichwertig zu Camus' Roman: »Ein großartiger Roman. In Zukunft wird man 'Der Fremde' und 'Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung' nebeneinander lesen.« Le monde des livres
Autorenporträt
Daoud, KamelKamel Daoud, Jahrgang 1970, arbeitete lange als Journalist für den Quotidien d'Oran und andere Zeitungen. Heute lebt er als Schriftsteller mit seiner Familie in Oran. Für seinen ersten Roman »Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung« wurde er von der Kritik gefeiert und unter anderem mit dem Prix Goncourt du Premier Roman ausgezeichnet. Das Buch wurde in 30 Sprachen übersetzt.

Josten, ClausClaus Josten, geboren 1958, Studium u.a. in Duisburg, Straßburg und Paris. Zunächst Journalist, von 1991 bis 2005 Redakteur in der Gründungs-Équipe der Arte-Themenabende/»Das kleine Fernsehspiel« beim ZDF. Seit 2006 systemischer Coach im Maghreb, in Frankreich und Köln, Übersetzer und (Fernseh)-Autor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2016

Jetzt hat der Tote endlich einen Namen

Mehr als siebzig Jahre nach dem Erscheinen des Romans "Der Fremde" von Albert Camus kehrt der Algerier Kamel Daoud die Perspektive um.

Auf dem Grund dieses Buches liegt ein ungläubiges Staunen. Es wird nicht schwächer mit der Zeit. Lang mag es her sein, dass der Tod des Bruders den Erzähler dieses Romans in Verzweiflung stürzte, aber nun, da dieser Erzähler, in einer Bar im algerischen Oran sitzend, seinem fiktiven Gegenüber das ganze Drama entgegenschleudert, hört sich alles an, als wäre kaum ein Tag vergangen. "Mein Bruder hat die Kugeln abbekommen, nicht er! Es ist Moussa, nicht Meursault, oder? Das macht mich fertig. Sogar nach der Unabhängigkeit hat niemand auch nur versucht, den Namen des Opfers herauszubekommen, seine Adresse, seine Vorfahren, mögliche Kinder. Niemand."

Meursault, Moussa, von wem ist hier die Rede? Einmal von der Hauptfigur des berühmten von Albert Camus stammenden Romans "Der Fremde", in dem jener Meursault an einem sehr sonnigen Tag des Jahres 1942 an einem Strand einen "Araber" erschoss, der nun, Jahrzehnte nach der Tat, in einem anderen Roman einen Namen bekommt: Moussa. Dieser andere Roman stammt von dem Algerier Kamel Daoud, ist vor zwei Jahren zunächst in Algerien erschienen und ein paar Monate später in Frankreich, wo er entgegen allen Erwartungen zwar nicht mit dem Goncourt-Preis ausgezeichnet, aber dennoch gleich als Meisterwerk gefeiert wurde, als eine Antwort auf Augenhöhe, die mit dem "Fremden" von Camus fortan ein Diptychon bilden werde, wie eine Kritikerin begeistert schrieb.

Offensichtlich fühlte man sich in Frankreich ertappt von dem im Grunde einfachen Perspektivwechsel, auf dem Kamel Daoud seinen Roman "Der Fall Meursault - Eine Gegendarstellung" aufgebaut hat. "Der Fremde" ist ja nun wirklich kein Buch, dem es im Laufe der Jahre an Lesern gemangelt hätte. Doch die Frage, wer denn der "Araber" sei, der da zu Tode kam, stand nie oder zumindest selten im Zentrum der Rezeption.

Dieses Versäumnis wandelt Daoud nun in eine Wutrede um, in eine Anklage, die sich der Saufkumpan seines Erzählers Haroun in der Bar stellvertretend für alle Leser anhören muss. So erklärt sich die direkte Anrede, die das Buch durchzieht: "Hast du was verstanden? Nein? Dann erkläre ich es dir." Aus Harouns Sicht war es so, dass sein Bruder Moussa, der eigentlich als Lastenträger arbeitete, eines Tages einfach am Strand lag und dort das unsagbare Pech hatte, auf einen Franzosen zu treffen, der nach dem Tod seiner Mutter keine Heimat mehr hatte und deswegen "in den Müßiggang und das Absurde" verfiel. "Was muss er gelitten haben, der Arme! Kind eines Landes zu sein, in dem man ihm kein Leben geschenkt hat."

Kamel Daoud, der, wie einst Camus, als Journalist arbeitet und seit Jahren in der algerischen Zeitung "Le Quotidien d'Oran" eine Kolumne schreibt, macht in seinem Buch also zweierlei: Indem er dem toten Araber einen Namen und eine Vita gibt, bettet er das ganze Geschehen in einen historischen Kontext ein: die algerisch-französische Kolonialgeschichte. Und er löst auf diese Weise den die Philosophie von Camus prägenden Begriff des Absurden aus seiner Universalität. Die Absurdität, die bei Camus eng an ein umfassendes Gefühl der Gleichgültigkeit gekoppelt ist und in der viele Leser eine gute Beschreibung ihrer Lebensbedingungen in der modernen Welt gefunden zu haben glaubten, wird bei Daoud ihrerseits in einen bestimmten Kontext eingebunden. "Das Absurde tragen mein Bruder und ich auf unseren Schultern oder im Bauch unserer Heimat, und nicht dieser Typ", heißt es an einer Stelle.

In weiten Teilen des Buches geht es also darum, zu ergründen, wie sich das Konzept des Absurden auf algerische Verhältnisse anwenden lässt, was Absurdität für einen Algerier bedeuten könnte. Das ist schwierig genug, wenn man noch in Erinnerung hat, wie Kamel Daoud vor einem Jahr im Gespräch mit dieser Zeitung (F.A.Z. vom 12. Februar 2015) erläuterte, dass die Algerier ein Volk seien, das noch viel zu sehr vom Konzept einer kollektiven Geschichte geprägt sei. "Die Geschichte ist in sich selbst eine Philosophie, weil sie eine bestimmte Wahrheit postuliert. Beim Absurden geht es aber eher um den Glauben des Individuums und weniger um den des Kollektivs", sagte Daoud seinerzeit. Eigentlich gehe die auf das Individuum zielende Philosophie von Camus deshalb an den Bedürfnissen eines algerischen Publikums vorbei.

In seinem Roman hat Daoud dieses Dilemma zu überwinden versucht, indem er die schon erwähnte Gleichgültigkeit hervorhebt und zu so etwas wie einem Bindeglied macht. Sie ist das wiederkehrende Motiv in seiner Version der Geschichte, weil hier so gut wie keines der fünfzehn, jeweils nur ein paar Seiten zählenden Kapitel vergeht, ohne dass der Erzähler Haroun nicht abermals über das Desinteresse der Camus-Leser am Schicksal seines Bruders gewehklagt hätte. Wie in einer Endlosschleife zieht sich diese Klage durch das Buch und die Jahre. Denn die Zeit spielt nicht für, sondern gegen den Kläger: Für den Franzosen Meursault mag die Gleichgültigkeit anlasslos gewesen sein. Für den Algerier Haroun bedeutet sie eine fortgesetzte Demütigung durch die anderen.

Kamel Daoud wäre allerdings ein schlechter Camus-Leser, wenn er mit Hilfe von dessen Gedanken nicht zumindest versucht hätte, auch seinem eigenen Erzähler einen Weg aus der gefühlten Isolation zu weisen. Dass sein Lieblingsbuch von Camus eigentlich "Der Mensch in der Revolte" war und nicht "Der Fremde", das ihm lange "zu trocken" schien, wie Daoud im Gespräch mit dieser Zeitung sagte, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Hinweis. Denn auch Haroun revoltiert gegen die andauernde Nichtbeachtung durch die anderen, indem er zum einen deren Lesart des Camus-Romans ablehnt und zum anderen selbst einen Mord begeht, einen spiegelbildlichen: Nicht in der Mittagshitze, sondern um Mitternacht tötet er seinerseits einen Fremden, dem er zwar immerhin das Recht auf einen eigenen Namen gewährt (das Opfer heißt Joseph Larquais), dessen einziges Vergehen aber, wenn überhaupt, darin bestand, Franzose zu sein.

Nun, zu dem Zeitpunkt, zu dem Haroun uns seine Geschichte erzählt, weiß er natürlich längst, dass er mit diesem Mord in eine Falle getappt ist, dass die Rache keine Erlösung bringt, weder für ihn noch für sein Land. Denn Kamel Daoud verbindet das Schicksal seines Erzählers auch in diesem Punkt explizit mit dem Algeriens. Er datiert den Mord an dem Franzosen auf den Juli 1962 - das ist der Monat, in dem Algerien nach einem langen Krieg gegen die französische Kolonialmacht die Unabhängigkeit erlangte.

Mit dem Juli 1962 verbindet sich daher eine doppelte Hoffnung, in beiden Fällen erfüllt sie sich nicht. Als wir Leser dem Erzähler Haroun in Oran begegnen, ist er ein alter Mann, der genau sieht, wie sich sein Land verändert hat: wie der Nachbar immer mehr Koranverse krakeelt, wie immer mehr Bars schließen, wie es immer schwieriger für einen alten Junggesellen wie ihn wird, den eigenen Lebenswandel zu rechtfertigen.

Mehr als "Gegendarstellung" ist der Roman von Kamel Daoud daher eine Anwendung der Camusschen Begrifflichkeiten auf ein algerisches Leben, wozu im Übrigen gut passt, dass Daoud Camus häufig wörtlich zitiert und lange Zitate aus dem "Fremden" in kursiv gesetzter Schrift in seinen Text einbaut. Sein Roman ist aber auch der großartig gelungene Versuch, einen Eindruck von den ungleichen Wahrnehmungen zu geben, die das algerisch-französische Verhältnis bis heute prägen. Dass sein Werk nie für sich selbst, sondern stets in Bezug zum "Fremden" von Camus zu lesen sein wird, ist eine Einschränkung, mit der Daoud sehr gut wird leben können.

LENA BOPP

Kamel Daoud: "Der Fall Meursault - Eine Gegendarstellung". Roman.

Aus dem Französischen von Claus Josten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 200 S., geb., 17,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader liest Kamel Daouds jetzt auf Deutsch erschienenen Roman mit großem Respekt vor der oppositionellen Haltung des Autors gegen gewalttätige Strömungen im Islam. Den Text versteht sie als Antwort auf Camus' Roman, als klare Differenz einerseits, sprachlich, als auch, indem Daoud den nebensächlichen Mordfall bei Camus nun auffaltet und dem Ermordeten einen Namen gibt. Dass der Autor ihm dennoch keine Kontur verleiht, bedeutet Schader, dass Daoud keine einfache Gegendarstellung anstrebt, sondern die beiden Texte mittels Anspielungen, Parallelen, Variationen "konvergieren" lassen möchte. Daouds Protagonist, erklärt sie, schreibt die Geschichte des "Fremden" nicht neu, sondern anders, im Bewusstsein des postkolonialen Diskurses.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2016

Brüder unter der Sonne
Kamel Daoud erzählt in „Der Fall Meursault“ Camus’ „Der Fremde“ aus arabischer Sicht neu.
Doch sein Anti-Camus-Roman ist bei Weitem nicht so gut wie das Original
VON TOBIAS LEHMKUHL
Wer einmal „Der Fremde“ gelesen hat, wird sich nicht an das Buch erinnern, ohne zu spüren, wie ihn die Sonne blendet, wie ihre Strahlen sich geradezu in den Kopf bohren und dort auszulöschen trachten, was an Vernunft, Geschichte, was an Sinn jemals da gewesen sein mag. Alles ist in gleißende, verzehrende Helligkeit getaucht – eine Nahtoderfahrung, die es nur natürlich erscheinen lässt, dass jemand stirbt.
  In Albert Camus’ Roman wird dieser Tote schlicht „der Araber“ genannt. Ihm einen Namen zu geben, darum geht es nun in Kamel Daouds „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“. Der Roman erregte bei seinem Erscheinen in Frankreich großes Aufsehen und wurde sogleich für den Prix Goncourt nominiert (SZ vom 23. Juli 2014).
  Mit einigem Abstand muss man sich allerdings fragen, ob man es mit Daouds Version des „Fremden“ tatsächlich mit einem, wie behauptet wurde, gleichrangigen Gegenstück zu tun hat, oder ob nicht allein die Idee, die Geschichte des „Arabers“ zu erzählen und mithin eine Ikone der französischen Literatur auf den Kopf zu stellen, derart elektrisierend war, dass viele Kritiker vielleicht etwas voreilig aus dem Häuschen gerieten.
  Erzähler des Romans ist der Bruder des Toten. Er sitzt in einer Bar in Oran, und berichtet einem namenlosen „Literaturwissenschaftler“ über einige Tage und mehrere Flaschen Wein hinweg von jenem Tag im Jahr 1942, als besagtem Meursault die Sonne das Hirn verbrennt und er vier Kugeln auf einen ihm völlig Unbekannten abfeuert. Moussa heißt dieser Fremde, und ihm einen Namen zu geben, ist der auf die Dauer etwas schwache Motor dieser Erzählung.
  Nicht genug, dass uns Frankreich über Jahrzehnte drangsaliert und ausgebeutet hat, nicht einmal einen Namen haben die Franzosen jenen gelassen, die sie ermordet haben. So ließe sich die Haltung des Erzählers zusammenfassen. Sie ist nur recht und billig – wäre denn „Der Fremde“ ein Bericht und sein Verfasser der Mörder selbst. Es handelt sich aber um einen bis ins Letzte durchkomponierten Roman, einen Roman von geradezu klassischer Strenge, der in atmosphärisch extrem dichten Bildern von einem Mann erzählt, dem alles einerlei ist – der Tod seiner Mutter, die Liebe einer gewissen Marie, die vermeintliche Freundschaft eines Nachbarn. Nicht im Geringsten interessiert er sich dafür, wie dieser von ihm getötete Araber geheißen haben mag. Der Vorwurf der Gleichgültigkeit also läuft ins Leere, denn um eben diese Gleichgültigkeit geht es ja gerade.
  Am Ende freilich kommt es darauf gar nicht an, spielt es auch keine Rolle, ob nun Camus oder Meursault der Autor von „Der Andere“, wie das Buch bei Daoud heißt, ist. Am Ende will man – und dies entspricht nun ebenfalls dem Zeitgeist, daher auch die Aufmerksamkeit für Daouds Werk – etwas über die andere, fremde Seite, eben die der „Araber“ erfahren, um sie besser zu verstehen und das allgemeine Gefühl der Bedrohung durch „den Islam“ vielleicht etwas abzumildern.
  Mit dieser Erwartungshaltung zumindest spielt der Titel „Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung“. Von einer Gegendarstellung erwartet man sich neue Aspekte, eine Verschiebung der Perspektive, ein „so war es nicht, sondern folgendermaßen“. Doch nichts davon in Daouds Roman. Recht eigentlich kann man dieses Buch nicht einmal einen Roman nennen, erwartet man denn so etwas wie Handlung, eine Geschichte. Der Erzähler aber behauptet nur ein ums andere Mal, eine Geschichte, seine Geschichte zu erzählen, in der gleichen Sprache wie der Mörder zwar, „aber diesmal, wie das Arabische, von rechts nach links“.
  In Wirklichkeit jedoch räsoniert er lediglich darüber, wie schwer ihm das Leben durch den Tod seines Bruders geworden ist, wie sehr dieser Tod seine Mutter mitgenommen hat. Ja, am Ende staunt man, wie lang zweihundert Seiten sein können, wenn sie mit bloßem Gerede gefüllt sind, wenn nur ziellos monologisiert wird.
  Zwar deutet Moussas Bruder eine Liebesgeschichte an, behauptet, kurz nach der Unabhängigkeit Algeriens, in einer Art verspäteter Rache, einen Franzosen erschossen zu haben. Doch diese „Ereignisse“ wirken aufgesetzt und konstruiert, während in Camus’ „Der Fremde“ alles von einer beklemmenden Folgerichtigkeit ist – die Fahrt zur Beerdigung der Mutter, der Gang an den Strand, ja selbst das stumpfe Zum-Fenster-Hinausstarren ist bei Camus Teil eines zum äußersten gespannten Erzählbogens.
  Der Grund, warum in „Der Fremde“ vermeintliche Banalitäten derart aufgeladen sind und jedes Sandkorn seinen Platz in der Geschichte hat, liegt natürlich in der sprachlichen Gestalt dieses Kunstwerks. Ihr zollt auch Daouds Erzähler Tribut: „Wenn dein Held die Ermordung meines Bruders so gut erzählt, dann konnte er das, weil er auf das Gebiet einer völlig unbekannten Sprache vorgedrungen war, die viel mächtiger und so überwältigend ist, weil sie gnadenlos den Stein der Worte schleift, so schnörkellos wie die euklidische Geometrie.“
  Das kann man nun von der ganz unspezifischen, ja selbst in diesem durchaus treffenden Lob etwas unbeholfenen und grammatikalisch zweifelhaften Sprache Daouds weiß Gott nicht behaupten – und daran ist nicht allein die Übersetzung schuld. Darum auch, weil es an Gestaltungskraft mangelt, fasst uns das Leid des Erzählers nicht an, darum scheinen all seine Reflexionen ins Leere zu laufen, darum ist diese Geschichte nicht gut. Darum hat sie, recht bedacht, den Namen „Geschichte“ nicht wirklich verdient.  
Statt die „wahre“ Geschichte zu
erzählen, erschöpft sich das Buch
in einem ziellosen Monolog
Wäscht er die Hände in Unschuld? Marcello Mastroianni in der Roman-Verfilmung als Meursault.
Foto: imago/United Archives
      
    
        
Kamel Daoud: Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung. Aus dem Französischen von Claus Josten. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 208 Seiten, 17,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
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»Daoud eröffnet uns eine atemberaubende Dimension...Im Buch erfährt der Leser [...] sehr viel Brisantes über eine Gesellschaft, der die Dekolonialisierung nicht den versprochenen Segen gebracht hat.« Der Spiegel